Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 22.08.2007
Aktenzeichen: 21d A 1624/06.BDG
Rechtsgebiete: BDG


Vorschriften:

BDG § 17 Abs. 1
Das Bundesdisziplinargesetz setzt keine besondere Zeichnungsbefugnis für die Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens sowie für Maßnahmen der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Gehaltsteilen voraus.

Das behördliche Disziplinarverfahren kann gemäß § 17 Abs. 1 BDG abweichend von der bisherigen Rechtslage grundsätzlich rechtswirksam gegen einen Verfahrensunfähigen eingeleitet werden. Die Bestellung eines Vertreters ist bei Unterrichtung über die Einleitung des Verfahrens erforderlich (§ 20 Abs. 1 BDG).


Tatbestand:

Der Antragsteller ist Ruhestandsbeamter. Die Antragsgegnerin leitete mit Verfügung vom 13.4.1995 gegen ihn wegen des Vorwurfs der Vorteilsannahme das förmliche Disziplinarverfahren gemäß der Bundesdisziplinarordnung ein. Seitdem wurde durchgängig ein Teil der Dienst- und Versorgungsbezüge des Antragstellers einbehalten. Das BVerwG stellte das Disziplinarverfahren durch Beschluss vom 4.11.2003 ein, weil es nicht auszuschließen war, dass der Antragsteller bei der Zustellung der Einleitungsverfügung verhandlungsunfähig gewesen war. Mit Aktenvermerk vom 23.2.2004 leitete die Antragsgegnerin wegen desselben Disziplinarvorwurfs ein behördliches Disziplinarverfahren nach dem Bundesdisziplinargesetz ein, teilte dies dem Antragsteller unter dem 26.7.2004 über dessen Bevollmächtigten mit und erhob bei dem VG die dort noch anhängige Disziplinarklage mit dem Antrag, dem Antragsteller das Ruhegehalt abzuerkennen. Den Vermerk über die Einleitung eines weiteren Disziplinarverfahrens war eine vom Minister gebilligte Vorlage vom 3.12.2003 zur erneuten Einleitung eines Disziplinarverfahrens und anschließenden Erhebung einer Disziplinarklage vorausgegangen.

Den Antrag des Antragstellers, ihm die während des förmlichen Disziplinarverfahrens einbehaltenen Bezüge nachzuzahlen, lehnte die Antragsgegnerin durch Bescheid ab, nahm die Zahlung ungekürzter Versorgungsbezüge aber mit Wirkung vom 26.11.2003 wieder auf. Mit weiterem Bescheid ordnete die Antragsgegnerin die Einbehaltung des Ruhegehalts im Umfang von 30 % an. Durch den angefochtenen Beschluss setzte das VG auf Antrag des Antragstellers u.a. die angeordnete Einbehaltung von Ruhegehaltsbezügen aus. Die vom OVG zugelassene Beschwerde der Antragsgegnerin hatte Erfolg.

Gründe:

Die Disziplinarkammer hat zu Unrecht die mit Verfügung der Antragsgegnerin angeordnete Einbehaltung von Teilen des Ruhegehalts des Antragstellers mit Wirkung vom 1.7.2005 ausgesetzt. An der Rechtmäßigkeit dieser Verfügung bestehen nach derzeitigem Sachstand keine Zweifel.

Nach § 38 Abs. 3 BDG kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens anordnen, dass dem Ruhestandsbeamten bis zu 30 % des Ruhegehalts einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einbehaltungsverfügung bestehen nicht (vgl. § 63 Abs. 2 BDG). Der Prüfungsmaßstab der Beschwerdeentscheidung richtet sich nach dem jeweiligen formellen und materiellen Recht.

Die Einbehaltungsanordnung ist formell rechtmäßig.

Nach Auffassung des Antragstellers und der Disziplinarkammer liegt ein relevanter Zuständigkeitsmangel vor, weil die Einbehaltungsanordnung von einem Referatsleiter des Bundesministeriums des Innern ("im Auftrag Z") und nicht von der Behördenleitung unterzeichnet worden ist. Dies führt aber nicht zur Fehlerhaftigkeit der Einbehaltungsanordnung.

Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde ist auch zuständig für die Anordnung der Einbehaltung von Ruhegehalt (§ 38 Abs. 3 BDG). Diese ist gemäß § 34 Abs. 2 BDG i.V.m. § 84 Satz 1 BDG bei Ruhestandsbeamten die zum Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand zuständige oberste Dienstbehörde und vorliegend, ohne dass es hierfür einer näheren Begründung bedarf, das Bundesministerium des Innern.

Unter der Geltung des Bundesdisziplinargesetz bestehen keine zusätzlichen Anforderungen in Bezug auf die funktionelle Zuständigkeit, die die Frage betrifft, ob innerhalb einer Behörde bestimmte Organwalter mit bestimmten Funktionen oder Qualifikationen bestimmte Aufgaben und Zuständigkeiten ausschließlich wahrzunehmen haben.

Vgl. zur funktionellen Zuständigkeit Bonk/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Auflage 2001, § 3 Rn. 9.

Eine besondere Zeichnungsbefugnis war unter der Geltung der Bundesdisziplinarordnung für die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens sowie für Maßnahmen der vorläufigen Dienstenthebung (§ 91 BDO) und der Einbehaltung von Gehaltsteilen (§ 92 BDO) erforderlich. Wesentliche Erwägung war die besondere Bedeutung, die der Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens gegen einen Beamten zukommt. Dies machte es notwendig, den Kreis der Personen, die eine Einleitungsverfügung unterzeichnen durften, zu beschränken und die Befugnis zur Unterzeichnung nur solchen Beamten zuzuerkennen, die als Behördenleiter oder als deren generelle Vertreter einen Überblick über die Behörde in ihrer Gesamtheit haben und die Angemessenheit der Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens beurteilen können. Die gleichen Überlegungen sprachen für entsprechend strenge Formerfordernisse bei Maßnahmen nach §§ 91, 92 BDO.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.8.1972 - I DB 10.72 -, BVerwGE 46, 14; Beschluss vom 2.6.1995 - I DB 7.95 -, BVerwGE 103, 204.

Rechtlicher Anknüpfungspunkt für dieses formale Erfordernis war § 30 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 BDO, wonach die Disziplinarverfügung vom Dienstvorgesetzten oder seinem allgemeinen Vertreter zu unterzeichnen war. Ein derartiges formelles Erfordernis ist dem Bundesdisziplinargesetz aber nicht bekannt.

Das Bundesdisziplinargesetz soll verfahrensrechtlich eng an das Verwaltungsverfahrensrecht und an das Verwaltungsprozessrecht angelehnt werden (vgl. die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts vom 16.11.2000, BT-Drucks. 14/4659, S. 33), was in § 3 BDG seinen deutlichen Ausdruck gefunden hat. Danach sind zur Ergänzung dieses Gesetzes die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung grundsätzlich entsprechend anzuwenden. Auch die Gesetzesbegründung zur vorläufigen Dienstenthebung und zur Einbehaltung von Bezügen bringt klar zum Ausdruck, dass diese Maßnahmen Verwaltungsentscheidungen darstellen, die durch die für die Erhebung des Disziplinarklage zuständigen Behörden im Rahmen des nunmehr einheitlichen behördlichen Disziplinarverfahrens getroffen werden (s. S. 45 des Gesetzesentwurfs). Gelten nunmehr also die allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen, muss auch die Frage der funktionellen Zuständigkeit eigens durch oder aufgrund spezieller Rechtsvorschriften angeordnet sein. Demzufolge wird in der Literatur auch die Auffassung vertreten, dass die strengen Formerfordernisse nach der Bundesdisziplinarordnung nicht mehr gelten.

Vgl. Köhler/Ratz, Bundesdisziplinargesetz, 3. Auflage, 2003, § 38 Rn. 2; ohne abschließende Meinung Weiß, in: GKÖD, Stand: 2005, M § 17 Rn. 60; vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 13.5.2005 - 3 ZD 1/05 -, RiA 2006, 187, zu der funktionellen Zuständigkeit aufgrund einer Verordnung zur Durchführung des Bundesdisziplinargesetzes.

Eine gesetzliche oder untergesetzliche Regelung, nach deren Maßgabe die Erhebung der Disziplinarklage, die vorläufige Dienstenthebung und die teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge allein bestimmten Organwaltern vorbehalten sind, existiert nicht. Allerdings ordnet § 84 Satz 1 BDG an, dass bei Ruhestandsbeamten die Disziplinarbefugnisse durch die zum Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand zuständige oberste Dienstbehörde ausgeübt werden. Hiermit wird indes allein eine Behördenzuständigkeit begründet, aber nicht eine interne Zuständigkeitsregelung vorgenommen. Nach § 84 Satz 2 Hs. 1 BDG kann die oberste Dienstbehörde ihre Befugnisse durch allgemeine Anordnung ganz oder teilweise auf nachgeordnete Dienstvorgesetzte übertragen. Eine solche Regelung ist in Gestalt der Anordnung zur Durchführung des Bundesdisziplinargesetzes für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern vom 31.1.2002 (BGBl. I S. 580) ergangen. Nach II. Nr. 4 der Anordnung werden die Disziplinarbefugnisse der obersten Dienstbehörde in Verfahren gegen Ruhestandsbeamte den vor Beginn des Ruhestands zuständigen Einleitungsbehörden übertragen. Diese Behörde ist im Fall des Antragstellers wiederum das Bundesministeriums des Innern.

Ist danach das Bundesministerium des Innern als Behörde für den Erlass der Einbehaltungsanordnung und für die Erhebung der Disziplinarklage zuständig, kommt es für diese Zuständigkeiten auf den Geschäftsverteilungs- oder Vertretungsplan der Behörde an. Disziplinarsachen sowie Rechtsschutzangelegenheiten fallen nach der hier maßgeblichen internen Geschäftsverteilung des Bundesministeriums des Innern (Ziff. 1.5 der Hausanordnung) in die Zuständigkeit des jeweiligen Personalreferats. Danach ist die Einbehaltungsanordnung vom 1.6.2005 von dem damals zuständigen Personalreferat verfügt worden.

Nach Ziff 1.1 ist bei Rechtsstreitigkeiten des Bundesministeriums des Innern vor den Verwaltungsgerichten zuständiges Referat jedoch das Justitiariat, das die vorliegende Disziplinarklage auch erhoben hat. Die regelmäßige Zeichnungsbefugnis des das Schriftstück verfassenden Mitarbeiters folgt aus § 17 Abs. 1 Satz 1 GGO. Vorgesetzte zeichnen, soweit es sich aus der Bedeutung der Sache ergibt oder soweit sie sich die Zeichnung in besonderen Fällen vorbehalten haben (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GGO). Ein Vorbehalt des Zeichnungsrechts ist vorliegend unstreitig nicht gegeben. Die Zeichnung der Klageschrift durch einen Vorgesetzten war aufgrund der Bedeutung der Sache auch nicht zwingend erforderlich. Angesichts der Einleitung des Disziplinarverfahrens durch die Behördenleitung, die der grundsätzlichen Bedeutung dieser Sache gerecht wird, war die Zeichnung der Klageschrift durch die das Schriftstück verfassende Mitarbeiterin des Referats vertretbar und ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Hiervon abgesehen ist die Durchführung des behördlichen Disziplinarverfahrens einschließlich der Erhebung der Disziplinarklage mit dem Ziel der Aberkennung des Ruhegehalts mit Billigung des Ministers als Leiter der Behörde erfolgt. Mit dieser Verfahrensweise war der Minister auf der Grundlage der Vorlage des Referats vom 3.12.2003 einverstanden.

Vgl. zur Erhebung einer Disziplinarklage im Namen des Vorstands der Deutschen Post AG von einem Postdirektor auch BVerwG, Urteil vom 22.6.2006 - 2 C 11.05 -, Buchholz 235.1 § 34 BDG Nr. 2.

Formelle Rechtmäßigkeitsfehler lassen sich auch nicht daraus ableiten, dass das Bundesministerium des Innern erst unter dem 26.7.2004 eine Mitteilung über die Einleitung des Disziplinarverfahrens an den Antragsteller gemacht hat. Zwar ist gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 BDG der Beamte über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unverzüglich zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung der Aufklärung des Sachverhalts möglich ist. Ob vorliegend die Mitteilung des durch Aktenvermerk vom 23.2.2004 eingeleiteten Disziplinarverfahrens noch unverzüglich gewesen ist, ist zwischen den Beteiligten streitig. Der Senat braucht diese Frage indes nicht zu entscheiden. Auch eine Mitteilung entgegen der Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung hat nicht zur Folge, dass das behördliche Disziplinarverfahren in entsprechender Anwendung des § 55 Abs. 3 Satz 3 BDG einzustellen und damit eine Aberkennung der Ruhegehaltsbezüge ernstlichen Zweifeln an ihrer Richtigkeit ausgesetzt wäre. Die Verletzung des Beschleunigungsgebots (vgl. auch § 4 BDG) kann nämlich grundsätzlich keine verfahrensrechtlichen Folgen nach sich ziehen.

Vgl. Nds. OVG, a.a.O.

Die Einbehaltungsanordnung leidet nicht deshalb an einem rechtlich beachtlichen Fehler, weil das behördliche Disziplinarverfahren aufgrund fehlerhafter Einleitung einzustellen wäre (vgl. § 55 Abs. 3 Satz 3 BDG).

Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG hat der Dienstvorgesetzte bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 BBG ist Dienstvorgesetzter, wer für beamtenrechtliche Entscheidungen über die persönlichen Angelegenheiten der ihm nachgeordneten Beamten zuständig ist. In der Regel ist der Leiter einer Behörde unmittelbarer Dienstvorgesetzter.

Vgl. Weiß a.a.O., M § 17 Rn. 59.

Eine höchstpersönliche Wahrnehmung dieser Aufgaben ist aber nicht vorgesehen. Weder das Bundesdisziplinargesetz noch das Bundesbeamtengesetz untersagen die Delegierung dieser Aufgaben. Es kommt für die Frage, wer für den unmittelbaren Dienstvorgesetzten vertretungsweise befugt ist, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, deshalb wiederum auf den Geschäftsverteilungs- oder Vertretungsplan der Behörde an, so dass nach Maßgabe der Ziff. 1.5 der Hausanordnung die Zuständigkeit des Personalreferats des Bundesgrenzschutzes gegeben war. Allerdings werden Schreiben von grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 17 Abs. 2 GGO vom Bundesminister gezeichnet und nach § 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 GGO vom Staatssekretär als seinem Vertreter. Voraussetzungen des Vertretungsfalls sind in diesen Bestimmungen - anders als in § 6 Abs. 4 GGO, wo auf das Merkmal der Abwesenheit abgestellt wird - nicht genannt. Dies spricht dafür, bis zur Grenze missbräuchlichen Handelns - für ein Überschreiten ist hier nichts zu erkennen - Vertretungen nach Maßgabe der genannten Bestimmungen als wirksam anzusehen. Dass der Aktenvermerk von dem ehemaligen Staatssekretär Dr. S in Vertretung des Ministers und des damals für die Angelegenheiten des Bundesgrenzschutz zuständigen Staatssekretärs T unterzeichnet worden ist, begegnet deshalb keinen rechtlichen Bedenken. Im Übrigen scheidet ein disziplinarrechtlich relevanter Fehler auch deshalb aus, weil das behördliche Disziplinarverfahren mit Billigung des Ministers eingeleitet worden ist.

Gleichfalls bietet die Verfügung auch in materieller Hinsicht keinen Anlass zu ernstlichen Zweifeln an ihrer Richtigkeit.

Im Disziplinarverfahren wird voraussichtlich auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden. Aufgrund der Annahme der Geldzuwendungen ... hatte der Antragsteller vorsätzlich gegen das Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken gemäß § 70 BBG verstoßen und seinen Pflichten zu uneigennütziger Amtsführung gemäß § 54 Satz 2 BBG und zu einem achtungs- und vertrauensgerechten Verhalten innerhalb des Dienstes gemäß § 54 Satz 3 BBG zuwider gehandelt und damit vorsätzlich ein schweres innerdienstliches Dienstvergehen i.S.d. § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG begangen, das die Höchstmaßnahme rechtfertigt.

Vgl. etwa hierzu BVerwG, Urteil vom 27.1.1998 - 1 D 63.96 -, JURIS.

Der Umstand, dass sich der Antragsteller im Ruhestand befindet, hat keinen Einfluss auf die Bewertung seiner Verfehlungen. Disziplinarmaßnahmen dienen der Aufrechterhaltung der Integrität des Berufsbeamtentums. Im Hinblick auf diesen Zweck ist neben dem Gesichtspunkt der Generalprävention und dem der gerechten Gleichbehandlung der Ruhestandsbeamten mit den aktiven Beamten auch derjenige der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes von Bedeutung. Die Versetzung des Beamten in den Ruhestand ist daher kein Grund, von der Aberkennung des Ruhegehalts abzusehen, wenn bei Fortdauer des (aktiven) Beamtenverhältnisses die Dienstentfernung geboten wäre.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9.8.2006 - 2 BvR 1003/05 - m.w.N., DVBl 2006, 1372; BVerwG, Urteil vom 21.2.1989 - 1 D 108.87 -, DokBer B 1989, 125, 126 f.

Das Disziplinarverfahren ist auch nicht etwa wegen Verfahrensunfähigkeit des Antragstellers zum Zeitpunkt des durch Aktenvermerk eingeleiteten behördlichen Disziplinarverfahrens am 23.2.2004 einzustellen. Ob der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt verfahrensfähig war, ist jedenfalls gutachterlich nicht geklärt. Das Gutachten des Dr. X attestiert dem Antragsteller Verfahrensfähigkeit ab dem 17.3.2004 und für die Zeit danach, verhält sich aber zu dem Zeitpunkt der Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens nicht. Hierauf kommt es aber in diesem Zusammenhang nicht an. Erst mit der Unterrichtung des Beamten über die Einleitung des Disziplinarverfahrens (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 BDG) ist seine Verfahrensfähigkeit im Disziplinarverfahren von Bedeutung, da in der Regel erst ab diesem Zeitpunkt die (Verfahrens-)Rechte des Beamten berührt sein können. Mit der Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG hat der Dienstvorgesetzte sich zu entschließen, Verfahrenshandlungen nach § 20 BDG vorzunehmen. Bestehen Anhaltspunkte für eine Vertreterbestellung von Amts wegen (§ 3 BDG i.V.m. § 16 VwVfG) - etwa wegen körperlicher oder geistiger Gebrechlichkeit i.S.v. § 16 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG - ist das Erforderliche zu veranlassen.

Vgl. Weiß a.a.O., M § 20 Rn. 27 und Anh. 2 M § 20 Rn. 16; a.A. ohne nähere Begründung Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand: Juni 2007, § 17 Rn. 18 a.

Das behördliche Disziplinarverfahren kann deshalb grundsätzlich rechtswirksam auch ohne Vertreterbestellung eingeleitet werden. Das Verfahren wird von dem Zeitpunkt an aber unzulässig, wo in Rechte des Beamten, die ohne gesetzliche Vertretung nach § 16 VwVfG nicht gewahrt wären, eingegriffen wird. Eine derartige Rechtsbeeinträchtigung des Antragstellers ist vor dem 17.3.2004 und auch vor Mitteilung der Einleitungsverfügung unter dem 26.7.2004 nicht ersichtlich. Das behördliche Disziplinarverfahren nach dem Bundesdisziplinargesetz unterscheidet sich deshalb insoweit maßgeblich von dem förmlichen Disziplinarverfahren nach der Bundesdisziplinarordnung. Das letzt genannte Verfahren war im Hinblick auf die Zustellungsbedürftigkeit der Einleitungsverfügung (§ 33 Satz 3 BDO) unheilbar unwirksam und einzustellen, wenn es bei Verhandlungsunfähigkeit des Beamten unter Verletzung des Bestellungsgebots, also ohne Bestellung eines notwendigen Betreuers, nach § 19 Satz 2 und 3 BDO eingeleitet worden war (vgl. § 33 Satz 2 BDO). Aus diesen Gründen ist die Einstellung in dem förmlichen Disziplinarverfahren des Antragstellers auch durch Beschluss des BVerwG vom 4.1.2003 (1 D 8.02) erfolgt.

Vgl. hierzu auch BVerwG, Beschluss vom 25.1.2001 - 1 D 31.99 -, JURIS.

Das Disziplinarverfahren ist ebenfalls nicht wegen überlanger Verfahrensdauer einzustellen. Eine disziplinarische Maßnahme kann mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar werden, wenn das Disziplinarverfahren unverhältnismäßig lange dauert. Steht allerdings die Höchstmaßnahme in Rede, ist also ein Beamter für den öffentlichen Dienst untragbar geworden, dann muss er unabhängig von der Verfahrensdauer aus Gründen der Funktionssicherung aus dem Dienst entfernt werden. Bei der Dienstentfernung geht es nämlich darum, das Dienstverhältnis zu beenden, weil jedes Vertrauen in den Beamten unwiederbringlich verloren gegangen ist.

Vgl. BVerfG a.a.O.

Auch die Einbehaltung von Teilen der Ruhegehaltsbezüge des Antragstellers verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zweifel an einer zulässigen Dauer der Einbehaltung können sich zwar daraus ergeben, dass Bezüge des Antragstellers bereits durchgehend in der Zeit zwischen der Einbehaltungsanordnung vom 13.4.1995 und dem Bescheid des Bundesministeriums des Innern vom 14.4.2005 einbehalten worden sind. Obgleich nach Einstellung des ersten Disziplinarverfahrens aufgrund des Beschlusses des BVerwG vom 4.11.2003 die in der Zeit vom 26.11.2003 bis zum 14.4.2005 einbehaltenen Bezüge nachträglich ausbezahlt worden sind, kann sich ein unverhältnismäßig langer Einbehaltungszeitraum ergeben, der einer weiteren Einbehaltung von Bezügen entgegenstehen könnte, wenn man auf die Zeit vom 13.4.1995 bis zum 25.11.2003 und die seit dem 1.7.2005 verstrichene Zeit abstellt.

Vgl. hierzu etwa BVerfG, Beschluss vom 8.9.1993 - 2 BvR 1517/92 -, ZBR 1993, 369; OVG NRW, Beschluss vom 28.5.2002 - 15d A 880/00.O -, JURIS.

Die Situation einer möglicherweise überlangen Einbehaltung von Teilen des Ruhegehalts entschärft sich vorliegend allerdings aus den in dem Beschluss des BVerwG vom 18.7.2006 (Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 12) gemachten Ausführungen. Der von dem Antragsteller befürchtete Verfall der im ersten Disziplinarverfahren einbehaltenen Beträge gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 4 BDO kann nicht mehr eintreten. Nach dieser Vorschrift verfielen die während eines nicht rechtswirksam eingeleiteten Disziplinarverfahrens einbehaltenen Bezüge, wenn ein innerhalb dreier Monate nach der Einstellung wegen desselben Dienstvergehens eingeleitetes neues Verfahren zur Aberkennung des Ruhegehalts führte. § 96 Abs. 1 Nr. 4 BDO ist jedoch nicht mehr anwendbar, weil die Bundesdisziplinarordnung am 1.1.2002 außer Kraft getreten und an ihre Stelle das Bundesdisziplinargesetz getreten ist (Art. 27 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 des Neuordnungsgesetzes vom 9.7.2001, BGBl. I S. 1510). Da nach den Übergangsbestimmungen des § 85 BDG die Bundesdisziplinarordnung nicht ausnahmsweise weiterhin Anwendung findet, ist vorliegend auf das unter der Geltung des Bundesdisziplinargesetzes eingeleitete behördliche Disziplinarverfahren allein dieses Gesetz anwendbar. Das Bundesdisziplinargesetz kennt den Verfallstatbestand, wie er in § 96 Abs. 1 Nr. 4 BDO geregelt war, nicht. Infolgedessen ist von einem Nachzahlungsanspruch des Antragstellers für die während des ersten Disziplinarverfahrens einbehaltenen Bezüge auszugehen, wobei auch hier - ebenso wie in dem Beschluss des BVerwG vom 18.7.2006 - offen bleiben kann, ob sich ein Nachzahlungsbegehren nach den Grundsätzen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs, aus § 96 Abs. 2 und 3 BDO oder aus § 40 Abs. 2 BDG in entsprechender Anwendung ergeben kann. In jedem Fall kann der Antragsteller sein Begehren auf materiellrechtlicher Grundlage geltend machen. Dass der Verwirklichung des Nachzahlungsanspruchs Einwendungen entgegenstehen, haben weder Antragsteller noch die Antragsgegnerin geltend gemacht. Ob und inwieweit Zinsen im Zusammenhang mit der Nachzahlung beansprucht werden können - auf das Fehlen eines Zinsanspruchs hebt der Antragsteller in seinem Schriftsatz vom 13.11.2006 ab -, ist mit Blick auf die hier allein anzustellende Verhältnismäßigkeitsprüfung ohne Belang.

Eine übermäßig lang andauernde Einbehaltung ergibt sich vorliegend auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass sich der Antragsteller während eines mehr als acht Jahre andauernden Zeitraums in der Lebensführung einschränken musste. Der Antragsteller könnte nämlich die Nachzahlung, die bei der Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben im Rahmen der Einbehaltung nicht angerechnet werden darf, einsetzen, um Entbehrungen zu kompensieren, die er während des abgeschlossenen Einbehaltungszeitraums hinnehmen musste. Unter diesem Blickwinkel betrachtet stellt sich die Einbehaltungsanordnung vom 1.6.2005 letztlich nicht als unverhältnismäßig dar.

Der Bescheid über die Einbehaltung eines Teiles der Dienstbezüge des Antragstellers vom 1.6.2005 ist auch in seiner konkreten Höhe rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Einbehaltungsentscheidung ist eine Ermessensentscheidung, die vom Disziplinargericht nur auf Ermessensfehler zu prüfen ist. Die Einleitungsbehörde muss ihr Ermessen am Grundsatz der angemessenen Alimentation eines Beamten und der Fürsorge ihm gegenüber orientieren. Die Alimentations- und Fürsorgepflicht gilt für die Dauer des förmlichen Disziplinarverfahrens fort. Die Behörde muss die konkreten Umstände des Einzelfalles berücksichtigen. Zwar muss der Beamte eine gewisse Einschränkung seiner Lebenshaltung hinnehmen, die Einbehaltung darf jedoch wegen ihres vorläufigen Charakters nicht zu existenzgefährdenden wirtschaftlichen Beeinträchtigungen oder nicht wieder gutzumachenden Nachteilen führen. Die Einleitungsbehörde verletzt ihre Alimentationspflicht und überschreitet deshalb die Grenze des ihr eingeräumten Ermessens jedenfalls dann, wenn der dem Beamten nach der Einbehaltungsanordnung für den Lebensunterhalt verbleibende Betrag nur dem Regelsatz der Sozialhilfe entspricht oder keinen hinreichenden Abstand zu diesem wahrt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.5.2000 - 1 DB 8.00 -; Buchholz 235 § 92 BDO Nr. 4; OVG NRW, Beschluss vom 1.8.2007 - 21d A 1673/05.O -.

Die Höhe des monatlichen Einbehalts kollidiert vorliegend nicht mit dem Grundsatz der angemessenen Alimentation eines Beamten. Die verfügte Einbehaltung von 30 % erweist sich unter Berücksichtigung der von dem Antragsteller vorgelegten Übersicht seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse als ermessensfehlerfrei. ... Gleichfalls ist ein hinreichender Abstand zu dem um 15 % erhöhten Sozialhilfesatz von 347 Euro (= 399,05 Euro) gewahrt. Dies gilt auch dann noch, wenn ein um 15 % erhöhter Regelsatz von 312 Euro (= 358,80 Euro) für seine Ehefrau berücksichtigt wird.

Ende der Entscheidung

Zurück