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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 29.09.2005
Aktenzeichen: 3 A 4430/02
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 131 Abs. 1 Satz 1
BauGB § 133 Abs. 1
1. Die Tiefenbegrenzungsregelung einer Erschließungsbeitragssatzung verstößt nicht gegen Bundesrecht (§ 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB), wenn sie sich Geltung für alle Grundstücke im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) beilegt.

2. Die Tiefenbegrenzungsregelung einer Erschließungsbeitragssatzung geht den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Begrenzung der Erschließungswirkung von Anbaustraßen auf Teilflächen "durchlaufender" Grundstücke, die auch im unbeplanten Innenbereich anwendbar sind, nicht vor; ggf. können beide nebeneinander anwendbar sein.

3. Eine Erschließungsbeitragssatzung, die bestimmt, dass ein Grundstück bei über die Tiefengrenze "hinausreichender" Grundstücksnutzung mit seiner Fläche bis zur hinteren Grenze dieser Nutzung bei der Beitragsbemessung berücksichtigt wird, setzt damit nicht voraus, dass eine erschließungsbeitragsrechtlich relevante Nutzung des von der abzurechnenden Anbaustraße aus gesehen vorderen Grundstücksteils vorhanden ist; vielmehr ist das Merkmal des "Hinausreichens" nach Sinn und Zweck der Regelung auf die Erschließungswirkung zu beziehen, die von der abzurechnenden Anbaustraße ausgeht, sich über die Tiefenbegrenzungslinie erstreckt und die jenseits derselben anzutreffende Grundstücksnutzung erfasst.

4. Bei Eigentümeridentität ist ein Hinterliegergrundstück im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossen, wenn es entweder über eine rechtlich unbedenkliche Zufahrt zu der abzurechnenden Anbaustraße verfügt oder das Anlieger- und das Hinterliegergrundstück einheitlich genutzt werden.


Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit eines Nacherhebungsbescheides des Beklagten, mit dem dieser einen weiteren Betrag in Höhe von 6.021,68 € auf den für das Grundstück des Klägers für die Straße I. im Ortsteil O. geschuldeten Erschließungsbeitrag nachgefordert hat.

Das nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans gelegene Grundstück des Klägers erstreckt sich in einer Breite von 20 m von dem O.Weg mit einer Tiefe von etwa 125 m bis zu der Straße I. Es ist mit dem Wohnhaus des Klägers etwa 15 m entfernt vom O.Weg, jedoch mit einem Abstand von ca. 100 m zur Straße I. bebaut. Der Grundstücksbereich hinter dem Wohnhaus wird als Zier- und Nutzgarten genutzt. Wohnhaus und Garten nehmen ungefähr ein Drittel des Gesamtgrundstücks ein. Der Zier- und Nutzgarten ist von dem übrigen Grundstück durch eine ca. 2 Meter hohe Lebensbaumhecke und einen Zaun getrennt, wobei sich unmittelbar hinter dieser Abgrenzung noch eine Holzhütte befindet. Die restliche Grundstücksfläche bis zur Straße I. wird als Wiesengelände genutzt. Zur Straße I. ist es mit einem Metallgitterzaun mit Tor abgegrenzt. Nach Angaben des Klägers wird das Wiesengelände 5 bis 6 Mal im Sommer gemäht oder gelegentlich auch für eine Schafabweidung zur Verfügung gestellt.

Mit Erschließungsbeitragsbescheid vom 13.11.2000 hatte der Beklagte den Kläger bereits zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 12.012,35 DM (= 6.141,82 €) für die Straße I. herangezogen. Hierbei hatte der Beklagte in Anwendung der Tiefenbegrenzungsregelung (§ 6 A (2) b) der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen in der Stadt vom 1.2.1989) das Grundstück lediglich mit einer bis zur Tiefe von 35 m (von der Straße I. aus gesehen) reichenden Teilfläche von 700 Quadratmetern als beitragspflichtig berücksichtigt. Im Anschluss an einen Erschließungsbeitragsrechtsstreit eines anderen Anliegers nahm der Beklagte eine Neuberechnung der Erschließungsbeiträge für die Straße I. vor, wobei er das Grundstück des Klägers bis zur hinteren Grenze der baulichen Nutzung in die Verteilungsflächen einbezog, und erließ gegenüber dem Kläger den mit der vorliegenden Klage angefochtenen Nacherhebungsbescheid.

Das VG wies die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Eine Begrenzung der von der Straße I. ausgehenden Erschließungswirkung bis zur Mitte des Grundstücks des Klägers unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerwG bei sog. spiegelbildlicher Bebaubarkeit eines zwischen zwei Straßen durchlaufenden Grundstücks sei in Ansehung der bebauungsrechtlichen Situation des Grundstücks des Klägers nicht festzustellen. Es fehle an der bebauungsrechtlichen Voraussetzung, dass das Grundstück des Klägers an der Straße I. ebenso wie am O.Weg eindeutig jeweils selbstständig und ungefähr gleichgewichtig bebaubar wäre. Vielmehr bleibe für eine künftige Grundstücksbebauung hinsichtlich ihres Umfangs und ihres Standorts auf dem Grundstück erheblicher Gestaltungsspielraum. So sei nicht nur eine zur Straße I. angeordnete Bebauung denkbar, die als "spiegelbildlich" zu der am O.Weg vorhandenen verstanden werden könnte, sondern auch - und dies durchaus im Einklang mit § 34 Abs. 1 BauGB - eine weitere im mittleren Grundstücksbereich. Auch die Tiefenbegrenzungsregelung in § 6 A (2) b) der Erschließungsbeitragssatzung führe nicht zum Erfolg der Klage. Diese Regelung laute:

"(2) als Grundstücksfläche gilt: b) wenn ein Bebauungsplan nicht besteht oder die erforderlichen Festsetzung nicht enthält: die tatsächliche Grundstücksfläche bis zu einer Tiefe von 35 m von der Erschließungsanlage oder von der der Erschließungsanlage zugewandten Grenze des Grundstücks. Reicht die bauliche oder gewerbliche Nutzung über die Begrenzung hinaus, so ist die Grundstückstiefe maßgebend, die durch die hintere Grenze der Nutzung bestimmt wird."

Die Regelung des Satzes 2 greife nicht ein, weil "die" bauliche Nutzung des Grundstücks nicht über die (in dem vorhergehenden Satz 1 bestimmte) Begrenzung von 35 m Tiefe "hinaus reiche". Damit werde eine bereits vor der Tiefenbegrenzungslinie von 35 m vorhandene und diese überschreitende Nutzung vorausgesetzt. Demgegenüber beginne die vorhandene bauliche Nutzung auf dem Grundstück des Klägers erst deutlich jenseits der erwähnten Tiefenbegrenzung. Satz 1 finde keine Anwendung, weil dessen Regelung das Vorhandensein einer baulichen oder gewerblichen Nutzung verlange, an deren "Übergreifen" Satz 2 anknüpfe.

Die Berufung des Klägers hatte Erfolg.

Gründe:

Die fragliche Teilfläche des klägerischen Grundstücks ist nicht "erschlossen" im Sinne des § 131 Abs.1 Satz 1 BauGB.

Das Grundstück des Klägers liegt vollständig im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB. Dies hat das VG in Übereinstimmung mit den Beteiligten angenommen. Anhaltspunkte für eine gegenteilige Bewertung sind nicht erkennbar.

Auf dieses Grundstück ist die in § 6 A (2) b) EBS geregelte Tiefenbegrenzungsregelung anwendbar. Eine solche Regelung hat Bedeutung nicht nur für diejenigen im unbeplanten Innenbereich gelegenen Grundstücke, die in den Außenbereich übergehen, sondern auch für vollständig im unbeplanten Innenbereich liegende Grundstücke. Hiervon gehen die Beteiligten übereinstimmend aus und dies entspricht auch der Rechtsprechung des erkennenden Senats.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.11.2002 - 3 A 3531/99 -, KStZ 2003, 192.

In diesem Sinne ist der Anwendungsbereich einer satzungsmäßigen Tiefenbegrenzungsregelung nunmehr auch in der Rechtsprechung des BVerwG geklärt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 1.9.2004 - 9 C 15.03 - NVwZ 2004, 1502; vgl. auch Aussprung, DVBl. 2005, 740, 744, der ausdrücklich auf die Klarstellungsfunktion dieser Entscheidung hinweist.

Auch die an dieser Rechtsprechung geäußerte Kritik, vgl. Driehaus, DVBl. 2005, 58; ders., ZMR 2005, 81; Sauthoff, NVwZ 2005, 743; Klausing, NSt-N 2005, 33; Waibl, BayVBl. 2005, 250; vgl. andererseits auch Storost, DVBl. 2005, 1004, und Thielmann, KStZ 2005, 11, gibt dem Senat keinen Anlass, von seiner Auffassung abzurücken, zumal die gegen die Entscheidung des BVerwG vorgebrachten Argumente - jedenfalls in ihrem Kern - bereits im Zeitpunkt dieser Entscheidung bekannt waren, vgl. die vorangegangene Berufungsentscheidung des VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.9.2003 - 2 S 793/03 -, KStZ 2004, 18; ferner Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, seit der 5. Aufl. 1999, § 17 Rz 30 ff., m.w.N., und auch das BVerwG sie sich nicht zu eigen gemacht hat.

Die Tiefenbegrenzungsregelung des § 6 A (2) b) EBS verlangt entgegen der Auffassung des VG nicht, dass zum Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Erschließungsbeitragspflichten eine Bebauung (oder sonstige erschließungsbeitragsrechtlich relevante Nutzung) im Bereich "vor" der Tiefenbegrenzungslinie tatsächlich vorhanden ist. Dies ergibt die Auslegung der fraglichen Bestimmungen der EBS. Auszugehen ist hierbei von § 6 A (2) b) Satz 1 EBS. Diese Vorschrift enthält - für sich betrachtet - nichts, was auf das Erfordernis einer "vor" der Tiefenbegrenzungslinie vorhandenen Bebauung hindeutet. Das ist evident und bedarf keiner weiteren Begründung. Ein anderes Verständnis ergibt sich auch nicht mit Bezug auf § 6 A (2) b) Satz 2 EBS, der "die" über die Tiefenbegrenzungslinie "hinausreichende" bauliche oder gewerbliche Nutzung in den Blick nimmt. Zunächst ist die Verwendung des bestimmten Artikels "die" keineswegs eindeutig in dem Sinne zu verstehen, dass an eine in § 6 A (2) b) Satz 1 EBS vorausgesetzte tatsächlich vorhandene Nutzung angeknüpft werde. Vielmehr kann das "die" auch als schlichter bestimmter Artikel für die "bauliche Nutzung" verstanden werden, wobei sich die Verwendung eines bestimmten anstelle eines unbestimmten Artikels ("eine") dadurch erklärt, dass es in § 6 A (2) b) Satz 2 EBS immer nur um eine zum maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich vorhandene Nutzung geht. Auch das in Satz 2 enthaltene Tatbestandsmerkmal des "Hinausreichens" zwingt nicht zu der Annahme, die Anwendung der Tiefenbegrenzungsregelung erfordere eine vor der Tiefenbegrenzungslinie vorhandene bauliche oder gewerbliche Nutzung. Allerdings legt der Wortlaut bei isolierter Betrachtung eine solche Annahme nahe. Stellt man das Merkmal jedoch in den Regelungszusammenhang der Sätze 1 und 2, so ergibt sich ein anderes Bild: Die Tiefenbegrenzungsregelung des § 6 A (2) b) Satz 1 EBS trägt dem Umstand Rechnung, dass die von einer Anbaustraße ausgehende Erschließungswirkung für (über-) tiefe Grundstücke beschränkt ist und stellt insoweit im Verhältnis zu dem Grundsatz des Erschließungsbeitragsrechts, dass von einer Anbaustraße die gesamte Fläche eines angrenzenden Grundstücks erschlossen wird, eine Ausnahme dar. Zu dieser steht die Regelung des § 6 A (2) b) Satz 2 EBS im Verhältnis einer Unterausnahme, die die Anwendung der Tiefenbegrenzungsregelung zwar nicht schlechthin ausschließt, aber doch dergestalt modifiziert, dass die Erschließungswirkung über die Tiefenbegrenzungslinie hinausgeht, wenn und soweit "die" bauliche (oder gewerbliche) Nutzung über die Tiefenbegrenzungslinie "hinausreicht". In diesem Umfang wird durch Satz 2 der Regelung der Grundsatz, dass die gesamte Grundstücksfläche erschlossen wird, wieder hergestellt. Hieraus folgt, dass Satz 2 nicht die Wirkung haben kann, für die Anwendbarkeit der Tiefenbegrenzungsregelung nach Satz 1 zusätzliche Anforderungen (Tatbestandsmerkmale) aufzustellen. Für diese Sichtweise spricht auch, dass § 6 A (2) b) Satz 1 EBS eine eher abstrakte, nicht auf Umstände des Einzelfalls abhebende Regelung trifft, während § 6 A (2) b) Satz 2 EBS die konkreten Nutzungsverhältnisse eines beitragspflichtigen Grundstücks in den Blick nimmt.

Dieses Verständnis entspricht zudem Sinn und Zweck der Regelung des § 6 A (2) b) Satz 2 EBS. Eine satzungsmäßige Tiefenbegrenzungsregelung dient dazu, nach den in der jeweiligen Gemeinde anzutreffenden örtlichen Verhältnissen typisierend festzulegen, bis zu welcher Grundstückstiefe ein im unbeplanten Innenbereich gelegenes Grundstück regelmäßig erschlossen wird. Maßstab hierfür ist die durchschnittliche Größe der in der Gemeinde im unbeplanten Innenbereich anzutreffenden Baugrundstücke.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.11.2002 - 3 A 3531/99 - KStZ 2003, 192.

Diese Feststellung zu treffen ist Inhalt des § 6 A (2) b) Satz 1 EBS.

Eine Begrenzung der Erschließungswirkung ist allerdings dann nicht anzunehmen, wenn die örtlichen Verhältnisse im Einzelfall für eine über die Tiefenbegrenzungslinie hinausreichende Erschließungswirkung streiten. In diesem Fall ist erst die mit dem Ende der erschließungsbeitragsrechtlich relevanten Nutzung deutlich werdende Grenze der Erschließungswirkung maßgebend für die Frage, bis zu welcher Tiefe ein Grundstück von einer angrenzenden Anbaustraße erschlossen ist. Diesem Zusammenhang Rechnung zu tragen bezweckt die Regelung des § 6 A (2) b) Satz 2 EBS. Demzufolge ist die in Satz 2 gewählte Formulierung "bauliche oder gewerbliche Nutzung" quasi als Synonym für den Begriff "Erschließungswirkung" anzusehen. Daraus erhellt sich, dass es für den Anwendungsbereich des § 6 A (2) b) Satz 2 EBS nach Sinn und Zweck der Regelung keine Rolle spielt, ob und ggf. auf welche Weise das Grundstück bei Entstehung der sachlichen Beitragspflichten auch "vor" der Tiefenbegrenzungslinie tatsächlich baulich oder gewerblich genutzt wird.

Dieses Ergebnis wird zudem gestützt durch den Grundsatz der Normerhaltung, der gebietet, eine Norm zunächst gesetzes- und verfassungskonform auszulegen, ehe eine Auslegung in Betracht gezogen wird, die zur Nichtigkeit der Norm wegen Widerspruchs zu höherrangigem Recht führt.

Vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 9.8.1978 - 2 BvR 831/76 -, BVerfGE 49, 148.

Das VG hat zutreffend dargelegt, dass seine Auslegung der Satzungsbestimmungen mit dem Grundsatz abgabenrechtlicher Gleichbehandlung von unbebauten (zu ergänzen ist: oder ausschließlich jenseits der Tiefenbegrenzungslinie bebauten) und innerhalb der Tiefenbegrenzung bebauten Grundstücken unvereinbar ist. Ein einleuchtender Grund für eine derartige unterschiedliche Behandlung dieser Grundstücksgruppen ist nicht erkennbar. Die Auslegung durch das VG führt mithin zu einer willkürlichen Veranlagung und damit einhergehend zu einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz mit der Folge der Unwirksamkeit der satzungsmäßigen Tiefenbegrenzungsregelung. Die vom Senat befürwortete Auslegung vermeidet demgegenüber derartige Wertungswidersprüche und den Konflikt mit dem Gleichheitssatz; ihr ist auch deshalb der Vorzug zu geben.

Wenngleich somit die Tiefenbegrenzungsregelung nach § 6 A (2) b) Satz 2 EBS keine beiderseits der Tiefenbegrenzungslinie vorhandene bauliche (oder gewerbliche) Nutzung verlangt, setzt die Anwendung dieser Vorschrift wegen des bereits dargestellten Regelungszusammenhangs voraus, dass zwischen den vor und hinter der Tiefenbegrenzungslinie liegenden Grundstücksteilen ein Zusammenhang besteht, der durch das Merkmal "hinausreichen über" beschrieben wird und der die Annahme rechtfertigt, dass die von der abzurechnenden Anbaustraße herrührende Erschließungswirkung nicht an der Tiefenbegrenzungslinie endet. Dies ist ausschließlich dann der Fall, wenn der "vordere" Grundstücksteil etwas für die Erschließung des "hinteren" Grundstücksteils hergibt dergestalt, dass sich die von der abzurechnenden Anbaustraße ausgehende Erschließungswirkung über den vorderen Grundstücksteil auf den hinteren erstreckt. Die Feststellung dieses Tatbestandes bereitet im Regelfall eines jenseits der Tiefenbegrenzungslinie bebauten oder in anderer Weise erschließungsbeitragsrechtlich relevant genutzten Grundstücks keine Schwierigkeiten. Hier kann ohne weiteres mit Blick auf die vorhandene Nutzung die Reichweite der von der Anbaustraße ausgehenden Erschließungswirkung festgestellt werden, nämlich bis zum Ende dieser Nutzung. Dies gilt vom Ansatz her auch unabhängig davon, ob das Grundstück von nur einer oder mehreren Anbaustraßen erschlossen wird. Zur Rechtfertigung einer Erstreckung der Erschließungswirkung auf Bereiche jenseits der satzungsmäßigen Tiefenbegrenzungslinie kann in Fällen der Mehrfacherschließung auf den Grundsatz verwiesen werden, dass die Erschließung durch die jeweils andere Anbaustraße "hinwegzudenken" ist. Das satzungsmäßige Merkmal des "Hinausreichens über" schließt allerdings - im Einklang mit dem Erschlossensein im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB - solche "hinter" der satzungsmäßigen Tiefenbegrenzungslinie vorhandenen erschließungsbeitragsrechtlich relevanten Nutzungen aus, bei denen ausnahmsweise festzustellen ist, dass die Erschließungswirkung der betreffenden Anbaustraße sich nicht mehr auf den von ihnen erfassten Grundstücksteil erstreckt. Ein solche Konstellation kann (insbesondere bei einer Mehrfacherschließung) etwa dann vorliegen, wenn die auf dem Grundstück vorhandene beitragsrelevante Nutzung von der abzurechnenden Anbaustraße durch auf demselben Grundstück befindliche topografische Besonderheiten (etwa einen Berg oder eine Schlucht) vollständig abgegrenzt ist, so dass augenfällig ist, dass die abgerechnete Anbaustraße (und der hieran angrenzende "vordere" Grundstücksteil) für die beitragsrelevante Nutzung auf dem "hinteren" Grundstücksteil nichts hergeben. Das ist überdies anzunehmen bei zwischen zwei Anbaustraßen "durchlaufenden" Grundstücken, bei denen die von der jeweiligen Anbaustraße ausgehende Erschließungswirkung nach Maßgabe der Rechtsprechung des BVerwG "erkennbar eindeutig" begrenzt ist und die erschließungsbeitragsrelevante Nutzung jenseits dieser Grenze erfolgt. Auch in einem solchen Fall besteht offenkundig kein Zusammenhang mehr zwischen den von jeweils einer der Anbaustraßen erschlossenen Flächen und den hierauf ausgeübten Grundstücksnutzungen und der jeweils von der anderen Anbaustraße ausgehenden Erschließungswirkung.

Dieser Sichtweise steht nicht entgegen, dass für die Anwendung der in der Rechtsprechung des BVerwG entwickelten Grundsätze zum "durchlaufenden Grundstück" in den Fallgestaltungen kein Raum sei, in denen eine satzungsmäßige Tiefenbegrenzungsregelung bereits einer Begrenzung der von der jeweiligen Anbaustraße ausgehenden Erschließungswirkung Rechnung trägt. Zum einen bietet - wie gezeigt - die in die Erschließungsbeitragssatzung aufgenommene Tiefenbegrenzungsregelung mit ihrem Merkmal des "Hinausreichens über" hinreichend Anlass für eine Anwendung der Grundsätze zum "durchlaufenden Grundstück", so dass insoweit ein sich wechselseitig ausschließendes Konkurrenzverhältnis zwischen beiden nach der Satzungslage gerade nicht besteht. Zum anderen handelt es sich bei der Tiefenbegrenzung einerseits als auch den Grundsätzen zum "durchlaufenden Grundstück" andererseits jeweils um Beschränkungen der Erschließungswirkung, die unterschiedliche Fallkonstellationen regeln, nicht zwangsläufig zusammentreffen, aber im vorliegenden Fall beide einschlägig sind. Die Annahme eines Vorrangs, der nirgendwo normativ festgelegt ist, wäre demzufolge in der Sache nicht gerechtfertigt. Namentlich ergibt sich ein Vorrang der Tiefenbegrenzung nicht aus dem Umstand, dass der Satzungsgeber diese ausdrücklich in die Erschließungsbeitragssatzung aufgenommen hat. Enthielte diese nämlich eine entsprechende Regelung nicht - was ebenfalls mit § 131 BauGB in Einklang stünde -, müsste für übertiefe Grundstücke in jedem Einzelfall die Reichweite der von der jeweiligen Anbaustraße ausgehenden Erschließungswirkung festgestellt werden. Die Tiefenbegrenzung durch Satzungsregelung bewirkt mithin lediglich eine Vereinfachung der Verwaltungspraxis durch Pauschalierung.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.6.1981 - 8 C 20.81 -, BVerwGE 62, 308.

Für einen Vorrang gegenüber anderweitigen Begrenzungen der Erschließungswirkung spricht danach nichts.

Das Grundstück des Klägers ist ein "durchlaufendes Grundstück" in dem durch die Rechtsprechung des BVerwG geprägten Sinne.

Das BVerwG hat darauf erkannt, dass die von einer Anbaustraße ausgehende Erschließungswirkung beschränkt sein kann im Falle der Mehrfacherschließung eines Grundstücks, wenn sich die Erschließungswirkung "erkennbar eindeutig" nur auf eine Teilfläche des Grundstücks erstreckt. Dies sei nicht allein deshalb anzunehmen, weil ein Grundstück zwischen zwei parallel verlaufenden Anbaustraßen "durchläuft", denn auch ein solches Grundstück werde grundsätzlich mit seiner gesamten Fläche von jeder der beiden Anbaustraßen erschlossen. Eine Ausnahme hiervon sei aber dann geboten, wenn das "durchlaufende" Grundstück an jeder der Anbaustraßen selbstständig und ungefähr gleichgewichtig - sozusagen "spiegelbildlich" - bebaubar sei, so dass sich der Eindruck aufdränge, dass es sich planerisch um zwei völlig unabhängige Grundstücke handele und sich deshalb die Erschließungswirkung "erkennbar eindeutig" nur auf eine Teilfläche des Grundstücks erstrecke. Sofern in einem solchen Fall für eine andere Aufteilung des Grundstücks keine Anhaltspunkte vorlägen, erstrecke sich die Erschließungswirkung regelmäßig bis zu einer angenommenen, in der Mitte des Grundstücks verlaufenden Teilungsgrenze.

Diese Rechtsfigur hat das BVerwG zunächst nur für im Geltungsbereich eines Bebauungsplans gelegene Grundstücke entwickelt.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 27.6.1985 - 8 C 30.84 -, BVerwGE 71, 363, und vom 3.2.1989 - 8 C 78.88 -, DVBl. 1989, 675.

Später hat es diese Rechtsprechung auch auf im unbeplanten Innenbereich gelegen Grundstücke übertragen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 22.4.1994 - 8 C 18.92 -, Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 91, und vom 26.11.2003 - 9 C 2.03 -, NVwZ 2004, 187.

Eine Begrenzung der Erschließungswirkung nach den vorstehenden Grundsätzen kommt jedoch dann nicht in Betracht, wenn der von der Anbaustraße abgewandte Grundstücksteil - wäre er ein eigenes (Buch-) Grundstück - als Hinterliegergrundstück (bei Eigentümeridentität) in Anspruch genommen werden müsste.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.2.1989 - 8 C 78.88 -, a.a.O.

Eine Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt zu der Erkenntnis, dass das auf dem Grundstück des Klägers bei Entstehung der sachlichen Beitragspflichten vorhandene Wohnhaus am O.Weg nicht dazu führt, dass die Tiefenbegrenzungslinie gemäß § 6 A (2) b) Satz 2 EBS bis "hinter" das Wohnhaus - von der Straße I. aus gesehen - zu verschieben ist. Die Eigentümer der übrigen Grundstücke können nicht schutzwürdig erwarten, dass das Grundstück des Klägers auch noch mit der zum O.Weg hin orientierten Teilfläche in die Verteilung des Erschließungsaufwands einbezogen wird.

Vgl. zu diesem Gesichtspunkt im vorstehenden Zusammenhang BVerwG, Urteil vom 27.6.1985 - 8 C 30.84 -, a.a.O.

Die Möglichkeit, das Grundstück des Klägers in seinem an der Straße I. gelegenen Teil mit einem der Umgebungsbebauung entsprechenden Wohnhaus zu bebauen, das sich zugleich als Spiegelbild der vorhandenen Bebauung am O.Weg darstellte, kann nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen bebauungsrechtlich als unproblematisch eingeschätzt werden. Hiervon sind augenscheinlich auch das VG und die Beteiligten ausgegangen. Es bestehen jedoch entgegen der Annahme des VG keine derartigen Gestaltungsfreiräume in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung und die überbaubaren Grundstücksflächen, dass eine Anwendung der Rechtsprechung zum "durchlaufenden Grundstück" ausgeschlossen sein könnte.

Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 26.11.2003 - 9 C 2.03 -, a.a.O.

Insbesondere besteht nicht die Möglichkeit, anstelle einer Straßenrandbebauung an der Straße I. im Hinterland zu bauen. Hierfür wäre die Größe des Grundstücks, käme es allein hierauf an, allerdings ausreichend. Eine weitere bauliche Ausnutzbarkeit des Grundstücks des Klägers im Hinterland würde hier jedoch an § 34 BauGB scheitern. Danach muss sich das Vorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung in die Umgebungsbebauung "einfügen". Ein Vorhaben fügt sich in seine Umgebung ein, wenn es in Bezug auf die gesetzlich formulierten Kriterien dem aus seiner Umgebung herleitbaren Rahmen entspricht. Von diesem Grundsatz werden zwei Ausnahmen gemacht: Trotz Einhaltens des Rahmens fügt sich ein Vorhaben nicht ein, wenn es an der gebotenen Rücksichtnahme vor allem mit Blick auf die unmittelbar angrenzende Bebauung fehlen lässt (dieser Gesichtspunkt spielt hier keine Rolle). Umgekehrt fügt sich ein Vorhaben aber auch dann ein, wenn es zwar dem Rahmen nicht entspricht, aber weder selbst noch in Folge seiner nicht auszuschließenden negativen Vorbildwirkung geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen auszulösen, die mit den Mitteln des Bauplanungsrechts bewältigt werden müssten.

Vgl. Hofherr, in Berliner Kommentar zum BauGB, § 34 Rz 20, m.w.N.

Eine nur im Wege der Bauleitplanung auffangbare Beeinträchtigung kommt dabei in Betracht, wenn bei einer Hinterlandbebauung eine vorhandene Ruhelage gestört wird, was von den jeweiligen konkreten örtlichen Gegebenheiten abhängt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.3.1999 - 4 B 15.99 -, BauR 2000, 245.

Ausgehend hiervon ist es auszuschließen, dass auf dem Grundstück des Klägers eine Hinterlandbebauung auf der Grundlage der zum Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten bestehenden bebauungsrechtlichen Situation (§ 34 BauGB) realisiert werden konnte. Entscheidend ist insoweit, in welchem Umfang die den Maßstab bildenden umliegenden Grundstücke eine rückwärtige Bebauung aufweisen, wobei Nebengebäude i.S.v. § 14 BauNVO unberücksichtigt bleiben. Dabei ist unerheblich, dass vorhandene (straßenseitig ausgerichtete) Gebäude aus einem bestimmten Blickwinkel den optischen Eindruck einer Bebauung in zweiter Reihe vermitteln können. Allein maßgeblich ist vielmehr, ob es sich bei der vorhandenen, den Rahmen bildenden Bebauung tatsächlich um eine Hinterlandbebauung handelt.

Vgl. Hofherr, a.a.O., § 34 Rz 38 m.w.N.

Vorliegend ist die Bebauung der näheren Umgebung gekennzeichnet ausschließlich durch eine Straßenrandbebauung sowohl am O.Weg als an der Straße I. Für eine Bebauung der z.T. sehr großen Gärten gibt es keine Vorbilder. Als solches muss auch das Gebäude auf dem Grundstück O.Weg 10 ausscheiden. Dieses Gebäude ist ungeachtet des sich vom Grundstück des Klägers aus bietenden Eindrucks als Hinterlandbebauung straßennah am O.Weg ausgerichtet. Eine Hinterlandbebauung auf dem klägerischen Grundstück entspräche demzufolge nicht dem aus der näheren Umgebung herleitbaren Rahmen. Sie wäre auch nicht ausnahmsweise unter dem Blickwinkel zulässig, dass durch sie oder ihre nicht auszuschließende Vorbildwirkung keine bodenrechtlich relevanten Spannungen ausgelöst würden. Das Gegenteil wäre der Fall. Wäre erst einmal ein Gebäude im Hinterland vorhanden, würde man dem nächsten Bauwilligen die Realisierung eines vergleichbaren Vorhabens schwerlich verwehren können. Spätestens dann stellten sich nur noch mit den Mitteln des Bauplanungsrechts zu bewältigende Fragen einer geordneten städtebaulichen Entwicklung, der wegemäßigen und sonstigen Erschließung, der Bewältigung des zu erwartenden Kraftfahrzeugverkehrs und des Ausgleichs weiterer nachbarlicher Interessen.

Ist demzufolge allein eine zur Straße I. ausgerichtete weitere Bebauung des klägerischen Grundstücks zulässig, so hat dies auch Auswirkungen auf das Maß der dort zulässigen baulichen Nutzung. Es ist kein Grund ersichtlich, aus dem diese Bebauung nennenswert von der an der Straße bereits vorhandenen Bebauung abweichen können sollte. Da aber diese Bebauung derjenigen am O.Weg entspricht, stellt sich die auf dem klägerischen Grundstück an der Straße I. zulässige Bebauung als derjenigen am O.Weg gleichwertig, mithin als "Spiegelbild" dieser Bebauung dar.

Es kann in Bezug auf den mit dem Wohnhaus des Klägers bebauten Grundstücksteil auch keine Rede davon sein, dass die Voraussetzungen erfüllt wären, bei deren Vorliegen das Erschlossensein im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB eines Hinterliegergrundstücks anzunehmen wäre.

Vgl. allgemein hierzu BVerwG, Urteil vom 3.2.1989 - 8 C 78.88 -, a.a.O.

Insoweit kommt es darauf an, ob die übrigen Anlieger die Einbeziehung des Hinterliegergrundstücks in die Verteilung des Erschließungsaufwandes schutzwürdig erwarten können. Das ist der Fall, wenn die tatsächlichen Verhältnisse den übrigen Beitragspflichtigen den Eindruck vermitteln, es könne mit einer erschließungsbeitragsrechtlich (noch) relevanten Wahrscheinlichkeit typischerweise mit einer Inanspruchnahme der Anbaustraße (auch) durch das Hinterliegergrundstück gerechnet werden, die dessen Belastung mit einem Erschließungsbeitrag rechtfertigt. Das ist (bei Eigentümeridentität) anzunehmen, wenn entweder das Hinterliegergrundstück über eine rechtlich unbedenkliche Zufahrt zur abzurechnenden Anbaustraße verfügt oder das Anlieger- und das Hinterliegergrundstück einheitlich genutzt werden.

Vgl. z.B. BVerwG, Urteile vom 30.5.1997 - 8 C 27.96 -, Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 105, und vom 15.1.1988 - 8 C 111.86 -, BVerwGE 79, 1; a.A. Driehaus, § 17 Rz 78 f.: bei Eigentümeridentität sei das Hinterliegergrundstück regelmäßig erschlossen, auf eine schutzwürdige Erwartung der übrigen Grundstückseigentümer komme es nicht an; ebenso Nds. OVG, Beschluss vom 13.6.2000 - 9 M 1349/00 -, NdsVBl. 2001, 18, zum nds. Kommunalabgabenrecht.

Eine rechtlich unbedenkliche Zufahrt ist hier nicht vorhanden. Die Grundstücksteile werden auch nicht einheitlich genutzt. Vielmehr sind sie deutlich voneinander abgegrenzt durch eine Lebensbaumhecke und werden als Wiesengelände bzw. Haus- und Gartengrundstück genutzt.

Hiervon ausgehend ist die von der Straße I. ausgehende Erschließungswirkung für das Grundstück des Klägers unter dem Blickwinkel des "durchlaufenden Grundstücks" beschränkt. Es bedarf keiner Entscheidung, bis zu welcher Grundstückstiefe die Erschließungswirkung besteht, obgleich eine Grenzziehung an der Lebensbaumhecke nahe liegend erscheint. Die von der Straße I. ausgehende Erschließungswirkung reicht jedenfalls aber nicht bis zur Bebauung des Grundstücks mit dem Wohnhaus des Klägers. Damit aber fehlt es am Merkmal des "Hinausreichens über" im Sinne von § 6 A (2) b) Satz 2 EBS. Das führt dazu, dass die Tiefenbegrenzungsregelung des § 6 A (2) b) Satz 1 EBS Anwendung findet und Grundstücksflächen jenseits einer Tiefe von 35 m bei der Berechnung des Erschließungsbeitrags für die Straße I. außer Ansatz bleiben.

Ende der Entscheidung

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