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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 28.01.2005
Aktenzeichen: 19 A 536/00
Rechtsgebiete: GG, RuStAG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 2
RuStAG a.F. § 17 Nr. 5
Die Unvereinbarkeit des Verlustgrundes der Legitimation durch einen ausländischen Vater in § 17 Nr. 5 RuStAG a. F. mit Art. 3 Abs. 2 GG steht der Anwendung jener Vorschrift auf Legitimationen nicht entgegen, die zwischen dem 1. 4. 1953 und dem 31. 12. 1974 stattgefunden haben.
Tatbestand:

Der am 3. 7. 1956 in L. geborene Kläger, türkischer Staatsangehöriger, ist der Sohn einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters. Am 5. 7. 1956 erkannte dieser vor dem Standesbeamten den Kläger als von ihm erzeugt an. Am 13. 7. 1956 heirateten die Eltern des Klägers. Durch rechtskräftigen Beschluss des AG L. vom 8. 9. 1956 ist festgestellt, dass der Kläger durch die Eheschließung die Rechtsstellung eines ehelichen Kindes erlangt hat. Dies wurde durch Randvermerk des Standesbeamten vom 20. 9. 1956 dem Geburtseintrag des Klägers beigeschrieben. Die Eltern des Klägers zogen gemeinsam mit diesem 1958 in die Türkei. 1980 kehrten sie nach Deutschland zurück, der Kläger lebt in der Türkei. Seinen Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises lehnte der früher zuständige Oberkreisdirektor des Kreises L. mit der Begründung ab, der Kläger habe die zunächst durch nichteheliche Geburt nach § 4 Abs. 1 RuStAG a.F. aufgrund der Abstammung von seiner deutschen Mutter erworbene deutsche Staatsangehörigkeit in Folge der wirksamen Legitimation durch seinen damals türkischen Vater gemäß § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. wieder verloren. Er habe die deutsche Staatsangehörigkeit auch nicht nach Art. 3 RuStAÄndG 1974 erworben, da er von dem Erklärungsrecht nicht fristgerecht Gebrauch gemacht habe.

Der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobenen Klage gab das VG statt; der Kläger habe die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Legitimation verloren, weil § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2 GG gemäß Art. 117 Abs. 1 GG bereits mit Wirkung vom 1. 4 1953 unwirksam geworden sei. Das OVG wies auf die Berufung der Beklagten die Klage ab.

Gründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises, weil er nicht deutscher Staatsangehöriger ist. Der 1956 als Sohn einer deutschen Staatsangehörigen nichtehelich geborene Kläger hat die gemäß § 3 Nr. 1, § 4 Abs. 1 RuStAG a.F. durch Geburt erworbene deutsche Staatsangehörigkeit gemäß § 17 Nr. 5 RuStAG a. F. wieder verloren. Nach dieser Bestimmung, die durch Art. 1 Nr. 3 b) RuStAÄndG 1974 mit Wirkung vom 1. 1. 1975 aufgehoben worden ist, ging die deutsche Staatsangehörigkeit für ein uneheliches Kind durch eine von einem Ausländer bewirkte und nach den deutschen Gesetzen wirksame Legitimation verloren.

Diese Voraussetzungen waren bei dem Kläger erfüllt. Dass er durch Legitimation durch seinen türkischen Vater die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes erlangt hat, ist nicht zweifelhaft. Ob bei vor dem 1. 9. 1986 abgeschlossenen Vorgängen eine Legitimation für den deutschen Rechtsbereich wirksam ist, bestimmt sich wegen der ausländischen Staatsangehörigkeit des Vaters des Klägers nach Art. 220 Abs. 1 EGBGB und Art. 22 EGBGB a. F. Nach der aus Art. 22 Abs. 1 EGBGB a. F. entwickelten allseitigen Kollisionsnorm richtet sich die Legitimation eines nichtehelichen Kindes nach dem Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit der Vater im Zeitpunkt der Legitimation besaß. Die vaterrechtliche Ausrichtung des Legitimationsstatuts wurde ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung als verfassungsgemäß angesehen, weil diese durch eine kindes- und mutterrechtsfreundliche Auslegung des Art. 22 Abs. 2 EGBGB a. F. ausgeglichen wurde. Nach dieser Vorschrift ist eine nach ausländischem Recht gültige Legitimation, wenn das Kind zur Zeit der Legitimation die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, nach deutschem Recht nur wirksam, wenn die nach den deutschen Gesetzen erforderliche Einwilligung des Kindes oder eines Dritten, zu dem das Kind in einem familienrechtlichen Verhältnis steht, erfolgt war.

Vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 8. 6. 1983 - IV b ZB 637/80 -, NJW 1984, 562 (563 f.), und Urteil vom 5. 2. 1975 - IV ZR 90/73 -, BGHZ 64, 19 (23 f.).

Der Kläger hat nach türkischem Recht, dem eine Rückverweisung auf deutsches Recht nicht zu entnehmen ist, die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes seines türkischen Vaters erlangt. Nach Art. 247 des türkischen Bürgerlichen Gesetzbuches (türk. BGB) vom 17. 2. 1925 (vgl. Bergmann, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht I, T2: Türkei, Stand: 1955) erhielt das unehelich geborene Kind durch die Heirat seiner Eltern die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes. Diese Rechtswirkung ist durch die am 13. 7. 1956 geschlossene Ehe der Eltern des Klägers eingetreten, was durch den rechtskräftigen Beschluss des AG L. vom 8. 9. 1956 (deklaratorisch) bestätigt wird. Der Ehemann seiner Mutter war väterlicher Elternteil, weil der Kläger von diesem abstammte. Von dieser Abstammung des nichtehelich geborenen Klägers ist auszugehen, weil sie im Sinne von Art. 290 Abs. 2, 291 türk. BGB durch eine dem Standesbeamten mitgeteilte und in einer öffentlichen Urkunde des Standesbeamten darüber festgestellte Anerkennung des Vaters des Klägers festgestellt wurde. An der Wirksamkeit der Vaterschaftsanerkennung ändert es nichts, wenn für diese Vorfrage auch das seinerzeit geltende deutsche Recht zu beachten ist. Nach § 1720 Abs. 2 BGB a. F. ist wegen der Anerkennung vor dem Standesbeamten in einer öffentlichen Urkunde die Vaterschaft des Ehemanns der Mutter des Klägers zu vermuten. Es ist auch davon auszugehen, dass die möglicherweise seinerzeit erforderliche Einwilligung der Mutter des Klägers vorlag. Dies ist daraus zu schließen, dass sie den Vater des Klägers kurz nach dessen Geburt und nach dem Vaterschaftsanerkenntnis geheiratet hat. Angesichts dieser Umstände ist auch davon auszugehen, dass die Mutter des Klägers im Sinne von Art. 22 Abs. 2 EGBGB a. F. in die Legitimation eingewilligt hat.

Die somit von dem türkischen Vater bewirkte und nach den deutschen Gesetzen wirksame Legitimation des Klägers hatte den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit auch unter Berücksichtigung des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG zur Folge, wonach der Verlust der Staatsangehörigkeit nur aufgrund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten darf, wenn dieser dadurch nicht staatenlos wird. Mit dieser Einschränkung ist § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. als Vorschrift vorkonstitutionellen Rechts mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes modifiziert worden.

Vgl. BGH, Beschluss vom 8. 6. 1983 - IV b ZB 637/80 -, a.a.O., 564; Makarov/v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, Teil 1, § 17 RuStAG, Rdn. 10, m.w.N.

Diese Einschränkung steht vorliegend dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nicht entgegen, weil der Kläger dadurch nicht staatenlos wurde, sondern mit der Geburt die türkische Staatsangehörigkeit erwarb. Als im (türkischen) Ausland geborenes uneheliches Kind eines türkischen Vaters wurde er nach Art. 2 c) des Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 1312 vom 8. 5. 1928 in der Fassung des Gesetzes Nr. 1414 vom 9. 4. 1929 der Türkei (vgl. Bergmann, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht I., a.a.O.) türkischer Staatsangehöriger.

§ 17 Nr. 5 RuStAG a.F. ist nicht wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2 GG mit Ablauf des 31. 3. 1953 und damit bereits vor der Legitimation des Klägers im Jahre 1956, außer Kraft getreten.

Allerdings verstieß § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau in Art. 3 Abs. 2 GG. Da die Vorschrift den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit des nichtehelich geborenen Kindes als Folge der Legitimation durch den ausländischen Vater, insbesondere im Wege der Eheschließung mit der deutschen Mutter, eintreten ließ, wurde mit der Verlustwirkung staatsangehörigkeitsrechtlich die Rechtswirkung hergestellt, die eine Geburt des Kindes nach der Heirat der Eltern gehabt hätte, nämlich der Ausschluss des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit nach der deutschen Mutter, wie er in § 4 Abs. 1 RuStAG a.F. bestimmt war.

Vgl. OLG Hamm, Urteil vom 11. 10. 1996 - 11 U 173/95 -, NVwZ-RR 1997, 508 (509) = jurisweb, Rdn. 59.

Wegen dieses Zusammenhangs verstieß § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. aus den gleichen Gründen gegen Art. 3 Abs. 2 GG wie § 4 Abs. 1 RuStAG a.F., soweit danach das eheliche Kind einer deutschen Mutter und eines ausländischen Vaters die deutsche Staatsangehörigkeit nicht unter den gleichen Voraussetzungen erwarb wie das eheliche Kind eines deutschen Vaters und einer ausländischen Mutter. Diese Vorschrift richtete ohne zulässigen Grund für eine Differenzierung nach dem Geschlecht die deutsche Staatsangehörigkeit des ehelichen Kindes an der Staatsangehörigkeit des Vaters aus und erkannte der Staatsangehörigkeit der Mutter für einen Staatsangehörigkeitserwerb durch Abstammung nur eine nachrangige Bedeutung zu.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. 5. 1974 - 1 BvL 22/71 u. 21/72 -, BVerfGE 37, 217 (244 f.) = NJW 1974, 1609 (1609).

Auch die Verlustwirkung des § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. knüpfte allein an den Umstand an, dass die deutsche Mutter den ausländischen Vater heiratete und das Kind dadurch die ausländische Staatsangehörigkeit des Vaters erwarb. § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. stellte eine konsequente Durchführung des Systems des früheren Staatsangehörigkeitsrechts dar, das, wie § 4 Abs. 1 RuStAG a.F. zeigt, der Abstammung vom Vater ein stärkeres Gewicht zuerkannte und staatsangehörigkeitsrechtlich das familienrechtliche Band zur Mutter zurücktreten ließ. Die Vorschrift knüpfte an das Geschlecht der beiden Elternteile an und beruhte auf einer Differenzierung nach dem Geschlecht, indem selbst dem rechtlich als Elternteil erst später - nach dem Geburtserwerb der mütterlichen Staatsangehörigkeit - hinzutretenden Vater der Vorrang gegeben wurde unter Ausschluss der Staatsangehörigkeit nach der Mutter.

Vgl. OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 23. 4. 1993 - 7 B 12396/92.OVG -, InfAuslR 1993, 276 f.; VG Stuttgart, Urteil vom 5. 3. 1997 - 7 K 4077/95 -, StAZ 1997, 346; Makarov/v. Mangoldt, a.a.O., Teil 7, Art. 3 RuStAÄndG 1974, Rdn. 17 f.; Renner, in: Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl., § 17 StAG Rdn. 6; Marx, Staatsangehörigkeitsrecht, § 17 RuStAG, Rdn. 18.

Entgegen der Auffassung des

VG Augsburg, Urteil vom 9. 10. 2001 - 1 K 99.1087 -, jurisweb,

war die Differenzierung nach dem Geschlecht der beiden Elternteile nicht lediglich eine - für einen Verstoß gegen das Gebot der Gleichberechtigung unerhebliche - nicht bezweckte Nebenfolge des Hauptzwecks der Regelung, das an sich berechtigte staatliche Ordnungsinteresse an einer Verminderung der Fälle mehrfacher Staatsangehörigkeit zu wahren. Ungeachtet des Umstandes, dass das (strikte) Diskriminierungsverbot auch dann greift, wenn eine Regelung nicht auf eine unzulässige Ungleichbehandlung der Geschlechter abzielt, sondern in erster Linie andere Zwecke verfolgt,

vgl. BVerfG, Urteil vom 28. 1. 1992 - 1 BvR 1025/82 u.a. -, BVerfGE 85, 191 (206), zu Art. 3 Abs. 3 GG, in Klarstellung zu BVerfG, Urteil vom 8. 4. 1987, BVerfGE 75, 40 (70); ferner VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29. 1. 2001 - 13 S 894/00 -, InfAuslR 2001, 330 (331),

war die Verlustwirkung des § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. in dem System des früheren Staatsangehörigkeitsrechts angelegt und knüpfte gezielt an die unterschiedliche rechtliche Behandlung des Geschlechts der beiden Elternteile an. Soweit die Vorschrift auch das staatliche Ordnungsinteresse an der Vermeidung mehrfacher Staatsangehörigkeit wahren sollte, war es nicht in einer den Verstoß gegen das Gebot der Gleichberechtigung rechtfertigenden Weise - nämlich zur Lösung von ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftretenden Problemen - geboten, das staatliche Ordnungsinteresse bei einer Legitimation allein zu Lasten der rechtlichen Stellung des weiblichen Elternteils durch nachträglichen (automatischen) Ausschluss der von diesem abgeleiteten deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes durchzuführen. Denkbar waren auch Lösungen, die Beachtung der Gleichstellung der Elternteile - etwa durch Option - mit dem nicht zwingend vorrangigen Ordnungsinteresse an der Vermeidung mehrfacher Staatsangehörigkeit in Einklang zu bringen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. 5. 1974 - 1 BvL 22/71 u. 21/72 -, a.a.O., 258 f. = NJW 1974, 1613; Makarov/v. Mangoldt, a.a.O., Rdn. 19.

Trotz des Verfassungsverstoßes ist § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. für die Zeit nach dem 31. 3. 1953 (Art. 117 Abs. 1 GG) als wirksam anzusehen,

a.A. OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 23. 4. 1993 - 7 B 12396/92.OVG -, a.a.O.; VG Stuttgart, Urteil vom 5. 3. 1997 - 7 K 4077/95 -, a.a.O.; Makarov/v. Mangoldt, a.a.O., Teil 1 § 17 RuStAG Rdn. 10, Teil 2 Art. 3 GG Rdn. 23 f., Teil 7 Art. 3 RuStAÄndG 1974, Rdn. 20 f.; Marx, a.a.O.; Renner, a.a.O.; offen gelassen: BVerwG, Urteil vom 4. 5. 1999 - 1 C 1. 98 -, DVBl 2000, 408 (412),

und ist die Verlustwirkung nach dieser Vorschrift bei der Beurteilung der Staatsangehörigkeit des Klägers zu berücksichtigen. Zwar ist grundsätzlich oder regelmäßig bei einem Verfassungsverstoß einer gesetzlichen Bestimmung von deren Nichtigkeit auszugehen.

Vgl. nur BVerfG, Urteile vom 18. 2. 2004 - 1 BvR 193/97 -, BVerfGE 109, 256 (273), und 28. 1. 1992 - 1 BvR 1025/82 u.a. -, BVerfGE 85, 191 (211), sowie Beschlüsse vom 26. 4. 1994 - 1 BvR 1299/89 u.a. -, BVerfGE 90, 263 (276), 26. 1. 1993 - 1 BvL 38/92 u.a. -, BVerfGE 88, 87 (101), und 5. 3. 1991 - 1 BvL 83/86 u.a. -, BVerfGE 84, 9 (20); ferner BVerwG, Urteil vom 21. 12. 1962 - I C 115.61 -, BVerwGE 15, 226 (227), zu § 17 Nr. 6 RuStAG a.F.; ferner zur ipso-iure-Nichtigkeit bei rechtstheoretischer Betrachtung Hartmann, Verfassungswidrige und doch wirksame Rechtsnormen?, DVBl 1997, 1264 ff., m.w.N.

Hierbei kann das Bundesverfassungsgericht - anders als die Fachgerichte - je nach Sachlage und Verfassungsverstoß die gesetzliche Vorschrift alternativ für nichtig erklären oder die Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz feststellen mit der Folge, dass in beiden Fällen die Norm grundsätzlich nicht mehr angewendet werden darf.

Vgl. nur BVerfG, Urteile vom 9. 3. 2004 - 2 BvL 17/02 -, NJW 2004, 1022 (1030), 17. 11. 1992 - 1 BvL 8/87 -, BVerfGE 87, 234 (263), 14. 7. 1986 - 2 BvE 2/84 u.a. -, BVerfGE 73, 40 (101), und 3. 11. 1982 - 1 BvR 620/78 u.a. -, BVerfGE 61, 319 (356), sowie Beschlüsse vom 13. 7. 2004 - 1 BvR 1298/94 u.a. -, NJW 2005, 45 (49), 11. 11. 1998 - 2 BvL 10/95 -, BVerfGE 99, 280 (298), 29. 9. 1998 - 2 BvL 64/93 -, BVerfGE 99, 69 (83), 13. 11. 1979 - 1 BvR 631/78 -, BVerfGE 52, 369 (378), und 28. 11. 1967 - 1 BvR 515/63 -, BVerfGE 22, 349 (360 f.).

Einen Rechtssatz des Verfassungsrechts, dass verfassungswidrige Normen zwingend nichtig sind, also überhaupt keine Rechtswirkungen entfalten, gibt es hingegen nicht. Maßgebend ist allerdings die Durchsetzung des Vorrangs der Verfassung gegenüber dem verfassungswidrigen Gesetz.

Vgl. Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 2. Aufl., Rdn. 1245, 1247 f.

Dieser Vorrang der Verfassung ist hier gewahrt, ohne dass die Nichtigkeit des § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. mit dem Ablauf des 31. 3. 1953 angenommen werden muss. Der Vorrang der Verfassung wird dann gewahrt, wenn der Gesetzgeber auf Anordnung des Bundesverfassungsgerichts oder aus Anlass einer solchen anstelle der verfassungswidrigen Norm nicht nur für die Zukunft eine verfassungsrechtlich zulässige gesetzliche Bestimmung trifft, sondern auch für die Vergangenheit eine verfassungsmäßige Übergangsregelung erlässt. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht,

vgl. Beschluss vom 21. 5. 1974 - 1 BvL 22/71 u. 21/72 -, a.a.O., 263 f. = NJW 1974, 1614,

in Bezug auf eine gebotene Überleitungsregelung zu § 4 Abs. 1 RuStAG a.F. entschieden, dass der Gesetzgeber, soweit er im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens die nachteiligen Wirkungen, die von der verfassungswidrigen Norm in der Vergangenheit ausgegangen sind, einschränkt, diese nicht rückwirkend beseitigen, aber für die Zukunft abwenden muss. Er muss daher die aus Art. 3 Abs. 2 GG gebotene Gleichstellung nicht rückwirkend auf den 1. 4. 1953 herstellen, kann es vielmehr bei den ab diesem Zeitpunkt eingetretenen Rechtswirkungen bewenden lassen. Dann muss er aber für die Zukunft die fortwirkenden Folgen für den Status des Betroffenen beseitigen, in dem die von der Staatsangehörigkeit ausgeschlossenen Kinder deutscher Mütter die deutsche Staatsangehörigkeit uneingeschränkt erhalten können. Unter Berücksichtigung der Interessen der betroffenen Familien und des Vertrauens der Betroffenen und Dritter in die bisherige Rechtslage genügt grundsätzlich eine Regelung, die den Betroffenen das Recht einräumt, durch Erklärung (Option) die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben. Diese Grundsätze gelten in Bezug auf die Verfassungswidrigkeit des § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. wegen des oben angeführten sachlichen Zusammenhangs dieser Vorschrift mit § 4 Abs. 1 RuStAG a.F. entsprechend. Dass nach § 4 Abs. 1 RuStAG a.F. das eheliche Kind einer deutschen Mutter und eines ausländischen Vaters die deutsche Staatsangehörigkeit von vornherein nicht erwerben konnten, das nichteheliche Kind im Falle der nachträglichen Legitimation im Sinne des § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. dagegen die zuvor durch Geburt erworbene deutsche Staatsangehörigkeit wieder verlor, begründet hinsichtlich der Auswirkungen der Verfassungswidrigkeit keinen entscheidenden Unterschied. Beide Vorschriften regelten unmittelbar den Status der betroffenen Kinder. Wegen der Bedeutung der Staatsangehörigkeit für den gesamten Status des Betroffenen könnte die Unwirksamkeit der Vorschrift mit Wirkung ab 1. 4. 1953 zu (nachträglicher) Rechtsunsicherheit und schwer erträglichen Folgen führen. Auch die Interessen der betroffenen Familien, die bei generalisierender und typisierender Betrachtung nicht stets auf die automatische Rückgängigmachung des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit gerichtet sein müssen, sowie das Vertrauen der Betroffenen und Dritter auf die bisherige Rechtslage erfordern nicht, die Folgen des Verfassungsverstoßes, die Verlustwirkung des § 17 Nr. 5 RuStAG a. F., uneingeschränkt rückwirkend zu beseitigen. Eine den vorstehenden Grundsätzen entsprechende Überleitungsregelung für die Fälle des § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. hat der Gesetzgeber mit Art. 3 RuStAÄndG 1974 geschaffen. Nach Abs. 1 Satz 2 steht das Erklärungsrecht zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit auch dem nach dem 31. 3. 1953, aber vor dem Inkrafttreten des Gesetzes (1. 1. 1975) nichtehelich geborenen Kind zu, das durch eine von einem Ausländer bewirkte und nach den deutschen Gesetzen wirksame Legitimation seine durch Geburt erworbene deutsche Staatsangehörigkeit verloren hat. In den folgenden Absätzen ist das Erklärungsrecht auch hinsichtlich der zu wahrenden Frist näher ausgestaltet. Durch diese Übergangsregelung hat der Gesetzgeber den anfänglichen Verfassungsverstoß unter zulässiger Beibehaltung der eingetretenen Rechtswirkungen des § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. behoben. Folge davon ist, dass die eingetretene Verlustwirkung der Vorschrift für die Vergangenheit zu beachten ist.

Vgl. BGH, Beschluss vom 8. 6. 1983 - IV b ZB 637/80 -, a.a.O., 564; Hamb. OVG, Beschluss vom 24. 2. 1997 - Bf III 53/95 -, jurisweb; OVG Berlin, Urteil vom 13. 9. 1979 - V B 3.78 -, jurisweb; VG Augsburg, Urteil vom 9. 10. 2001 - 1 K 99.1087 -; VG Karlsruhe, Urteil vom 10. 9. 2003 - 11 K 3824/02 -.

Diese Übergangsregelung in Art. 3 Abs. 1 RuStAÄndG 1974 ist auch für die Fälle des § 17 Nr. 5 RuStAG a. F. verfassungsgemäß. Sie macht den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit von der freiwilligen Entscheidung des betroffenen Kindes einer deutschen Mutter abhängig und vermeidet so die aufgedrängte Rückgängigmachung des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit, die den Interessen der betroffenen Familien zuwider laufen kann. Auch begründet es keinen Verfassungsverstoß, dass die eingeräumte Option auf die deutsche Staatsangehörigkeit nur innerhalb einer Frist ausgeübt werden konnte. Die Frist dient der Rechtssicherheit. Sie soll bewirken, dass alsbald Gewissheit darüber erlangt wird, wer von der Möglichkeit des (Wieder-)Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit Gebrauch macht. Die Erklärungsfrist ist Art. 3 Abs. 6 RuStAÄndG 1974 war mit drei Jahren so weiträumig bemessen, dass sie für den Normalfall den Betroffenen ausreichend Zeit ließ, auf die gesetzliche Regelung zu reagieren und sich über die Frage der Ausübung des Erklärungsrechts schlüssig zu werden. Soweit sich aus dieser Fristbestimmung gleichwohl Härten ergeben konnten, trug dem der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass unter den Voraussetzungen des Absatzes 7 eine Nachfrist eingeräumt wurde.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. 1. 1999 - 2 BvR 729/96 -, NVwZ-RR 1999, 403.

Liegt danach eine verfassungsrechtlich zulässige und im vorliegenden Fall zu beachtende gesetzliche Übergangsregelung zur verfassungswidrigen Norm des § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. vor, ist das Verfahren nicht zur Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen. Ohne die verfassungsgemäße gesetzliche Übergangsregelung wäre allerdings so zu verfahren gewesen, weil von der Verfassungswidrigkeit in entscheidungserheblicher Weise auszugehen wäre. Denn der nachkonstitutionelle Gesetzgeber hat die in Rede stehende vorkonstitutionelle Vorschrift jedenfalls dadurch in seinen Willen aufgenommen, dass er mit der Übergangsregelung in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 RuStAÄndG 1974 die Anwendbarkeit des § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. für die zurückliegende Zeit vorausgesetzt und damit objektiv, auch ohne dass er dies in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 7/2175, S. 12) ausdrücklich ausgesprochen hat, bestätigt hat.

Vgl. BGH, Beschluss vom 8. 6. 1983 - IV b ZB 637/80 -, a.a.O., 564; a.A. OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 23. 4. 1993 - 7 B 12396/92.OVG -, a.a.O., 277; VG Stuttgart, Urteil vom 5. 3. 1997 - 7 K 4077/95 -, a.a.O.; ebenso im Ergebnis VG Minden im erstinstanzlichen Urteil.

Der Kläger hat die deutsche Staatsangehörigkeit nicht gemäß Art. 3 Abs. 1 RuStAÄndG 1974 durch Erklärung erworben. Der Kläger, der bei Inkrafttreten des Gesetzes das 18. Lebensjahr vollendet und daher die Erklärung selbst abzugeben hatte (Art. 3 Abs. 4 RuStAÄndG 1974), hat das Erklärungsrecht nicht innerhalb der Frist des Art. 3 Abs. 6 RuStAÄndG 1974, also nicht bis zum 31. 12. 1977 ausgeübt. Die mit dem Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises vom 26. 5. 1997 schlüssig abgegebene Erklärung ist verspätet. Der Kläger war auch nicht im Sinne von Art. 3 Abs. 7 Satz 1 RuStAÄndG 1974 - dass ein Fall des Satzes 2 vorliegt, kann ausgeschlossen werden - ohne Verschulden außer Stande, die Erklärungsfrist einzuhalten. Die Erklärungsfrist versäumt schuldhaft, wer nicht die Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Betroffenen geboten und ihm nach den Umständen zuzumuten ist. Rechtsirrtum und Unkenntnis des Gesetzes schließen das Verschulden grundsätzlich nicht aus. Wer die einschlägigen Rechtsvorschriften nicht kennt, hat sich zu erkundigen. Diese Grundsätze gelten auch für Ausländer und im Ausland lebende Personen. Diese Personen haben sich aus gegebenem Anlass über die Rechtslage nach deutschem Recht zu informieren. Für die Annahme eines Verschuldens entscheidend ist danach, dass sich der Betroffenen die erforderliche Rechtskenntnis etwa durch Einholung einer Auskunft bei einer deutschen Auslandsvertretung oder einer sonstigen rechtskundigen Stelle verschaffen konnte.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 4. 5. 1999 - 1 C 1.98 -, DVBl. 2000, 408 (409 f.) und vom 24. 10. 1995 - 1 C 25.94 -, DVBl. 1996, 615 (617).

Beim Kläger ist, auch wenn er seit 1958 in der Türkei lebt, davon auszugehen, dass er sich die erforderlichen Rechtskenntnisse über den Erklärungserwerb in der Türkei verschaffen konnte; es spricht Nichts dagegen, dass er entsprechende Auskünfte bei einer deutschen Auslandsvertretung einholen konnte. Zwar kann unter Berücksichtigung seines Vorbringens zugrundegelegt werden, dass er bis 1996 von der Rechtsentwicklung in Bezug auf den Verlusttatbestand des § 17 Nr. 5 RuStAG a.F. und die Einführung des Erklärungserwerbs im Jahre 1974 nichts erfahren hat und vom unveränderten Fortbestand des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit durch Legitimation ausgegangen ist. Gleichwohl hatte er - beispielsweise bei Eintreten seiner eigenen Volljährigkeit - Anlass, Fragen nach seiner deutschen Staatsangehörigkeit nachzugehen und sich zu erkundigen. Denn er ist auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland geboren und stammt aus einer gemischt-nationalen Ehe mit einem deutschen Elternteil, seiner Mutter, die zur Zeit seiner Geburt und Heirat im Jahre 1956 deutsche Staatsangehörige war. Bereits dieser Umstand legte eine Klärung seiner staatsangehörigkeitsrechtlichen Verhältnisse nahe und bietet für den Erklärungsberechtigten hinreichend Anlass, sich über die Frage seiner deutschen Staatsangehörigkeit oder deren Erwerb Gedanken zu machen und Rechtsauskunft einzuholen. Anlass dazu besteht nicht erst, wenn ein konkretes Interesse an Vorteilen aus dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit entsteht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. 10. 1995, a.a.O.

Unabhängig davon hatte der Kläger aber spätestens mit der Geburt seiner eigenen Kinder 1986 und 1992 hinreichend konkreten Anlass, sich über deren - und damit auch über seine - staatsangehörigkeitsrechtlichen Verhältnisse Gedanken zu machen und in Kenntnis seiner eigenen Abstammung von einer deutschen Mutter der Frage nachzugehen, welche Staatsangehörigkeit seine Kinder nach ihm durch Geburt erworben hatten. Auch wenn auf diesen Zeitpunkt des Wegfalls eines zuvor unverschuldeten Hindernisses abgestellt wird, hat der Kläger die Erklärungsfrist schuldhaft versäumt.



Ende der Entscheidung

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