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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 11.11.2002
Aktenzeichen: 5 A 4177/00
Rechtsgebiete: StVZO, OBG NRW, PolG NRW, VwVG NRW, KostO NRW


Vorschriften:

StVZO § 27 Abs. 3 Satz 1
OBG NRW § 14 Abs. 1
OBG NRW § 17
OBG NRW § 24 Nr. 13
PolG NRW § 43 Nr. 1
PolG NRW § 46 Abs. 3
VwVG NRW § 55 Abs. 2
VwVG NRW § 57 Abs. 1 Nr. 1
VwVG NRW § 59
VwVG NRW § 77
KostO NRW § 11 Abs. 2 Nr. 1
KostO NRW § 11 Abs. 2 Nr. 7
KostO NRW § 11 Abs. 2 Nr. 8
Ein Fahrzeugveräußerer, der seiner aus § 27 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 StVZO ableitbaren Pflicht zuwiderhandelt, sich über Namen und Anschrift des Fahrzeugerwerbers zu vergewissern, kann ordnungsrechtlich als Verursacher in Anspruch genommen werden, wenn das Fahrzeug nachfolgend verkehrswidrig im öffentlichen Straßenraum abgestellt wird.
Tatbestand:

Der Beklagte nahm den Kläger auf Erstattung von Kosten für das Abschleppen und die Verwahrung eines im öffentlichen Straßenraum verkehrswidrig abgestellten PKW in Anspruch, dessen Halter der Kläger gewesen war. Dieser hatte das Fahrzeug nach einem Verkehrsunfall vorübergehend stilllegen lassen. Seinen Angaben zufolge hatte seine Ehefrau es anschließend in seinem Namen zum Ausschlachten verkauft, ohne Namen und Anschrift des Käufers zu erfragen.

Der Widerspruch des Klägers gegen den Heranziehungsbescheid und seine nachfolgende Klage vor dem VG hatten keinen Erfolg; die vom OVG zugelassene Berufung wurde zurückgewiesen.

Gründe:

Der Bescheid hat seine Grundlage in § 77 VwVG NRW und § 11 Abs. 2 Nrn. 1, 7 und 8 KostO NRW i.V.m. § 24 Nr. 13 OBG NRW, §§ 43 Nr. 1, 46 Abs. 3 PolG NRW bzw. § 14 Abs. 1 OBG NRW, §§ 55 Abs. 2, 57 Abs. 1 Nr. 1, 59 VwVG NRW. Hiernach hat der Ordnungspflichtige die aus der Sicherstellung oder Ersatzvornahme erwachsenen Kosten zu erstatten.

1. ...

2. Der Beklagte war auch berechtigt, den Kläger als Kostenpflichtigen in Anspruch zu nehmen, denn dieser war für die durch das Abstellen des Pkw im öffentlichen Straßenraum eingetretene Gefahr gemäß § 17 OBG NRW verantwortlich.

a) Die Verhaltensverantwortlichkeit nach der genannten Vorschrift trifft denjenigen, dessen Verhalten die Gefahrengrenze überschritten und damit die unmittelbare Ursache für den Eintritt der Gefahr gesetzt hat.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.3.1993 - 5 A 496/92 -, NJW 1993, 2698; Beschluss vom 14.6.2000 - 5 A 95/00 -, NWVBl. 2001, 142; Drews/Wacke/Vogel/ Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., S. 313.

Das setzt zunächst voraus, dass das Verhalten, an das die Verantwortlichkeit anknüpft, überhaupt eine Ursache für den Eintritt der Gefahrenlage bildet; es darf nicht hinweg gedacht werden können, ohne dass die Gefahr entfiele.

Vgl. Sächs. OVG; Urteil vom 20.5.1996 - 3 S 342/95 -, NJW 1997, 2253, 2254; Hess. VGH, Urteil vom 18.5.1999 - 11 UE 343/98 -, NJW 1999, 3650, 3652; Hamb. OVG, Beschluss vom 18.2.2000 - 3 Bf 670/98 -, NJW 2000, 2600, 2601; Drews/Wacke/ Vogel/Martens, a.a.O., S. 311.

Die Kausalität ist eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung für die ordnungsbehördliche Inanspruchnahme als Verhaltensverantwortlicher. Hinzutreten muss als zusätzliches, qualifizierendes Merkmal die Unmittelbarkeit der Verursachung. Anhand dieses Kriteriums sind aus der Vielzahl ursächlicher Verhaltensweisen eingrenzend diejenigen zu ermitteln, die bei wertender Betrachtungsweise eine polizei- bzw. ordnungsrechtliche Zurechnung rechtfertigen. Entsteht eine Gefahr durch mehrere zeitlich gestaffelte Verhaltensbeiträge verschiedener Personen, so ist nicht notwendigerweise allein derjenige Verantwortlicher, der - wie der das Fahrzeug abstellende Fahrer - die zeitlich letzte Bedingung gesetzt hat. Auch ein in einem früheren Stadium Beteiligter kommt als Verantwortlicher in Betracht, wenn er durch sein Verhalten die Grenze zur konkreten Gefahr überschritten hat.

Vgl. Hamb. OVG, a.a.O., S. 2601; Drews/Wacke/ Vogel/Martens, a.a.O., S. 314 f.

Kennzeichnend für diese als Zweckveranlassung bezeichnete Fallgestaltung ist das Bestehen eines so engen Wirkungs- und Verantwortungszusammenhangs zwischen der zurückliegenden und der letzten Ursache, dass diese durch jene veranlasst erscheint und Veranlassung und (Gefahren-)Erfolg als Einheit gewertet werden müssen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7.3.1996 - 20 A 657/95 -, NWVBl. 1997, 388, 389.

b) Das Verhalten des Klägers genügt den genannten Anforderungen. Zwar trifft das nicht für die Veräußerung des Pkw als solche zu, die für dessen verkehrswidriges Abstellen lediglich kausal geworden ist, ohne es zurechenbar veranlasst zu haben. Anknüpfungspunkte für die Verantwortlichkeit des Klägers ist jedoch das ihm zuzurechnende Verhalten seiner Ehefrau, das darin liegt, dass sie bei der Fahrzeugveräußerung als seine Vertreterin nicht der aus § 27 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 StVZO ableitbaren Pflicht nachgekommen ist, sich über Namen und Anschrift des Fahrzeugerwerbers zu vergewissern. Nach der erwähnten Vorschrift hat der Veräußerer eines Fahrzeugs unverzüglich der Zulassungsbehörde Namen und Anschrift des Erwerbers mitzuteilen. Die Erfüllung der Meldepflicht setzt voraus, dass der Veräußerer sich selbst entsprechende Kenntnis verschafft. Demgemäß erstreckt sich die gesetzliche Verpflichtung über die Meldung als solche hinaus auch auf die vorausgehende Ermittlung der meldepflichtigen Angaben.

Insoweit zutreffend: Hess. VGH, a.a.O., S. 3651.

Dass der Kläger dieser Pflicht trotz vorübergehender Abmeldung seines Wagens und dessen Veräußerung zum Zwecke des "Ausschlachtens" unterlag, hat das VG in dem angefochtenen Urteil, auf das auch insoweit Bezug genommen wird, zutreffend ausgeführt.

Vgl. unter diesem Gesichtspunkt auch: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.1.1996 - 5 S 2104/95 -, DÖV 1996, 1055 f.

Mit dem Verstoß gegen § 27 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 StVZO hat der Kläger den verkehrsrechtswidrigen Zustand, gegen den der Beklagte eingeschritten ist, unmittelbar verursacht.

aa) Sein Verhalten war kausal für den Gefahreneintritt. Die Missachtung der Meldepflicht als solche erschwert allerdings nur die Ermittlung des Fahrzeugerwerbers und seine Inanspruchnahme als Verhaltensverantwortlicher, während nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Entschluss des zuletzt handelnden Fahrzeugführers, das Fahrzeug illegal im öffentlichen Straßenraum abzustellen, hierdurch beeinflusst wird.

So zutreffend: Hamb. OVG, a.a.O., S. 2601; Hess. VGH, a.a.O., S. 3652; Sächs. OVG, a.a.O., S. 2254.

Denn der Erwerber wird vom Unterbleiben der Mitteilung an die Straßenverkehrsbehörde in der Regel gar nichts erfahren. Demgegenüber hängt die Willensentschließung eines Erwerbers, der sich des Fahrzeugs verkehrswidrig unter Vermeidung der Entsorgungskosten wieder entledigen möchte, sehr wohl davon ab, ob der Veräußerer sich Namen und Anschrift des Erwerbers hat mitteilen und belegen lassen. Hat der Erwerber die betreffenden Daten offenbart, so muss ihm klar sein, dass die zuständigen Behörden von ihnen Kenntnis erhalten und ihn für sein Handeln belangen. Die Annahme, ein Erwerber würde sich gleichwohl hierdurch nicht abhalten lassen, den Wagen verkehrswidrig abzustellen, widerspräche aller Lebenserfahrung. Der Pflichtverstoß des Klägers kann demgemäß nicht hinweg gedacht werden, ohne dass der (Gefahren-)Erfolg entfiele.

Vgl. Hamb. OVG, a.a.O., S. 2601; VG Bremen, Urteil vom 12.1.2000 - 5 K 2059/99 -, NVwZ-RR 2000, 593.

bb) Der Verursachungsbeitrag des Klägers genügt auch dem Unmittelbarkeitserfordernis. Obgleich der Kläger nicht die letzte Ursache für die Gefahr gesetzt hat, wegen deren Beseitigung der Beklagte ihn auf Kostenersatz in Anspruch nimmt, ist bereits durch sein Verhalten die Gefahrengrenze überschritten worden. Das ihm zuzurechnende Verhalten seiner Ehefrau hat nämlich eine besondere, die Zurechnung rechtfertigende Risikolage geschaffen. Wie vorstehend ausgeführt, ist es dem Erwerber durch dieses Verhalten ermöglicht worden, sich des Fahrzeugs rechtswidrig zu entledigen, ohne deswegen seine Inanspruchnahme als Verhaltensverantwortlicher befürchten zu müssen. Das Risiko, dass es zu einem illegalen Entledigungsakt kommt, ist jedenfalls bei Fahrzeugen, die im Hinblick auf ihren schlechten Erhaltungszustand vorübergehend abgemeldet worden sind, als hoch einzuschätzen. Angesichts dessen besteht zwischen dem Verhalten des Klägers und dem späteren Abstellen des Fahrzeugs ein so enger Wirkungs- und Verantwortungszusammenhang, dass das spätere Verhalten durch ersteres veranlasst erscheint. Eine Zurechnung der Gefahr zu dem Verhalten des Fahrzeugveräußerers ist in einer derartigen Konstellation bei wertender Betrachtung umso mehr geboten, als der Letztverursacher in aller Regel unerkannt bleibt und deshalb entgegen der Zielsetzung des § 27 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 StVZO nicht in Anspruch genommen werden kann.

Vgl. zu Sinn und Zweck dieser Bestimmung: VGH Bad.-Württ., a.a.O., S. 1056.

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