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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 19.06.2008
Aktenzeichen: 7 A 1392/07
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 34 Abs. 3
1. Zu zentralen Versorgungsbereichen im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB können auch Bereiche für die Grund- und Nahversorgung gehören.

2. Auch die verbrauchernahe Grundversorgung ist von § 34 Abs. 3 BauGB geschützt.

3. Zum Unterschied zwischen Discountern und Vollsortimentern des Lebensmitteleinzelhandels.

4. Bei der Prüfung "schädlicher Auswirkungen " im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB kann auch von Bedeutung sein, ob ein außerhalb des zentralen Versorgungsbereichs anzusiedelnder Einzelhandelsbetrieb gerade auf solche Sortimente abzielt, die in dem Versorgungsbereich von einem "Magnetbetrieb" angeboten werden, dessen unbeeinträchtigter Bestand maßgebliche Bedeutung für die weitere Funktionsfähigkeit des zentralen Versorgungsbereichs hat.

5. Zu den bei der Prüfung "schädlicher Auswirkungen" zu berücksichtigenden städtebaulichen Aspekten (hier schädliche Auswirkungen bejaht).


Tatbestand:

Die Klägerin begehrte ohne Erfolg die Erteilung einer Bebauungsgenehmigung für den Neubau eines Lebensmitteldiscounters.

Gründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den begehrten Vorbescheid.

Es kann dahinstehen, ob der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bereits in Kraft getretene Bebauungsplan (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 4 BauGB) gültig ist oder nicht. In beiden Fällen steht einem Anspruch der Klägerin auf den begehrten Vorbescheid entgegen, dass das zur Prüfung gestellte Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig ist.

Geht man von der Gültigkeit des Bebauungsplans aus, folgt die planungsrechtliche Unzulässigkeit des strittigen Vorhabens schon daraus, dass die vorgesehene Einzelhandelsnutzung den Festsetzungen des Bebauungsplans widerspricht. (wird ausgeführt).

Geht man von der Ungültigkeit des Bebauungsplans aus, ergibt die planungsrechtliche Prüfung, dass das Vorhaben nach den dann einschlägigen Regelungen des § 34 BauGB gleichfalls nicht zulässig ist.

Dass das Vorhaben, soweit es nach der Bauvoranfrage zu prüfen ist, sich im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt bzw. in einem faktischen Gewerbegebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 2 BauNVO zulässig ist, stellt auch der Beklagte nicht in Abrede. Gleiches gilt für die Einschätzung, dass die Erschließung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB gesichert ist. Strittig ist allein, ob dem Vorhaben § 34 Abs. 3 BauGB entgegen steht. Diese Frage ist mit dem Beklagten zu bejahen.

Nach der genannten Vorschrift dürfen von Vorhaben nach § 34 Abs. 1 oder 2 BauGB keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein, wobei im vorliegenden Fall Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in anderen Gemeinden ersichtlich ausscheiden. Als zentraler Versorgungsbereich, der von schädlichen Auswirkungen betroffen sein könnte, kommt des Weiteren hier nur das im Nahversorgungskonzept der Stadt X dargestellte Nahbereichszentrum Y in Betracht. Dieses Nahbereichszentrum ist ein von § 34 Abs. 3 BauGB geschützter zentraler Versorgungsbereich.

Zu den zentralen Versorgungsbereichen können auch Bereiche für die Grund- und Nahversorgung gehören. Voraussetzung hierfür ist, dass in dem Bereich mehrere Einzelhandelsbetriebe mit sich ergänzenden und/oder konkurrierenden Warenangeboten vorhanden sind, die einen bestimmten Einzugsbereich, wie etwa Quartiere größerer Städte oder auch gesamte kleinere Orte, vorwiegend mit Waren des kurzfristigen Bedarfs und ggf. auch teilweise mit Waren des mittelfristigen Bedarfs versorgen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11. 12. 2006 - 7 A 964/05 -, BRS 70 Nr. 90; im Ergebnis ebenso: OVG NRW, Urteil vom 13. 6. 2007 - 10 A 2439/06 -, BauR 2007, 2012; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 5. 11. 2007 - 1 A 10351/07 -, juris, Nds. OVG, Beschluss vom 12. 11. 2007 - 1 ME 276/07 -, ZfBR 2008, 184.

Wenn das BVerwG die vorgenannten Erwägungen mit den Worten bestätigt hat, nach zutreffender Ansicht der Vorinstanz seien zentrale Versorgungsbereiche räumlich abgrenzbare Bereiche einer Gemeinde, denen auf Grund vorhandener Einzelhandelsnutzungen - häufig ergänzt durch diverse Dienstleistungen und gastronomische Angebote - eine Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus zukommt,

BVerwG, Urteil vom 11. 10. 2007 - 4 C 7.07 -, BauR 2008, 315 = NVwZ 2008, 308 = ZfBR 2008, 49,

folgt daraus nach Einschätzung des Senats nicht, dass das BVerwG damit einer Wertung auch von Grund- und Nahversorgungszentren als zentrale Versorgungsbereiche entgegen getreten ist. So bestand im gegebenen Fall für das BVerwG schon kein Anlass, die rechtliche Beurteilung solcher Zentren abschließend grundsätzlich zu klären. Es hatte sich konkret vielmehr nur mit der - im gegebenen Fall nicht weiter strittigen - Wertung eines Innenstadtzentrums als zentralem Versorgungsbereich zu befassen. Des Weiteren schließt die Formulierung "Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus" nicht aus, dass damit etwa auch solchen Einkaufsbereichen eine Funktion als zentraler Versorgungsbereich zukommen kann, die ein im Wesentlichen fußläufig erreichbares Einzugsgebiet haben. Dies gilt namentlich in Großstädten der hier in Rede stehenden Art, in denen im fußläufig erreichbaren Umkreis um den Einkaufsbereich häufig - so auch im vorliegenden Fall - weit mehr als 10.000 Personen wohnen. Dabei wird nach den vorliegenden fachlichen Erkenntnissen als - noch - fußläufiger Einzugsbereich regelmäßig ein solcher im Umkreis von 700 m angesetzt. Ein solcher Bereich geht in der Regel deutlich über die für die bauplanungsrechtliche Beurteilung nach § 34 Abs. 1 BauGB maßgebliche "nähere Umgebung" hinaus und ist auch nicht mehr als unmittelbarer Nahbereich zu werten.

Der von § 34 Abs. 3 BauGB beabsichtigte Schutz zentraler Versorgungsbereiche zielt nicht allein darauf ab, solche Bereiche vor städtebaulich nachhaltigen Auswirkungen von Vorhaben des großflächigen Einzelhandels zu schützen, deren Auswirkungen über die nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB hinausgehen. § 34 Abs. 3 BauGB kann vielmehr bei entsprechenden Fallkonstellationen auch für andere Vorhaben als großflächigen Einzelhandel zum Schutz von zentralen Versorgungsbereichen Bedeutung haben.

So bereits die Amtliche Begründung zur Neuregelung des § 34 Abs. 3 BauGB durch das EAG Bau, BT-Drs. 15/2250, S. 54.

Hieran anknüpfend hat der Gesetzgeber bei der Einfügung der Neuregelung des § 9 Abs. 2a in das BauGB durch das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 21. 12. 2006, BGBl. I S. 3316, verdeutlicht, der Schutz zentraler Versorgungsbereiche diene besonders auch der Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung, die angesichts der demografischen Entwicklung besonderen Schutzes bedürfe, namentlich auch wegen der geringen Mobilität älterer Menschen. Zugleich hat der Gesetzgeber klargestellt, der Begriff "zentraler Versorgungsbereich" umfasse Versorgungsbereiche unterschiedlicher Stufen, also insbesondere Innenstadtzentren vor allem in den Städten mit größerem Einzugsbereich, Nebenzentren in Stadtteilen sowie Grund- und Nahversorgungszentren in Stadt- und Ortsteilen und nicht-städtischen Gemeinden.

So ausdrücklich die Amtliche Begründung zum Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte, BT-Drs. 16/2496, S. 10, 11.

Dafür, dass dem Begriff "zentraler Versorgungsbereich" im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB ein anderer Sinngehalt zukommt als demselben Begriff im Sinne von § 9 Abs. 2a BauGB, liegt nach alledem kein Anhalt vor. Er ist nicht auf zentrale Versorgungsbereiche mit großem Einzugsbereich beschränkt. Entscheidend ist vielmehr, dass das Gebiet eine für die Versorgung der Bevölkerung in einem bestimmten Einzugsbereich zentrale Funktion haben muss; die Gesamtheit der dort vorhandenen baulichen Anlagen muss auf Grund ihrer Zuordnung innerhalb des räumlichen Bereichs und auf Grund ihrer verkehrsmäßigen Erschließung und verkehrlichen Anbindung in der Lage sein, den Zweck eines zentralen Versorgungsbereichs - sei es auch nur die Sicherstellung der Grund- oder Nahversorgung - zu erfüllen.

Vgl.: Söfker, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, Stand März 2006, RdNr. 85 zu § 34 BauGB.

Nicht als zentrale Versorgungsbereiche zu qualifizieren sind hiernach regelmäßig isolierte Standorte einzelner Einzelhandelsbetriebe, auch wenn sie am gegebenen Standort eine beachtliche Versorgungsfunktion für ihr Umfeld erfüllen mögen.

So im Ergebnis auch: Nds. OVG, Urteil vom 17. 1. 2008 - 1 LB 154/07 -, juris, RdNr. 40.

Der Senat teilt jedoch aus den bereits dargelegten Gründen nicht die Auffassung des Nds. OVG, a.a.O., der Schutz der verbrauchernahen Grundversorgung falle nicht unter § 34 Abs. 3 BauGB. Gerade auch Agglomerationen von Einzelhandelsbetrieben, die mit einem diversen Warenangebot der umschriebenen Art - ggf. ergänzt durch einzelne Dienstleistungen wie Bank- und Postservice, Reinigung, Gastronomie u. a. - für ein Umfeld von beachtlichem städtebaulichen Gewicht räumlich konzentriert der Grund- und/oder der Nahversorgung dienen, können zentrale Versorgungsbereiche sein und sind als solche durch § 34 Abs. 3 BauGB geschützt.

Gemessen an diesen Kriterien sind die beiden isolierten Standorte der im Umfeld des Baugrundstücks bereits vorhandenen Discountmärkte allerdings nicht als zentrale Versorgungsbereiche zu werten. Diesen Standorten kommt schon deshalb keine Zentrumsfunktion zu, weil sie isoliert nur ein sehr begrenztes Spektrum nahversorgungsrelevanter Sortimente anbieten, nämlich die für Discounter des Lebensmittelsektors übliche Bandbreite, die sich allenfalls ca. 1.800 Artikeln nähert, zu denen ggf. ständig wechselnde "Aktionswaren" unterschiedlichster, nicht dem Lebensmittelbereich zuzuordnender Art kommen. Dem gegenüber bieten sog. Vollsortimenter als Supermärkte bis zu 10.000 Artikel und mehr ständig an und decken damit ein deutlich breiteres Spektrum der nahversorgungsrelevanten Angebotspalette ab.

Zu Letzterem vgl. die Angaben im Internet zu "Betriebsformen des Einzelhandels" unter "www.stalys.de" sowie den Bericht der Arbeitsgruppe "Strukturwandel im Lebensmitteleinzelhandel" vom 30. 4. 2002, ZfBR 2002, 598.

Hinzu kommt, dass an den isolierten Standorten der beiden Discountmärkte auch die für einen zentralen Versorgungsbereich typischen weiteren nahversorgungsrelevanten Spezialanbieter und die ein Zentrum gleichfalls kennzeichnenden Dienstleistungsangebote fehlen. Schließlich sind beide Standorte dadurch gekennzeichnet, dass sie in peripherer Lage zu dem (auch) zu versorgenden Wohnbereich liegen und ausschließlich bzw. weitgehend von gewerblichen, wohnfremden Nutzungen umgeben sind. Von einer für zentrale Versorgungsbereiche regelmäßig zu fordernden städtebaulich integrierten - nämlich für die zu versorgende Bevölkerung nicht nur mit dem Pkw günstig zu erreichenden - Lage der genannten Standorte kann damit keine Rede sein.

Zu den Anforderungen an "integrierte" Standorte vgl. auch: OVG NRW, Urteil vom 22. 4. 2004 - 7a D 142/02.NE -, BRS 67 Nr. 12 (S. 49).

Zu bejahen ist die Qualifizierung als zentraler Versorgungsbereich - und zwar als Nahversorgungszentrum - hingegen für das vom Nahversorgungskonzept der Stadt X erfasste Nahbereichszentrum Y. Nach den seitens der Klägerin nicht bestrittenen Darlegungen in der vom Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegten Bestandsaufnahme weist dieser Bereich folgenden Bestand an Einzelhandelsbetrieben auf: - Zwei größere Lebensmittelgeschäfte, nämlich ein Vollsortimenter mit 640 qm Verkaufsfläche (Vkf.) und ein Discounter mit 570 qm Vkf.;

- ein Drogeriemarkt mittlerer Größe mit 310 qm Vkf.;

- mehrere kleine Spezialanbieter des Lebensmittelsektors, nämlich zwei Bäcker mit jeweils 20 qm Vkf., ein Metzger mit 20 qm Vkf. sowie ein weiterer Lebensmittelladen mit 160 qm Vkf.;

- verschiedene weitere kleine Spezialanbieter, nämlich ein Damenmodegeschäft mit 30 qm Vkf., ein Geschenkeladen mit 30 qm Vkf., zwei Blumengeschäfte mit 35 bzw. 40 qm Vkf., ein Laden für Dekoration pp. mit 75 qm, ein Antik-Studio mit 100 qm Vkf., ein Zoogeschäft mit 110 qm, ein Elektronikshop mit 130 qm Vkf. und ein Matratzengeschäft mit 140 qm;

- mehrere Kioske von 35 bis 50 qm;

- zwei Optiker und zwei Apotheken;

- verschiedene Dienstleister (Reinigung, Bank, Poststelle, Friseur, Druckerei) und diverse Betriebe des Gastronomiesektors (Restaurant, Kneipen, Eiscafe).

Diese Mischung von Einzelhandelsgeschäften deckt ein breites Spektrum von Waren vornehmlich des kurzfristigen Bedarfs ab. Dabei ergänzen sich die verschiedenen Betriebe in ihrem Angebot und bieten so dem Kunden in dichter räumlicher Nähe die Möglichkeit, bei einem einheitlichen Einkaufsvorgang verschiedene Bedarfsaspekte der Nahversorgung zu decken. Hinzu kommt, dass gerade auch die für eine umfassende Nahversorgung erforderlichen Dienstleistungen in dem Bereich beiderseits der T-Straße räumlich konzentriert angeboten werden. Ergänzt wird das Angebot durch einzelne Waren, die über die Deckung des kurzfristigen Bedarfs hinausgehen, so dass anlässlich eines Einkaufsvorgangs auch die Gelegenheit zur Deckung solcher Bedarfsfälle gleichsam "mitgenutzt" werden kann. All dies erhöht die Attraktivität des Bereichs für den Kunden deutlich.

Schließlich unterliegt keinem Zweifel, dass der Bereich den für ein Nahversorgungszentrum erforderlichen städtebaulich gewichtigen Einzugsbereich hat. So leben im fußläufig erreichbaren Umkreis dieses Nahbereichszentrums von 700 m mehr als 10.000 Einwohner. Für diese ist das Zentrum, wie das dem Senat vorliegende Kartenmaterial verdeutlicht, die nächstgelegene Agglomeration von Einzelhandelsbetrieben und Dienstleistern der Nahversorgung und dabei insbesondere auch für die nicht motorisierten Kunden gut erreichbar. Das Zentrum ist damit zugleich durch eine städtebaulich integrierte Lage inmitten eines Wohnumfelds gekennzeichnet. Der Umstand, dass dieser Einkaufsbereich seiner tatsächlichen Funktion entsprechend im Nahversorgungskonzept der Stadt als Nahbereichszentrum dargestellt ist, bestätigt die Einschätzung als zentraler Versorgungsbereich und macht deutlich, dass der Bereich nach den städtebaulichen Ordnungsvorstellungen der Stadt auch künftig die ihm zukommende Versorgungsfunktion erfüllen soll.

Der Wertung des Nahbereichszentrums Y als zentraler Versorgungsbereich steht nicht entgegen, dass sich mit den beiden Discountmärkten in rd. 500 bzw. 300 m Entfernung zum Nahbereichszentrum bereits zwei isolierte Einzelhandelsstandorte entwickelt haben, die ihrerseits vornehmlich Nahversorgungsfunktion erfüllen und dabei ersichtlich auch auf solche Kunden abzielen, die im Einzugsbereich des Nahbereichszentrum wohnen. Gerade wegen ihrer isolierten Lage können die beiden Discountmärkte die eigentliche Funktion eines Nahversorgungszentrums mit einer Mischung unterschiedlicher Angebote, die sich aus der Sicht der Kunden ergänzen und damit die städtebauliche Attraktivität gerade eines Zentrums ausmachen, nicht erfüllen. Hinzu kommt, dass beide Standorte - wie gleichfalls bereits dargelegt wurde - gerade nicht die Anforderungen einer städtebaulich integrierten Lage erfüllen.

Nach den vorliegenden Unterlagen und Erkenntnissen steht zur Überzeugung des Senats ferner fest, dass von dem zur Prüfung gestellten Vorhaben der Klägerin schädliche Auswirkungen auf das Nahbereichszentrum Y als eines zentralen Versorgungsbereichs zu erwarten sind.

Eine Anwendung von § 34 Abs. 3 BauGB auf das strittige Vorhaben scheidet nicht etwa bereits deshalb aus, weil dieses mit der vorgesehenen Verkaufsfläche von insgesamt (einschl. Backshop) 699 qm noch nicht als großflächiger Einzelhandelsbetrieb zu werten ist.

Zur nunmehr bei 800 qm Verkaufsfläche anzusetzenden Schwelle der Großflächigkeit vgl.: BVerwG, Urteil vom 24. 11. 2005 - 4 C 10.04 -, BRS 69 Nr. 71.

Auch nicht großflächige Einzelhandelsbetriebe können Vorhaben im Sinne des § 34 Abs. 3 BauGB sein.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. 6. 2007 - 10 A 2439/06 -, BauR 2007, 2012.

Schädliche Auswirkungen im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB sind dann zu erwarten, wenn die Funktionsfähigkeit des betroffenen zentralen Versorgungsbereichs insbesondere durch zu erwartende Kaufkraftabflüsse in beachtlichem Ausmaß beeinträchtigt und damit gestört wird.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11. 12. 2006 - 7 A 964/05 -, BRS 70 Nr. 90.

Die Fragestellung, ob die Schädlichkeitsschwelle des § 34 Abs. 3 BauGB erreicht ist, zwingt den Rechtsanwender dazu, ökonomische Zusammenhänge zu ermitteln und im Hinblick auf ihre städtebauliche Relevanz zu bewerten. Dabei können die zu erwartenden Kaufkraftabflüsse als Kriterium dafür herangezogen werden, ob die ökonomischen Fernwirkungen des Vorhabens die Funktionsfähigkeit eines zentralen Versorgungsbereichs stören können. Zur Quantifizierung eines erwarteten Kaufkraftabflusses kann wiederum - je nach den konkreten Umständen des gegebenen Falls - auch die Relation zwischen der Größe der Verkaufsfläche des Vorhabens und der Größe der Verkaufsfläche derselben Branche im betroffenen zentralen Versorgungsbereich als taugliches Hilfsmittel herangezogen werden, wobei diesem Kriterium allerdings kein Anwendungsvorrang einzuräumen ist. Die im Rahmen des § 34 Abs. 3 BauGB anzustellende Prognose - "...zu erwarten sein" - kann schließlich im Wesentlichen nur auf den baurechtlich relevanten Angaben in den Bauvorlagen des zu prüfenden Vorhabens und einer mitgelieferten Sortimentsbeschreibung aufbauen.

Vgl. zu alledem: BVerwG, Urteil vom 11. 10. 2007 - 4 C 7.07 -, BauR 2008, 315 = NVwZ 2008, 308 = ZfBR 2008, 49.

Bei dieser Prognoseentscheidung sind alle städtebaulich relevanten Umstände des jeweiligen Einzelfalls in den Blick zu nehmen. Hierzu gehören neben einem aus prognostischer Sicht zu erwartenden Kaufkraftabzug insbesondere auch die Gesamtzusammenhänge in den jeweils betroffenen zentralen Versorgungsbereichen sowie der Standort des Vorhabens.

Vgl.: Söfker, a.a.O., BauGB, Stand März 2006, RdNr. 86b zu § 34 BauGB.

So kann bei der Berücksichtigung der konkreten städtebaulichen Situation etwa auch von Bedeutung sein, ob ein außerhalb des zentralen Versorgungsbereichs anzusiedelnder Einzelhandelsbetrieb gerade auf solche Sortimente abzielt, die in dem Versorgungsbereich von einem "Magnetbetrieb",

zur Bedeutung von "Magnetbetrieben" oder "Frequenzbringern" für zentrale Versorgungsbereiche vgl.: Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, 2007, RdNr. 340,

angeboten werden, dessen unbeeinträchtigter Bestand maßgebliche Bedeutung für die weitere Funktionsfähigkeit des zentralen Versorgungsbereichs hat.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 11. 12. 2006 - 7 A 964/05 -, BRS 70 Nr. 90, und vom 17. 10. 2007 - 10 A 3914/04 -, BauR 2008, 320.

Ebenso kann von Bedeutung sein, ob in der unmittelbaren Umgebung des Vorhabens bereits weitere Einzelhandelsangebote vorhanden sind, deren Auswirkungen auf den Versorgungsbereich durch die Auswirkungen des zu prüfenden Vorhabens gesteigert werden können. Insbesondere dann, wenn an dem nicht integrierten Standort die Grenze zur Großflächigkeit gleichartiger Angebote durch das hinzu kommende Vorhaben überschritten wird, besteht Anlass zu kritischer Prüfung, ob nunmehr die Schwelle des § 34 Abs. 3 BauGB erreicht wird.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. 10. 2007 - 10 A 3914/04 -, a.a.O.

Gemessen an diesen Maßstäben sind im vorliegenden Fall schädliche Auswirkungen des Vorhabens der Klägerin auf das Nahbereichszentrum Y zu erwarten.

Dies folgt allerdings nicht etwa bereits aus der vom Beklagten angestellten "Tragfähigkeitsberechnung", die ihrerseits auf dem von der Bezirksregierung herausgegebenen Merkblatt "Regelungen für Einzelhandelsbetriebe zur Nahversorgung i.S.v. § 11 (3) BauNVO - Ausnahmen oberhalb der Regelvermutungsgrenze" (im Nachfolgenden "Merkblatt 2007" genannt) beruht. Dieses Merkblatt 2007 soll nähere Kriterien dafür festlegen, wann von einem großflächigen Einzelhandelsbetrieb trotz Überschreitens der Regelvermutungsgrenze des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO Auswirkungen im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO nicht zu erwarten sind. Hierzu soll durch Gegenüberstellung geprüft werden, ob der zu erwartende Gesamtumsatz des Vorhabens (Verkaufsfläche x Umsatz je qm/Jahr) die sortimentsspezifische Kaufkraft im Nahbereich des Vorhabens (Einwohner im Nahbereich von 700 m um das Vorhaben x Kaufkraft pro Kopf/Jahr x Kaufkraftkennziffer der Gemeinde x 0,35) übersteigt oder nicht. Trifft Letzteres zu, soll nach dem Merkblatt 2007 davon ausgegangen werden können, dass von dem Vorhaben trotz Überschreitens der Regelvermutungsgrenze keine negativen Auswirkungen auf die Versorgungsfunktion im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO ausgehen.

Ob die genannten Prüfschritte überhaupt ein taugliches Mittel sind, die gebotene Einzelfallprüfung, ob die bei Überschreiten der Grenze des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO (1.200 qm Geschossfläche) regelmäßig zu vermutenden negativen Auswirkungen widerlegt sind, in standardisierter Form durchführen zu können,

vgl. hierzu: Kuschnerus, Der standortgerechte Einzelhandel, 2007, RdNr. 99,

kann letztlich dahin stehen. Für die hier interessierende Prüfung, ob von einem konkreten Vorhaben schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche im Sinne von § 34 Abs. 3 BauGB zu erwarten sind, ist ein Vorgehen allein nach dem Merkblatt 2007 schon deshalb ungeeignet, weil die Prüfschritte nach diesem Merkblatt allenfalls eine Abschätzung darüber zulassen, ob das konkrete Vorhaben auf Kundschaft in einem weiteren Umkreis als 700 m abzielt. Sie vernachlässigen hingegen die bei der Prüfung nach § 34 Abs. 3 BauGB entscheidungserhebliche Fragestellung, welche konkreten zentralen Versorgungsbereiche mit welcher Versorgungsfunktion im Umfeld des Vorhabens tatsächlich vorhanden sind und welche Auswirkungen das zu prüfende Vorhaben gerade auf diese Versorgungsbereiche bei prognostischer Sicht voraussichtlich haben wird. (wird ausgeführt)

Schädliche Auswirkungen im Sinne von beachtlichen Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des Nahbereichszentrums Y sind jedenfalls auf Grund der nach dem Vorstehenden gebotenen umfassenden Wertung der hier städtebaulich relevanten Umstände zu erwarten.

Die Funktionsfähigkeit des betroffenen Nahbereichszentrums ist nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen maßgeblich geprägt durch die beiden vorhandenen nahe beieinander liegenden Lebensmittelmärkte mit insgesamt rd. 1.200 qm Verkaufsfläche. Sie weisen nahezu die gleiche Größe auf und ergänzen sich als Vollsortimenter einerseits und Discounter andererseits insofern, als sie unterschiedliche Angebotsstrukturen aufweisen und damit insbesondere auch für solche Kunden attraktiv sind, die die jeweiligen Vorteile der beiden Vertriebsformen des Lebensmitteleinzelhandels gemeinsam nutzen wollen. Beide Betriebe stellen schon wegen ihrer Größe, erst recht in der hier gegebenen Kombination, die eigentlichen Frequenzbringer des Nahbereichszentrums dar und werden in dieser Magnetfunktion ergänzt durch den nahe gelegenen Drogeriemarkt. Die weiteren Einzelhandelsnutzungen und Dienstleister haben schon auf Grund ihrer geringen Größe nur untergeordnete Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Zentrums. Sie sind ersichtlich auf die Magnetfunktion der Frequenzbringer angewiesen, zugleich ergänzen sie aber deren Versorgungsfunktion und können sie damit verstärken. Für die Funktionsfähigkeit des hier gegebenen zentralen Versorgungsbereichs von ausschlaggebender Bedeutung sind hiernach die beiden vorhandenen Märkte des Lebensmittelsektors.

Gerade auf deren Kundschaft zielt das strittige Vorhaben als Lebensmitteldiscounter der Sache nach ab. Dabei ist es mit einem Abstand von rd. 500 m zum bestehenden Nahbereichszentrum und seiner Lage jenseits der die Wohnbereiche des Stadtteils Q begrenzenden Bahnlinie zwar eher in einer Randlage des eigentlichen Einzugsbereichs dieses Zentrums positioniert. Gleichwohl deuten verschiedene objektive Gegebenheiten darauf hin, dass das Vorhaben offensichtlich in beachtlichem Umfang Kundschaft von den im Versorgungsbereich vorhandenen Frequenzbringern abziehen kann und voraussichtlich auch wird:

Eine gewisse Indizwirkung ergibt sich bereits aus dem Vergleich der Verkaufsflächen, der als Hilfsmittel zur Quantifizierung eines erwarteten Kaufkraftabflusses herangezogen werden kann. Mit insgesamt rd. 700 qm Verkaufsfläche erreicht das strittige Vorhaben rd. 50 % der gesamten branchenspezifischen Verkaufsfläche im Nahversorgungsbereich Y. Hinzu kommt, dass das Vorhaben gemeinsam mit dem auf dem nördlich gelegenen Grundstück bereits vorhandenen Discounter sogar das branchenspezifische Verkaufsflächenangebot im vorhandenen Versorgungsbereich übersteigen wird.

Das strittige Vorhaben wird ferner einen beachtlichen Synergieeffekt mit dem letztgenannten Discounter ausüben. Dies wird schon daran sinnfällig, dass beide Discounter zusammen über ein außerordentlich attraktives Parkplatzangebot verfügen würden, das - wie bereits im Ablehnungsbescheid des Beklagten angesprochen wurde - eine Verlagerung des Einkaufsverhaltens auf den motorisierten Kunden begünstigen und damit die Attraktivität der im Nahbereichszentrum vorhandenen Frequenzbringer deutlich schwächen würde. Im Hinblick darauf, dass bei einer Ansiedlung des strittigen Vorhabens am gewünschten Standort im Ergebnis sogar drei jeweils knapp unterhalb der Grenze zur Großflächigkeit liegende Discounter an autokundenfreundlichen Standorten außerhalb des Nahbereichszentrums auch und gerade auf die Kundschaft dieses nur 300 bis 500 m entfernten Zentrums einwirken werden, spricht sogar viel dafür, dass der im Zentrum noch vorhandene Discounter ggf. sogar seinen Betrieb vollständig einstellen wird.

Damit liegen hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass bei Ansiedlung des strittigen Vorhabens am gewünschten Standort die weitere Existenz der im Nahversorgungszentrum vorhandenen Magnetbetriebe - zumindest in ihrer Kombination aus Vollsortimenter und Discounter - deutlich gefährdet ist. Angesichts der Massivität der im näheren Umfeld des Zentrums dann bereits vorhandenen Discounter mit insgesamt über 2.000 qm Verkaufsfläche liegt es auch fern, dass ein Ersatz-Discounter die entstehende Lücke nutzen wird und der dann verbleibende Vollsortimenter die bislang gemeinsam mit dem Discounter ausgeübte Magnetfunktion für das Nahbereichszentrum weiterhin allein erfüllen kann.

Mit einem nach alledem naheliegenden (teilweisen) Wegbrechen der Magnetfunktion der vorhandenen Frequenzbringer würden auch die übrigen Einzelhandelsbetriebe und Dienstleister im Nahbereichszentrum Y jedenfalls in ihrer Attraktivität erheblich geschwächt, so dass insgesamt erhebliche Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit dieses zentralen Versorgungsbereichs zu erwarten sind. Die bei der ersten Ablehnungsentscheidung des Beklagten verlautbarte prognostische Einschätzung, die zentrale Nahversorgung der überwiegenden Bevölkerung des betroffenen Stadtteils von X sei somit stark gefährdet und das Einkaufen werde auf den motorisierten Kunden verlagert, erweist sich bei konkreter Würdigung der objektiv gegebenen städtebaulich relevanten Aspekte mithin als zutreffend.



Ende der Entscheidung

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