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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 04.12.2002
Aktenzeichen: 6 A 728/00
Rechtsgebiete: LVO NRW


Vorschriften:

LVO NRW § 6 Abs. 1
LVO NRW § 52 Abs. 1
LVO NRW § 84 Abs. 1
Erfolgreiche Klage einer Lehrerin im Angestelltenverhältnis auf Verpflichtung des Beklagten, ihren Antrag auf Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Die ursprünglich rechtmäßige Ablehnung eines Beamtenbewerbers, der die Höchstaltersgrenze von 35 Jahren überschritten hat, kann durch die Anerkennung des Bewerbers als Schwerbehinderter, für den die Höchstaltersgrenze bei 43 Jahren liegt, im Laufe des gerichtlichen Verfahrens rechtswidrig werden. Das gilt auch, wenn die Anerkennung erst nach Vollendung des 43. Lebensjahres rückwirkend auf einen Zeitpunkt davor ausgesprochen wird.


Tatbestand:

Die Klägerin wurde nach Vollendung ihres 35. Lebensjahres als Lehrerin im Angestelltenverhältnis in den öffentlichen Schuldienst des beklagten Landes eingestellt. Ihre Verbeamtung wurde wegen Überschreitung der Höchstaltersgrenze abgelehnt. Sie erhob Klage mit dem Antrag, das beklagte Land zu verpflichten, sie als Beamtin auf Probe einzustellen. Während des erstinstanzlichen Klageverfahrens, kurz nach Vollendung des 43. Lebensjahres der Klägerin, bescheinigte das Versorgungsamt ihr eine Schwerbehinderung, die bereits vor der Vollendung ihres 43. Lebensjahres eingetreten war. Das VG wies die Klage als unbegründet ab. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte teilweise Erfolg.

Gründe:

Die begehrte Verpflichtung, die Klägerin in das Beamtenverhältnis auf Probe einzustellen, kann der Senat nicht aussprechen. Die Sache war und ist insoweit nicht spruchreif. Die Einstellung eines Beamten steht im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn. Nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand ist nicht erkennbar, dass der Beklagte sein Ermessen rechtmäßig allein noch dahin ausüben könnte, die Klägerin als Beamtin auf Probe einzustellen. Im Rahmen des Einstellungsermessens ist neben anderen Erfordernissen z.B. auch die gesundheitliche Eignung des Bewerbers (Art. 33 Abs. 2 GG, § 7 Abs. 1 LBG NRW) von Bedeutung. Dieses und andere Erfordernisse sind nicht geprüft und auch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Die Klage hat jedoch bezüglich einer (mit dem Klageantrag als "minus" begehrten) erneuten Bescheidung des Antrages der Klägerin auf Einstellung als Beamtin auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts Erfolg (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Aufrechterhaltung der mit der Klage angefochtenen Verwaltungsentscheidung, mit der die Verbeamtung der Klägerin wegen "Überalterung" abgelehnt worden ist, ist rechtswidrig.

Gemäß §§ 6 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 LVO NRW in der zugrunde zu legenden aktuellen Fassung der Änderungsverordnung vom 11.4.2000, GV NRW S. 380, darf als Laufbahnbewerber nach § 5 Abs. 1 a LVO NRW (wozu die Klägerin zählt) in das Beamtenverhältnis auf Probe nur eingestellt werden, wer das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Hat sich die Einstellung wegen der Geburt eines Kindes oder wegen der tatsächlichen Betreuung eines Kindes unter 18 Jahren verzögert, so darf diese Altersgrenze im Umfang der Verzögerung, höchstens um drei, bei mehreren Kindern höchstens um sechs Jahre, überschritten werden (§ 6 Abs. 1 Satz 3 LVO NRW). Schwerbehinderte Laufbahnbewerber dürfen vor vollendetem 43. Lebensjahr eingestellt werden (§ 6 Abs. 1 Satz 6 LVO NRW).

Die Klägerin hat zwar inzwischen sogar das Höchstalter für schwerbehinderte Laufbahnbewerber überschritten. Jedoch sieht § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVO NRW die Möglichkeit vor, eine Ausnahme von dem Höchstalter für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe zuzulassen. Demnach kann auch nach der heutigen Rechtslage einem früher entstandenen Recht der Klägerin auf Einstellung als Beamtin auf Probe Rechnung getragen werden.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 18.6.1998 - 2 C 20.97 -, DÖD 1999, 139, und - 2 C 6.98 -, DÖD 1999, 140, sowie vom 20.1.2000 - 2 C 13.99 -, ZBR 2000, 305 = RiA 2000, 286 = DVBl. 2000, 1129 = NWVBl. 2000, 297.

Nach diesen Maßgaben ist die Klägerin nicht "überaltert". Zu ihren Gunsten greift die - bereits in der Laufbahnverordnung NRW i.d.F. der Änderungsverordnung vom 11.11.1997, GV NRW 396, enthaltene - Bestimmung des § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO NRW ein. Die Klägerin ist schwerbehindert. Zum Zeitpunkt des Eintritts der Schwerbehinderung war sie 42 Jahre alt. Demzufolge durfte (und darf) sie entgegen der im gerichtlichen Verfahren aufrecht erhaltenen Weigerung des Beklagten nach den laufbahnrechtlichen Bestimmungen über das Höchstalter gemäß ihrem noch nicht bestandskräftig entschiedenen Einstellungsgesuch als Beamtin eingestellt werden.

Dem steht nicht entgegen, dass die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft erst nach Vollendung des 43. Lebensjahres der Klägerin erfolgte. Das gilt auch dann, wenn die Behörde vor der Ausstellung des Schwerbehindertenausweises noch keine Kenntnis davon gehabt hat, dass die Klägerin einen ent-sprechenden Antrag beim Versorgungsamt gestellt hatte. Diese Umstände berühren die Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO NRW zu Gunsten der Klägerin nicht. Die Vorschrift setzt bezüglich der Einhaltung des Höchstalters bei der Einstellung eines schwerbehinderten Laufbahnbewerbers allein voraus, dass das 43. Lebensjahr noch nicht vollendet worden ist. In Fällen der vorliegenden Art ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend. Umstände, die erst nach der angefochtenen Verwaltungsentscheidung eintreten, können deshalb auf deren Rechtmäßigkeit Einfluss haben. Das ist hier der Fall. Wegen der während des erstinstanzlichen Klageverfahrens anerkannten Schwerbehinderung der Klägerin, die auf einen Zeitpunkt vor Vollendung des 43. Lebensjahres zurückreichte, ist die auf eine Überschreitung des Höchstalters für die Verbeamtung gestützte und im gerichtlichen Verfahren aufrecht erhaltene Verwaltungsentscheidung nachträglich rechtswidrig geworden. Denn der Beklagte hätte seit jenem Zeitpunkt seine Weigerung, dem Einstellungsbegehren zu entsprechen, nicht mehr auf die "Überalterung" der Klägerin stützen dürfen.

Zwar müssen Rechte aus dem Schwerbehindertengesetz in Anspruch genommen werden. Demzufolge ist z.B. die Entlassung eines Beamten auf Probe nicht wegen fehlender Anhörung der Hauptfürsorgestelle rechtswidrig, wenn der Beamte sich nach vorheriger Anhörung zu der beabsichtigten Entlassung erst während des Widerspruchsverfahrens auf seine Schwerbehinderteneigenschaft beruft.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 8.6.1993 - 6 A 2076/91 -; bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 19.5.1994 - 2 B 136.93 -.

Das gibt jedoch für den vorliegenden Fall nichts her. Hier geht es nicht um eine formelle Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung, sondern um ein in der Laufbahnverordnung NRW materiell-rechtlich statuiertes Höchstalter für die Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Probe. § 6 Abs. 1 Satz 6 LVO NRW setzt weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift eine Berufung des Laufbahnbewerbers auf die Schwerbehinderteneigenschaft voraus. Auch ist eine Kenntnis des Dienstherrn hiervon bei der Entscheidung über den Antrag auf Einstellung nicht erforderlich.

Ende der Entscheidung

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