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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 03.03.2006
Aktenzeichen: 3 A 2025/04
Rechtsgebiete: BauGB, GKG


Vorschriften:

BauGB § 135 Abs. 5
GKG § 19 Abs. 1 Satz 3 a.F.
1. Eine sachlich unbillige Härte i.S.v. § 135 Abs. 5 BauGB wegen infolge der Erhebung eines Erschließungsbeitrags befürchteter Renditelosigkeit eines gewerblich genutzten Objekts kann allenfalls dann anzunehmen sein, wenn eine längerfristige (über zehn Jahre hinausgehende) Renditelosigkeit und damit gleichsam eine Beseitigung der Privatnützigkeit des Grundeigentums zu besorgen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.6.1979 - 1 BvL 19/76 -, BVerfGE 52, 1, 30; BVerwG, Urteil vom 22.4.1992 - 8 C 50.90 -, DVBl. 1992, 1105).

2. Die in der Hauptsache gegen einen Erschließungsbeitragsbescheid erhobene Anfechtungsklage und der mit einem Hilfsantrag verfolgte Anspruch auf Erlass des Erschließungsbeitrags nach § 135 Abs. 5 BauGB sind prozessual verschiedene Streitgegenstände, die aber wirtschaftlich identisch sind, sodass kostenrechtlich derselbe Gegenstand i.S.v. § 19 Abs. 1 Satz 3 GKG a.F. vorliegt (Anschluss an OVG NRW, Beschluss vom 5.6.2003 - 15 A 1738/03 -, NWVBl. 2003, 435).


Gründe:

Der Antrag hat keinen Erfolg. Das Antragsvorbringen rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht. Es weckt weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), noch weist es besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache auf (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens überwiegende Gründe für die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung im Ergebnis sprechen. Lässt sich im Berufungszulassungsverfahren wegen besonderer Schwierigkeiten eine Prognose über den wahrscheinlichen Ausgang eines Berufungsverfahrens nicht treffen, sind dessen Erfolgsaussichten also offen, ist der Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gegeben.

Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten werden entgegen der Auffassung des Klägers nicht bereits dadurch indiziert, dass das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit nicht gemäß § 6 VwGO auf den Einzelrichter übertragen hat.

Vgl. Beschluss des Senats vom 26. Januar 1999 - 3 B 2861/97 -; Hess. VGH, Beschluss vom 28. Juni 2000 - 8 TZ 439/00 - GewArch 2000, 424.

Im Berufungszulassungsverfahren kommt es darauf an, ob der geltend gemachte Berufungszulassungsgrund aus Sicht des Berufungsgerichts vorliegt. Demzufolge kann aus einer unterbliebenen Einzelrichterübertragung in erster Instanz nichts für das Vorliegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache hergeleitet werden, zumal eine im erstinstanzlichen Verfahren besonders schwierige Rechtssache sich im Hinblick auf die in erster Instanz getroffenen Feststellungen und Würdigungen und die hierdurch erfolgten Klärung tatsächlicher und rechtlicher Fragen für das Berufungsverfahren als nicht mehr in diesem Maße schwierig darstellen kann. Anderes ergibt sich auch nicht aus der von dem Kläger zum Beleg für seine Auffassung herangezogenen Kommentierung, vgl. Eyermann/Happ, VwGO, 11. Aufl., § 124 Rn 19, die sich an dieser Stelle zu der hier erörterten Frage überhaupt nicht verhält und an anderer Stelle, vgl. § 124 Rn 67, sogar ausdrücklich die gegenteilige Position einnimmt.

Das Antragsvorbringen weckt mit den gegen die Erforderlichkeit der Erschließungsanlage vorgebrachten Einwänden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils noch zeigt es insoweit besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf. Die in diesem Zusammenhang seitens des Klägers vorgebrachten Argumente sind bereits in dem angefochtenen Urteil (UA S. 14 ff.) zutreffend behandelt worden, sodass der Senat an dieser Stelle gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO von einer weiteren Begründung absehen kann.

Der Zulassungsantrag hat ferner keinen Erfolg mit dem Hinweis, wegen teilweiser straßenrechtlicher Einziehung der I. Straße stehe ihm ein Kompensationsanspruch nach § 20 Abs. 5 StrWG NRW zu, den der Beklagte mit der Neuanlage der B. Straße als "Ersatzstraße" erfüllt habe, was eine Erschließungsbeitragsforderung gegenüber dem Kläger und anderen kompensationsberechtigten Anliegern ausschließe. Insoweit übersieht der Kläger, dass bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 20 Abs. 5 StrWG NRW nicht vorliegen. Ein Kompensationsanspruch entsteht danach nur, wenn durch die Änderung oder Einziehung einer Straße Zufahrten oder Zugänge zu Grundstücken auf Dauer unterbrochen werden oder ihre Benutzung erheblich erschwert wird. Das ist hier nicht der Fall. Die teilweise Einziehung der I. Straße wirkt sich zwar darauf aus, welche öffentlichen Straßen und Wege des gemeindlichen Straßen- und Wegenetzes benutzt werden können, um zu dem Grundstück des Klägers zu gelangen. Diese neue Wegführung mag der Kläger gegenüber dem vorherigen Zustand auch als nachteilig empfinden. Sie berührt die Zufahrts- oder Zugangsmöglichkeiten von der I. Straße auf das Grundstück des Klägers aber nicht, weil die Straße nicht in Höhe dieses Grundstücks eingezogen worden ist und er sein Grundstück ohne weiteres von der in diesem Teilbereich nach wie vor öffentlichen Straße aus erreichen kann.

Nicht durchdringen kann der Kläger ferner mit seiner Auffassung, bei der abgerechneten B. Straße und der I. Straße (sowie wohl auch der C. Straße) handele es sich nicht um jeweils selbstständige Anbaustraßen, sondern vielmehr um eine einzige Erschließungsanlage. Insoweit genügt das Antragsvorbringen den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht, weil es nicht berücksichtigt, dass das Verwaltungsgericht seine rechtliche Bewertung u.a. auch darauf gestützt hat, dass es sich bei der I. Straße um eine "altvorhandene" Erschließungsanlage handele. Hiervon ausgehend können B. und I. Straße schon deshalb keine gemeinsame Erschließungsanlage darstellen, weil selbst die Verlängerung einer vorhandenen bzw. programmgemäß hergestellten Erschließungsanlage aus Rechtsgründen sogar dann eine neue und selbstständige Erschließungsanlage bildet, wenn die Verhältnisse in der Örtlichkeit sie als eine einzige Erschließungsanlage erscheinen lassen.

Vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht, 7. Aufl., § 12 Rz 15.

Entsprechendes gilt für das Verhältnis von B. und C. Straße, die parallel zueinander verlaufen und nur über die I. Straße miteinander verbunden sind. Nach den im Februar 2004 getroffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts wurde die C. Straße "vor gut 15 Jahren abgerechnet", sodass sie "schon deshalb nicht mehr auf die jetzt vorzunehmende Anlagenbetrachtung einzuwirken" vermag. Auch hierauf geht das Antragsvorbringen nicht ein.

Aus dem vorstehenden Befund, dass B. und I. Straße unterschiedliche Erschließungsanlagen sind, folgt zugleich, dass das Vorbringen des Klägers, die Herstellung der I. Straße ohne Abbindung des Straßenverkehrs an der Eisenbahnbrücke widerspreche dem Bebauungsplan, auf die im angefochtenen Urteil bejahte Beitragspflicht für die B. Straße keinen Einfluss haben kann.

Keinen Erfolg hat der Kläger auch mit dem Einwand, dass die Flächen der Firma G. AG bzw. des Q. -Möbelmarktes in die Verteilung des Erschließungsaufwandes einzubeziehen seien. Die betreffenden Grundstücke werden ausschließlich durch die I. bzw. die C. Straße, an die sie angrenzen, im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB "erschlossen", nicht aber durch B. Straße, zu der auch nicht etwa eine sog. Hinterliegererschließung in Form einer Zuwegung über andere Grundstücke besteht.

Schließlich weckt die Antragsschrift keine ernstlichen Zweifel oder zeigt besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, soweit sie den erstinstanzlichen Hilfsantrag weiter verfolgt, den Beklagten zu verpflichten, den Erschließungsbeitrag wegen unbilliger Härte gemäß § 135 Abs. 5 BauGB zu erlassen. Hierzu verweist der Kläger zunächst darauf, dass sein Grundstück nunmehr von drei öffentlichen Straßen umgeben sei, obgleich eine Straße für die Erschließung ausgereicht hätte. Hieraus könnte sich eine unbillige Härte jedoch nur ergeben, wenn der Kläger von einer dreifachen Beitragslast betroffen wäre.

Vgl. zur Frage der unbilligen Härte bei Mehrfacherschließung Driehaus, a.a.O., § 26 Rz 9.

Das scheidet hier schon deshalb aus, weil die I. Straße nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts eine "altvorhandene" Straße ist, für die eine Erschließungsbeitragspflicht nicht entstehen kann (§ 242 Abs. 1 BauGB).

Fehl geht auch die Annahme des Klägers, eine unbillige Härte liege darin, dass die abgerechnete B. Straße seinem Grundstück keinen Sondervorteil biete, der allein eine Beitragserhebung rechtfertigen könne, und von dem nur ausgegangen werden könne, wenn die Anlage dem Grundstück eine prinzipiell bessere Erschließung als die bereits vorhandene vermittele. Insoweit wird verkannt, dass der die Beitragserhebung rechtfertigende Sondervorteil in dem durch die B. Straße vermittelten Erschlossensein des Grundstücks im Sinne von §§ 131 Abs. 1 Satz 1, 133 Abs. 1 BauGB besteht. Das Grundstück des Klägers ist dieser Straße wegen in erschließungsbeitragsrechtlich relevanter Weise (durch Bebauung oder Gewerbeausübung) nutzbar. Solche Sondervorteile haben die in dem Gewerbegebiet ansässigen Firmen, namentlich die G. AG und der Q. -Möbelmarkt nicht. Ihnen vermittelt die B. Straße ausschließlich die Vorteile, die sich aus ihrer Anbindung an das gemeindliche Straßen- und Wegenetz ergeben.

Schließlich rechtfertigt auch der Hinweis des Klägers, die Erhebung des streitigen Betrages mindere die Rendite des gewerblich genutzten Grundstücks um mehr als vier Prozent, die Zulassung der Berufung nicht. Zu einer sachlich begründeten unbilligen Härte könnte es allenfalls führen, wenn eine längerfristige (über zehn Jahre hinausgehende) Renditelosigkeit und damit gleichsam eine Beseitigung der Privatnützigkeit des Grundeigentums zu besorgen wäre.

Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 12. Juni 1979 - 1 BvL 19/76 - BVerfGE 52, 1, 30 und BVerwG, Urteil vom 22. April 1992 - 8 C 50.90 - , DVBl. 1992, 1105.

Davon kann nach dem Antragsvorbringen keine Rede sein.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens auf §§ 13 Abs. 2, 19 Abs. 1 Sätze 2 und 3, 25 Abs. 2 Satz 2 GKG in der bei Klageerhebung geltenden Fassung i.V.m. § 72 Nr. 1 GKG und § 73 Abs. 1 GKG in der Fassung des Gesetzes vom 12. März 2004 (BGBl. I S. 390). Die Streitwertfestsetzung für das zweitinstanzliche Verfahren folgt aus §§ 13 Abs. 2, 19 Abs. 1 Sätze 2 und 3, 14 Abs. 1 und 3 GKG in der bei Einleitung des Zulassungsverfahrens geltenden Fassung i.V.m. § 72 Nr. 1 GKG und § 73 Abs. 1 GKG in der Fassung des Gesetzes vom 12. März 2004. Für das Verhältnis von Haupt- und Hilfsantrag hat der 15. Senat des beschließenden Gerichts in einer der vorliegenden vergleichbaren Fallkonstellation in dem Beschluss vom 5. Juni 2003 - 15 A 1738/03 - NwVBl. 2003, 435 ausgeführt:

"Im Gegensatz zum Verwaltungsgericht rechnet der Senat den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Befreiung vom Anschlusszwang nicht mit dem in der Hauptsache verfolgten Antrag auf Feststellung, dass das Grundstück dem Anschlusszwang nicht unterliegt, zusammen. Zwar ist für den Streitwert gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 GKG ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch mit dem Hauptanspruch zusammenzurechnen, soweit - wie hier - eine Entscheidung über ihn ergeht. Dies gilt jedoch nach § 19 Abs. 1 Satz 3 GKG nicht, wenn die Ansprüche denselben Gegenstand betreffen. Dann ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend. Diese ursprünglich nur für Klage und Widerklage geltende Regelung wurde durch Art. 1 Abs. 1 Nr. 11 des Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994 (KostRÄndG 1994), BGBl. I S. 1325, auf Haupt- und Hilfsansprüche ausgedehnt. Ausweislich der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs, vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 12/6962, S. 63, wurde mit dem Zusammenrechnungsausschluss bei demselben Gegenstand "die von der Rechtsprechung entwickelte Unterscheidung zwischen dem prozessualen und dem kostenrechtlichen Gegenstandsbegriff übernommen. Nach allgemeiner Auffassung, die auf einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 1964 (NJW 1965, S. 444) beruht, liegen kostenrechtlich nur dann verschiedene Gegenstände vor, wenn die mit der Klage und Widerklage geltend gemachten Ansprüche einander nicht ausschließen, so dass die Zuerkennung des einen Anspruchs nicht notwendigerweise die Aberkennung des anderen Anspruchs zur Folge hat. Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise schließt jedoch nicht aus, dass verschiedene Ansprüche, die denselben Streitgegenstand betreffen, einen unterschiedlichen Wert haben können." Nach diesem kostenrechtlichen Gegenstandsbegriff sind für das Merkmal "desselben Gegenstands" zwei Voraussetzungen erforderlich, nämlich dass die Ansprüche nicht nebeneinander bestehen können und dass sie auf dasselbe Interesse gerichtet sind.

Vgl. LAG Brandenburg, Beschluss vom 1. September 2000 - 6 Ta 70/00 -, juris Nr. KARE600002958; Hartmann/Albers, Kostengesetze, 32. Aufl., § 19 GKG Rn. 9 ff.; Markl/Meyer, Gerichtskostengesetz, 5. Aufl., § 19 Rn. 12.

Diese beiden Voraussetzungen werden auch unter dem Begriff der (rechtlichen oder wirtschaftlichen) Identität zusammengefasst.

BGH, Beschluss vom 29. Januar 1987 - V ZR 136/86 -, MDR 1987, 570; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Januar 2000 - 9 U 212/99 -, MDR 2000, 543; Emde, Folgen der Novellierung des § 19 GKG: Kostenentscheidungen bei Haupt- und Hilfsantrag, MDR 1995, 990; Liebheit, Streitwert nach einer Klageänderung, JuS 2001, 687."

Dem schließt sich der erkennende Senat an. Nach diesen Maßstäben betreffen der Anfechtungsantrag und der hilfsweise geltend gemachte Erlassanspruch denselben Gegenstand: Beide können nicht nebeneinander bestehen, da ein Erlass des Erschließungsbeitrags wegen unbilliger Härte logisch dessen mit dem Anfechtungsantrag geleugnetes Bestehen voraussetzt. Sie sind auf dasselbe Interesse gerichtet, da das Ziel beider Anträge darin besteht, den Erschließungsbeitrag nicht zahlen zu müssen. Es handelt sich zwar prozessual um verschiedene Streitgegenstände, die aber wirtschaftlich identisch sind, sodass kostenrechtlich nur ein Gegenstand vorliegt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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