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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 05.06.2008
Aktenzeichen: 18 E 471/08
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1 a
AufenthG § 10 Abs. 3
AufenthG § 25 Abs. 5
AufenthG § 48 Abs. 3 Satz 1
AufenthG § 82 Abs. 3
AufenthG § 104a Abs. 1
1. Zu den zumutbaren Anstrengungen eines Ausländers zur Aufklärung seiner Identität und zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzpapieres gehört es jedenfalls nach dem Fehlschlagen aller sonstigen Anstrengungen zum Nachweis der Ernsthaftigkeit der Bemühungen regelmäßig, in Deutschland und im Herkunftsland einen Rechtsanwalt zu beauftragen.

2. Es ist nicht Aufgabe der Ausländerbehörde sondern des Ausländers, sich gegebenenfalls die dafür erforderlichen finanziellen Mittel auf der Grundlage etwa von § 6 AsylbLG zu beschaffen.


Tatbestand:

Der chinesische Kläger ist ohne Reisepapiere nach Deutschland eingereist. Sein Asylantrag wurde bestandskräftig als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 2 AsylVfG abgelehnt. Einen danach von ihm gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger sei nicht unverschuldet an seiner freiwilligen Ausreise gehindert. Nach Klageerhebung wurde ein Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe aus den Gründen des angefochtenen Bescheides abgelehnt. Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde, mit der erstmals auch eine Anspruch nach § 104a Abs. 1 AufenthG geltend gemacht wird, trägt der Kläger vor, er habe sich vergeblich um die Ausstellung eines Reisepapieres bemüht. Selbst das chinesische Konsulat habe ihm bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzes nicht helfen können, weil er über keine Identitätspapiere verfüge. Solche habe er - bisher erfolglos - mit einem an die Meldebehörde in der Volksrepublik China gerichteten Schreiben angefordert. Für weitere Bemühungen fehle ihm das Geld. Sollte der Beklagte solche erwarten, habe dieser hierfür gemäß § 6 AsylbLG Leistungen bereit zu stellen. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG weiterhin nicht zu. Dabei kann offen bleiben, ob nach Ablehnung des Asylantrags des Klägers als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 2 AsylVfG der Anspruch schon an der Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG scheitert. Das wäre nur dann nicht der Fall, wenn sich der Kläger auf § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG berufen könnte, der für den Fall eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels eine Ausnahmeregelung enthält, wobei in der Rechtsprechung des Senats ungeklärt ist, ob dafür eine hier nur in Betracht kommende Ermessensreduzierung auf Null genügt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8.12.2005 - 18 E 1391/05 -.

Der Kläger erfüllt jedenfalls nicht die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG. Zwar ist dem Kläger - wie es § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG in seiner zweiten Alternative erfordert - wegen fehlenden Besitzes eines Passes oder Passersatzpapiers gegenwärtig eine freiwillige Ausreise tatsächlich nicht möglich. Es ist jedoch weiterhin davon auszugehen, dass bei ernsthafter Mitwirkung des Klägers mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit zu rechnen wäre. Daraus folgt wegen der insoweit gegebenen Verschränkung des Satzes 1 mit den Anforderungen nach den Sätze 3 und 4 zugleich, dass der Kläger nicht unverschuldet an seiner freiwilligen Ausreise gehindert ist (§ 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG). Der Kläger, dessen Identität ungeklärt ist, hat nicht alle ihm in diesem Zusammenhang möglichen und zumutbaren Anstrengungen zur Beschaffung eines Passes bzw. Passersatzpapieres unternommen.

Insoweit gilt Folgendes: Es ist die ureigene Angelegenheit eines Ausländers, seine Identität aufzuklären und sich bei der für ihn zuständigen Auslandsvertretung um die Ausstellung eines Ausweispapiers zu bemühen. Der Besitz eines gültigen Passes zählt zu den Obliegenheiten eines Ausländers (vgl. § 3 Abs. 1 AufenthG). Jener ist ferner Regelvoraussetzung für die Erteilung eines jeden Aufenthaltstitels (vgl. § 5 Abs. 1 AufenthG) und damit auch für die hier erstrebte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Zudem verdeutlicht § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, dass ein Ausländer bei der Beschaffung von Identitätspapieren alle erforderlichen Mitwirkungshandlungen vorzunehmen hat. Diese müssen sich neben dem Bemühen um einen Pass oder Passersatz auch auf die Beschaffung sonstiger Urkunden und Dokumente unabhängig vom Aussteller richten, sofern sie zu dem Zweck geeignet sind, die Ausländerbehörde bei der Geltendmachung und Durchsetzung einer Rückführungsmöglichkeit zu unterstützen.

Deshalb hat ein ausreisepflichtiger Ausländer - wie der Kläger - alle zur Erfüllung seiner Ausreisepflicht erforderlichen Maßnahmen, und damit auch die zur Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapiers, grundsätzlich ohne besondere Aufforderung durch die Ausländerbehörde unverzüglich einzuleiten. Dabei hat er - nicht die Ausländerbehörde - sich gegebenenfalls unter Einschaltung von Mittelspersonen in seinem Heimatland um erforderliche Dokumente und Auskünfte zu bemühen, wobei es grundsätzlich auch zumutbar ist, einen Rechtsanwalt im Herkunftsstaat zu beauftragen.

Erwartet werden muss in diesem Zusammenhang, dass mit der größtmöglichen Sorgfalt in nachvollziehbarer Weise Nachforschungen angestellt werden. Deren Art und Umfang bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Zum Beweis solcher Nachforschungen sind schon wegen ihres geringen Beweiswertes regelmäßig beispielsweise einfache Briefe zwischen Privatpersonen ebenso weitgehend ungeeignet wie eine Korrespondenz, die ausschließlich per E-Mail geführt worden ist. Zudem ist es durchaus naheliegend, dass Behörden im Herkunftsland eines Ausländers zur Vermeidung eines Missbrauchs von Identitätspapieren auf derartige relativ anonyme Kommunikationsträger nicht oder ablehnend reagieren. Deshalb ist es jedenfalls nach dem Fehlschlagen sonstiger Anstrengungen zum Nachweis der Ernsthaftigkeit solcher Bemühungen grundsätzlich unerlässlich, insoweit letztlich bereits in Deutschland einen Rechtsanwalt zu beauftragen. In Einzelfällen mag auch die unmittelbare Beauftragung einer amtlichen Stelle des Herkunftslandes durch den Ausländer ausreichen, sofern dies nachprüfbar belegt ist und auf Grund der Erkenntnislage eine ernsthafte Bearbeitung der Anfrage erwarten werden darf. Dabei gehört es zu den naheliegenden und deshalb regelmäßig zu nutzenden Möglichkeiten, die Adressen dieser Stellen und der Rechtsanwälte im Herkunftsland gegebenenfalls über die Botschaft des Herkunftslandes in Deutschland oder über die dortige deutsche Auslandsvertretung zu erfragen. Klargestellt sei, dass es dem Ausländer unbenommen ist, vor der Einschaltung von Rechtsanwälten andere, möglicherweise kostengünstigere Bemühungen und Nachforschungen durchzuführen, und er dadurch bis zum Feststehen ihres Fehlschlagens seine Mitwirkungspflichten erfüllen kann. Zudem ist daran zu erinnern, dass sich, namentlich bei anwaltlich nicht vertretenen Ausländern und ohne dass hierdurch deren Obliegenheiten und Mitwirkungspflichten geschmälert werden, aufgrund der sich § 82 Abs. 3 AufenthG für die Ausländerbehörde obliegenden Hinweispflicht infolge ihrer Sachkunde das Erfordernis ergeben kann, dem Ausländer konkrete Möglichkeiten für die von ihm erwarteten Nachforschungen aufzuzeigen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.5.2008 - 18 A 209/07 -.

Zweifel in Bezug auf die Identitätsaufklärung und die Unmöglichkeit einer Passbeschaffung gehen zu Lasten des Ausländers, weil er generell und damit insbesondere auch - wie hier - im Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für die ausschließlich seinem Einflussbereich unterliegenden, ihm günstigen Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig ist und dies auch in Ansehung einer für ihn möglicherweise schwierigen Beweissituation gilt. Davon abzusehen gebieten nicht die Regelungen in § 25 Abs. 5 Sätze 3 und 4 AufenthG, auch wenn es sich bei ihnen um anspruchsvernichtende Voraussetzungen handeln mag, für die prinzipiell die Ausländerbehörde die Feststellungslast trägt. Entscheidend ist insoweit, dass es hier zunächst um das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des § 25 Abs. 1 AufenthG geht, für die die Darlegungs- und Beweislast beim antragstellenden Ausländer liegt, und dass zudem - bezogen auf § 25 Abs. 5 Sätze 3 und 4 AufenthG - aus den oben aufgezeigten Gründen im Vordergrund die Erfüllung von Obliegenheiten und Mitwirkungspflichten des Ausländers steht (vgl. §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1, 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), hinsichtlich derer der Ausländerbehörde mangels eigener Wahrnehmungsmöglichkeiten regelmäßig auch keine Darlegung und kein Beweisantritt möglich sein wird. Erst wenn ein Ausländer die aufgezeigten (üblichen) Mitwirkungshandlungen erfüllt hat, trägt die Ausländerbehörde die Darlegungs- und Beweislast dafür, welche konkreten weiteren und nicht von vornherein aussichtslosen Mitwirkungshandlungen der Betroffene zur Beseitigung des Ausreisehindernisses noch unternehmen kann.

Ausländer, die den aufgezeigten Obliegenheiten und Mitwirkungsverpflichtungen nicht nachkommen, haben die sich aus ihrem Verhalten ergebenden Nachteile grundsätzlich hinzunehmen und können nicht darauf vertrauen, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Dies gilt erst recht, wenn sie - wie der Kläger - ohne Reisedokumente nach Deutschland eingereist sind und damit gezielt die Umstände herbeigeführt haben, die nun ihrer freiwilligen Ausreise und ihrer Abschiebung entgegen stehen.

Vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschlüsse vom 30.4.1997 - 1 B 74.97 -, juris, und vom 15.6.2006 - 1 B 54.06 -; OVG NRW, Urteil vom 9.2.1999 - 18 A 5156/96 -, DVBl. 1999, 1222 = AuAS 1999, 159, und Beschluss vom 14.3.2006 - 18 E 924/04 -, NWVBl. 2006, 260 = InfAuslR 2006, 322 = EZAR NF 28 Nr. 5.

Dies zugrunde gelegt kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger seinen Mitwirkungsobliegenheiten bei der Klärung seiner Identität und Passbeschaffung genügt hat. Hierzu führt der Kläger unter Hinweis auf seine bisherigen diesbezüglichen Bemühungen aus, er sei im Rahmen des Zumutbaren seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen. Namentlich habe ihm das chinesische Konsulat bei der Beschaffung eines Passes oder Passersatzes nicht helfen können, weil er über keine Identitätspapiere verfüge. Solche habe er - bisher erfolglos - mit einem an die Meldebehörde in der Volksrepublik China gerichteten Schreiben vom 28.1.2008 angefordert.

Damit werden keine zureichenden Bemühungen aufgezeigt. Die Bemühungen des Klägers lassen nicht erkennen, dass sich dieser mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit um Nachforschungen bemüht hat. Dies hat bereits das VG in seinem Beschluss gleichen Rubrums vom 22.8.2007 - 27 L 1161/07 - mit überzeugenden Gründen ausgeführt, denen der Kläger nicht - was naheliegend wäre - konkret entgegen getreten ist. Er verweist lediglich auf seine aktuellen Bemühungen. Diese sind indessen unzureichend. Dass ihm das chinesische Konsulat keinen Pass ausgestellt hat, ist insoweit wenig aufschlussreich, weil der Kläger seine Identität nicht belegen konnte. Auch das in Kopie beigefügte Schreiben an die Meldebehörde in der Volksrepublik China ist wenig hilfreich. Es entspricht nicht den oben aufgezeigten Erfordernissen, die der Senat zum Nachweis ernsthafter Bemühungen für erforderlich hält, und ist zudem wenig aussagekräftig, weil es als einfaches Schreiben, das an eine dem Senat nicht bekannte und allenfalls mit erheblichem Aufwand nachprüfbare Adresse in China gerichtet ist, nur einen geringen Beweiswert besitzt.

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf seine Mittellosigkeit verweist, hat er mit dem Hinweis auf § 6 AsylbLG bereits selbst zutreffend auf eine grundsätzlich in Betracht kommende Möglichkeit der Finanzierung der anlässlich der Beschaffung von Identitätspapieren gegebenenfalls entstehenden Kosten (u.a. für einen Rechtsanwalt in seinem Heimatland) hingewiesen.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 26.4.2006 - 16 A 600/06 - und Bay. VGH, Beschluss vom 3.4.2006 - 12 C 06.526 -, juris; ferner zu den Möglichkeiten nach dem SGB XII: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4.12.2006 - L 15 B 24/06 AY -, juris; als Leistung nach dem BSHG: OVG NRW, Beschluss vom 23.2.2005 - 16 B 2731/04 -.

Allerdings ist es nicht - wie der Kläger meint - Aufgabe der Ausländerbehörde, für ihn entsprechende Leistungen bereit zu stellen. Um diese muss sich jener schon selbst bemühen und sie gegebenenfalls zu erstreiten versuchen.

Soweit der Kläger seine Klage entgegen seiner ausdrücklichen Begrenzung im Klageantrag auf § 25 Abs. 5 AufenthG auch auf § 104a Abs. 1 AufenthG erstrecken will, wofür seine auch hierauf gerichtete Beschwerdebegründung spricht und wogegen keine verfahrensrechtlichen Bedenken bestehen - vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.1.2008 - 18 E 359/07 -, juris -, fehlt es auch insoweit an den hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG scheidet ungeachtet der Frage nach dem Eingreifen der Sperrwirkung des § 10 Abs. 3 AufenthG - vgl. hierzu Hamb. OVG, Beschluss vom 23.10.2007 - 3 Bs 246/07 -, juris = ZAR 2008, 110 (Leitsatz) -, und der Erfüllung der sonstigen Anspruchvoraussetzungen, insbesondere der Anforderungen in dessen Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, schon deshalb aus, weil die Identität des Klägers nicht geklärt ist und damit von ihm die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG nicht erfüllt wird, von deren Erfüllung § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht entbindet.

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