Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 31.10.2008
Aktenzeichen: 16 B 978/08
Rechtsgebiete: StVG, FeV, BtMG


Vorschriften:

StVG § 3 Abs. 1 Satz 1
FeV § 46 Abs. 1
FeV Nr. 9.1 der Anlage 4
BtMG § 1
Es ist bislang nicht hinreichend geklärt, wie sich der Konsum von Khat auf die Kraftfahreignung auswirkt. Bis zur Klärung scheidet die Regelannahme nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung aus, dass sich ein Khatkonsument als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat.

Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an, ob trotz fehlender Klärung der Auswirkungen eines Khatkonsums erhebliche Zweifel an der Kraftfahreignung des Khatkonsumenten bestehen. Aufgrund solcher Zweifel kann die allgemeine Interessenabwägung im gerichtlichen Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine sofort vollziehbare Fahrerlaubnisentziehung zulasten des Khatkonsumenten ausfallen.


Tatbestand:

Der Antragsteller wurde im Jahr 2003 wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, weil er in mehreren Fällen Khat nach Deutschland eingeführt hatte. In diesem Strafverfahren räumte der Antragsteller ein, Khat auch selbst konsumiert zu haben. 2007 wurden weitere Strafverfahren wegen unerlaubter Einfuhr von Khat gegen den Antragsteller eingeleitet. Vor diesem Hintergrund entzog der Antragsgegner dem Antragsteller nach vorheriger Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Verfügung an. Der Antrag des Klägers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner hiergegen erhobenen Klage blieb in erster und zweiter Instanz erfolglos.

Gründe:

Die Abwägung des privaten Interesses des Antragstellers daran, vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens im öffentlichen Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führen zu dürfen, mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Fahrerlaubnisentziehung fällt zulasten des Antragstellers aus.

Bei der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen und möglichen summarischen Prüfung lässt sich allerdings nicht feststellen, dass die angefochtene Ordnungsverfügung offensichtlich rechtmäßig ist. Ermächtigungsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV. Danach hat die zuständige Behörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV in der Regel, wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes - ausgenommen Cannabis - konsumiert. Um die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung festzustellen, genügt es nicht, dass der Antragsteller Khat (auch Kath, Kat, Qat, Qad, Gat, Chat oder Miraa) konsumiert hat. Zwar sind die dem Konsum von Khat zugeschriebenen Wirkstoffe Cathinon nach der Anlage I zu § 1 BtmG ein nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel und Cathin nach der Anlage III zu § 1 BtmG ein verkehrsfähiges Betäubungsmittel. Das allein lässt aber noch nicht die Regelannahme zu, dass sich der Antragsteller als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erwiesen hat. So ist nicht hinreichend geklärt, welche Auswirkungen der Konsum von Khat bzw. die Einnahme der Stoffe Cathinon und Cathin auf die Kraftfahreignung haben. Es fehlen Feststellungen dazu, ob und in welchen Konzentrationen in nach Deutschland eingeführtem Khat im allgemeinen und in den beim Antragsteller sichergestellten Pflanzenteilen im besonderen die Wirkstoffe Cathinon und Cathin enthalten sind. In diesem Zusammenhang sind unter Berücksichtigung der in den Strafverfahren gegen den Antragsteller getroffenen Feststellungen, seiner Angaben im vorliegenden Verfahren und seiner Einlassungen im Rahmen der medizinisch-psychologischen Begutachtung auch noch die Dauer und der Umfang seines Khatkonsums aufzuklären. Von Bedeutung ist ferner, ob und gegebenenfalls seit wann der Antragsteller kein Khat mehr konsumiert. Auch die Anforderungen an den Nachweis der wiederhergestellten Kraftfahreignung sind noch nicht hinreichend bestimmt. Die aufgeworfenen Fragen sind - gegebenenfalls unter Einholung sachverständiger Äußerungen - im Klageverfahren zu klären.

Vgl. zu den rechtlichen Fragen Nds. OVG, Beschluss vom 15.3.2001 - 12 MA 1020/01 -; VG Stuttgart, Beschluss vom 17.9.2003 - 3 K 3079/03 -, juris; LG Freiburg, Urteil vom 2.8.2006, - 7 Ns 550 Js 179/05 - AK 38/06 u.a. -, Blutalkohol 44 (2007), 183; Geiger, DAR 2004, 690; Petersen, ZfSch 2002, 56; zu den tatsächlichen Fragen Schramm, Untersuchung zum Einfluss von Khat auf die Fahrtüchtigkeit - Probandenstudie und Interpretation authentischer Fälle; Toennes/Kaunert, Forensic Science International 140 (2004), S. 85.

Die Ordnungsverfügung des Antragstellers ist aber auch nicht offensichtlich rechtswidrig. Ausgehend von dem zugestandenen Khatkonsum des Antragstellers ergeben sich unter Berücksichtigung aller weiteren Umstände des Einzelfalls jedenfalls erhebliche Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers.

Diese Zweifel beruhen zunächst auf dem medizinisch-psychologischen Gutachten. (...) Das Gutachten weist auf seine Kraftfahreignung unmittelbar betreffende Leistungsdefizite des Antragstellers hin. Diese Ergebnisse legen nahe, dass der Antragsteller bereits bei einer geringfügigen weiteren Herabsetzung seiner Leistungsfähigkeit - etwa aufgrund des hier in Rede stehenden Khatkonsums - nicht mehr in der Lage ist, gefahrlos am Straßenverkehr teilzunehmen. Die bei der medizinisch-psychologischen Begutachtung des Antragstellers durchgeführten psychophysischen Tests haben insgesamt grenzwertige Ergebnisse in Bezug auf seine Leistungsfähigkeit ergeben. Diese liegen im unteren Bereich des zur Bejahung der Kraftfahreignung Erforderlichen. Ausreichende Leistungsfähigkeit für eine Fahrerlaubnis der früheren Klasse 3, über die der Antragsteller verfügte, ist in der Regel gegeben, wenn bei diesen Tests Prozentränge von 16 und mehr erreicht werden. Die vom Antragsteller erzielten Ergebnisse lagen bei dem Determinationstest zwischen 16 und 26. Bei dem zur Überprüfung der Schnelligkeit der optischen Wahrnehmungskapazität und der Reproduzierbarkeit von anschaulichen Gedächtnisinhalten dienenden Tachistoskoptest erzielte der Antragsteller lediglich einen Prozentrang von 4.

Angesichts der festgestellten Defizite bei der Leistungsfähigkeit des Antragstellers kann auch seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen Bedeutung zukommen. So leidet er offensichtlich unter Bluthochdruck. Zur Behandlung hat er sich bereits einem dreimonatigen stationären Krankenhausaufenthalt unterzogen. Derzeit nimmt er zwei zur Behandlung von Bluthochdruck bestimmte Medikamente ein.

Vgl. zur Fahreignungsrelevanz von Bluthochdruck Nr. 4.2 der Anlage 4 zur FeV.

Die erheblichen Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers beruhen ferner auf seinen Einlassungen bei der Begutachtung sowie seinen weiteren Ausführungen im Verwaltungs- wie im Gerichtsverfahren. Danach ist derzeit nicht erkennbar, dass er sich mit seinem früheren Khatkonsum so kritisch auseinandergesetzt hat, dass zukünftiger weiterer Drogenkonsum mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Es erscheint vielmehr möglich, dass der Antragsteller aufgrund fehlenden Problembewusstseins zu einem durchgängig verantwortungsvollen Umgang mit berauschenden Mitteln noch nicht in der Lage ist. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die Behauptung des Antragsteller zutrifft, seit Juli 2007 keine Drogen mehr konsumiert zu haben. Der Gutachter hat dies nicht bezweifelt. Die Bedenken gegen die Kraftfahreignung des Antragstellers ergeben sich vielmehr maßgeblich aus nach wie vor insgesamt widersprüchlichen Angaben zu seinem Khatkonsum. Während er im Rahmen des 2003 gegen ihn geführten Strafverfahrens erklärt hat, diese Droge seit seiner Jugend einzunehmen, hat er bei seiner medizinisch-psychologischen Begutachtung angegeben, sie erst 2003 bzw. nach seiner Einreise nach Deutschland erstmals konsumiert zu haben. Bei dieser Begutachtung hat der Antragsteller zudem behauptet, der letzte Konsum habe am 21.7.2007 stattgefunden. Im gerichtlichen Verfahren wird demgegenüber vorgetragen, der Antragsteller lebe seit Jahren drogenabstinent. Unterschiedlich sind auch die Angaben zur Häufigkeit seines Konsums. Während seine Einlassungen im Strafverfahren 2003 einen seinerzeit regelmäßigen Konsum nahe legen, hat er bei dem diagnostischen Gespräch im Rahmen der medizinisch-psychologischen Begutachtung angegeben, nicht oft, manchmal nur zweimal im Jahr, konsumiert zu haben. Bei der medizinischen Untersuchung sprach er lediglich von zweimaligem Konsum im Jahr 2003 und einmaligem Konsum im Jahr 2007.

Lässt sich nach alledem weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung noch ihre offensichtliche Rechtswidrigkeit feststellen, kommt es für den Ausgang des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf die weitere, allgemeine Interessenabwägung an. Diese fällt zulasten des Antragstellers aus. Es besteht ein überragendes Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem hiermit verbundenen Schutz höchstrangiger Rechtsgüter. Angesichts der Gefahren, die von Personen ausgehen, die ein Kraftfahrzeug führen, obwohl sie unter dem Einfluss berauschender Mittel stehen, muss das private Interesse des betroffenen Kraftfahrzeugführers, vorläufig weiter am motorisierten Straßenverkehr teilnehmen zu können, regelmäßig hinter dem öffentlichen Interesse zurückstehen. Der Senat kann wegen der erheblichen Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers seine (vorläufige) weitere Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr nicht verantworten. Umstände, die ein besonderes, über den Regelfall hinausgehendes Interesse des Antragstellers begründen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Dem Antragsteller steht es jedoch frei, unabhängig von oder in Ergänzung zu den im Hauptsacheverfahren erforderlichen Ermittlungen Umstände darzulegen, die die aufgezeigten erheblichen Zweifel an seiner Kraftfahreignung ausräumen. Voraussetzung hierfür dürfte zunächst eine schlüssige Darlegung seines bisherigen Khatkonsums sowie seiner Motive für eine Verhaltensänderung sein. Daneben kommen ein Nachweis der Drogenfreiheit durch für den Antragsteller unvorhersehbar anberaumte Drogenscreenings sowie die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung in Betracht. Jedenfalls nach Durchführung solcher Maßnahmen kann sich auch die Durchführung einer weiteren medizinisch-psychologischen Untersuchung anbieten.

Ende der Entscheidung

Zurück