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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 10.06.2008
Aktenzeichen: 19 A 2450/07
Rechtsgebiete: RGebStV


Vorschriften:

RGebStV § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2
Das Tatbestandsmerkmal des Bereithaltens "in der Einrichtung" in § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV erfasst nicht Radios in Kraftfahrzeugen, die ausschließlich der Beförderung der behinderten Bewohner einer bestimmten Einrichtung für Behinderte im Rahmen der Betreuungszwecke dieser Einrichtung dienen.

Die Klägerin, eine gemeinnützige GmbH, Betreiberin von Behindertenwohnheimen mit Außengruppen in separaten Häusern, begehrte vom Beklagten die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht für die Autoradios in ihren Fahrzeugen, die ausschließlich der Beförderung der Behinderten dienten. Das VG gab der Klage statt. Auf die Berufung des Beklagten änderte das OVG das erstinstanzliche Urteil und wies die Klage ab.


Gründe:

Der Befreiungsanspruch ergibt sich nicht aus § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages (RGebStV) in der seit dem 1.4.2005 geltenden Fassung des Art. 5 Nr. 5 des Achten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag) vom 8.3.2005, GV. NRW. S. 192. Nach dieser Vorschrift wird eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht auf Antrag für Rundfunkempfangsgeräte gewährt, die in Einrichtungen für behinderte Menschen, insbesondere in Heimen, in Ausbildungsstätten und in Werkstätten für behinderte Menschen, für den jeweils betreuten Personenkreis ohne besonderes Entgelt bereitgehalten werden. Das Autoradio im Kleinbus der Behinderteneinrichtungen "A" und "B" gehört nicht zu den Rundfunkempfangsgeräten, die dieser Befreiungstatbestand erfasst. Denn die Klägerin hält es nicht, wie er voraussetzt, "in der Einrichtung" bereit. Dieses Tatbestandsmerkmal erfasst nicht Radios in Kraftfahrzeugen, die ausschließlich der Beförderung der behinderten Bewohner einer bestimmten Einrichtung für Behinderte im Rahmen der Betreuungszwecke dieser Einrichtung dienen.

Ebenso VG Köln, Urteil vom 21.9.2006 - 6 K 6770/05 -, juris, Rdnrn. 20 ff.; Göhmann/ Naujock/Siekmann, in: Hahn/Vesting, Beck?scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2. Aufl. 2008, RGebStV § 5 Rdnr. 65, m.w.N.; in der Tendenz auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30.6.2005 - 2 S 395/04 -, juris, Rdnr. 31.

Das ergibt sich vor allem aus einer historischen und genetischen Auslegung des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV. Anders als das VG ist der Senat der Überzeugung, dass sich der Landesgesetzgeber mit seiner Zustimmung zum 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag bewusst gegen die Fortführung der Befreiung von Autoradios in Fahrzeugen von Behinderteneinrichtungen entschieden hat. Die Befreiung solcher Autoradios war zuvor in Nordrhein-Westfalen ausdrücklich geregelt (§ 3 Abs. 1 Satz 2 BefrVO NRW in der seit dem 1.1.2004 geltenden Fassung des Art. 8 Nr. 3 des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung vom 16.12.2003, BefrVO NRW 2003, GV. NRW. S. 766). Wenn der Landesgesetzgeber in dieser Situation für die Zeit ab 1.4.2005 einer staatsvertraglichen Regelung zugestimmt hat, die im Gegensatz zur damaligen Rechtslage in Nordrhein-Westfalen eine ausdrückliche Befreiung solcher Autoradios nicht enthält, so legt das den Schluss nahe, dass er im Interesse einer bundeseinheitlichen Regelung von einer Fortführung dieser Gebührenbefreiung Abstand genommen hat. Auch die Landesregierung NRW hat bestätigt, dass sie sich mit ihrer ursprünglichen Absicht bei den übrigen Bundesländern nicht durchsetzen konnte, diese Gebührenbefreiung auch in die Neufassung des Rundfunkgebührenstaatsvertrages aufzunehmen und damit auch auf alle anderen Bundesländer auszudehnen (Stellungnahme der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen vom 19.9.2006, wiedergegeben im Urteil des VG Köln vom 21.9.2006 - 6 K 6770/05 -, NWVBl. 2007, 162, 163; juris, RdNr. 27).

Zudem stützt die Begründung zu Art. 5 Nr. 5 des 8. Rundfunkänderungsstaats-vertrags das Auslegungsergebnis. Auch dieser staatsvertraglichen Begründung, die dem Landtag bei seiner Zustimmung zu dem Staatsvertrag (Art. 66 Satz 2 Verf NRW) vorgelegen hat, kommt für die Auslegung des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV maßgebliche Bedeutung zu. Denn die gemeinsame amtliche, wortgleich in den Landtagsdrucksachen niedergelegte Begründung ist angesichts der vielschichtigen Motivationen der Beteiligten der einzig verlässliche Anhaltspunkt für den Willen der Ländergesamtheit.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 11.9.2007 - 1 BvR 2270/05 u. a. -, juris, Rdnr. 168.

In der Begründung zu § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV heißt es ausdrücklich, von dieser Befreiungsmöglichkeit würden die Rundfunkempfangsgeräte erfasst, "die in derartigen Betrieben bzw. Einrichtungen stationär bereit gehalten werden."

Landtags-Drucksache 13/6202, S. 41.

In dieser Begründung kommt hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass sich die Gebührenbefreiung nur auf solche Rundfunkempfangsgeräte beziehen soll, die in einem zu der jeweiligen Einrichtung gehörenden Gebäude an einen festen Standort gebunden bereitgehalten werden.

Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30.6.2005 - 2 S 395/04 -, juris, Rdnr. 31.

Hiervon ausgehend greift der Einwand der Klägerin, es bestünden Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Bestimmung von stationär bereitgehaltenen Rundfunkempfangsgeräten, weil viele Geräte transportabel seien, nicht durch. Es kommt nach der staatsvertraglichen Begründung für eine Gebührenbefreiung nicht darauf an, ob die jeweiligen Geräte transportiert werden können, sondern ob diese in den Räumlichkeiten der jeweiligen Einrichtung bereitgehalten werden.

Ein anderes Verständnis der staatsvertraglichen Begründung ergibt sich nicht aus der vorangehenden Bemerkung der Begründung, § 5 Abs. 7 bis 9 RGebStV betreffe die bisher in § 3 Abs. 1 der Befreiungsverordnungen vorgesehenen Befreiungstatbestände, und eine materielle Änderung sei damit nicht verbunden. Diese Aussage bezieht sich auf alle materiell-rechtlichen Regelungen des § 5 Abs. 7 bis 9 RGebStV. Vergleicht man die in § 5 Abs. 7 Satz 1 und Abs. 8 RGebStV geregelten materiellen Befreiungsvoraussetzungen in ihrer Gesamtheit mit dem in den Bundesländern bis zum 31.3.2005 geltenden Recht, ist festzustellen, dass mit der Neuregelung insoweit jedenfalls im Wesentlichen, das heißt bezogen auf die große Mehrzahl der Befreiungstatbestände und die große Mehrzahl der Bundesländer, keine Änderung verbunden war. Dies gilt auch im Hinblick auf eine Befreiung für Rundfunkgeräte in Kraftfahrzeugen befreiungswürdiger Einrichtungen. Soweit ersichtlich, war Nordrhein-Westfalen nämlich das einzige Bundesland, in dem es bis zum Inkrafttreten des 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrags am 1.4.2005 einen dahin gehenden Befreiungstatbestand gab. Zudem liegt obergerichtliche Rechtsprechung, aufgrund derer Rundfunkgebührenbefreiung für Radios in Fahrzeugen von befreiungswürdigen Einrichtungen trotz Fehlens eines dem entsprechenden ausdrücklichen Gebührenbefreiungstatbestandes zu gewähren war, lediglich aus zwei Bundesländern vor.

Vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 28.3.2002 - 12 A 11623/01 -, juris; Nds. OVG, Urteil vom 21.9.1999 - 10 L 2704/99 -, juris; gegen eine derartige Gebührenbefreiung: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30.6.2005 - 2 S 395/04 -, juris; BayVGH, Urteil vom 18.4.2002 - 7 B 01.2382 -, juris.

Vor diesem Hintergrund kann auch dem nordrhein-westfälischen Landtag bei seiner Zustimmung zum 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag entgegen der Auffassung des VG nicht unterstellt werden, er sei sich der Rechtsänderung betreffend die Gebührenbefreiung für Rundfunkgeräte in Fahrzeugen von befreiungswürdigen Einrichtungen nicht bewusst gewesen. Im Gegenteil liegen, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen zur historischen und genetischen Auslegung ergibt, hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass der Landtag dem 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag in Kenntnis dieser Problematik zugestimmt hat. Unbeachtlich ist deshalb, dass diese in den Materialien betreffend das Zustimmungsverfahren im Sinne des Art. 66 Satz 2 Verf NRW keine ausdrückliche Erwähnung gefunden hat.

Das Auslegungsergebnis steht auch mit dem Zweck des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV im Einklang. Dieser Zweck besteht ebenso wie bei § 3 Abs. 1 Nr. 2 BefrVO NRW 1993 darin, dem anstalts- oder heimmäßig untergebrachten Personenkreis, der sich dort regelmäßig über einen längeren zusammenhängenden Zeitraum aufhält, durch die damit eröffnete Gelegenheit zur kostenlosen Teilnahme am Rundfunk Ersatz für die nicht mögliche Teilnahme am öffentlichen, sozialen und kulturellen Leben zu verschaffen.

Landtags-Drucksache 13/6202, S. 41; zu § 3 Abs. 1 Nr. 2 BefrVO NRW 1993 vgl. OVG NRW, Urteil vom 18.8.2004 - 19 A 2349/02 -, juris, Rdnrn. 33 ff.

Diese Ersatzfunktion der Gebührenbefreiung wird durch die Nichteinbeziehung auch der Autoradios in Fahrzeugen von Behinderteneinrichtungen nicht durchgreifend beeinträchtigt. In erster Linie wird sie durch die Gebührenbefreiung für diejenigen Rundfunkempfangsgeräte gewährleistet, die der Träger in den Räumlichkeiten seiner Einrichtung "stationär" verwendet. Diese Hauptfunktion der Gebührenbefreiung bleibt durch die Nichteinbeziehung auch der Autoradios in seinen Fahrzeugen unangetastet.

Auch der Wortlaut des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV steht diesem Auslegungsergebnis nicht entgegen. Insbesondere ergibt sich nichts Anderes daraus, dass der Senat zu der wortlautidentischen Vorschrift in § 3 Abs. 1 Nr. 2 BefrVO NRW 1993 entschieden hat, auch Autoradios in Fahrzeugen von Behinderteneinrichtungen seien Rundfunkempfangsgeräte, die "in der Einrichtung" bereitgehalten werden.

OVG NRW, Urteil vom 18.8.2004 - 19 A 2349/02 -, juris, Rdnrn. 16 ff.

Denn der staatsvertragsrechtliche und damit bundeseinheitliche, aber gleichwohl landesrechtliche Begriff des Bereithaltens "in der Einrichtung" in § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV ist, soweit es um Autoradios in Fahrzeugen von Behinderteneinrichtungen geht, nicht identisch mit dem gleichlautenden früheren landesrechtlich individuellen Begriff in § 3 Abs. 1 Nr. 2 BefrVO NRW 1993. Für die Auslegung jenes Begriffes kommt es nämlich nicht allein auf die Übereinstimmung im Wortlaut an, sondern auch auf die historische und genetische Auslegung, die hier zu dem dargelegten Ergebnis führt. Im Gegensatz zu § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV hatte der Landesgesetzgeber unter Geltung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BefrVO NRW 1993 keine konkret auf Autoradios in Fahrzeugen von Behinderteneinrichtungen bezogene bewusste Entscheidung getroffen.

Die Nichteinbeziehung auch der Autoradios in Fahrzeugen von Behinderteneinrichtungen in die Gebührenbefreiung nach § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV ist schließlich auch mit dem Benachteiligungsverbot für Behinderte in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vereinbar.

Der Gesetzgeber war insbesondere nicht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG heraus verpflichtet, für die in § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV genannten Behinderteneinrichtungen eine Sonderregelung zu treffen, um speziell die für diesen Personenkreis verwendeten Rundfunkempfangsgeräte weitergehend von der Rundfunkgebührenpflicht zu befreien als die für Nichtbehinderte verwendeten Geräte. Einer solchen Bevorzugung, etwa mit dem Ziel einer Angleichung der Verhältnisse von Nichtbehinderten und Behinderten, steht Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht entgegen, gebietet sie jedoch auch nicht ohne Weiteres.

BVerfG, Beschluss vom 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, juris, Rdn. 68.

Der Gesetzgeber hat bei seiner Entscheidung darüber, inwieweit und mit welchen rechtlichen Mitteln er eine solche Kompensation gewähren will, vielmehr einen Gestaltungsspielraum, bei dem er auch andere Gemeinschaftsbelange berücksichtigen und sich die Möglichkeit erhalten muss, die nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Mittel für solche anderen Belange einzusetzen, wenn er dies für erforderlich hält.

BVerfG, Beschluss vom 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, juris, Rdn. 74, 75.

Mit der Erwägung, nur die "stationären" Rundfunkempfangsgeräte, nicht aber auch die Autoradios in Fahrzeugen von Trägern von Einrichtungen mit heimmäßiger Unterbringung zu befreien, hat der nordrhein-westfälische Gebührengesetzgeber diesen Gestaltungsspielraum willkürfrei ausgefüllt. Willkür ist schon deshalb nicht erkennbar, weil die Nichteinbeziehung der Autoradios in die Gebührenbefreiung Behinderte und Nichtbehinderte in Einrichtungen mit heimmäßiger Unterbringung in gleicher Weise betrifft. Denn die Nichteinbeziehung der Autoradios erfasst nicht nur die in Nr. 2 des § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV genannten Behinderteneinrichtungen, sondern ebenso auch alle anderen Einrichtungen, die in dieser Vorschrift aufgezählt sind (z. B. Krankenhäuser und Jugendhilfeeinrichtungen) und in denen auch Nichtbehinderte untergebracht sind. Insofern sind Behinderte von der Nichteinbeziehung solcher Autoradios in die Gebührenbefreiung nicht anders betroffen als Nichtbehinderte in Einrichtungen im Sinne des § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV. Eine vollständige Gleichstellung von Nichtbehinderten außerhalb von Einrichtungen sowie von Behinderten und Nichtbehinderten in Einrichtungen im Sinne des § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV ist weder nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG noch nach Art. 3 Abs. 1 GG geboten.

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