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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 13.05.2002
Aktenzeichen: 19 A 3100/01
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 124 a Abs. 1 Satz 4 a. F.
Aus dem Benachteiligungsverbot in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG lässt sich ein zwingender und voraussetzungsloser Anspruch auf Einrichtung einer sonderpädagogischen Fördergruppe an einer allgemeinen Schule nicht herleiten.

Ein dahingehender Anspruch ergibt sich auch nicht aus Art. 6 Abs. 2 oder Art. 2 Abs. 1 GG.


Tatbestand:

Die Kläger bleiben mit ihren Anträgen, den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung zur Einrichtung einer sonderpädagogischen Fördergruppe an einer allgemeinen Schule zu verpflichten, erfolglos. Das VG wies auch die Klage der Kläger ab. Der hiergegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ebenfalls erfolglos.

Gründe:

Ein weiterer organisatorischer, personeller und finanzieller Mehraufwand im Falle der Errichtung einer sonderpädagogischen Fördergruppe ergibt sich zudem nach den Feststellungen des VG aus der Notwendigkeit, die Klassen der allgemeinen weiterführenden Schulen in M. für den gemeinsamen Unterricht mit den Schülern der sonderpädagogischen Fördergruppe zu teilen. Die Teilung der Klassen sei erforderlich, weil ohne eine Teilung entweder angesichts der vom Beklagten zu 1. vorgelegten Schüler- und Klassenzahlen der allgemeinen weiterführenden Schulen in M. (Stand: 15.10.2000) die Zahl der Schüler je Klasse zu hoch sei, weil der Klassenfrequenzwert bei einer gemeinsamen Unterrichtung überschritten werde, oder bei den Klassen der Hauptschulen, deren Schülerzahl den Klassenfrequenzhöchstwert zum Teil deutlich unterschreite, die erforderlichen Integrationsmaßnahmen für den hohen Anteil ausländischer und ausgesiedelter Kinder nicht in dem gebotenen Umfang geleistet werden könnten.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Ausführungen des VG haben die Kläger nicht im Sinne des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO a. F. aufgezeigt. Die Kläger machen in diesem Zusammenhang im Ergebnis ohne Erfolg geltend, dass entgegen der Auffassung des VG bei den städtischen Hauptschulen der Klassenfrequenzrichtwert von 24 Schülern nicht überwiegend erreicht oder überschritten werde. Die Klassenstärke belaufe sich an der F.-Schule auf 15 Schüler, an der Hauptschule C. auf 15,5 Schüler und an der Hauptschule H. auf 18, 2 Schüler pro Klasse. Dieser Vortrag der Kläger ist für sich allein nicht geeignet, Zweifel an der Richtigkeit der Ausführungen des VG zu begründen. Die Kläger setzen sich nämlich in diesem Zusammenhang nicht mit dem Argument des VG auseinander, dass alle städtischen Hauptschulen "im Wesentlichen" Integrationsarbeit für den hohen Anteil ausländischer und ausgesiedelter Kinder zu leisten hätten. Für die F.Schule hat das VG besonders hervorgehoben, dass an dieser Schule der Anteil der Ausländer und Spätaussiedler bei "fast 60 %" liege. Dass an den Hauptschulen C. und H. der Anteil dieser Schülergruppe so gering ist, dass es an diesen Hauptschulen keiner erheblichen Integrationsarbeit bedarf, haben die Kläger nicht im Sinne des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO a. F. dargelegt. Ein Vortrag hierzu wäre ihnen jedoch möglich, da ihren Prozessbevollmächtigten eine Kopie der Stellungnahme des Schulamtes des Beklagten zu 1. vom 30.11.2000 und eine Kopie der dieser Stellungnahme beigefügten Übersicht über die Schüler- und Klassenzahlen der städtischen Schulen in M. im Schuljahr 2000/2001 (Stand: 15.10.2000) übersandt worden ist. Ein substantiierter Vortrag der Kläger war darüber hinaus nicht nur angesichts der Ausführungen in dem angefochtenen Urteil, sondern auch deshalb zu erwarten, weil bereits der Senat mit Beschlüssen vom 28.9.1999 - 19 B 1467/99 - und 15.8.2000 - 19 B 989/00 - die Beteiligten darauf hingewiesen hat, dass voraussichtlich mit der Errichtung einer sonderpädagogischen Fördergruppe ein zusätzlicher bislang nicht abgedeckter Bedarf an Lehrerstellen bzw. Lehrerstunden entsteht, weil angesichts der Klassenstärken der allgemeinen weiterführenden Schulen in M. eine Teilung der Klassen oder der Fördergruppe erforderlich werden könnte.

Soweit die Kläger behaupten, bei einer Teilung der Fördergruppe entstünde kein zusätzlicher Bedarf an Lehrerstellen oder Lehrerstunden, genügt der Vortrag den Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO a. F. nicht, weil die Behauptung nicht unter Berücksichtigung der vom Beklagten zu 1. mitgeteilten Klassenstärken an den allgemeinen weiterführenden Schulen in M. näher begründet und belegt worden ist. Der bloße Verweis darauf, dass es an den Schulen mit sonderpädagogischer Fördergruppe "gängige Praxis" sei, die Fördergruppe zu teilen, soweit gemeinsamer Unterricht mit nicht behinderten Schülern erteilt werde, ist unergiebig, weil die Beurteilung der Frage, ob im Falle der Teilung der sonderpädagogischen Fördergruppe kein zusätzlicher Bedarf an Lehrerstellen und Lehrerstunden anfällt, von den konkreten Verhältnissen an der jeweiligen Schule, hier an den allgemeinen weiterführenden Schulen in M., abhängt. Unschlüssig ist darüber hinaus der Vortrag der Kläger, bei einer Teilung der sonderpädagogischen Fördergruppe entstünden auch deshalb keine personellen Probleme, weil die Fördergruppe "grundsätzlich" mit einer sonderpädagogischen Lehrkraft und einem Sozialpädagogen besetzt sei. Der Vortrag ist ebenfalls nicht näher konkretisiert worden. Hierzu bestand aber schon deshalb Veranlassung, weil eine - auch nur vorübergehende - Teilung der Fördergruppe mit Rücksicht darauf, dass sie jedenfalls aus drei Schülern bestehen muss, OVG NRW, Beschluss vom 28.9.1999 - 19 B 1467/99 -, und angesichts der für den Kläger zu 1. erforderlichen "durchgängigen Doppelbesetzung" Schwierigkeiten aufwirft, wenn die Fördergruppe, wie die Kläger geltend machen, "grundsätzlich" (nur) von einer (Sonderschul-) Lehrkraft und einem Sozialpädagogen betreut wird.

Die Kläger machen auch ohne Erfolg geltend, dass es "im krassen Widerspruch" zu den grundgesetzlichen Wertungen stehe, wenn die Integration behinderter Schüler mit dem Argument verweigert werde, dass für andere Schülergruppen ebenfalls Integrationsleistungen erbracht werden müssten. Ein derartiger "Integrationsanspruch zweiter Klasse für Behinderte" widerspreche dem Benachteiligungsverbot in Art. 3 Abs. 3 GG. Mit diesem Vortrag verkennen die Kläger, dass das Benachteiligungsverbot in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 nicht zur Folge hat, dass die Integration behinderter Schüler stets und einschränkungslos der gebotenen Integration anderer Schüler vorgeht.

Eine Benachteiligung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG kommt zwar auch dann in Betracht, wenn die Sonderschulüberweisung erfolgt, obgleich der Besuch der allgemeinen Schule durch einen vertretbaren Einsatz von sonderpädagogischer Förderung ermöglicht werden könnte. Ob der Besuch einer allgemeinen Schule durch einen vertretbaren Einsatz sonderpädagogischer Förderung ermöglicht werden kann, bedarf einer Gesamtbetrachtung im Einzelfall, bei der Art und Schwere der jeweiligen Behinderung ebenso zu berücksichtigen sind wie Vor- und Nachteile einerseits einer integrativen Erziehung und Unterrichtung an einer Regelschule und andererseits einer Beschulung in einer Sonder- oder Förderschule. Dabei sind, soweit es - wie hier - um die Bewertung einer integrativen Beschulung geht, in den Gesamtvergleich nicht nur die dem behinderten Kind oder Jugendlichen damit eröffneten Chancen für seine Ausbildung und sein späteres Erwachsenenleben einzustellen, sondern auch die mit einer solchen Maßnahme möglicherweise verbundenen Belastungen zu würdigen. Letzteres gilt mit Blick auf das behinderte Kind selbst, ist aber nicht darauf zu beschränken. Vielmehr sind auch denkbare Belastungen für Mitschüler und Lehrpersonal sowie die schultypische gemeinsame Unterrichtung in Klassen oder Kursen in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass staatliche Maßnahmen zum Ausgleich einer Behinderung nur nach Maßgabe des finanziell, personell, sachlich und organisatorisch Möglichen verlangt und gewährt werden können.

BVerfG, Beschluss vom 8.10.1997 - 1 BvR 9/97 -, NJW 1998, 131, (133).

Danach besteht unbeschadet der Frage, ob sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG überhaupt originäre Leistungsansprüche herleiten lassen, kein zwingender und voraussetzungsloser Anspruch des Klägers zu 1. auf Errichtung einer sonderpädagogischen Fördergruppe. Hierzu bedarf es vielmehr einer Gesamtabwägung, in die auch die seitens der allgemeinen Schulen geleisteten und zu leistenden Integrationsmaßnahmen für andere Schüler, etwa für Ausländer und Spätaussiedler, einzustellen sind. Anhaltspunkte dafür, dass die Errichtung einer sonderpädagogischen Fördergruppe auf die Integrationsmaßnahmen der einzelnen allgemeinen weiterführenden Schulen in M. keinen (rechtserheblichen) nachteiligen Einfluss hätte, haben die Kläger nicht im Sinne des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO dargelegt. Sie haben zu dieser Frage im Zulassungsantrag keine Ausführungen gemacht und auch sonst nicht im Sinne des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO aufgezeigt, dass die erforderliche Gesamtbetrachtung im Einzelfall nur zu Gunsten der Errichtung einer sonderpädagogischen Fördergruppe ausfallen kann. Dem steht unter anderem entgegen, dass, wie ausgeführt, die Errichtung einer sonderpädagogischen Fördergruppe eine Klassenteilung oder Teilung der Fördergruppe im Falle der gemeinsamen Unterrichtung erfordert und dass dafür die notwendigen zusätzlichen Lehrerstellen bzw. Lehrerstunden zurzeit weder vorhanden noch in Aussicht gestellt sind.

Die Kläger zu 2. und 3. können entgegen ihrer Auffassung einen Anspruch auf Errichtung einer sonderpädagogischen Fördergruppe auch nicht aus Art. 6 Abs. 2 GG herleiten. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass weder aus Art. 6 Abs. 2 GG noch aus dem Grundrecht des Schülers gemäß Art. 2 Abs. 1 GG auf Erziehung und Bildung ein Anspruch auf Errichtung einer an ihren Wünschen orientierten Schule, hier einer allgemeinen weiterführenden Schule mit sonderpädagogischer Fördergruppe als Teil dieser Schule, hergeleitet werden kann. Der aus Art. 6 Abs. 2 GG folgende Anspruch der Eltern auf Wahl einer bestimmten Schule bezieht sich nur auf die vom Staat zur Verfügung gestellten Schulen. Das Wahlrecht umfasst jedoch nicht einen Anspruch auf zur Verfügungstellung einer bestimmten, an den Wünschen der Eltern orientierten Schule, was angesichts der Vielfalt elterlicher Bildungsvorstellungen auch nicht praktikabel wäre.

Vgl. nur BVerfG, Beschlüsse vom 6.2.1984 - 1 BvR 1204/83 -, NVwZ 1984, 781, 24.10.1980 - 1 BvR 471/80 -, NVwZ 1984, 89 (89), und 26.2.1980 - 1 BvR 684/78 -, NJW 1980, 2403 (2403); BVerwG, Beschluss vom 13.12.1994 - 6 NB 3.94 -, Buchholz 421, Kultur- und Schulwesen, Nr. 115, S. 10 (13), jeweils m. w. N.

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