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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 29.11.2002
Aktenzeichen: 3 A 3531/99
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 4
BauGB § 1 Abs. 5
BauGB § 1 Abs. 6
BauGB § 125 Abs. 2 (F. 1998)
BauGB § 131 Abs. 2 Nr. 2
BauGB § 132 Nr. 4
Eine erschließungsbeitragsrechtliche Tiefenbegrenzung ist im gesamten Innenbereich anzuwenden; ihre Anwendung ist nicht auf "Randgrundstücke" beschränkt, die teils zum Innenbereich und teils zum Außenbereich gehören.
Tatbestand:

Die Klägerin ist Erbbauberechtigte zweier Grundstücke von ca. 7900 m2 bzw. ca. 6200 m2, die jeweils mit mehreren Mehrfamilienhäusern bebaut sind. Das eine Grundstück grenzt mit etwa 17 m an die T-Straße und mit etwa 300 m an den A-Weg, das andere liegt mit etwa 32 m an der T-Straße und mit etwa 190 m am A-Weg. Der Beklagte zog die Klägerin zu Erschließungsbeiträgen für die T-Straße heran, wobei er jeweils nahezu die gesamte Grundstücksfläche der Beitragsberechnung zugrunde legte. Das Begehren der Klägerin, der Beitragsberechnung jeweils nur eine kleine Teilfläche im Eckbereich von T-Straße und A-Weg zugrunde zu legen, hatte weder im Klageverfahren noch im Berufungsverfahren Erfolg.

Gründe:

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist dem VG auch in der Beurteilung zu folgen, dass der Beklagte bei der Bemessung der Erschließungsbeiträge zu Recht nicht nur eine geringe Teilfläche der veranlagten Grundstücke, sondern jeweils nahezu die gesamte Grundstücksfläche (mit Ausnahme der Freiflächen jenseits der letzten Baukörper) zugrunde gelegt hat.

Da die Grundstücke der Klägerin von Bebauung umgeben sind, liegen sie im "zentralen" unbeplanten Bereich i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Angesichts dieser Lage müssten sie von vornherein aus dem Anwendungsbereich der Tiefenbegrenzung auf 30 m (§ 6 Abs. 3 Nr. 2 a) EBS 1988) ausscheiden, falls der Meinung zu folgen wäre, kraft Bundesrechts sei die Anwendung von Tiefenbegrenzungsregelungen auf solche unbeplanten Grundstücke beschränkt, die an den Außenbereich angrenzten bzw. in ihn übergingen.

Vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl., § 17 Rn. 31 ff. (m.w.N. aus der Verwaltungsrechtsprechung).

Dieser Meinung schließt sich der Senat jedoch nicht an, und zwar aus folgenden Erwägungen:

Die Auffassung, die Tiefenbegrenzung sei auf "Randgrundstücke" zu beschränken, hebt vor allem auf einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ab, der darin liege, dass im beplanten Gebiet die volle Grundstücksfläche, im "zentralen" unbeplanten Gebiet jedoch nur eine Grundstücksteilfläche in die Beitragsbemessung Eingang finde, obwohl auch dort die volle Grundstücksfläche baulich nutzbar sei.

Vgl. insbesondere Nds. OVG, Beschluss vom 19.1.1999 - 9 M 3626/98 -, NVwZ-RR 2000, 249, sowie Driehaus, a.a.O., § 17 Rn. 34, 39.

Diese Auffassung dürfte auf einem Missverständnis der Tiefenbegrenzung und der für ihre Bemessung heranzuziehenden Kriterien beruhen, das wahrscheinlich auf das erste zur Tiefenbegrenzung ergangene Urteil des BVerwG (vom 3.6.1971 - IV C 28.70 -, KStZ 1971, 244) zurückgeht; dort wird zur Rechtfertigung der Tiefenbegrenzung die Erwägung angeführt, eine bauliche Nutzung über die Tiefe von 50 m hinaus sei in aller Regel nur unter besonderen Umständen zweckmäßig und möglich. Für die Bemessung der Tiefenbegrenzung ist aber nicht die ortsübliche rückwärtige Grenze der Bebauung, sondern die ortsübliche Tiefe der Baugrundstücke zur Richtschnur zu nehmen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.6.1996 - 3 B 2735/95 -, NVwZ-RR 1997, 66, sowie BayVGH, Urteil vom 26.2.1998 - 6 B 94.3817 -, KStZ 1999, 179; vgl. auch (zum Straßenbaubeitragsrecht) OVG NRW, Urteil vom 30.10.2001 - 15 A 5184/99 -, NWVBl. 2002, 275.

Bei Betrachtung der tatsächlichen Bebauungsverhältnisse in der Masse der Gemeinden, die sich insoweit in den letzten 30 oder 40 Jahren nicht grundlegend geändert haben, tritt als am häufigsten vorkommend und damit für eine Typenbildung geeignet das Grundstück hervor, das mit einem Einfamilienhaus oder mit einem kleinen Mehrfamilienhaus bebaut ist. Bei einer üblichen Tiefe des Vorgartens von ca. 5 bis 10 m und des Hauses von ca. 10 bis 12 m ergibt das eine Bebauungstiefe von ca. 15 bis 20 m; die restliche Tiefe, die bei einer Tiefenbegrenzung von 50 m demnach ca. 30 m ausmacht, entfällt auf die Freiflächen, die bei typisierender Betrachtung im unbeplanten Bereich nicht bebaubar sind. Nichts anderes gilt für die "kleineren" Tiefenbegrenzungen auf 25 m oder (wie im vorliegenden Fall) auf 30 m. Diese "kleineren" Tiefenbegrenzungen zeichnen die im Laufe der letzten Jahrzehnte eingetretene Verkleinerung der Baugrundstücke auf ca. 400 qm (oder weniger) nach, die vor allem durch das Ansteigen der Baulandpreise und die Ausrichtung der Wohnungsbauförderung auf kleinere Baugrundstücke bedingt ist. Ist demnach davon auszugehen, dass eine beispielsweise auf 50 m bemessene Tiefenbegrenzung sich zutreffend nicht an der ortsüblichen Tiefe der Bebauung, sondern der Baugrundstücke im unbeplanten Bereich orientiert hat, so kann von einer unzulässigen Ungleichbehandlung und von einer Missachtung des Vorteilsprinzips durch die Anwendung der Tiefenbegrenzung auch im "zentralen" unbeplanten Bereich keine Rede sein. Das wird an dem Beispiel einer Straßenseite deutlich, an der sämtliche Grundstücke eine Breite von 20 m haben, die allermeisten auch die einheitliche Tiefe von 50 m, einzelne Grundstücke hingegen eine Tiefe von 100 m. Die Beitragsabrechnung nach dem verbreiteten Grundstücksflächen/Geschosszahlmaßstab führt ohne Tiefenbegrenzung dazu, dass die Anlieger der übertiefen Grundstücke jeweils einen doppelt so hohen Beitrag tragen müssen wie ihre Nachbarn, obwohl sich gemäß § 34 BauGB die Nutzung ihrer Grundstücke nach Art und Maß in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen muss, womit ihnen häufig verwehrt ist, "in zweiter Reihe" ein weiteres Wohnhaus zu errichten. Dieser Ungleichbelastung, die unter dem Gesichtspunkt der Abgabengerechtigkeit bedenklich ist, kann zwar nicht durch eine Billigkeitsregelung nach § 135 Abs. 5 BBauG/BauGB, jedoch durch die ortsrechtliche Tiefenbegrenzung gerade auch im "zentralen" unbeplanten Bereich vorgebeugt werden.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 30.7.1976 - IV C 65 und 66.74 -, KStZ 1977, 72, und vom 10.6.1981 - 8 C 20.81 -, NVwZ 1982, 246.

Die Tiefenbegrenzungsregelung des § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 a) EBS 1988 ist demnach vom Beklagten zutreffend auch im vorliegenden Fall für anwendbar gehalten worden.

Die umstrittene Beitragsabrechnung ist aber auch insofern nicht zu beanstanden, als ihr die Annahme zugrunde liegt, die Tiefengrenze sei gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 EBS 1988 bis zum Ende der "übergreifenden Nutzung" (d.h. bis zum Ende der Bebauung) zu verschieben. Das entspricht der revisionsgerichtlichen Rechtsprechung, nach der eine in der Erschließungsbeitragssatzung geregelte Tiefenbegrenzung nicht anwendbar ist, "wenn und soweit ein Grundstück über die Grenze hinaus tatsächlich baulich oder gewerblich genutzt wird".

So BVerwG, Urteil vom 19.2.1982 - 8 C 27.81 -, DVBl 1982, 552.

Hiernach ist die jenseits der Tiefengrenze gelegene, baulich (oder vergleichbar) genutzte Fläche des unbeplanten Grundstücks als erschlossen anzusehen, und zwar unabhängig davon, ob für die "übergreifende Nutzung" tatsächlich die abgerechnete Erschließungsanlage oder aber (wie im vorliegenden Fall) eine andere Erschließungsanlage in Anspruch genommen wird.

Ende der Entscheidung

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