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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 07.07.2009
Aktenzeichen: 19 B 1028/07
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 57 Abs. 3
StGB § 56 c Abs. 2 Nr. 1
Die strafrichterliche Weisung gemäß § 57 Abs. 3 i. V. m. § 56 c Abs. 2 Nr. 1 StGB, sich an einem bestimmten Ort im Bundesgebiet aufzuhalten, begründet aus sich keine ausländerrechtlichen Ansprüche auf weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet.
Tatbestand:

Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Das Jugendschöffengericht verurteilte ihn wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten. Mit Beschluss vom 31.10.2006 entließ ihn der Jugendrichter vorzeitig auf Bewährung aus der Haft. Der Beschluss enthält die Weisung, dass der Antragsteller festen Wohnsitz bei seiner im Bundesgebiet lebenden Mutter begründen müsse. Das VG verpflichtete den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung, dem Antragsteller eine Duldung zu erteilen. Auf die Beschwerde des Antragsgegners lehnte das OVG den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.

Gründe:

Derzeit hat der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung. Er hat nicht glaubhaft gemacht, dass seine Abschiebung i. S. d. § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist.

Der Antragsteller kann einen Duldungsgrund aus dem Entlassungsbeschluss des Jugendrichters vom 31.10.2006 nicht herleiten. Nach Nr. 3 b des Beschlusses hat der Antragsteller seinen festen Wohnsitz bei seiner Mutter in D. zu nehmen und darf er die Wohnung nur mit vorheriger Zustimmung der Bewährungshelferin aufgeben oder wechseln. Es kann dahinstehen, ob diese Weisung (§ 57 Abs. 3 i. V. m. § 56 c Abs. 2 Nr. 1 StGB) aus Zeitgründen überholt ist. Dafür könnte sprechen, dass Nr. 3 b an die Zustimmung der für zunächst zwei Jahre bestellten Bewährungshelferin anknüpft, die Weisung damit eventuell nicht für die gesamte nach Nr. 2 des Beschlusses festgelegte Bewährungszeit von drei Jahren gilt, sondern nach Ablauf der Zeit der Bestellung der Bewährungshelferin im Oktober 2008 hätte verlängert werden müssen. Darüber hinaus bedarf keiner Klärung, ob die möglicherweise auch nach Oktober 2008 fortgeltende Weisung inzwischen widerrufen worden ist, weil der Antragsteller durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts vom 26.3.2009 erneut wegen einer Straftat (Besitz von Betäubungsmitteln) zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt worden ist.

Die strafgerichtliche Weisung begründet jedenfalls aus sich keinen Duldungsanspruch gemäß § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Ausländerbehörden bei dem Erlass und die Verwaltungsgerichte bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung eines Ausländers nicht an strafgerichtliche Entscheidungen über die Strafaussetzung zur Bewährung gebunden sind.

Vgl. nur BVerwG, Urteile vom 16. 11. 2000 - 9 C 6.00 -, juris, Rdn. 17, und vom 28. 1. 1997 - 1 C 17.94 -, juris, Rdn. 23, jeweils m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 16. 12. 2004 - 19 B 1332/03 -.

Nichts anderes gilt bei der ausländerrechtlichen Prüfung, ob der Ausländer einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder einer Duldung hat. Weisungen gemäß § 57 Abs. 3 i. V. m. § 56 c StGB sind strafgerichtliche Ge- und Verbote, die von dem Zweck geprägt sein müssen, der Resozialisierung des Straftäters zu dienen, indem sie ihm auf den Weg in eine straffreie Lebensführung helfen. Diesem gesetzlichen Zweck entsprechend sind dem sich aus § 57 Abs. 3 i. V. m. § 56 c StGB ergebenden strafrichterlichen Ermessen Grenzen gesetzt. Eine allgemeine von dem Strafrichter zu beachtende Schranke ist die sich aus dem Aufenthaltsgesetz ergebende ausschließliche Kompetenz der Ausländerbehörden, über den weiteren Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet zu entscheiden. Dementsprechend ist das Strafgericht nicht befugt, dem Ausländer durch eine Weisung eine Aufenthaltspflicht und ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen. Vielmehr darf das Strafgericht Weisungen, deren Erfüllung den weiteren Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet erfordern, nur dann erlassen, wenn der Ausländer nach dem Aufenthaltsgesetz einen Anspruch auf weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet hat.

LG Braunschweig, Beschluss vom 29.3.2000 - 43 Qs 18/2000 -, StV 2001, 240 (nur Leitsatz); OLG Koblenz, Beschluss vom 7. 1. 1985 - 1 Ws 862/84 -, NStZ 1987, 24 (25), mit Anmerkung Meyer, NStZ 1987, 25 (25 f.); OLG Karlsruhe, Beschluss vom 31. 3. 1981 - 3 Ws 80/81 -, juris (nur Leitsatz); Fischer, StGB, 56. Aufl., 2009, § 56 c Rdn. 6 a; Stree, in: Schönke/Schröder/Cramer, StGB, 27. Aufl., 2006, § 56 c Rdn. 17, m. w. N.; a. A. LG Berlin, Beschluss vom 1. 12. 2003 - 5511 Qs 118/03 -, NStZ 2005, 100 (101).

Daraus folgt jedoch nicht, dass die strafrichterliche Weisung ausländerrechtlich überhaupt keine Relevanz hat. Wie bei der Ausweisung, vgl. BVerwG, Urteil vom 28. 1. 1997 - 1 C 17.94 -, a. a. O., m. w. N., sind strafrichterliche Entscheidungen, die aus sich die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte nicht binden, bei der ausländerrechtlich erforderlichen Sachverhaltswürdigung zu berücksichtigen. Auch unter diesem Aspekt ergibt sich allerdings für den Antragsteller kein Anspruch auf Erteilung einer Duldung. Eine tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung im Sinne des § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann der Antragsteller nicht daraus herleiten, dass ihm der weitere Aufenthalt bei seiner Mutter zu ermöglichen sei, um der Weisung 3 b zur Vermeidung des Widerrufs der Strafaussetzung nachkommen zu können. Dem steht schon entgegen, dass die Weisung nicht geeignet ist, ihren Zweck, der Resozialisierung zu dienen, zu erfüllen. Denn die Weisung, der der Antragsteller nachgekommen ist, hinderte ihn nicht, eine weitere Straftat zu begehen, die zu der rechtskräftigen Verurteilung durch das Amtsgericht vom 26. 3. 2009 führte. Vor diesem Hintergrund besteht - auch mit Blick auf dringende humanitäre oder persönliche Gründe i. S. v. § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG - kein Anlass, dem Antragsteller ausländerrechtlich durch Erteilung eines Aufenthaltsrechts die Chance zu eröffnen, sich unter anderem durch Erfüllen der strafrichterlichen Weisung im Bundesgebiet zu resozialisieren.

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