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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 13.10.2009
Aktenzeichen: 16 B 1067/09
Rechtsgebiete: FeV, Richtlinie 91/439/EWG


Vorschriften:

FeV § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3
Richtlinie 91/439/EWG Art. 1 Abs. 2
Richtlinie 91/439/EWG Art. 8 Abs. 6
§ 28 Abs. 4 FeV ist auch auf Fahrerlaubnisse anzuwenden, die in einem EU- oder EWR-Staat im Wege des Umtauschs eines Führerscheins aus einem Drittstaat erworben worden sind.

Einer Entziehung der Fahrerlaubnis im Inland durch ein Gericht oder durch eine Fahrerlaubnisbehörde i. S. v. § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV ist der Fall gleichzustellen, in dem der Betroffene, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, unter Benutzung von Kraftfahrzeugen Verkehrsdelikte begangen hat, die im Falle des Besitzes einer Fahrerlaubnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Entziehung dieser Fahrerlaubnis geführt hätten.

Nimmt der Betroffene einen Fahrerlaubnisantrag zurück, nachdem im Erteilungsverfahren eine ihm aufgegebene ärztliche oder medizinisch-psychologische Begutachtung ein negatives Ergebnis erbracht oder er eine solche Untersuchung verweigert hat, ist der Fall wie die bestandskräftige Versagung einer beantragten Fahrerlaubnis i. S. v. § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV zu bewerten.

Der vom EuGH geforderte Vorrang des Anerkennungsgrundsatzes nach Art. 1 Abs. 2 Richtlinie 91/439/EWG besteht gemäß Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie 91/439/EWG nicht im Hinblick auf eine EU- bzw. EWR-Fahrerlaubnis, die deren Inhaber durch den Umtausch eines in einem Drittstaat erworbenen Führerscheins erlangt hat.

Soweit der Senat die Befugnis zur Aberkennung des Rechts, von einer im EU-/EWR-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, von einer Aufforderung zum Nachweis der vermeintlich wiedererlangten Fahreignung abhängig gemacht hat, gilt das nicht für Umtauschfälle i. S. v. Art. 8 Abs. 6 Richtlinie 91/439/EWG, in denen die umtauschende Fahrerlaubnisbehörde eines EU-/EWR-Staates die Fahreignung des Betroffenen nicht einmal rudimentär geprüft hat.


Tatbestand:

Dem Antragsteller, der nie eine deutsche Fahrerlaubnis besessen hat und er wiederholt unter erheblichem Alkoholeinfluss Kraftfahrzeuge geführt hat, wurde im Wege der Feststellung das Recht abgesprochen, eine in der Russischen Föderation erworbene und nachfolgend in Ungarn umgetauschte Fahrerlaubnis im Inland zu nutzen. Sein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner dagegen erhobenen Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Der Antragsteller kann nicht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage beanspruchen.

Der Senat ist anders als das VG der Auffassung, dass die Klage des Antragstellers offensichtlich unbegründet ist und deshalb das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Ordnungsverfügung vom 13.5.2009 gegenüber dem persönlichen Interesse des Antragstellers am vorläufigen weiteren Gebrauchmachen von seiner EU-Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland überwiegt.

Der Antragsgegner ist jedenfalls im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die in Ungarn ausgestellte Fahrerlaubnis des Antragstellers kraft Gesetzes nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet berechtigt. Das Fehlen der Berechtigung, die Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland zu nutzen, folgt aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV und die Befugnis des Antragsgegners zum Erlass eines Feststellungsbescheides aus § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV; diese Regelungen sind auch auf Fahrerlaubnisse anzuwenden, die in einem EU- oder EWR-Staat im Wege des Umtauschs eines Führerscheins aus einem Drittstaat erworben worden sind.

Vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 40. Aufl., § 28 FeV Rn. 4, unter Hinweis auf BR-Drs. 443/98, S. 283.

Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV gilt die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben und denen unter anderem zuvor im Inland die Fahrerlaubnis von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde entzogen oder eine beantragte Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist. Dass der Antragsteller ungeachtet etwaiger zwischenzeitlicher Auslandsaufenthalte zumindest jetzt (wieder) in Deutschland lebt, ergibt sich schon aus seinen Einlassungen. Eine Fahrerlaubnisentziehung oder eine bestandskräftige Versagung eines Antrags auf Erteilung einer Fahrerlaubnis liegen zwar nicht vor. Der Antragsteller hat aber, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, wiederholt Verkehrsdelikte begangen, die im Falle des Besitzes einer Fahrerlaubnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Entziehung dieser Fahrerlaubnis geführt hätten. Es kann ihn daher im Hinblick auf die Anwendung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV nicht privilegieren, dass er die beiden Trunkenheitsfahrten in den Jahren 2003 und 2004 begangen hat, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis für die verwendeten Fahrzeuge gewesen zu sein, d. h. sich zusätzlich des vorsätzlichen Führens eines Kraftfahrzeuges ohne Fahrerlaubnis schuldig gemacht hat. Im Übrigen muss bei wertender Betrachtung der bestandskräftigen Versagung einer beantragten Fahrerlaubnis der Fall gleichgestellt werden, in dem der Betroffene einen Fahrerlaubnisantrag zurücknimmt, nachdem er im Erteilungsverfahren ohne Erfolg eine ärztliche oder eine medizinisch-psychologische Begutachtung hat durchführen lassen oder aber wie vorliegend eine solche Untersuchung verweigert hat. Denn es kann keinen rechtlichen Unterschied begründen, ob einem Fahrerlaubnisbewerber wegen einer negativen Begutachtung oder wegen der Verweigerung einer Begutachtung die Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt wird oder ob er aus denselben Gründen durch die Antragsrücknahme - hier am 22.4.2008 - der sicheren Ablehnung seines Antrags zuvorkommt.

Die Anwendung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV ist auch weder im Hinblick auf die Vereinbarkeit der in dieser Vorschrift geregelten Anerkennungsverweigerung mit Europäischem Recht noch wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Frage gestellt.

Eine vorliegend noch an der 2. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 91/439/EWG) zu messende Europarechtswidrigkeit liegt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH vgl. zuletzt Beschluss vom 9.7.2009 - C-445/08 (Wierer) -, juris, schon deshalb nicht vor, weil vorliegend Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie 91/439/EWG anzuwenden ist und bei der Anwendung dieser Bestimmung - anders als bei Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG - kein prinzipieller Anwendungsvorrang des Anerkennungsgrundsatzes gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG besteht. Art. 8 Abs. 6 Unterabs. 2 Satz 2 der Richtlinie 91/439/EWG bestimmt, dass nach dem Umtausch eines von einem Drittstaat - also weder einem EU- noch einem EWR-Staat - ausgestellten Führerscheins gegen einen Führerschein nach dem EG-Muster und einer - aufgrund der Angaben des Antragstellers hier anzunehmenden - Verlegung des Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat dieser (Zuzugs-)Mitgliedstaat Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG nicht anzuwenden braucht. Dieser klare Normbefund gibt keine Handhabe, durch ein extensives Verständnis des Anerkennungsgrundsatzes nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG die Befugnisse der Zuzugsstaaten zur Gewährleistung ihrer einzelstaatlichen Sicherheitsstandards im Fahrerlaubnisrecht einzuschränken.

Vorliegend kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einem solchen Umtausch einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates in Ungarn ausgegangen werden. Die unter II. in Anlage 9 zur FeV genannte, in der gesamten EU geltende einleitende Schlüsselzahl 70, die in dem ungarischen Führerschein des Antragstellers (Feld 12) eingetragen ist, belegt den Umtausch einer in Ungarn vorgelegten Fahrerlaubnis eines anderen Staates. Die Verwendung des Kürzels "RUS" lässt zwanglos auf einen Ersterwerb der Fahrerlaubnis in der Russischen Föderation schließen. Der Antragsteller ist der Darstellung des Antragsgegners über die Umstände des Fahrerlaubniserwerbs auch nicht substanziiert entgegengetreten. Aufgrund der erheblichen Vorbelastung des Antragstellers, der bereits im Alter von 19 bzw. 20 Jahren dreimal hochgradig alkoholisiert (Blutalkoholkonzentrationen von 2,26, 2,14 und 1,70 Promille) am Straßenverkehr teilgenommen hat, darunter zweimal ohne die erforderliche Fahrerlaubnis mit einem Kraftfahrzeug, darüber hinaus aber auch wegen der offenkundigen Absicht des Antragstellers, sich der Anwendung der in Deutschland geltenden Standards bei der Fahrerlaubniserteilung zu entziehen, ist die Entscheidung des Antragsgegners, den Führerscheinumtausch im Inland nicht anzuerkennen, auch ohne Weiteres ermessensgerecht. Auf die Frage, inwieweit sich die abschließend vom Landgericht P. im Urteil vom 24.5.2005 verhängte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis auf die Anerkennungsfähigkeit der in Ungarn umgetauschten russischen Fahrerlaubnis auswirkt, kommt es nach alledem nicht an.

Unter den aufgezeigten Umständen liegt auch der vom VG gesehene Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vor. Soweit der Senat die Rechtmäßigkeit von Ordnungsverfügungen, mit denen Inländern das Recht aberkannt worden ist, im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland von einer im Ausland erworbenen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, von einer Aufforderung zum Nachweis der vermeintlich wiedererlangten Fahreignung abhängig gemacht hat, vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13.9.2006 - 16 B 989/06 -, VRS 111 (2006), 466 = Blutalkohol 43 (2006), 507 = juris (Rn. 34), vom 7.8.2007 - 16 B 418/07 -, juris, sowie vom 12.1.2009 - 16 B 1610/08 -, DAR 2009, 159 = VRS 116 (2009), 314 = Blutalkohol 46 (2009), 109 = juris (Rn. 35), betraf das ausschließlich Fälle, in denen bereits die ausländische Fahrerlaubnisbehörde die Fahreignung des Betroffenen - wenngleich möglicherweise gemessen an den deutschen Bestimmungen unzulänglich - überprüft hat. Hat aber wie vorliegend keine materielle Fahreignungsprüfung durch die Fahrerlaubnisbehörde eines EU- oder EWR-Staates stattgefunden, besteht für die inländische Fahrerlaubnisbehörde unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Pflicht zur Anerkennung EU- bzw. EWR-ausländischer Fahrerlaubnisse kein Anlass, im Vorfeld einer aberkennenden Entscheidung eigene Ermittlungen über die Fahreignung des betreffenden Fahrerlaubnisinhabers anzustellen.

Abschließend bleibt anzufügen, dass die vom Antragsteller vermutlich im Jahr 2006 erworbene russische Fahrerlaubnis diesen nicht mehr zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt. Abgesehen davon, dass der Antragsteller seinen russischen Führerschein beim Umtausch in Ungarn den dortigen Behörden ausgehändigt haben dürfte (vgl. Art. 8 Abs. 6 Unterabs. 2 Satz 1 Richtlinie 91/439/EWG), ist nach der Beendigung des offensichtlich auf die Zeit für den Erwerb der Fahrerlaubnis beschränkten Aufenthalts des Antragstellers in der Russischen Föderation der Fortgeltungszeitraum von sechs Monaten (§ 29 Abs. 1 Satz 3 FeV) seit langem abgelaufen.

Ende der Entscheidung

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