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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 13.12.2007
Aktenzeichen: 6 A 1521/05
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Aus den Richtlinien für die Beurteilung und Beförderung der Beamtinnen und Beamten der Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15.9.2000 ergibt sich, dass das Gesamturteil vor der Entscheidung über die Zuerkennung der Aufstiegseignung für den höheren Dienst und mithin hiervon unabhängig abgegeben werden soll.

Die das Ergebnis einer dienstlichen Beurteilung tragenden tatsächlichen Feststellungen haben den gesamten Zeitraum abzudecken, auf den sich die dienstliche Beurteilung bezieht. Dies ist nicht gewährleistet, wenn wesentliche Verfahrensschritte des Beurteilungsverfahrens in einem erheblichen zeitlichen Abstand vor Ende des Beurteilungszeitraums vorgenommen werden.


Tatbestand:

Der Kläger wurde als Steueroberamtsrat zum Stichtag 31.12.2000 für die Zeit vom 1.1.1998 bis zum 31.12.2000 dienstlich beurteilt. In Vorbereitung der in den Beurteilungsrichtlinien vorgesehenen Gremienbesprechungen hatte der Beurteiler eine Rangliste der zu beurteilenden Steueroberamtsräte erstellt und für den Kläger die Spitzennote vorgesehen. Außerdem sollte dem Kläger die Aufstiegseignung zuerkannt werden. In der Gruppenbesprechung der Dienststellenleiter wiesen Vertreter der Oberfinanzdirektion darauf hin, dass aufgrund von Richtsätzen die Zahl der möglichen Aufstiegsbeamten zu verringern sei. In der dienstlichen Beurteilung vom 3.1.2001 wurde dem Kläger infolgedessen weder die Aufstiegseignung noch die Spitzennote zuerkannt. Hiergegen erhob der Kläger erfolgreich Klage. Die Berufung des beklagten Landes wurde zurückgewiesen.

Gründe:

Die dienstliche Beurteilung vom 3.1.2001 ist rechtswidrig, weil über das Gesamturteil und die Aufstiegseignung des Klägers nicht entsprechend den Vorgaben der Richtlinien für die Beurteilung und Beförderung der Beamtinnen und Beamten der Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15.9.2000 (BuBR 2000) entschieden worden ist. Aus diesen ergibt sich nämlich, dass das Gesamturteil vor der Entscheidung über die Zuerkennung der Aufstiegseignung für den höheren Dienst und mithin hiervon unabhängig abgegeben werden soll. Bei der Erstellung der Beurteilung des Klägers wurde hingegen in der Gruppenbesprechung der Dienststellenleiter am 14.1.2000 in Umkehrung dieser Vorgabe zunächst beschlossen, dem Kläger nicht die Aufstiegseignung zuzuerkennen und als Konsequenz dieser Entscheidung das Gesamturteil "über Durchschnitt" gebildet.

Ob nach den insoweit nicht eindeutigen Beurteilungs-/Beförderungsrichtlinien 2000 in das Gesamturteil - wie das VG angenommen hat - prinzipiell lediglich die Beurteilung der Leistung und Befähigung des Beamten, nicht aber Eignungsgesichtspunkte einfließen dürfen, bedarf keiner Klärung. Jedenfalls lässt sich im Streitfall die Entscheidung über das Gesamturteil und über die Zuerkennung der Aufstiegseignung nicht mit der von den Beurteilungs-/Beförderungsrichtlinien 2000 vorausgesetzten gedanklichen Reihenfolge der Entscheidungsfindung in Einklang bringen. Die Nrn. 7.2 und 8.1 BuBR 2000 sehen vor, dass Beförderungs- und Aufstiegseignung in Abhängigkeit vom Gesamturteil festgestellt werden, indem sie deren Zuerkennung an bestimmte im Gesamturteil vergebene Notenstufen anbinden. Nr. 8.1 Satz 1 BuBR 2000 geht zwar im Grundsatz von einer selbständigen Prüfung der für die Aufstiegseignung maßgeblichen Gesichtspunkte aus. Nach Nr. 8.1 Satz 2 BuBR 2000 ist allerdings den Beamten der BesGr. A 12 und A 13 die Aufstiegseignung zuzuerkennen, die mit der jeweiligen Spitzennote (A 12: hervorragend, A 13: erheblich über Durchschnitt) beurteilt werden und die eine dieser Spitzennoten bei der vorhergehenden Beurteilung, die mindestens zwei Jahre zurückliegen muss, bereits erhalten haben. Dabei handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, vgl. auch Schnellenbach, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, Loseblatt, Stand: 22. Ergänzungslieferung (August 2007), Teil B, Rdnrn. 178, 397a, die denknotwendig voraussetzt, dass zunächst ein Gesamturteil gebildet wird, auf dessen Grundlage über die Zuerkennung der Aufstiegseignung entschieden wird.

Die Beurteilungs-/Beförderungsrichtlinien 2000 und die von ihnen vorausgesetzte gedankliche Reihenfolge der Entscheidungsfindung tragen damit dem Umstand Rechnung, dass Leistungs- und Befähigungsgesamturteil einerseits und Eignungsurteil andererseits in einem natürlichen "Nähe- und Entsprechungsverhältnis" stehen, vgl. OLG Hamm - Dienstgerichtshof für Richter -, Urteil vom 20.8.1984 - 1 DGH 7/83 -, DRiZ 1985, 138, und die Eignungsbewertung ihre Grundlage in den in der Vergangenheit gezeigten Leistungen bzw. dort offenbarten Stärken und Schwächen findet. Deren Beurteilung bildet - anders ausgedrückt - die Basis für die Prognose, die mit der Eignungsbeurteilung anzustellen ist.

Vgl. auch Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 6. Auflage, Rdnr. 79 (S. 62).

Nicht überzeugend ist dagegen die im Berufungsverfahren vertretene Auffassung des beklagten Landes, es bleibe auch in dem Fall der Nr. 8.1 Satz 2 BuBR 2000 ein Entscheidungsspielraum erhalten. Anders ergäbe die besondere Verpflichtung zur Zuerkennung der Aufstiegseignung bei Vorliegen eines bestimmten Gesamturteils im Gegensatz zur Einräumung einer Prüfungskompetenz in Nr. 8.1 Satz 1 BuBR 2000 keinen Sinn. Die differenziert ausgestaltete Regelung der Nr. 7 BuBR 2000 zeigt im Übrigen, dass der Richtliniengeber die Ausdrücke "ist" und "kann" im geläufigen Sinne verwendet. Im ersteren Fall ist die Rechtsfolge verbindlich vorgesehen, während im letzteren Fall Entscheidungsfreiheit eingeräumt wird. Aus welchem Grund im Rahmen von Nr. 8.1 BuBR 2000 etwas anderes gelten sollte, erschließt sich nicht.

Ebenfalls nicht durchgreifen kann die Argumentation des beklagten Landes, die Aufstiegseignung müsse gerade deshalb im entscheidungserheblichem Umfang bereits bei der Ermittlung des Gesamturteils berücksichtigt werden, weil ihre Zuerkennung an die Vergabe der Spitzennote gekoppelt sei. Diese Sichtweise findet in den Beurteilungs-/Beförderungsrichtlinien 2000 keine Stütze. Sie verkehrt vielmehr die in Nr. 8.1 BuBR 2000 vorgesehene gedankliche Reihenfolge in ihr Gegenteil. Auch der Umstand, dass Nr. 8 der Hinweise zur Anwendung der Beurteilungs-/Beförderungsrichtlinien 2000 bei Zuerkennung der Aufstiegseignung eine besondere Begründungspflicht vorsieht, in deren Rahmen zu dem Vorliegen bestimmter Merkmale Stellung zu nehmen ist, stützt die Auffassung des beklagten Landes nicht. Der Hinweis unterstellt, dass die genannten Merkmale bei Beamten vorliegen, die die Voraussetzungen der Nr. 8.1 Satz 2 BuBR 2000 erfüllen.

Das weitere Argument des beklagten Landes, eine voneinander unabhängige Vergabe von Gesamturteil und Aufstiegseignung habe wegen Nr. 8.1 Satz 2 BuBR 2000 zur Konsequenz, dass die begrenzten Plätze zum Aufstieg in den höheren Dienst ohne eine Bestenauslese bezogen auf die Eignung der Beamten besetzt würden, trägt nicht. Die Zuerkennung der Aufstiegseignung hat nicht zugleich die Beförderung des Beamten zur Folge. Es wird lediglich eine Voraussetzung für die Beförderung fixiert, nicht aber das Ergebnis einer späteren Entscheidung über die Vergabe eines Beförderungsamtes vorweggenommen.

Darüber hinaus führt die Vorgehensweise des beklagten Landes, nach der zunächst geklärt wird, ob die Aufstiegseignung zuzuerkennen ist und mit Blick darauf über das Gesamturteil entschieden wird, zu einer Missachtung des anzuwendenden Beurteilungsmaßstabes. Aufgabe der dienstlichen Beurteilung ist es, die fachliche Leistung des Beamten in Bezug auf das innegehabte Statusamt und im Vergleich zu den amtsgleichen Beamten seiner Laufbahn darzustellen.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 20.11.2002 - 6 A 5645/00 -, DÖD 2003, 139, und vom 19.12.1991 - 12 A 1169/89 -.

Diesem aus dem Prinzip der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG) abgeleiteten Grundsatz trägt eine dienstliche Beurteilung nicht Rechnung, deren Gesamturteil entscheidend von Überlegungen beeinflusst wird, die sich nicht am innegehabten Amt, sondern sich vorrangig an dem Anforderungsprofil eines höheren Amtes orientieren.

Gegen die Vorgabe der Beurteilungs-/Beförderungsrichtlinien 2000, zunächst ein Gesamturteil zu bilden und auf dessen Grundlage über die Zuerkennung der Aufstiegseignung zu entscheiden, ist im Fall des Klägers verstoßen worden. (wird ausgeführt)

Die dienstliche Beurteilung des Klägers ist unabhängig von diesen Erwägungen auch deshalb rechtswidrig, weil der Beurteiler den durch Nrn. 3.1, 22 BuBR 2000 vorgegebenen und in der Beurteilung dementsprechend ausgewiesenen Beurteilungszeitraum nicht ausgeschöpft hat.

Eine Regelbeurteilung hat sich grundsätzlich zu Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung des Beurteilten während des gesamten Beurteilungszeitraums umfassend zu äußern. Diesem Gebot trägt die angefochtene dienstliche Beurteilung formal Rechnung, indem sie den sich aus den Beurteilungsrichtlinien ergebenden Beurteilungszeitraum (1.1.1998 bis 31.12.2000) ausweist. Zwar dürfte es auch Anliegen des Beurteilers gewesen sein, eine Aussage zu Eignung, Befähigung und Leistung des Klägers für den gesamten oben genannten Beurteilungszeitraum zu machen. Diesem Anliegen genügt die Beurteilung jedoch nicht, weil die ihr zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen nicht den gesamten Zeitraum erfassen. Vielmehr führte die zeitliche Gestaltung des Beurteilungsverfahrens zum Entstehen einer unzulässigen (verdeckten) Beurteilungslücke.

Werden Beurteilungszeiträume und Beurteilungsstichtage vorgegeben, dient dies vorrangig dazu, Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit der zu erstellenden dienstlichen Beurteilungen herzustellen. Dies soll gewährleisten, dass die Beurteilung für alle Beamten gleichmäßig die zu beurteilenden Merkmale nicht nur punktuell, sondern in ihrer zeitlichen Entwicklung unabhängig von einer konkreten Verwendungsentscheidung erfasst.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 18.6.2001 - 2 C 41.00 -, NVwZ-RR 2002, 201, und vom 26.8.1991 - 2 C 37.91 -, DVBl. 1994, 112.

Stichtagsregelungen dienen daneben der Vermeidung von in der Regel unzulässigen Beurteilungslücken, weil sie im Grundsatz eine kontinuierliche Folge von Regelbeurteilungen vorsehen. Zeiträume, in denen die Leistungen des Beamten keiner Beurteilung unterzogen werden, werden auf diese Weise vermieden oder zumindest auf zulässige Einzelfälle begrenzt. Diesem Anliegen tragen Stichtagsregelungen aber nur dann in effizienter Weise Rechung, wenn sichergestellt ist, dass die das Ergebnis einer dienstlichen Beurteilung tragenden tatsächlichen Feststellungen den gesamten Zeitraum abdecken, auf den sich die dienstliche Beurteilung bezieht. Das ist indessen nicht der Fall, wenn wesentliche Verfahrensschritte des Beurteilungsverfahrens in einem erheblichen zeitlichen Abstand vor Ende des Beurteilungszeitraums vorgenommen werden und eine Berücksichtigung der im gesamten Beurteilungszeitraum gezeigten Leistungen infolgedessen nicht gewährleistet ist. Eine solche Verfahrensweise führt zwar nicht zu einer offenkundigen, jedoch zu einer ebenfalls unzulässigen verdeckten Beurteilungslücke. Denn die Aussage der dienstlichen Regelbeurteilung bezieht sich objektiv auf einen Beurteilungszeitraum, der tatsächlich nicht ausschöpft wird. Eine solche Beurteilung ist fehlerhaft.

Vgl. hierzu bereits OVG NRW, Urteil vom 15.5.1995 - 1 A 2881/91 -, DÖD 1997, 43.

Die angegriffene dienstliche Beurteilung des Klägers leidet an einem solchen Mangel. Nach Nr. 3.1 BuBR 2000 umfasst der Beurteilungszeitraum (grundsätzlich) drei Jahre, wobei als Stichtag für den Kläger der 31.12.2000 festgelegt war (Nr. 22 BuBR 2000). Die der Beurteilung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen deckten jedoch nur den Zeitraum vom 1.1.1998 bis zu dem Termin der Besprechung der Sachgebietsleiter am 5.9.2000 ab. Der anschließende Zeitraum hat keinen Niederschlag in der dienstlichen Beurteilung des Klägers gefunden.

Der Beurteiler LRD Dr. M. hatte nach Durchführung der Besprechung der Sachgebietsleiter einen Beurteilungsplan erstellt, dessen Spitzenplatz der Kläger einnahm. Dieser Bewertung lag der Zeitraum bis zum 5.9.2000 zugrunde. Es ist nicht ersichtlich, dass anlässlich der Gruppenbesprechung der Dienststellenleiter am 14.11.2000 oder zu einem späteren Zeitpunkt weitere tatsächliche Feststellungen in die Beurteilung des Klägers Eingang gefunden haben. Die Gruppenbesprechung dient schon ausweislich der Beurteilungsrichtlinien nicht der Aktualisierung der durch die Dienststellenleiter gemachten Beobachtungen des Leistungs- und sonstigen dienstlichen Verhaltens der Beamten. Nach Nr. 4.4.3 BuBR 2000 soll sie zu einer weiteren Objektivierung des Beurteilungsverfahrens führen und dem Gebot der Anwendung einheitlicher Beurteilungsmaßstäbe bei den verschiedenen Dienststellen durch Vergleich der zu Beurteilenden und gemeinsame Erörterung insbesondere von Fragen der Leistungsbewertung Rechnung tragen. Danach ist es (nur) Sinn und Zweck der Gruppenbesprechung, die von den Dienststellenleitern ermittelten Beurteilungsergebnisse unter Berücksichtigung eines allgemeinen Quervergleichs und Anlegung dienststellenübergreifender Maßstäbe zu diskutieren. Auch die Aussagen der Zeugen LRD Dr. M. und LRD C. in der mündlichen Verhandlung vor dem VG lassen nicht darauf schließen, dass in der Gruppenbesprechung ergänzende tatsächliche Erkenntnisse über den Kläger bezogen auf den Zeitraum nach dem 5.9.2000 zur Beurteilungsgrundlage gemacht wurden. (wird ausgeführt)

Die dienstliche Beurteilung des Klägers ist auch dann fehlerhaft, wenn es zu dem hier maßgeblichen Beurteilungsstichtag allgemeiner Verwaltungspraxis entsprochen haben sollte, die Besprechung der Sachgebietsleiter sowie die Gruppenbesprechung der Dienststellenleiter in den Monaten September und November 2000 und damit deutlich vor dem Beurteilungsstichtag abzuhalten. Zwar ist ein Abweichen von in Verwaltungsvorschriften vorgegebenen Grundsätzen im Allgemeinen dann nicht zu beanstanden, wenn es einer ständig geübten und vom Richtliniengeber gebilligten oder zumindest geduldeten Verwaltungspraxis entspricht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 2.3.2000 - 2 C 7.99 -, DÖD 2001, 38, sowie Beschluss vom 7.4.2000 - 2 B 21.00 -; OVG NRW, Beschluss vom 27.4.2001 - 6 A 4754/00 -, RiA 2001, 249, und Urteil vom 7.6.2005, a.a.O.

Hier geht es jedoch nicht um den Anspruch des einzelnen Beamten auf Anwendung gleicher Beurteilungsmaßstäbe. Vielmehr ist die dienstliche Beurteilung des Klägers aus sich heraus fehlerhaft, weil ihr objektiver Aussagegehalt nicht mit ihrem tatsächlichen Inhalt übereinstimmt. Dem lässt sich nicht durch den Hinweis begegnen, das den Fehler begründende verfahrensrechtliche Vorgehen entspreche allgemeiner Verwaltungspraxis.

Ende der Entscheidung

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