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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 26.09.2006
Aktenzeichen: 18 B 1718/06
Rechtsgebiete: AufenthG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 25 Abs. 5
AufenthG § 60a Abs. 2
AufenthG § 81 Abs. 3
AufenthG § 81 Abs. 4
VwGO § 123
1. Die Rechtsprechung des Senats, wonach ein Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz einem Ausländer grundsätzlich nicht allein im Hinblick darauf zustehen kann, dass er zuvor die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt hat, wenn dieser Antrag kein fiktives Aufenthaltsrecht nach § 81 Abs. 3, 4 AufenthG auslöste (Beschluss vom 01.06.2005 - 18 B 677/05 -), schließt es nicht aus, dass in einer solchen Konstellation Abschiebungsschutz zu gewähren ist, wenn und solange die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 AufenthG vorliegen.

2. Derartiges kann beispielsweise in den Fällen des § 25 Abs. 5 AufenthG eintreten. Dies ist jedoch ausgeschlossen, wenn ein darauf gerichteter Antrag offensichtlich unschlüssig und nur zur Vermeidung einer bevorstehenden Abschiebung gestellt worden ist.


Tatbestand:

Die 1992 nach Deutschland eingereisten Antragsteller, eine Familie mit zwei 1987 und 1989 geborenen Kindern, wurden nach erfolglosem Asylverfahren geduldet. Am 18.5.2006 beantragten die Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG und begehrten gleichzeitig eine Duldung für die Verfahrensdauer. Von dem die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ablehnenden Bescheid konnte der Antragsgegner eine Kenntnis der Antragsteller frühestens am 14.8.2006 voraussetzen. Die Abschiebung der Antragsteller sollte am 17.8.2006 erfolgen. Nachdem das VG die Gewährung von Abschiebungsschutz abgelehnt hatte, wurde der Antragsgegner in dem sich anschließenden Beschwerdeverfahren angewiesen, vorläufig bis zur endgültigen Entscheidung des Senates von Abschiebungsmaßnahmen abzusehen. Daraufhin erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt.

Gründe:

Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Danach entspricht es billigem Ermessen, dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Der Verfahrensablauf in seiner zeitlichen Gestaltung hat es den Antragstellern unmöglich gemacht, nach Ergehen des ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ablehnenden und den gleichzeitig gestellten Duldungsantrag (§ 60a Abs. 2 AufenthG) unbeschieden lassenden Bescheides vom 10.8.2006 gerichtlichen Rechtsschutz in einer den Erfordernissen von Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Weise in Anspruch nehmen zu können. Beide Anträge hatten die Antragsteller bereits rund drei Monate zuvor mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 18.5.2006 gestellt. Eine Kenntnis von der am 11.8.2006 (einem Freitag) abgesandten Entscheidung konnte bei den Antragstellern bzw. ihren Prozessbevollmächtigten nicht vor Montag (14.8.2006) vorausgesetzt werden. Da die Abschiebung der Antragsteller aber bereits am 17.8.2006 erfolgen sollte, liegt es auf der Hand, dass der ihnen für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes zur Verfügung stehende Zeitraum unzureichend war.

Der vorliegende Fall bietet entgegen der Auffassung des Antragsgegners keinen Anlass zu der Annahme, dass den Antragstellern bis zum Zeitpunkt ihrer beabsichtigten Abschiebung hinreichend Zeit zur gerichtlichen Überprüfung ihrer Duldungsansprüche zur Verfügung stand. Zwar hatte der Antragsgegner den Antragstellern unter dem 6.6.2006 zur Erfüllung seiner Verpflichtung aus § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG mitgeteilt, dass er ab dem 15.7.2006 Abschiebungsmaßnahmen einleiten wolle und ihnen im Rahmen der Anhörung zur von ihm beabsichtigen Ablehnung der Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen mit Schreiben vom 8.6.2006 seine Rechtsauffassung hierzu dargelegt. Die Antragsteller durften sich jedoch unter den hier gegebenen Umständen darauf verlassen, dass der allgemeinen Verwaltungspraxis entsprechend über ihre Anträge in einer Weise entschieden würde, die ihnen noch ausreichende Gelegenheit zur gerichtlichen Überprüfung der Entscheidungen böte, zumal die verbreitet festzustellende Rechtsunsicherheit im Umgang mit § 25 Abs. 5 AufenthG eine konkrete Auseinandersetzung nicht nur mit dem Inhalt eines Anhörungsschreibens, sondern mit den (endgültigen) Gründen der ablehnenden Entscheidung erfordert.

Die Anträge auf Erteilung von Duldungen und Aufenthaltserlaubnissen durfte der Antragsgegner auch nicht unbeachtet lassen, weil sie offensichtlich unschlüssig und etwa nur zur Vermeidung einer bevorstehenden Abschiebung gestellt worden sind. Im Gegenteil verweisen namentlich die Antragsteller zu 3. und 4., die 1992 zusammen mit ihren Eltern, den Antragstellern zu 1. und 2., in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, auf zahlreiche, gegebenenfalls vom Antragsgegner im Rahmen der ihm obliegenden Amtsermittlungspflicht zu recherchierende und weiter aufzuklärende Integrationsleistungen, die nach der Senatsrechtsprechung - vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7.2.2006 - 18 E 1534/05 -, AuAS 2006, 110 = NVwZ-RR 2006, 576, vom 14.3.2006 - 18 E 924/04 -, NWVBl. 2006, 260 = InfAuslR 2006, 322, vom 27.3.2006 - 18 B 787/05 - Asylmagazin 5/2006, 26, und vom 1.8.2006 - 18 B 1539/06 - grundsätzlich geeignet sind, auf den Schutzbereich des Art. 8 EMRK zu führen, der als inlandsbezogenes Abschiebungsverbot - vgl. hierzu nun auch BVerwG, Urteil vom 27.6.2006 - 1 C 14.05 - selbstverständlich auch im Rahmen des vorliegend allein in Rede stehenden Abschiebungsschutzes in gleicher Weise wie bei § 25 Abs. 5 AufenthG berücksichtigt werden muss. Die Abschiebung der Antragsteller könnte unter dem Gesichtspunkt der Achtung des Privatlebens zu einer Rechtsverletzung führen, wenn die Antragsteller aufgrund ihres langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet gesellschaftlich integriert sind und sich im Rahmen der Schrankenprüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK die Aufenthaltsbeendigung aus überwiegenden Gründen als nicht gerechtfertigt erweisen sollte.

Vgl. hierzu EGMR, Urteil vom 16.6.2005 - 60654/00 -, InfAuslR 2005, 349.

Zudem könnte im Verhältnis der Antragsteller zu 1. und 2. zu dem noch minderjährigen Antragsteller zu 4. auch der Anspruch auf die Achtung des Familienlebens tangiert sein, wobei unter anderem die Bedeutung des den Familiennachzug in den Fällen des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG ausschließenden § 29 Abs. 3 Satz 2 AufenthG für die Fälle, in denen sich ein Ausländer - wie hier - auf ein in seiner Person begründetes inlandsbezogenes Abschiebungsverbot und damit auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 5 AufenthG beruft, einer rechtlichen Würdigung bedarf.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 19.1.2006 - 17 E 832/04 -.

Zur Vermeidung von Missverständnissen sei abschließend darauf hingewiesen, dass in einer Konstellation wie der vorliegenden, in der um Abschiebungsschutz unter Geltendmachung materieller Abschiebungsverbote nachgesucht wird, die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG und zur gerichtlichen Durchsetzung dieses Anspruchs ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO trotz eines gleichzeitig betriebenen und im Wesentlichen inhaltsgleichen Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Betracht kommen kann.

Die gesetzessystematisch begründete Auffassung des Senats, wonach ein Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz einem Ausländer nicht allein im Hinblick darauf zustehen kann, dass er zuvor die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt hat, wenn dieser Antrag - wie hier - ein fiktives Aufenthaltsrecht nach § 81 Abs. 3, 4 AufenthG nicht auszulösen vermochte, - vgl. OVG NRW, Beschlus vom 1.6.2005 - 18 B 677/05 -, juris - bezieht sich auf die Erteilung einer Duldung für die Dauer des Verwaltungsverfahrens (allein) wegen des geltend gemachten Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und schließt es nicht aus, dass Abschiebungsschutz aus anderen Gründen zu gewähren ist, und zwar für den Zeitraum des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 AufenthG unabhängig von der Länge eines auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Verfahrens.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8.9.2006 - 18 B 1488/06 -

Derartiges kann gerade in den Fällen des § 25 Abs. 5 AufenthG eintreten. Denn die inhaltliche Bestimmung der in diesem Zusammenhang entscheidungserheblichen Frage nach der rechtlichen oder tatsächlichen Unmöglichkeit beurteilt sich schon wegen der insoweit gleichlautenden Formulierungen in den §§ 25 Abs. 5 und 60a Abs.2 AufenthG in gleicher Weise sowohl für die freiwillige Ausreise als auch für die zwangsweise Rückführung, - vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7.2.2006 - 18 E 1534/05 -, AuAS 2006 - was zur Folge hat, dass dem Ausländer unabhängig vom Ausgang des Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ggf. - bei Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs - eine Duldung zu erteilen ist, für die es eines - hier allerdings vorliegenden - Antrags nicht bedarf.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.9.1997 - 1 C 3.97 -, InfAuslR 1998. 12.

Dies voraussetzend hat der Senat in den Fällen der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zur Sicherstellung eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) eine Ausnahme von dem aufgezeigten Grundsatz, dass für die Dauer eines auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Verfahrens grundsätzlich kein Duldungsanspruch besteht, nicht für erforderlich gehalten.

Vgl. nochmals OVG NRW, Beschluss vom 1.6.2005 - 18 B 677/05 -, a.a.O.

Ende der Entscheidung

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