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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 18.01.2005
Aktenzeichen: 18 B 1260/04
Rechtsgebiete: AufenthG, AuslG, AsylVfG


Vorschriften:

AufenthG § 56 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 7
AufenthG § 101 Abs. 1
AufenthG § 102 Abs. 1
AuslG § 48 Abs. 1
AsylVfG § 24 Abs. 2
AsylVfG § 42
1. Ausweisungsverfügungen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes sind auch in Ansehung von dessen § 102 Abs. 1 Satz 1 grundsätzlich nur am neuen Recht zu messen, wenn bis dahin noch nicht über einen Widerspruch entschieden worden ist.

2. Für den besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist - ebenso wie nach dem bisherigen § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG - auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Ausweisungsverfügung abzustellen.

3. § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG bietet keinen Ausweisungsschutz, um dem Umstand zu begegnen, dass die Herstellung einer familiären Lebensgemeinschaft von einem Elternteil erschwert oder verhindert wird.

4. Die bislang bestehende strikte Aufteilung der Zuständigkeit zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) und der Ausländerbehörde gilt nach dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes unverändert fort. (Vgl. 3.2.25, 4.36 a. F.)


Tatbestand:

Der Antragsteller ist ein nigerianischer Staatsangehöriger, dessen Asylberechtigung zwischenzeitlich widerrufen worden ist. Er verfügte zuletzt über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Zu seinem nichtehelichen deutschen Sohn, der 1999 geboren wurde und bei seiner Mutter lebt, hat er seit 2002 keinen Kontakt mehr. Nachdem der Antragsteller wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden war, wurde er vom Antragsgegner durch Ordnungsverfügung vom 13.12.2002 unter Anordnung des Sofortvollzugs aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Nach erfolglosem Aussetzungsantrag machte er mit seiner Beschwerde geltend, er genieße einen vom Antragsgegner nicht berücksichtigten besonderen Ausweisungsschutz, weil er Vater eines minderjährigen deutschen Sohnes sei. Ihm dürfe es nicht zum Nachteil gereichen, dass ihm dessen Mutter jeden Umgang mit seinem Kind verweigere. Außerdem sei bisher unberücksichtigt geblieben, dass er an einer ausgeprägten depressiven Reaktion leide, die in Nigeria mangels ihm zur Verfügung stehender finanzieller Mittel nicht behandelbar sei.

Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, die vom Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur zu prüfen sind, rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, mit der das VG den Aussetzungsantrag des Antragstellers abgelehnt hat.

Zunächst ist klarzustellen, dass sich die Erfolgsaussichten des Widerspruchs und einer etwa nachfolgenden Anfechtungsklage gegen die Ordnungsverfügung vom 13.12.2002 nach dem inzwischen durch das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30.7.2004 - BGBl. I S. 1950 - zum 1.1.2005 in Kraft getretenen Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) beurteilen. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der gerichtlichen Nachprüfung einer Ausweisungsverfügung grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides abzustellen, sofern sich nicht aus dem einschlägigen materiellen Recht anderes ergibt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.2.1997 - 1 B 5.97 -, Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 8, ferner Urteil vom 7.12.1999 - 1 C 13.99 -, DVBl. 2000, 429 = DÖV 2000, 427 = InfAuslR 2000, 176 = NVwZ 2000, 688; OVG NRW, Urteil vom 21.12.1999 - 18 A 5101/96 -, EZAR 034 Nr. 7 = NWVBl. 2001, 29.

Dies gilt auch im Falle einer Änderung der Sach- und Rechtslage während des Widerspruchsverfahrens.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.6.1997 - 1 C 23.96 -, InfAuslR 1997, 390 = NVwZ 1997, 1126 = EZAR 032 Nr. 12.

Daran hat sich durch das Aufenthaltsgesetz nichts geändert. Dieses Gesetz enthält einerseits keine Regelung, aus der hergeleitet werden könnte, dass Ausweisungsverfügungen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts nach abgeschlossenem Verwaltungsverfahren an den neuen Regelungen zu messen sind. Andererseits wird aber auch nicht bestimmt, dass weiterhin das Ausländergesetz 1990 anzuwenden ist, wenn bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts - wie hier - über einen Widerspruch noch nicht entschieden worden ist. Letzteres folgt insbesondere nicht aus § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Dieser trifft lediglich hinsichtlich der Wirksamkeit der in der Bestimmung genannten Maßnahmen eine Regelung. Die Frage ihrer Rechtmäßigkeit bleibt davon unberührt. Es soll lediglich gewährleistet werden, dass die Wirkungen der Ausweisung (§§ 8 Abs. 2, 44 Abs. 1 Nr. 1, 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG) erhalten bleiben.

Vgl. BT-Drucks. 15/420, 100, zitiert nach GK-AufenthG zu § 102.

Entsprechendes hat das BVerwG

- vgl. Urteile vom 28.5.1991 - 1 C 20.89 -, InfAuslR 1991, 268; und vom 21.1.1992 - 1 C 21.87 -, InfAuslR 1992, 205 -

ebenso wie der Senat

- vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12.2.1991 - 18 B 84/91 -, InfAuslR 1991, 187 = NWVBl. 1991, 275 = EZAR 032 Nr. 2 -

zu der Übergangsvorschrift des § 95 Abs.1 AuslG festgestellt. Für die insoweit gleichlautende Regelung des § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gilt nichts anderes.

Im Ergebnis ebenso Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG § 102 Rn. 3.

Danach hat das VG dem Antragsteller zu Recht keinen besonderen Ausweisungsschutz zuerkannt. Entgegen dessen mit der Beschwerde vertretenen Auffassung hat es zutreffend dargelegt, dass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG, dem der nunmehr anzuwendende § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG entspricht, nicht erfüllt sind. Anders als der Antragsteller meint, ist allein die Tatsache, dass er Vater eines minderjährigen Sohnes ist, diesbezüglich nicht ausreichend. Erforderlich ist vielmehr eine tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern. Die vorgenannten Normen entfalten ausländerrechtliche Schutzwirkungen nicht bereits auf Grund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Es ist vielmehr unter Betrachtung des Einzelfalls zu würdigen, ob eine dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft tatsächlich gelebt wird.

Vgl. dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 30.1.2002 - 2 BvR 231/00 -, InfAuslR 2002, 171; OVG NRW, Beschlüsse vom 9.7.2002 - 1241/02 - und vom 4.4.2003 - 18 B 660/03 -.

Dies hat das VG mit zutreffenden Ausführungen verneint, denen der Antragsteller lediglich damit entgegen getreten ist, dass es ihm nicht zum Nachteil gereichen dürfe, wenn ihm die Mutter seines Sohnes jeden Kontakt zu diesem verweigere. Damit kann der Antragsteller nicht durchdringen. § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG gewährt Abschiebungsschutz u.a. nur, wenn der Ausländer mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, und ist deshalb wegen seines eindeutigen Wortlautes auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten keiner weiter gehenden Auslegung zugänglich. Insoweit ist für den Familiennachzug anerkannt, dass Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG nicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gebietet, um dem Umstand zu begegnen, dass die Herstellung einer familiären Lebensgemeinschaft von einem Elternteil erschwert oder verhindert wird.

Vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 22.12.2003 - 2 BvR 2108/00 -, NVwZ 2004, 606 = FamRZ 2004, 356.

Vergleichbares hat für den hier fraglichen besonderen Ausweisungsschutz zu gelten, weil dieser ebenso wie die Regelungen über den Familiennachzug (vgl. § 27 Abs. 1 AufenthG) auf eine bestehende familiäre Lebensgemeinschaft abstellt.

Inwieweit die angeführten Umstände in einem anderen Zusammenhang (etwa bei der Prüfung einer Ausnahme von der Regelausweisung oder im Rahmen einer Ermessensprüfung) berücksichtigungsfähig sind, bedarf hier keiner Erörterung. Derartiges lässt jedenfalls die hier gegebene zwingende Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG (vormals § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG) nicht zu.

Ein unter der Geltung des Aufenthaltsgesetzes zusätzlich in den Blick zu nehmender Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG könnte im vorliegenden Beschwerdeverfahren bereits deshalb nicht berücksichtigt werden, weil sich die Beschwerde hierzu nicht verhält und der Senat - wie ausgeführt - aus prozessualen Erwägungen nur die dargelegten Gründe prüfen darf. Vorsorglich sei jedoch für das Widerspruchsverfahren darauf hingewiesen, dass dem Antragsteller auch ein solcher Ausweisungsschutz nicht zusteht. Dessen Voraussetzungen erfüllt er schon nicht, weil die Vorschrift den Besitz einer Niederlassungserlaubnis voraussetzt und damit - ebenso wie der bisherige § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG - in Abweichung von dem oben zum Beurteilungszeitpunkt aufgezeigten Grundsatz die aktuelle Innehabung dieses Rechts im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Ausweisungsverfügung fordert. Dies Erfordernis kann der Antragsteller schon nicht erfüllen, weil das Aufenthaltsgesetz bei Erlass der angefochtenen Ordnungsverfügung vom 13.12.2002 noch nicht in Kraft getreten war. Darüber hilft dem Antragsteller auch die Übergangsregelung des § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht hinweg. Diese verändert nichts am hier maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG regelt lediglich, dass eine - wie dem Antragsteller - vor dem 1.1.2005 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis als Niederlassungserlaubnis fort gilt und setzt damit eine bis zum Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes bestehende Aufenthaltserlaubnis voraus, über die der Antragsteller nicht mehr verfügte; denn seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis war bereits gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG mit dem Wirksamwerden der hier angefochtenen Ordnungsverfügung erloschen. Daran vermöchte selbst eine Vollziehungsaussetzung im vorliegenden Verfahren nichts zu ändern. Das folgt zum einen aus der insoweit eindeutigen Regelung des § 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG, dem der jetzige § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG entspricht, wonach Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung unberührt lassen,

- vgl. zu § 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG, OVG NRW, Beschlüsse vom 25.4.1995 - 18 B 3183/93 -, NWVBl. 1995, 438 = EZAR 030 Nr. 2 = NVwZ-RR 1996, 173 und vom 11.3.2002 - 18 B 849/01 -, AuAS 2002, 148 -

und zum anderen aus der Übergangsregelung des eine Bestandskraft nicht voraussetzenden § 102 Abs. 1 Satz 1 AufenthG,

- vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 12.12.1991 - 1 B 157.91 -, InfAuslR 1992, 37, zu der gleichlautenden Regelung in § 95 Abs. 1 AuslG -

nach dem - wie ausgeführt - eine vor dem 1.1.2005 erfolgte Ausweisung wirksam bleibt.

Angesichts dessen bleibt hinsichtlich des weiteren Beschwerdevorbringens somit nur der Hinweis, dass das Gesetz im Falle einer zwingenden Ausweisung, wovon das VG demnach zutreffend ausgegangen ist, keine einzelfallbezogenen Abwägungen vorsieht und vielmehr unwiderleglich davon ausgeht, dass die Ausweisung aus spezial- und/oder generalpräventive Gründen geboten und verhältnismäßig ist, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entgegen zu wirken.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.11.1999 - 1 C 11.99 -, AuAS 2000, 98 = DVBl. 2000, 425 = DÖV 2000, 425 = NVwZ-RR 2000, 320; OVG NRW, Beschluss vom 5.7.2001 - 18 A 5679/00 -.

Dazu sei weiter angemerkt, dass in der Senatsrechtsprechung geklärt ist, dass die vom Gesetz angeordnete Rechtsfolge der ausnahmslos zwingenden Ausweisung auch in Hinsicht auf Art. 8 EMRK und Art. 6 GG nicht im Widerspruch zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht,

- vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2.5.2002 - 18 B 1169/01 - und vom 15.5.2002 - 18 B 349/02 -

und im Übrigen auch den hierzu ergangenen einzelfallbezogenen, zutreffenden Ausführungen des VG nichts hinzuzufügen ist.

Soweit sich der Antragsteller schließlich darauf beruft, seine Erkrankung könne in Nigeria nicht wirksam behandelt werden, ist zusätzlich darauf zu verweisen, das diesem Vorbringen im vorliegenden Verfahren nicht weiter nachgegangen werden kann, weil eine hierauf bezogene Prüfung dem Antragsgegner entzogen ist. Denn der Sache nach wird damit ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vormals § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG) geltend gemacht, über das hier bereits das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) im Zusammenhang mit dem Widerruf der Asylberechtigung mit Bescheid vom 11.12.2003 entschieden und es verneint hat. An eine derartige Entscheidung war der Antragsgegner als Ausländerbehörde schon bisher gemäß § 42 Satz 1 AsylVfG uneingeschränkt, und damit selbstverständlich auch bei einer Ausweisung, gebunden. Insoweit ist die Entscheidungskompetenz nach Stellung eines Asylantrags durch § 24 Abs. 2 AsylVfG ausschließlich dem Bundesamt übertragen worden.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 25.2.2000 - 18 B 690/99 - und vom 15.5.2001 - 18 B 667/01 - m.w.N.

Daran hat sich durch das Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes inhaltlich nichts geändert. Die bislang bestehende strikte Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und der Ausländerbehörden gilt nach neuem Recht fort. §§ 24 Abs. 2, 42 AsylVfG sind insoweit inhaltlich unverändert geblieben.



Ende der Entscheidung

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