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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 19.09.2007
Aktenzeichen: 21d A 3600/06.O
Rechtsgebiete: DO NRW, LDG NRW, BDG


Vorschriften:

DO NRW § 5 Abs. 2
DO NRW § 31 Abs. 3
DO NRW § 31 Abs. 5
DO NRW § 78
LDG NRW § 5 Abs. 2
LDG NRW § 13
LDG NRW § 59 Abs. 3
LDG NRW § 82 Abs. 4
BDG § 13
BDG § 60 Abs. 3
Das Disziplinargericht prüft in dem eine Disziplinarverfügung betreffenden Klageverfahren neben der Rechtmäßigkeit der Verfügung auch deren Zweckmäßigkeit. Ihm steht somit eine durch das Verschlechterungsverbot begrenzte Disziplinarbefugnis zu, die sich von den Maßstäben des § 13 LDG NRW leiten lässt und eine Würdigung der Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einschließt. Einer Versetzung des Beamten in den Ruhestand ist Rechnung zu tragen (§ 5 Abs. 2 LDG NRW).

§§ 13, 59 Abs. 3 LDG NRW enthalten eine materiellrechtliche Besserstellung, die auch nach der Disziplinarordnung NRW zu beurteilende Altfälle erfasst.


Tatbestand:

Der Ruhestandsbeamte wehrte sich gegen eine im Wege der Disziplinarverfügung verhängte Geldbuße, die sein ehemaliger Dienstvorgesetzter auf verschiedene Vorfälle gestützt hatte. Wenige Tage nach Erlass der Disziplinarverfügung wurde der Ruhestandsbeamte wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Das VG hielt die Disziplinarverfügung aufrecht und bezog sich im Hinblick auf die Versetzung in den Ruhestand auf die bisherige Rechtsprechung zur Disziplinarordnung NRW.

Die Beschwerde hatte Erfolg.

Gründe:

Weil die angefochtene Disziplinarverfügung vor dem 1.1.2005 erlassen worden ist, gilt für den Rechtsbehelf gegen diese Verfügung die Disziplinarordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (DO NRW). Im weiteren Verfahren gelten ebenfalls die Bestimmungen des bisherigen Rechts (§ 82 Abs. 4 des Landesdisziplinargesetzes [LDG NRW]). Damit richtet sich der Rechtsschutz gegen die Disziplinarverfügung vom 23.7. 2003 nach §§ 31 Abs. 3 und 5, 78 DO NRW.

Dieser Beschluss steht im rechtlichen Ausgangspunkt im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung der mit Disziplinarrecht befassten Spruchkörper des erkennenden Gerichts. Danach stand der Aufrechterhaltung einer noch zur aktiven Dienstzeit erlassenen Disziplinarverfügung nicht entgegen, dass der Beamte mittlerweile in den Ruhestand versetzt worden war und bei einem Ruhestandsbeamten nur die Kürzung und die Aberkennung des Ruhegehalts zulässig sind (§ 5 Abs. 2 DO NRW).

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.10.2000 - 12d A 700/98.O -, IÖD 2001, 140 = RiA 2001, 201.

An dieser Auffassung kann für das Landesdisziplinargesetz NRW nicht mehr festgehalten werden. Dies bleibt in Übergangsfällen nicht ohne Konsequenzen.

Nach § 59 Abs. 3 Satz 1 LDG NRW prüft das Gericht bei der Klage gegen eine Disziplinarverfügung neben der Rechtmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Aus der vergleichbaren Vorschrift des § 60 Abs. 3 des Bundesdisziplinargesetzes (BDG) leitet das BVerwG - Urteil vom 15.12.2005 - 2 A 4.04 -, Schütz/Maiwald, Beamtenrecht in Bund und Ländern, ES/B II 1.1 Nr. 13 = Buchholz 235.1 § 24 BDG Nr. 1 - ab, dass das Gericht nicht auf die Prüfung der Frage beschränkt ist, ob das dem Kläger mit der Disziplinarverfügung zum Vorwurf gemachte Verhalten (Lebenssachverhalt) tatsächlich vorliegt und als Dienstvergehen zu würdigen ist. Das Gericht hat unter Beachtung des Verschlechterungsverbots auch darüber zu entscheiden, welches die angemessene Disziplinarmaßnahme ist. Anders als sonst bei einer Anfechtungsklage ist das Gericht danach nicht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO darauf beschränkt, eine rechtswidrige Verfügung aufzuheben; es trifft in Anwendung der in § 13 Abs. 1 BDG niedergelegten Grundsätze innerhalb der durch die Verfügung vorgegebenen Obergrenze vielmehr eine eigene Ermessensentscheidung. Der Hinweis des BVerwG auf § 13 BDG besagt, dass auch bei einer Klage gegen eine Disziplinarverfügung über die Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der Schwere des Dienstvergehens, des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist. Eine zeitliche Beschränkung auf den Zeitpunkt des Erlasses einer Disziplinarverfügung wäre mit dem Gebot, eine umfassende Würdigung nach den Grundsätzen des § 13 Abs. 1 BDG zu treffen unvereinbar.

Vgl. auch Bay. VGH, Beschluss vom 14.12.2006 - 16b D 06.1584 -, juris, mit Hinweis auf den VGH Bad.-Württ.

Dass zu den rechtsähnlichen Regelungen in §§ 13, 59 Abs. 3 Satz 1 LDG NRW eine vom Bundesrecht abweichende Interpretation angebracht wäre, ist nicht ersichtlich. Vielmehr spricht auch die Bestimmung in § 59 Abs. 3 Satz 2 LDG NRW dafür, dass dem Disziplinargericht vorbehaltlich des Verschlechterungsverbots eine umfassende Disziplinarbefugnis zukommt, die die Berücksichtigung der Verhältnisse bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einschließt. Danach kann das Gericht das Disziplinarverfahren einstellen, wenn ein Dienstvergehen zwar erwiesen ist, die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme jedoch nicht angezeigt erscheint. Das Gericht würde seiner Verpflichtung, in dieser Hinsicht Opportunitätserwägungen anzustellen, nicht gerecht, wenn es Entwicklungen nach Erlass der Disziplinarverfügung ausblendete. Wenn es aber auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ankommt, beansprucht die materiellrechtliche Regelung in § 5 Abs. 2 LDG NRW Geltung, wonach Disziplinarmaßnahmen gegen Ruhestandsbeamte nur die Kürzung und die Aberkennung des Ruhegehalts sind, nicht aber die hier verhängte Geldbuße. Von den Argumenten, die auf der Grundlage der Disziplinarordnung NRW für die Unbeachtlichkeit der Zurruhesetzung des disziplinierten Beamten angeführt worden sind, bleibt die ordnungspolitische Erwägung, das Fehlen einer angemessenen disziplinaren Reaktion könne dazu führen, dass sich Beamte in der Erwartung ihrer Zurruhesetzung zu einem Fehlverhalten hinreißen ließen. Diesem Argument ist zunächst entgegenzuhalten, dass es vorrangig eine Aufgabe des Gesetzgebers ist, hier zu einer Lösung zu finden. Der Gesetzgeber hat mit dem in § 5 Abs. 2 LDG NRW enthaltenen Verbot einer Maßnahme unterhalb der Kürzung des Ruhegehalts und den bereits erörterten weiteren Regelungen eine Entscheidung im Sinne der Rechtsprechung des BVerwG getroffen. Davon abzuweichen besteht keine Veranlassung, weil die erwähnten ordnungspolitischen Bedenken eher unbedeutend sind: Beamte, die auf die baldige Zurruhesetzung spekulieren und es wem auch immer noch einmal ohne Furcht vor Sanktionen zeigen wollen, sind nach den Erfahrungen des Senats die absolute Ausnahme. Ihnen dürfte in aller Regel auch bewusst sein, dass diese Spekulation das Risiko einschließt, dass das Fehlverhalten bereits zu einer Kürzung der Dienstbezüge bzw. einer Kürzung des Ruhegehalts führt, dies insbesondere, weil die erkennbar werdende Vorstellung, ohne Risiko ein Dienstvergehen begehen zu können, durchaus erschwerend berücksichtigt werden kann. Im übrigen kann der Dienstvorgesetzte von den ihm sonst zustehenden Befugnissen bis hin zum Verbot der Führung der Dienstgeschäfte Gebrauch machen und so den Folgen eines Fehlverhaltens die Spitze nehmen. Dass ein kurz vor der Zurruhesetzung stehender Beamter im offenen Konflikt aus dem aktiven Dienst ausscheiden will, ist ohnehin sehr wenig wahrscheinlich.

§§ 13, 59 Abs. 3 LDG NRW enthalten eine materiellrechtliche Besserstellung der von einer Disziplinarverfügung betroffenen Beamten, die auch Altfälle erfasst. Es ließe sich nicht mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtung in Einklang bringen, in zeitgleich entschiedenen Fällen eine Disziplinarverfügung aufrechtzuerhalten, weil sie vor dem 1.1.2005 erlassen worden ist, bei einem im übrigen gleich gelagerten Sachverhalt aber der Maßnahmebeschränkung in § 5 Abs. 2 LDG NRW Geltung zu verschaffen, weil die Verfügung erst nach dem 31.12.2004 erlassen worden ist.

Vgl. zu § 14 BDG: BVerwG, Urteil vom 17.3.2004 - 1 D 23.03 -, BVerwGE 120, 218, zu § 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 2 BDG: BVerwG, Urteil vom 8.9.2004 - 1 D 18.03 -, ZBR 2005, 91. Weil der Ruhestandsbeamte wenige Tage nach der Zustellung der Disziplinarverfügung in den Ruhestand versetzt worden ist, kann die Verfügung im Hinblick auf § 5 Abs. 2 DO NRW nicht aufrechterhalten werden.

Einer Einstellung des Disziplinarverfahrens bedarf es nicht, weil insoweit die Verfügung vom 23.7.2003 Bestand hat.

Ende der Entscheidung

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