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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 10.12.2004
Aktenzeichen: 18 B 2599/04
Rechtsgebiete: VwGO, ARB 1/80


Vorschriften:

VwGO § 121
ARB 1/80 Art. 7 Satz 1
Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 verleiht auch unter Würdigung des Urteils des EuGH vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 - (Cetinkaya) ein Aufenthaltsrecht nur zum Zwecke der tatsächlichen Ausübung einer Beschäftigung oder zum ernsthaften Betreiben des Zugangs zum Arbeitsmarkt, nicht aber ein Aufenthaltsrecht, ohne arbeiten zu wollen.
Tatbestand:

Die Antragsteller sind türkische Staatsangehörige. Die Antragstellerin zu 1. reiste mit ihren Kindern, den inzwischen volljährigen Antragstellern zu 2. bis 4., im Dezember 1989 legal zum Zwecke der Familienzusammenführung mit ihrem als Arbeitnehmer in Deutschland tätigen türkischen Ehemann ein. Im April 1991 wurde die Antragstellerin zu 5. in Deutschland geboren. Seit Juni 1993 leben die Antragsteller von dem Ehemann bzw. Vater getrennt. Keiner der Antragsteller hat jemals eine Arbeitnehmertätigkeit ausgeübt oder angestrebt.

Der Antrag der Antragsteller auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse wurde abgelehnt. Ihre Klage auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen wurden durch Urteile vom 10.12.1998 abgewiesen, die durch die die Anträge auf Zulassung der Berufung ablehnenden Senatsbeschlüsse vom 10.3.1999 rechtskräftig wurden.

Die nach Ablehnung ihres beim Antragsgegner gestellten, erneut ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 geltend machenden Antrags erhobene Klage wurde vom VG durch Urteil vom 8.7.2004 abgewiesen, das durch den den Antrag auf Zulassung der Berufung ablehnenden Senatsbeschluss vom 30.9.2004 rechtskräftig wurde.

Mehrere auf Schutz vor Abschiebung während der Verfahrensdauer gerichtete Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurden rechtskräftig abgelehnt.

Am 24.11.2004 beantragten die Antragsteller beim Antragsgegner erneut die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen, wobei sie einen aufgrund des Urteils des EuGH vom 13.1.2004 - Rs. C-453/00 - bestehenden Anspruch auf Überprüfung der bestandskräftigen antragsablehnenden Bescheide geltend machten, weil sich nach ihrer Meinung aus dem Urteil des EuGH vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 - ergebe, dass die rechtskräftigen Urteile auf einer unrichtigen Anwendung von Gemeinschaftsrecht beruhten.

Ihr auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Unterlassung von Abschiebemaßnahmen gerichteter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatte keinen Erfolg. Die Beschwerde der Antragsteller wurde vom Senat zurückgewiesen.

Gründe:

Das VG hat den Antrag der Antragsteller,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Abschiebemaßnahmen gegen die Antragsteller bis zu einer Entscheidung über den Aufenthaltserlaubnisantrag der Antragsteller vom 24.11.2004 zu unterlassen, zu Recht abgelehnt.

Dies folgt bereits daraus, dass ein unter dem 4.12.2003 gestellter, ebenfalls auf Schutz vor Abschiebung wegen eines aus Art. 7 ARB 1/80 hergeleiteten Anspruchs auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gerichteter Antrag der Antragsteller durch Beschluss des VG D. vom 5.3.2004 abgelehnt und dieser Beschluss mit dem die dagegen eingelegte Beschwerde zurückweisenden Beschluss des Senats vom 30.4.2004 rechtskräftig wurde, und dass ein nochmals am 26.7.2004 wortgleich beim erkennenden Senat gestellter und mit einer Wiederholung der bisher geäußerten Rechtsansichten begründeter Abschiebungsschutzantrag durch Senatsbeschluss vom 4.8.2004 ebenfalls rechtskräftig abgelehnt wurde. Diese antragsablehnenden Beschlüsse sind wegen der analog § 121 VwGO eingetretenen Rechtskraftwirkung hier bindend. Die Voraussetzungen für eine erneute Sachentscheidung über das gleiche Begehren der Antragsteller liegen nicht vor. Eine solche könnte nur in Betracht kommen wegen veränderter oder ohne Verschulden bisher nicht vorgetragener Umstände.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 9.1.2003 - 18 B 2414/02 -, vom 24.2.2003 - 18 B 1182/02 -, vom 13.1.2004 - 18 B 2626/03 -, vom 11.5.2004 - 18 B 945/04 - und vom 4.8.2004 - 18 B 1574/04 -.

Solche veränderten Umstände haben die Antragsteller mit ihrem unter dem 24.11.2004 erneut gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und auch in der Beschwerdebegründung nicht geltend gemacht. Vielmehr wiederholten sie im Wesentlichen ihre bereits in den früheren Verfahren geäußerten Rechtsansichten zum Bestehen eines Anspruchs auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen, den sie aus Art. 7 ARB 1/80 herleiten wollen.

Veränderte Umstände, die zu einer Verpflichtung des Antragsgegners führen würden, den Antragstellern auf ihren unter dem 24.11.2004 beim Antragsgegner gestellten Antrag hin trotz der Bindungswirkung der rechtskräftigen, ihre Klage auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen abweisenden Urteile vom 10.12.1998 in Anwendung der vom EuGH Urteil vom 13.1.2004 - Rs. C-453/00 - (Kühne & Heitz NV) -, InfAuslR 2004, 139, zur erneuten Überprüfung bestandskräftiger Verwaltungsentscheidungen aufgestellten Voraussetzungen Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen oder das Begehren der Antragsteller erneut zu bescheiden, liegen nicht vor. Diese Urteile beruhen nicht - wie vom EuGH vorausgesetzt - auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts. Derartiges ist entgegen der Ansicht der Antragsteller insbesondere nicht dem Urteil des EuGH vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 - (Cetinkaya) zu entnehmen. Keiner der die formulierten Vorlagefragen beantwortenden Entscheidungssätze ist im vorliegenden Verfahren einschlägig.

Entgegen den Ausführungen in der Beschwerdebegründung sind die durch die Senatsbeschlüsse vom 10.3.1999 rechtskräftig gewordenen Urteile des VG D. vom 10.12.1998 gerade nicht darauf gestützt, dass die Antragsteller ihre Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 dadurch verloren hätten, dass ihr früherer Ehemann bzw. ihr Vater dem regulären Arbeitsmarkt nicht mehr angehört. Vielmehr hat der Senat in seinen Beschlüssen vom 10.3.1999, a.a.O., ein Aufenthaltsrecht der Antragsteller aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 17.4.1997 - Rs. C-351/95 (Kadiman) -, InfAuslR 1997, 281 f. deswegen verneint, weil die Antragstellerin zu 1. - von der die übrigen Antragsteller ihr Recht ableiten wollten - keine durch Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 privilegierte Person war, da sie keine Erwerbstätigkeit ausübte oder ernsthaft anstrebte, und Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nach der Rechtsprechung des EuGH im Urteil vom 17.4.1997, a.a.O., und nach der Senatsrechtsprechung, vgl. OVG NRW, Urteil vom 15.9.1998 - 18 A 4766/95 -; vgl. auch Beschluss vom 3.4.2001 - 18 B 204/00 -, NVwZ-RR 2001, 793, nur ein Aufenthaltsrecht zu dem Zweck verleiht, eine Beschäftigung aufzunehmen oder zumindest ernsthaft anzustreben.

Diese entscheidungstragende Auslegung des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 ist unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 11.11.2004, a.a.O., entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht unrichtig. Insbesondere ergibt sich eine Unrichtigkeit nicht aus den Ausführungen unter Rdn. 30 des Urteils des EuGH. Vorab wird darauf hingewiesen, dass der EuGH gar keinen Anlass hatte, Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 unter diesem Aspekt auszulegen, da der Kläger in jenem Ausgangsverfahren bis zu seiner Inhaftierung zahlreiche unselbständige Erwerbstätigkeiten ausgeübt hatte und nur während der Zeit der Haft und einer anschließenden Drogentherapie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stand. Vor diesem Hintergrund ist die Formulierung der Rdn. 30 nicht isoliert zu betrachten, sondern eingebettet in die Aussage in Rdn. 24, in der die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 als "Rechte auf Zugang zur Beschäftigung und auf Aufenthalt" beschrieben werden, und in die in Rdn. 25 enthaltene Definition des Zwecks von Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, die Stellung der Familienangehörigen eines Wanderarbeitnehmers nach einer gewissen Zeit des Zusammenlebens mit diesem durch die Verleihung des Rechts zu stärken, in diesem Staat eine Beschäftigung aufzunehmen; dabei wird ausdrücklich das den Senatsbeschlüssen vom 10.3.1999, a.a.O., zugrunde gelegte Urteil des EuGH vom 17.4.1997, a.a.O., (Kadiman) in Bezug genommen. Weiter wird unter Rdn. 31 des Urteils vom 11.11.2004, a.a.O., klargestellt, dass die praktische Wirksamkeit des Rechts aus Art. 7 ARB 1/80 "hinsichtlich der Beschäftigung" zwangsläufig ein "entsprechendes" Aufenthaltsrecht voraussetzt, und wird unter Rdn. 36 das Recht aus Art. 7 ARB 1/80 als "Aufenthaltsrecht als Folge des Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf die tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung" definiert.

Zudem verweist der EuGH in der von den Antragstellern für ihre Ansicht zitierte Rdn. 30 auf seine Rechtsprechung in seinem Urteil vom 16.3.2000 - Rs. C-329/97 (Ergat) -, DVBl. 2000, 691 = InfAuslR 2000, 217 = NVwZ 2000, 1277.

Auch in dieser Entscheidung wird eindeutig klargestellt, dass Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 "das Recht vorsieht, in diesem (Mitglied-)Staat eine Beschäftigung auszuüben" (Rdn. 35), und "die unmittelbare Wirkung dieser Bestimmung bewirkt, ...dass der Betroffene hinsichtlich der Beschäftigung ein individuelles Recht aus dem Beschluss Nr. 1/80 herleiten kann (Rdn. 40), wobei es sich um ein "Recht des Betroffenen, eine frei von ihm gewählte Beschäftigung aufzunehmen", handelt (Rdn. 41), zu dessen Ausübung ihm ein Aufenthaltsrecht zu gewähren ist, denn dieses "ist für die Aufnahme und die Ausübung jeder Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis unerlässlich" (Rdn. 42, vgl. auch Rdn. 58, 65).

Aus alledem ist eindeutig zu entnehmen, dass Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 ein Aufenthaltsrecht nur zum Zweck der tatsächlichen Ausübung einer Beschäftigung oder zum ernsthaften Betreiben des Zugangs zum Arbeitsmarkt verleiht, wovon der Senat in seinen Beschlüssen vom 10.3.1999, a.a.O., entscheidungstragend ausgegangen ist, nicht aber - wie die Antragsteller meinen - ein Aufenthaltsrecht ohne arbeiten zu wollen.

Im Übrigen wird noch darauf hingewiesen, dass der am 2.4.1991 geborenen Antragstellerin zu 5. ohnehin kein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 zustehen kann, da sie bis zur Trennung ihrer Eltern am 6.6.1993 keine drei Jahre eine tatsächliche Lebensgemeinschaft mit ihrem Vater, dem Wanderarbeitnehmer, geführt hat und damit die Voraussetzungen von Art. 7 Satz 1 erster Gedankenstrich ARB 1/80 auch deshalb nicht erfüllt.

Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 11.11.2004, a.a.O., Rdn. 30.

Ende der Entscheidung

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