Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 06.11.2008
Aktenzeichen: 6 A 2186/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 839 Abs. 3
Ein Schadensersatzanspruch wegen verspäteter Versetzung in den Ruhestand ist aufgrund des Rechtsgedankens des § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn es der geschädigte Beamte vorwerfbar versäumt hat, den Schaden durch einen Antrag auf Zurruhesetzung abzuwenden.

Der Beamte, der eine für ihn vorteilhafte Entscheidung des Dienstherrn beantragt, darf es nicht in jedem Fall mit dem Antrag bewenden lassen und uneingeschränkt auf die ordnungsgemäße Durchführung des Verwaltungsverfahrens vertrauen. Die in eigenen Angelegenheiten zu erwartende Sorgfalt gebietet es, den Fortgang des Verfahrens zu beobachten und zu reagieren, wenn sich deutliche Anzeichen für dessen Stillstand zeigen.


Tatbestand:

Die Klägerin stand als Lehrerin im Beamtenverhältnis an einer Grundschule im Dienst des beklagten Landes. Mit Schreiben vom 8.8.2002 bat sie beim für sie zuständigen Schulamt um amtsärztliche Überprüfung ihrer Dienstfähigkeit, da sie seit September 2000 unter erheblichen gesundheitlichen Problemen leide und deswegen mit ermäßigter Stundenzahl unterrichte. Der Antrag wurde beim Schulamt versehentlich unbearbeitet in einer Sammelmappe mit Krankenunterlagen abgeheftet. Auf eine Sachstandsanfrage der Klägerin Mitte November 2002 übermittelte das Schulamt den Antrag am 22.11.2002 an die zuständige Bezirksregierung mit dem Hinweis, die Klägerin strebe ihre Zurruhesetzung an. Die von der Bezirksregierung veranlasste amtsärztliche Untersuchung der Klägerin am 16.12.2002 führte zur Feststellung ihrer Dienstunfähigkeit. Sie wurde deswegen mit Bescheid vom 6.1.2003 in den Ruhestand versetzt.

Die Klägerin machte wegen Ruhegehaltseinbußen, die ihr durch die verzögerte Zurruhesetzung entstanden seien, einen Schadensersatzanspruch gegen das beklagte Land geltend. Sie beantragte, versorgungsrechtlich so gestellt zu werden, als sei sie vor dem Ablauf des 31.12.2002 zur Ruhe gesetzt worden. Die Bezirksregierung lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass der geltend gemachte Schaden bei ordnungsgemäßem Verfahren aufgrund von Anhörungs- und Beteiligungserfordernissen ebenfalls eingetreten wäre. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte in erster Instanz teilweise Erfolg. Die Berufung des beklagten Landes führte zur vollen Klageabweisung.

Gründe:

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen verspäteter Versetzung in den Ruhestand.

Sie kann einen solchen Anspruch insbesondere nicht aus einer Verletzung der Fürsorgepflicht gemäß § 85 LBG NRW herleiten. Hiernach hat der Dienstherr im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses für das Wohl des Beamten und seiner Familie zu sorgen. Er schützt ihn bei seiner amtlichen Tätigkeit und in seiner Stellung als Beamter. Ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung dieser Fürsorgepflicht setzt voraus, dass die für den Dienstherrn handelnden Personen schuldhaft eine gegenüber dem Beamten bestehende Pflicht des Dienstherrn verletzt haben und dem Beamten dadurch adäquat kausal ein Vermögensschaden erwachsen ist.

Aufgrund der Fürsorgepflicht kann der Dienstherr gehalten sein, zeitnah über die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand zu entscheiden und ein auf dieses Ziel gerichtetes Verfahren zügig durchzuführen. Das kommt vor allem in den Fällen in Betracht, in denen dem Beamten durch Zeitablauf absehbar Nachteile drohen, die bei zügiger Verfahrensweise ohne weiteres vermeidbar wären (vgl. OVG Rh.-Pf., Urteile vom 21.1.2005 - 2 A 11800/04 -, ZBR 2005, 426, und vom 28.10.2002 - 2 A 11303/02 -, NVwZ-RR 2003, 517).

Ob das beklagte Land mit der verzögerten Bearbeitung des lediglich auf Überprüfung ihrer Dienstfähigkeit gerichteten Antrags der Klägerin diese Pflicht schuldhaft verletzt hat, kann ebenso offen bleiben wie die Frage, ob die von ihr geltend gemachten Ruhegehaltseinbußen hierdurch adäquat verursacht worden sind. Insbesondere bedarf keiner Vertiefung, ob der vom beklagten Land erhobene Einwand, dass der Schaden bei rechtmäßigem Verfahren ebenfalls eingetreten wäre, zutrifft.

Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin ist jedenfalls analog § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Der Rechtsgedanke, dass eine Ersatzpflicht nicht eintritt, wenn der Verletzte es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden, fordert im Verwaltungsrecht dann Geltung, wenn für den Verzicht auf das Rechtsmittel kein hinreichender Grund bestand. Das gilt auch bei von einem Beamten gegenüber seinem Dienstherrn geltend gemachten Schadensersatzansprüchen wegen Fürsorgepflichtverletzung (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.4.2002 - 2 C 19.01 -, ZBR 2003, 137, und vom 28.5.1998 - 2 C 29.97 -, BVerwGE 107, 29; OVG NRW, Urteil vom 15.11.2006 - 6 A 131/05 -).

Der Begriff des "Rechtsmittels" im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB ist nicht im engen technischen Sinne zu verstehen, sondern weit zu fassen. Darunter fallen alle förmlichen und nichtförmlichen Rechtsbehelfe, die sich unmittelbar gegen die schädigende Amtshandlung oder Unterlassung richten, deren Beseitigung oder Berichtigung bezwecken und der Abwendung des Schadens dienen (vgl. BGH, Urteil vom 5.12.2002 - III ZR 148/02 -, NVwZ 2003, 502, m. w. N. ; Hecker, in: Erman, Handkommentar zum BGB, Bd. II, 11. Aufl. 2004, § 839 Rdnr. 72).

Das können förmliche Anträge auf die Vornahme der begehrten Amtshandlung sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.4.2002, a.a.O.; BGH, Urteil vom 5.12.2002, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 15.11.2006 - 6 A 131/05 -). Auch formlose Erinnerungen an die Erledigung eines Antrags kommen in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 9.7.1958 - V ZR 5/57 -, BGHZ 28, 104; OLG Düsseldorf, Urteil vom 2.12.1993 - 18 U 92/93 -, NJW-RR 1995, 13).

Die Klägerin hat es vorwerfbar unterlassen, durch den Gebrauch eines solchen Rechtsbehelfs zu verhindern, dass sie erst im Januar 2003 zur Ruhe gesetzt worden ist.

Wie sie selbst nicht in Abrede stellt, hat sie es versäumt, die Zurruhesetzung zu beantragen. Ihr Antrag auf Überprüfung ihrer Dienstfähigkeit enthielt einen solchen Antrag nicht, zumal das Ergebnis der amtsärztlichen Überprüfung zum Zeitpunkt der Antragstellung offen war. Neben der Feststellung der Dienstunfähigkeit kam insbesondere die Feststellung einer begrenzten Dienstfähigkeit in Betracht, mit der die tatsächlich bereits praktizierte Pflichtstundenreduzierung der Klägerin gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW auf eine rechtliche Grundlage gestellt worden wäre. Dass sie die Pflichtstundenreduzierung in ihrem Antrag erwähnt hat, spricht dafür, dass sie sich gerade diese Möglichkeit offen halten wollte. Bestätigt wird dies durch ihr erstinstanzliches Vorbringen, bei Antragstellung habe sie noch auf Besserung ihrer Gesundheit gehofft und ihren Beruf gerne weiter ausüben wollen.

Es bestand mit Blick auf eine angestrebte Zurruhesetzung noch im Jahr 2002 für die Klägerin kein hinreichender Grund, von einem förmlichen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand abzusehen. Nachzuvollziehen ist der Verzicht auf einen solchen Antrag nur vor dem Hintergrund, dass sie sich nicht auf eine Zurruhesetzung festlegen wollte. Diese Unentschlossenheit ist ihr als vorsätzlich zuzurechnen. Wer dem Dienstherrn vorwirft, ein Zurruhesetzungsverfahren schuldhaft verzögert zu haben, muss sich ein eigenes Zögern bei Betreiben der Zurruhesetzung als "Verschulden gegen sich selbst" entgegenhalten lassen (vgl. zum Verschuldensbegriff in § 839 Abs. 3 BGB BVerwG, Urteil vom 28.5.1998, a.a.O.).

Darüber hinaus hat es die Klägerin fahrlässig unterlassen, rechtzeitig an die Erledigung ihres Antrags vom 8.8.2002 zu erinnern.

Der Beamte, der eine für ihn vorteilhafte Entscheidung des Dienstherrn beantragt, darf es nicht in jedem Fall mit dem Antrag bewenden lassen und uneingeschränkt auf die ordnungsgemäße Durchführung des Verwaltungsverfahrens vertrauen. Die in eigenen Angelegenheiten zu erwartende Sorgfalt gebietet es, den Fortgang des Verfahrens zu beobachten und zu reagieren, wenn sich deutliche Anzeichen für dessen Stillstand zeigen. Je wichtiger für ihn und je zeitgebundener die begehrte Entscheidung ist, desto frühzeitiger und intensiver muss sich der Beamte um den Verfahrensfortgang bemühen.

Die Klägerin ging eigenen Angaben zufolge davon aus, dass ihr Antrag beim Schulamt am 10. oder 11.8.2002 eingegangen sei. Eindeutige Anhaltspunkte für einen Stillstand des Verfahrens ergaben sich für sie daraus, dass keine Reaktion des beklagten Landes erfolgte. Die Klägerin musste die kurzfristige Einladung zu einer amtsärztlichen Untersuchung erwarten, die aber ausblieb. Angesichts der bis zum Jahresende verbliebenen Zeit wäre es bei Beachtung der genannten Sorgfaltsanforderungen angezeigt gewesen, sich spätestens in der zweiten Septemberhälfte nach dem Verfahrensstand zu erkundigen. Besonderen Anlass zu einer solchen Vorsichtsmaßnahme hatte die Klägerin gerade deswegen, weil aufgrund der drohenden Ruhegehaltseinbußen Eile geboten war. Auf eine eventuelle Versicherung von Schulamtsdirektor (...), eine endgültige Entscheidung werde auf jeden Fall vor Weihnachten 2002 getroffen, durfte sie sich nicht verlassen. Denn diese Prognose widersprach erkennbar dem tatsächlichen Verfahrensablauf.

Mit den genannten Rechtsmitteln hätte die Klägerin den Schaden abgewendet. Es hätte bereits ausgereicht, im August 2002 einen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand zu stellen. Sie wäre dann vor Ablauf des Jahres 2002 in den Ruhestand versetzt worden. (Wird ausgeführt.)

Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass ein Antrag auf Versetzung in den Ruhestand ebenso verzögert weitergeleitet worden wäre wie der Antrag auf Überprüfung der Dienstfähigkeit. Grundsätzlich muss bei der Feststellung hypothetischer Kausalverläufe von rechtmäßigen Geschehensabläufen ausgegangen werden. Darüber hinaus betrifft der Antrag auf Versetzung in den Ruhestand anders als der Antrag auf Überprüfung der Dienstfähigkeit den Status des Beamtenverhältnisses. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass er ebenfalls versehentlich in einer Sammelmappe mit Krankenunterlagen abgelegt worden wäre.

Unabhängig hiervon wäre der Schaden jedenfalls bei kumulativer Einlegung der versäumten Rechtsmittel nicht eingetreten. Selbst wenn unterstellt würde, dass auch der Antrag auf Zurruhesetzung verzögert weitergeleitet worden wäre, hätte eine Erinnerung spätestens in der zweiten Septemberhälfte zu einem Verfahrensabschluss noch im Dezember 2002 geführt. (Wird ausgeführt.)

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das beklagte Land nicht nach Treu und Glauben daran gehindert, sich auf den Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB zu berufen. Ein treuwidriges - etwa widersprüchliches - Verhalten des beklagten Landes ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, ob es der Klägerin den als Schadensersatz geltend gemachten Betrag als Versorgungsleistung zahlen müsste, wenn sie von Rechtsmitteln zur Schadensabwendung Gebrauch gemacht hätte. Mit dieser Argumentation macht die Klägerin der Sache nach ein Wahlrecht zwischen der Inanspruchnahme von Primärrechtsschutz und der Hinnahme des Unrechts mit anschließender Schadensliquidation geltend, das durch § 839 Abs. 3 BGB gerade ausgeschlossen werden soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 1998, a.a.O.; Hecker, a.a.O., Rdnr. 72).

Ende der Entscheidung

Zurück