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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 29.05.2008
Aktenzeichen: 16 A 601/06
Rechtsgebiete: PfG NRW, BSHG, PfGWGVO


Vorschriften:

PfG NRW § 14
BSHG § 88
BSHG § 89
PfGWGVO § 4
Gerät der Heimbewohner mit der Begleichung seiner Heimkosten in Rückstand, kann hierdurch Vermögen im Sinn von § 88 BSHG entstehen. Bis das Vermögen wieder unter die Schongrenze fällt, fehlt es an seiner Bedürftigkeit und der An-spruch des Heimträgers auf Pflegewohngeld entfällt. Das gilt nicht, solange das Vermögen ausnahmsweise nach § 89 BSHG nicht einzusetzen ist.
Tatbestand:

Frau X. wohnte bis zu ihrem Tod in einem Alten- und Pflegeheim der Klägerin. Die Betreuerin von Frau X. kümmerte sich mehrere Monate nicht darum, dass die monatlich fälligen Heimkosten beglichen wurden. Daraufhin entstand auf dem Girokonto der Frau X., das ausschließlich zum Durchreichen des Altersruhegeldes an die Klägerin diente, ein Guthaben, das höher war, als das nach § 88 Abs. 2 BSHG zulässige Schonvermögen. Später zahlte die Betreuerin die ausstehenden Heimkosten in einer Summe. Der Beklagte verweigerte die Gewährung von Pflegewohngeld nach dem nordrhein-westfälischen Landespflegegesetz für die Zeitdauer, in der das Geldvermögen der Frau X. über der Schonvermögensgrenze lag. Der dagegen erhobenen Klage gab das VG statt. Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg.

Gründe:

Die Ablehnung des Antrags auf Gewährung von Pflegewohngeld ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Umsetzung des Pflege-Versicherungsgesetzes vom 19.3.1996 in der Fassung vom 9.5.2000 (Art. 21 des Zweiten Modernisierungsgesetzes, GV. NRW. S. 462, 470) - Landespflegegesetz; im Folgenden: PfG NRW 1996/2000 - hat eine Pflegeeinrichtung unter der Voraussetzung weiterer Bedingungen gegen den zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe bzw. den überörtlichen Träger der Kriegsopferfürsorge Anspruch auf Gewährung von Zuschüssen zu den Aufwendungen für Heimplätze solcher Heimbewohnerinnen und Heimbewohner, die u. a. Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz erhalten oder wegen der gesonderten Berechnung nicht geförderter Aufwendungen gemäß § 82 Abs. 3 SGB XI erhalten würden (Aufwendungszuschüsse).

Während des beantragten Zeitraums sind diese Voraussetzungen in der Person der Heimbewohnerin Frau X. nicht erfüllt. Dabei lässt der Senat offen, ob sich dies bereits aus der Tatbestandswirkung der bestandskräftigen Ablehnung ihres Antrags auf Hilfe zur Pflege durch den Widerspruchsbescheid des Beklagten, in den zur Bedarfsberechnung der Investitionskostenanteil des Heims eingestellt wurde, ergibt.

Vgl. zur Tatbestandswirkung OVG NRW, Urteil vom 13.12.2007 - 16 A 3391/06 -, juris.

Denn selbst wenn angesichts des von der Klägerin geltend gemachten Übergangs des Sozialhilfeanspruchs auf sie (vgl. § 28 Abs. 2 BSHG) auch im Verfahren auf Bewilligung des Pflegewohngelds eine eigenständige Prüfung der damaligen Bedürftigkeit von Frau X. geboten sein sollte, fällt diese zulasten der Klägerin aus.

Nach der Rechtsprechung des Senats unterstellt das Gesetz die Bedürftigkeitsprüfung und damit den Anspruch auf Pflegewohngeld den Leistungsvoraussetzungen des BSHG bzw. des BVG. Das hat u.a. zur Folge, dass neben dem Einkommen auch das Vermögen des Heimbewohners zu berücksichtigen ist, vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 BSHG. § 1 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über Pflegewohngeld vom 4.6.1996 (Pflegewohngeldverordnung - PfGWGVO -, GV. NRW. S. 200) in der Fassung vom 2.12.1998 (GV. NRW. 1999 S. 48) ist dahingehend auszulegen, dass bei der Bedürfnisprüfung nicht nur das Einkommen, sondern auch das Vermögen des Heimbewohners einzubeziehen ist.

Grundlegend OVG NRW, Urteil vom 9.5.2003 - 16 A 2789/02 -, NWVBl 2003, 440; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 13.12.2007, a. a. O.; BVerwG, Beschluss vom 5.9.2003 - 5 B 60.03 -, juris.

Gemäß § 88 BSHG gehört zum Vermögen das gesamte verwertbare Vermögen (Abs. 1), soweit es nicht ausnahmsweise zu schonen ist (Abs. 2) oder soweit nicht sein Einsatz eine Härte bedeuten würde (Abs. 3). Ist der sofortige Verbrauch oder die Verwertung des Vermögens nicht möglich oder würde dies für den Heimbewohner eine Härte bedeuten, steht es einem dann darlehensweise zu gewährenden Sozialhilfeanspruch nicht entgegen (§ 89 BSHG).

Entsprechend dem Zweck der Sozialleistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz, einer Notlage abzuhelfen, kommt es auf die tatsächlich vorhandenen und tatsächlich verwertbaren Vermögenswerte grundsätzlich ohne Rücksicht darauf an, ob ihnen Schulden oder Verpflichtungen des Hilfebedürftigen gegenüberstehen. Dass das Gesetz nicht etwa von einer saldierenden Betrachtungsweise ausgeht, die die Verbindlichkeiten des Hilfesuchenden in die Vermögensermittlung einbezieht, ergibt sich auch aus der Regelung des § 88 Abs. 2 BSHG, wonach (nur) bestimmte Gegenstände vom Vermögenseinsatz oder von der Verwertung ausgenommen sind. Dem Gesetz ist daher eine Berücksichtigung von Verbindlichkeiten durch Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva fremd. Aus dem Grundsatz, dass die tatsächliche Lage des Hilfebedürftigen Ausgangspunkt für die Hilfeleistungen ist, folgt andererseits der Grundsatz, dass es nicht Aufgabe der Sozialhilfe ist, bestehende Verbindlichkeiten des Hilfebedürftigen abzudecken. Der Hilfesuchende muss in der Regel sein Vermögen auch dann für sich verwenden, wenn er sich dadurch außerstande setzt, bestehende gesetzliche oder vertragliche Verpflichtungen zu erfüllen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3.12.1991 - 5 B 61.90 -, Buchholz 436.0 § 88 BSHG Nr. 22, und Urteil vom 27.1.1965 - V C 32.64 -, BVerwGE 20, 188; OVG NRW, Urteil vom 17.1.2000 - 22 A 4467/95 -, NVwZ-RR 2000, 685; Schellhorn/Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 88 Rn. 24.

§ 14 PfG NRW 1996/2000 lässt sich nicht entnehmen, dass die Vermögenslage anders zu betrachten ist, wenn es um das Pflegewohngeld für einen vergangenen Zeitraum geht und der Heimbewohner sein Vermögen später reduziert hat, indem er seine im Antragszeitraum entstandenen Verbindlichkeiten gegenüber dem Pflegeheim getilgt hat.

Nach seinem Wortlaut verweist § 14 Abs. 1 PfG NRW 1996/2000 vielmehr lediglich auf tatsächliche oder fiktive Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz oder dem Bundesversorgungsgesetz. Eine pflegewohngeldrechtliche Sonderregelung bei der Beurteilung der Bedürftigkeit des Heimbewohners gegenüber dem Sozialhilferecht sah lediglich § 14 Abs. 3 PfG NRW 1996/2000 vor, wonach das Pflegegeld nicht als Einkommen im sozialhilferechtlichen Sinne angesehen werden sollte. Erst die Neufassung der Anspruchsvoraussetzungen in § 12 Abs. 3 Satz 4 des Landespflegegesetzes durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Umsetzung des Pflegeversicherungsgesetzes vom 8.7.2003 (GV. NRW. S. 380) wandelt die ausschließlich nach dem Bundessozialhilfegesetz erfolgende Bestimmung des vom Heimbewohner einzusetzenden Vermögens ab, indem es abweichend von § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG höhere Geldwerte (bis zu 10.000,- Euro) zu Schonvermögen erklärt. An der Bestimmung, wann das Vermögen als verwertbar anzusehen ist, hat das Pflegegesetz NRW i. d. F. von 2003 jedoch nichts geändert. Vielmehr findet sich in der gesetzlichen Neuregelung die grundsätzliche Abhängigkeit des Pflegewohngelds von Leistungsansprüchen des Heimbewohners nach dem Bundessozialhilfe- bzw. Bundesversorgungsgesetz bestätigt.

Der Sinnzusammenhang, in den § 14 PfG NRW 1996/2000 gestellt ist, gebietet keine andere Auslegung der Anspruchsvoraussetzungen. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass der Anspruch auf Pflegewohngeld beträchtliche Elemente einer auf die Person des jeweiligen Pflegebedürftigen abzielenden Hilfeleistung aufweist, auch wenn das Pflegewohngeld in erster Linie der Pflegeeinrichtung zugute kommen soll.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31.1.2006 - 16 A 4434/04 -, NWVBl 2006, 303.

Das Land hat die Pflegewohngeldgewährung in nicht zu beanstandender Weise von der Bedürftigkeit des Bewohners abhängig gemacht.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9.5.2003, a. a. O.

Das Ziel des Landespflegegesetzes, die Unterbringung Pflegebedürftiger so zu fördern, dass sie möglichst keine zusätzlichen öffentlichen Mittel in Anspruch nehmen müssen, rechtfertigt es nicht, Pflegewohngeld auch in diesem Sinne nicht Bedürftigen zuzusprechen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31.1.2006, a. a. O.

Die Gesetzesmaterialien bestätigen dieses Ergebnis. Denn durch die Verknüpfung des Pflegewohngelds mit der Bedürftigkeit des Heimbewohners verfolgte der Gesetzgeber ausdrücklich das Ziel, "eine sozialpolitisch differenzierte und verantwortbare Investitionskostenregelung" zu schaffen. Soziahilferechtlich nicht Bedürftige sollten von den anderweitig nicht gedeckten Investitionskosten der von ihnen bewohnten Pflegeeinrichtungen nicht durch öffentliche Mittel freigestellt werden.

Vgl. LT-Drs. 12/194, S. 42.

Da das Landespflegegesetz die Voraussetzungen des Bundessozialhilfe- bzw. des Bundesversorgungsgesetzes an die Hilfebedürftigkeit praktisch unverändert als Anspruchsvoraussetzung in § 14 Abs. 1 PfG NRW 1996/2000 übernommen hat, besteht zudem kein Grund, von der danach gebotenen monatlichen Betrachtung der Bedürftigkeit abzurücken. Vorhandenes einzusetzendes Vermögen steht danach Monat für Monat der Bedürftigkeit - soweit und solange es noch nicht eingesetzt oder verwertet wurde - entgegen, ohne dass es darauf ankäme, ob es ausgereicht hätte, den Bedarf im Antragszeitraum insgesamt zu decken.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.12.1997 - 5 C 7.96 -, BVerwGE 106, 105; OVG NRW, Urteil vom 2.5.1994 - 8 A 3646/92 -, FEVS 45, 326.

Die Regelung des § 4 Abs. 2 PfGWGVO, wonach Pflegewohngeld für einen Zeitraum von zwölf Monaten bewilligt wird, stellt die sozialhilferechtlich gebotene monatsweise Betrachtung nicht in Frage, weil der Bewilligungszeitraum dort ausdrücklich durch den "Fortbestand der Berechtigung" bedingt ist. Die jährliche Bewilligung dient lediglich der Verwaltungsvereinfachung, weil sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse von vollstationären Pflegeheimbewohnern idealtypisch nicht in kleineren Zeitabschnitten verändern. Dem entspricht auch die Gesetzesbegründung zu § 14 PfG NRW 1996/2000, in der es heißt: "Die Leistung ist gebunden an: (...) den Fortbestand des Vorliegens der Bedürftigkeit (...)."

Vgl. LT-Drs. 12/914, S. 43.

Freilich führt die Verweisung in das Bundessozialhilfegesetz dazu, dass die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Pflegewohngeld auch dann vorliegen, wenn trotz des einzusetzenden Vermögens nach §§ 89, 88 Abs. 3 BSHG Hilfe zur Pflege als Darlehen zu gewähren ist oder wäre, um eine Härte für den Heim-bewohner zu vermeiden. Dies könnte beispielsweise dann geboten sein, wenn ihm wegen des weggefallenen Pflegewohngelds der Verlust des Heimplatzes droht.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13.12.2007 - 16 A 3391/06 -, juris.

Nach diesen Grundsätzen waren in der Person der Frau X. die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 PfG NRW 1996/2000 während des klageweise geltend gemachten Zeitraums nicht erfüllt.

Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass Frau X. während des gesamten in Rede stehenden Zeitraums auch nach Abzug des nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG zu belassenden kleineren Barbetrags von 2.301,00 € über ein Bankguthaben in einer Höhe verfügte, die ihren monatlichen Bedarf überstieg. Nach dem durch die Rechtsprechung ausgeformten Verständnis der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes waren hiervon die im beantragten Zeitraum entstandenen Verbindlichkeiten gegenüber der Klägerin aus dem Heimvertrag nicht vermögensmindernd abzusetzen.

Eine mit § 88 Abs. 2 Nr. 1 bis 2 oder Abs. 3 Satz 2 BSHG vergleichbare besondere Bindung des Bankguthabens zugunsten der Begleichung der Heimkosten, die seine Berücksichtigung als einzusetzendes Vermögen ausschließen könnte, lässt sich nicht aus dem Umstand herleiten, dass das Girokonto praktisch ausschließlich zum Durchreichen der Alterseinkünfte an das Pflegeheim genutzt wurde. Unabhängig von der Frage der Vergleichbarkeit mit den in § 88 Abs. 2 Nr. 1 bis 2 BSHG geregelten Fällen fehlt es angesichts der freien Verfügbarkeit der Mittel an der jedenfalls erforderlichen Zweckbindung, an deren Vorliegen hohe Anforderungen zu stellen sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 13.5.2004 - 5 C 3.03 -, BVerwGE 121, 34.

Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin im Begriff war, wegen des entfallenen Pflegewohngeldanspruchs den Heimvertrag mit Frau X. zu kündigen, die Versagung der Hilfe zur Pflege also für sie eine Härte i. S. v. §§ 89, 88 Abs. 3 BSHG darstellen könnte, liegen nicht vor.

Der Vortrag der Klägerin, der Träger der Pflegeeinrichtung habe keinen Einfluss auf den Zeitpunkt der Zahlung der Heimkosten durch die Bewohner, so dass es in Fällen wie dem vorliegenden zur Bildung von Vermögen kommen könne, das dem Pflegewohngeldanspruch entgegenstehe, gebietet keine andere Betrachtung. Nach den gesetzlichen Voraussetzungen ist es nicht erheblich, ob der Wegfall des Pflegewohngeldanspruchs für den Träger des Heims eine Härte darstellt. Es kommt insofern allein auf den Heimbewohner an. Der Träger der Pflegeeinrichtung kann überdies durch vertragliche Vereinbarungen mit dem Bewohner auch ohne gerichtliche Hilfe Vorsorge dafür treffen, dass seine Forderungen nicht wegen der verlorenen Fähigkeit des Bewohners, seine finanziellen Angelegenheiten zu regeln, oder wegen der Nachlässigkeit von Betreuungspersonen nur unregelmäßig beglichen werden (z. B. Einzugsermächtigung). Entgehen ihm Ansprüche auf Pflegewohngeld wegen verspäteter Zahlung des Heimbewohners, muss er den entstandenen Schaden zivilrechtlich - etwa als Verzugsschaden - gegen den Heimbewohner bzw. dessen Erben geltend machen.

Ende der Entscheidung

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