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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 23.11.2009
Aktenzeichen: 4 A 3724/06
Rechtsgebiete: GewO, VwVG NRW, ZPO


Vorschriften:

GewO § 12
GewO § 35 Abs. 1
VwVG NRW § 63 Abs. 2
ZPO § 240
Das gegen eine Gewerbeuntersagung, Einstellungsaufforderung und Zwangsgeldandrohung gerichtete verwaltungsgerichtliche Verfahren wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht unterbrochen.
Tatbestand:

Der Beklagte untersagte dem Kläger die Ausübung seines Gewerbes, die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie alle anderen Gewerbe. Gleichzeitig forderte er ihn auf, das in X. betriebene Gewerbe spätestens vierzehn Tage nach Bestandskraft der Ordnungsverfügung einzustellen. Für den Fall der nicht fristgerechten Einstellung drohte er ihm ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500 Euro an. Die dagegen erhobene Klage wies das VG ab. Während des Verfahrens auf Zulassung der Berufung wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Das OVG lehnte den Zulassungsantrag ab.

Gründe:

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.

Der Senat kann über den Antrag entscheiden, weil das Verfahren nicht gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen ist. Zwar ist während des Verfahrens auf Zulassung der Berufung das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet worden, das verwaltungsgerichtliche Verfahren betrifft aber nicht die Insolvenzmasse.

Die in der Ordnungsverfügung enthaltene und auf § 35 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GewO gestützte Gewerbeuntersagung bezieht sich lediglich auf die berufliche Betätigung des Klägers (Schuldners) und die in seiner Person liegenden Unzuverlässigkeitsgründe.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.1.2006 - 6 C 21.05 -, GewArch 2006, 387, und Urteil vom 13.12.2006 - 6 C 17.06 -, GewArch 2007, 247, jeweils unter Hinweis auf Hess. VGH, Urteil vom 21.11.2002 - 8 UE 3195/01 -, GewArch 2004, 162.

Das gleiche gilt für die Aufforderung, das Gewerbe einzustellen. Diese Maßnahme konkretisiert lediglich die Gewerbeuntersagung in Bezug auf das ausgeübte Gewerbe und verhält sich damit ebenfalls (nur) zur beruflichen Betätigung des Schuldners.

Auch die Androhung eines Zwangsgeldes betrifft nicht die Insolvenzmasse (§§ 35, 36 InsO). Es geht nicht um einen Vermögensgegenstand, der rechtlich zur Insolvenzmasse gehören kann.

Zum Begriff der Insolvenzmasse vgl. BGH, Beschluss vom 22.6.2004 - X ZB 40/02 -, MDR 2004, 1251.

Die Zwangsgeldandrohung ist zwar Voraussetzung für eine nachfolgende Zwangsgeldfestsetzung, aufgrund derer dann auf das Vermögen des Schuldners Zugriff genommen werden soll; allein der Umstand, dass der Zugriff ein mehrstufiges Verwaltungsverfahren voraussetzt, führt aber nicht - gleichsam automatisch - dazu, dass alle dafür erforderlichen Regelungen auch das Vermögen des Schuldners betreffen. Dies zeigt gerade das Beispiel der Gewerbeuntersagung, die als Grundverfügung für die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen unerlässlich ist, aber dennoch nicht die Insolvenzmasse betrifft.

Entscheidend ist, dass bei Erlass einer Zwangsgeldandrohung, die in der Praxis regelmäßig mit der Grundverfügung verbunden wird (vgl. § 63 Abs. 2 VwVG NRW), ungewiss ist, ob es überhaupt zu einer Fortführung des Vollstreckungsverfahrens und damit zu einem Zugriff auf das Vermögen des Schuldners kommen wird. Denn zu diesem Zeitpunkt ist noch offen, ob der Schuldner seiner Verpflichtung - hier der Aufforderung zur Betriebseinstellung - fristgerecht nachkommt. Geschieht dies, hat es damit sein Bewenden, ohne dass das Schuldnervermögen überhaupt in den Blick genommen wird. Der Androhung kommt also in erster Linie eine Warnfunktion zu. Sie soll den Schuldner anhalten, seine - nicht die Insolvenzmasse betreffende - Verpflichtung zur Einstellung des Gewerbes zu erfüllen.

Zur Warnfunktion vgl. Sadler, VwVG/VwZG, 4. Aufl. 2006, § 13 VwVG Rdn. 1, unter Hinweis auf OVG Bbg., Beschluss vom 19.10.2001 - 4 B 299/01 -, GewArch 2002, 28.

Aus § 12 GewO lässt sich für eine Unterbrechung des Verfahrens nichts herleiten. Es kann offen bleiben, ob dessen Voraussetzungen erfüllt sind und deshalb die Vorschriften u. a. über die Gewerbeuntersagung "keine Anwendung finden". Denn § 12 GewO hat, wie schon seine Einfügung in die Gewerbeordnung verdeutlicht, ausschließlich materiell-rechtliche Bedeutung. Eine entsprechende Anwendung des § 240 ZPO in den Fällen, in denen die Vorschriften über die Gewerbeuntersagung gemäß § 12 GewO keine Anwendung finden, scheidet ebenfalls aus. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Unvollständigkeit, die Voraussetzung für eine regelungsbedürftige Gesetzeslücke und damit für eine analoge Anwendung des § 240 ZPO wäre. Dem Gesetzgeber war das Rechtsinstitut der "Unterbrechung" bekannt. Wenn er in § 12 GewO für bestimmte Fallkonstellationen die "Nichtanwendung" materiell-rechtlicher Regelungen postuliert, ohne in prozessualer Hinsicht Konsequenzen zu ziehen, lässt das nur den Schluss zu, dass eine Unterbrechung des Verfahrens nicht gewollt war. Unabhängig davon müsste eine entsprechende Anwendung des § 240 ZPO aber auch daran scheitern, dass dieser Regelung eine mit § 12 GewO nicht vergleichbare Interessenlage zu Grunde liegt. § 240 ZPO setzt voraus, dass das Verfahren die Insolvenzmasse betrifft. Das ist bei der Gewerbeuntersagung - wie ausgeführt - aber gerade nicht der Fall. Demgemäß geht auch die weit überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass in den von § 12 GewO erfassten Fällen eine Unterbrechung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht eintritt.

Hahn, GewArch 2000, 361, 363; Klement, KTS 2006, 454, 461 f.; Heß, in: Friauf, GewO, § 12 Rn. 14 f. (Stand: März 2009); Tettinger/Wank, GewO, 7. Aufl. 2004, § 12 Rn. 12; Hoffman, in: Pielow, GewO, 2009, § 12 Rn. 72; Brüning, ebenda, § 35 Rn. 6; Hess.VGH, Urteil vom 21.11.2002 - 8 UE 3195/01 -, GewArch 2004, 162 = NVwZ 2003, 626; VG Gießen, Urteil vom 4.10.2005 - 8 E 2110/04 -, ZIP 2005, 2074; VG Chemnitz, Beschluss vom 27.8.2003 - 8 K 510/02 -, GewArch 2003, 484; anderer Ansicht: Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO, § 12, Rn. 15 (Stand: Mai 2008), Blank, EWiR 2003, 1033, 1034.

Ein Grund für die Zulassung der Berufung liegt nicht vor (wird ausgeführt).

Ende der Entscheidung

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