Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 24.05.2006
Aktenzeichen: 16 B 1093/05
Rechtsgebiete: StVG


Vorschriften:

StVG § 4 Abs. 3 Nr. 3
StVG § 4 Abs. 5
StVG § 4 Abs. 10
Eine auf § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis, die sich zum Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe auf mit 18 oder mehr Punkten bewertete Zuwiderhandlungen des Betroffenen stützen kann, bleibt auch dann rechtmäßig, wenn hinsichtlich einzelner Verkehrsverstöße im Verlaufe des Widerspruchsverfahrens Tilgungsreife eintritt.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in Fällen des Fahrerlaubnisentzugs nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG ist nicht der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides, sondern derjenige der Bekanntgabe der Entziehungsverfügung.


Tatbestand:

Der Antragsteller begehrte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung des Antragsgegners, mit dem ihm die Fahrerlaubnis entzogen worden war. Sein Antrag hatte auch in zweiter Instanz keinen Erfolg.

Gründe:

Es verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg, dass hinsichtlich des Verkehrsverstoßes vom 7.11.2000 inzwischen gemäß § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG Tilgungsreife eingetreten ist. Denn eine auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis, die sich zum Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe auf Zuwiderhandlungen des Betroffenen stützen kann, welche mit 18 oder mehr Punkten zu bewerten sind, bleibt auch dann rechtmäßig, wenn sich nach Erlass der Verfügung, aber vor Zustellung des Widerspruchsbescheides Reduzierungen des Punktestandes ergeben. Grundsätzlich ist zwar auch bei einer Anfechtungsklage im Fahrerlaubnisrecht der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, d.h. der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides, als für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich anzusehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.9.1995 - 11 C 34.94 -, BVerwGE 99, 249, und Beschluss vom 22.1.2001 - 3 B 144.00 -, juris.

Ebenso wie in anderen Rechtsgebieten - vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 27.4.1990 - 8 C 87.88 -, Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 218, und Beschluss vom 6.3.2003 - 9 B 17.03 -, juris - kann aber auch hier das materielle Recht Abweichungen gebieten. So verhält es sich bei der Fahrerlaubnisentziehung auf Grund von § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG. Dafür spricht eine Auslegung insbesondere anhand der Gesetzessystematik sowie von Sinn und Zweck der Vorschrift. Nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG gilt der Betroffene als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, sobald sich nach dem Punktsystem des Gesetzes 18 oder mehr Punkte "ergeben". Die Staffelung von "acht, aber nicht mehr als 13 Punkte" in § 4 Abs. 3 Nr. 1 StVG, über "14, aber nicht mehr als 17 Punkte" in § 4 Abs. 3 Nr. 2 StVG auf "18 oder mehr Punkte" in § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG spricht dafür, dass es für das "ergeben sich" in § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG entscheidend schon auf das erstmalige Überschreiten der Grenze von 18 Punkten ankommen soll. Derjenige, der diese Grenze überschreitet, so bringt es das Gesetz an anderer Stelle zum Ausdruck, soll möglichst schnell und jedenfalls für eine Dauer von sechs Monaten von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr ausgeschlossen werden und daran auch nach Ablauf der sechs Monate nicht ohne weiteres wieder teilnehmen können: Dass die Behörde möglichst schnell handeln und zu einem schnellen Handeln auch in der Lage sein soll, zeigt § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG. Danach ist eine auf § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis kraft Gesetzes für sofort vollziehbar erklärt, was bedeutet, dass zur unmittelbaren Umsetzung der Entziehungsverfügung anders als im Regelfall einer Fahrerlaubnisentziehung die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht erforderlich ist. Nach § 4 Abs. 10 Sätze 1 und 2 StVG schließlich darf eine neue Fahrerlaubnis frühestens sechs Monate nach Ablieferung des Führerscheins wieder erteilt werden. Vor der Erteilung hat die Fahrerlaubnisbehörde nach Satz 3 der Vorschrift zum Nachweis, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen wiederhergestellt ist, in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung anzuordnen. Die Bedeutung, die das Gesetz dem Überschreiten der 18-Punkte-Grenze beimisst, und der für das weitere Verfahren vorgesehene Ablauf würden durch eine Rechtsanwendung konterkariert, die die Berücksichtigung von Punktetilgungen während des Laufs des Widerspruchsverfahrens mit einer u.U. raschen Abfolge der Annahme einer Ungeeignetheit bzw. Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zuließe. Insbesondere mit der in § 4 Abs. 10 Satz 1 StVG vorgesehenen Sechs-Monats-Sperre wäre eine solche noch dazu von Zufälligkeiten sowie dem taktischen Verhalten des Betroffenen abhängige Handhabung schwerlich vereinbar. Dies spricht dafür, als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in Fällen des Fahrerlaubnisentzugs nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG nicht den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides, sondern den der Bekanntgabe der Entziehungsverfügung anzusehen.

So auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 17.2.2005 - 10 S 2875/04 -, VRS 108, 454 = DÖV 2005, 746; vgl. ferner Sächs. OVG, Beschluss vom 15.11.2005 - 3 BS 232/05 -, juris; wohl a.A. - ohne allerdings die Frage des für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkts zu problematisieren - OVG M.-V., Beschluss vom 29.7.2002 - 1 M 79/02 -, VRS 104, 153.

Ende der Entscheidung

Zurück