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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 13.09.2004
Aktenzeichen: 4 A 772/98
Rechtsgebiete: Rundfunkstaatsvertrag


Vorschriften:

Rundfunkstaatsvertrag § 2 Abs. 1 Satz 1
Zur Rundfunkeigenschaft von sog. Ladenfunk.
Tatbestand:

Die Klägerin betreibt Lebensmittelgeschäfte. Auf Grund eines Vertrages mit der Firma L empfängt sie in ihren Filialen sogenannten Ladenfunk, der in den Märkten über eine Lautsprecheranlage hörbar gemacht wird. Der "Ladenfunk" besteht aus Werbebeiträgen, die auf das Warenangebot in dem jeweiligen Geschäft abgestimmt sind, sowie Musik und umfasste jedenfalls zunächst auch Horoskope und Wetterberichte. Die von der Firma L für ihre jeweiligen Kunden produzierten Programme werden mittels eines digitalen Distributionssystems über einen Fernmeldesatelliten ausgestrahlt, wobei eine "punktgenau" differenzierte Zuordnung zu den einzelnen Geschäften durch elektronische Adressen erfolgt. Die Programme sind auf Grund der Kodierung nur von dem jeweils bestimmten Empfangsgerät reproduzierbar, das die Firma L ihren Kunden zur Verfügung stellt und das den Empfang anderer Sendungen nicht ermöglicht.

Der Beklagte zog die Klägerin zu Rundfunkgebühren für ein Hörfunkgerät in der Filiale in F heran. Das VG wies die dagegen gerichtete Klage nach erfolglosem Widerspruchsverfahren ab. Auf die Berufung der Klägerin hob das OVG den Gebührenbescheid auf.

Gründe:

(...) Nach Art. 4 (Rundfunkgebührenstaatsvertrag) § 2 Abs. 2 Satz 1 des Staatsvertrages über den Rundfunk im vereinten Deutschland (StV) vom 31.8.1991 (GV. NRW. S. 408) in Verbindung mit dem Gesetz über die Zustimmung zu diesem Staatsvertrag vom 14.11.1991 (GV. NRW. S. 408) - hier anzuwenden in der Fassung des Zweiten Staatsvertrages zur Änderung des Rundfunkstaatsvertrages, dem der Landtag mit Gesetz vom 21.11.1995 zugestimmt hat (GV. NRW. S. 1196) - hat jeder Rundfunkteilnehmer für jedes von ihm zum Empfang bereit gehaltene Rundfunkempfangsgerät eine Grundgebühr zu entrichten. Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin in ihrer Filiale in F nicht.

Gemäß Art. 4 (Rundfunkgebührenstaatsvertrag) § 1 Abs. 1 Satz 1 StV sind Rundfunkempfangsgeräte im Sinne des Staatsvertrages Einrichtungen, die zur drahtlosen oder drahtgebundenen, nicht zeitversetzten Hör- oder Sehbarmachung oder Aufzeichnung von Rundfunkdarbietungen (Hörfunk und Fernsehen) geeignet sind. Das von der Klägerin zum Empfang des Programms der Firma L bereit gehaltene Gerät ist kein derartiges Rundfunkempfangsgerät; denn der damit allein zu empfangende Ladenfunk ist keine Rundfunkdarbietung i.S.d. des Staatsvertrages.

Rundfunk ist gemäß Art. 1 (Rundfunkstaatsvertrag) § 2 Abs. 1 Satz 1 StV die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters. Der Begriff schließt Darbietungen ein, die verschlüsselt verbreitet werden oder gegen besonderes Entgelt empfangbar sind, sowie Fernsehtext (vgl. auch die entsprechenden Bestimmungen des (früheren) RundfunkG NRW - § 2 Abs. 1 - bzw. des LMG NRW - § 3 Abs. 1 Nr. 1 -).

Dabei kann dahin stehen, ob es sich bei dem Ladenfunk um eine Darbietung im vorgenannten Sinne handelt, das Programm also für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung bestimmt sowie geeignet und deshalb von publizistischer Relevanz ist.

Vgl. etwa Ricker/Schiwy, Rundfunkverfassungsrecht, München 1997, S. 67 f.

Denn der Ladenfunk ist jedenfalls nicht im Sinne von Art. 1 (Rundfunkstaatsvertrag) § 2 Abs. 1 Satz 1 StV für die Allgemeinheit bestimmt (1.); ferner fehlt es zugleich an einer rundfunktechnischen Verbreitung (2.), die der Rundfunkbegriff des Staatsvertrages - wie dargetan - ebenfalls voraussetzt.

1. Entgegen der Auffassung des VG bezieht sich der Begriff "Allgemeinheit" im Sinne des Staatsvertrages nicht auf den Hörerkreis, sondern auf den Kreis der Empfänger. "Rundfunk" bedeutet schon seinem Wortlaut nach ein "Rundum"-Funken, also eine Übermittlung nicht gezielt an bestimmte Empfänger wie etwa beim Richtfunk, sondern flächendeckend im Verbreitungsbereich an eine verstreute unbestimmte und beliebige Vielzahl von Empfängern.

Vgl. etwa Herrmann, Fernsehen und Hörfunk in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 43, 46; Berendes, Die Staatsaufsicht über den Rundfunk, 1973, S. 36 f.; Ricker/Schiwy, a.a.O., S. 62, m.w.N. aus der Lit.; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 24. 9.1976 - 15 A 1090/74 -, DÖV 1978, 519, wo (kumulativ) die Allgemeinheit der Empfangsmöglichkeit und der Programmadressierung verlangt wird.

Rundfunk ist maßgeblich dadurch gekennzeichnet, dass sich die "Allgemeinheit" die Programminhalte gleichsam durch Knopfdruck, nämlich "durch Ein- und Ausschalten", so BVerfG, Beschluss vom 24.3.1987 - 1 BvR 147, 478/86 -, BVerfGE 74, 297, 352, verfügbar machen kann. Der mit dem Begriff "Allgemeinheit" in Bezug genommene Personenkreis ist also die Gruppe der (potenziellen) Besitzer von Rundfunkempfangsgeräten im Verbreitungsgebiet eines Rundfunksenders. Die für eine beliebige Vielzahl von Personen bestehende Möglichkeit, die Programmdarbietungen mittels dieser Geräte an verschiedenen Orten im Verbreitungsgebiet des jeweiligen Senders zu empfangen, bestimmt auch in wesentlicher Hinsicht die besondere Bedeutung des Rundfunks als Massenkommunikationsmittel. Dies wird bestätigt durch den systematischen Bezug der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Rundfunkfreiheit zu der in Satz 1 der Vorschrift u.a. geschützten Informationsfreiheit. Mit der letztgenannten Norm wird der Zugang zu den Massenmedien als "allgemein zugänglichen Quellen" gewährleistet; dieser allgemeine Zugang besteht beim Rundfunk in der für eine beliebige Vielzahl von Personen bestehenden Empfangsmöglichkeit.

Vgl. Ricker/Schiwy, a.a.O., S. 65 f., m.w.N.

Nach diesen Grundsätzen richtet sich der in Streit stehende "Ladenfunk" deshalb nicht an eine "Allgemeinheit" i.S.v. Art. 1 (Rundfunkstaatsvertrag) § 2 Abs. 1 Satz 1 StV, weil er nur von den jeweiligen Vertragspartnern der Firma L mittels eines "punktgenau" angesteuerten Empfangsgerätes empfangen werden kann und weder die einzelnen Vertragspartner noch die Gruppe der Vertragspartner eine "Allgemeinheit" im vorbezeichneten Sinne bilden. Die anschließende Hörbarmachung des Programms für die Besucher der Filialen durch den Einsatz von Lautsprechern ist keine rundfunktechnische Darbietung, weil diese Übertragung nicht durch elektrische Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters im Sinne von Art. 1 (Rundfunkstaatsvertrag) § 2 Abs. 1 Satz 1 StV, sondern durch Schallwellen erfolgt. Insoweit liegen die Verhältnisse bei dem hier in Rede stehenden Ladenfunk grundsätzlich anders als bei dem vom Beklagten angesprochenen Rundfunk in "Einrichtungen", der (nunmehr) in Art. 1 (Rundfunkstaatsvertrag) § 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StV (in der vorliegend maßgeblichen Fassung: § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) in Bezug genommen ist. Die damit angesprochenen Sachverhalte, etwa Hotel- oder Krankenhausfunk, vgl. zu letzterem auch OVG NRW, Urteil vom 24.9.1976 - 15 A 1090/74 -, a.a.O., sind dadurch gekennzeichnet, dass die Übertragung innerhalb der Einrichtung an den Adressaten anders als beim Ladenfunk nicht akustisch, sondern mittels elektrischer Schwingungen erfolgt, die erst mit Hilfe der etwa in den einzelnen Hotel- oder Krankenhauszimmern befindlichen Empfangsvorrichtungen in akustische Signale umgesetzt werden. Der Einrichtungsbesucher/-insasse ist in diesen Fällen Empfänger, der sich das Programm anders als der Ladenkunde "durch Ein- und Ausschalten" - wie oben vorausgesetzt - verfügbar machen kann. Insoweit kann der Hinweis des Beklagten auf die genannten Bestimmungen des Staatsvertrages über Rundfunk in Einrichtungen nicht durchgreifen.

Vgl. allerdings Hartstein/Ring/Kreile/ Dörr/ Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Stand: 4/2000, B5 § 2 RStV Rdn. 16.

Zusammenfassend formuliert handelt es sich bei der Übermittlung des Ladenfunks der Firma L an seine Vertragspartner um Individualkommunikation (und deshalb nicht um Rundfunk) und bei der Weitergabe der Programminhalte an die Marktbesucher zwar möglicherweise um Massenkommunikation, aber eben nicht im Wege des Rundfunks, weil sie nicht den technischen Anforderungen des im Staatsvertrag formulierten Rundfunkbegriffs entspricht.

A.A. zur Ausstrahlung von über das Telefonnetz übermittelten Text- und Bildtafeln in Supermärkten: VG des Saarlandes, Urteil vom 18.4.1995 - 1 K 297/92 -, ZUM 1995, S. 642; vgl. dazu auch Kresse/Heinze, Rundfunk im Supermarkt?, ZUM 1995, 608, sowie Müller-Using/Dammermann, Kritik an dem Urteil des VG des Saarlandes, ZUM 1995, 611.

2. Ebenso wenig wie sich der Ladenfunk demnach an eine Allgemeinheit im Sinne von Art. 1 (Rundfunkstaatsvertrag) § 2 Abs. 1 Satz 1 StV richtet, wird er im Sinne dieser Bestimmung "verbreitet". Auch der Inhalt dieses Merkmals erschließt sich aus der dargelegten Wortlautbedeutung des Begriffs "Rundfunk" und der besonderen Rolle des Rundfunks als Massenkommunikationsmittel, wie sie oben aufgezeigt worden ist. Eine Verbreitung im hier maßgeblichen Sinne umfasst also nicht die "punktgenaue" Übertragung zu einzelnen Empfangsstationen, wie sie vorliegend erfolgt, sondern setzt voraus, dass das Programm sendetechnisch in einem größeren Umfeld für eine Vielzahl von Empfangsgeräten zur Verfügung steht.

Vgl. Ricker/Schiwy, a.a.O., S. 68 ff.

Auch diese Voraussetzung erfüllt der Ladenfunk nicht.

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