Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 27.04.2006
Aktenzeichen: 7 A 1620/05
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 7
BauNVO § 9
Eine "Festhalle", in der freitags und samstags türkisch-kurdische Hochzeiten und auch andere Feste bis hin zu diskothekenähnlichen Feiern für bis zu 500 Personen zulässig sind, ist eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte, und zwar auch dann, wenn die jeweilige Feier nicht allgemein für die Öffentlichkeit zugänglich sein soll.
Tatbestand:

Dem Beigeladenen wurde die Baugenehmigung zur "Nutzungsänderung einer Lagerhalle in eine Festhalle" vom 27.3.2003 erteilt. Zu den von der Baugenehmigung umfassten Bauvorlagen gehört eine Betriebsbeschreibung, in der es u. a. heißt: "Herr K. beabsichtigt in der umgenutzten Halle Veranstaltungen z. B. türkisch-kurdische Hochzeiten durchzuführen. Die Veranstaltungen beginnen um ca. 18.00 Uhr und enden um ca. 24.00 Uhr. Die Veranstaltungen finden an Wochenenden (freitags und samstags) und vor gesetzlichen Feiertagen statt." Nach den weiteren Bauvorlagen sollte die Nutzung der "Festhalle" durch bis zu 500 Personen ermöglicht werden. Der Grundriss stellt neben Sitzplätzen für etwa 500 Personen eine Tanzfläche, eine Bühne für eine Kapelle sowie eine Getränkeausgabe dar, über die ausweislich der Betriebsbeschreibung alkoholische Getränke ausgegeben werden sollen. In einem separaten Raum mit der Nutzungsangabe "Portionierung" soll angeliefertes Essen zusammengestellt werden. Der Lageplan zur Baugenehmigung sieht insgesamt 85 Stellplätze vor. Die schalltechnische Untersuchung gibt als Aufgabenstellung des Gutachtens an, geplant sei die Nutzungsänderung in eine Versammlungsstätte, in der "Hochzeiten, Geburtstage etc. mit Tanz und Musik" durchgeführt werden.

Der Widerspruch der Klägerin gegen die Baugenehmigung wurde nicht beschrieben. Ihre Klage hatte in zweiter Instanz Erfolg.

Gründe:

Ein Abwehranspruch der Klägerin ergibt sich daraus, dass das Vorhaben des Beigeladenen in einem Grundstücksbereich verwirklicht ist, der - wie die Grundstücke der Klägerin - durch den Bebauungsplan Nr. 1 (teilweise) als Industriegebiet festgesetzt, dort aber nicht zulässig ist. Eigentümer von Grundstücken, die durch denselben Bebauungsplan ebenfalls als Industriegebiet festgesetzt sind, können die Zulassung eines mit einer Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens abwehren, weil hierdurch das nachbarliche Austauschverhältnis gestört und eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet wird. Auch im Industriegebiet kann jede von der Gebietsfestsetzung abweichende Nutzung eine potenzielle Verschlechterung für den Nachbarn bedeuten, weil sie den Beginn einer Veränderung des Gebietscharakters darstellt und damit möglicherweise zur Zulässigkeit von Nutzungen führt, die den Nachbarn entweder selbst stören oder - wenn sie eine Nutzung nicht stört - ihn hinsichtlich seines eigenen Betriebs zur Rücksichtnahme zwingt.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 16.9.1993 - 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151 (161) und vom 24.2.2000 - 4 C 23.98 -, BRS 63 Nr. 80.

Die Klägerin kann einen bauplanungsrechtlichen Gebietserhaltungsanspruch aus dem Bebauungsplan Nr. 1 herleiten.

Der Bebauungsplan Nr. 1 ist wirksam (wird ausgeführt).

Der Betrieb der "Festhalle" widerspricht der Festsetzung eines Industriegebiets. Das Vorhaben des Beigeladenen kann nur einheitlich auf seine planungsrechtliche Zulässigkeit hin beurteilt werden, denn das Vorhaben kann nicht in zwei Teilvorhaben aufgeteilt werden. Die "Festhalle" steht teilweise im Industriegebiet, ist dort aber nicht zulässig. Es handelt sich bei der genehmigten "Festhalle" um eine Vergnügungsstätte, und zwar um eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte. Kerngebietstypische Vergnügungsstätten sind im Industriegebiet gemäß § 9 BauNVO in allen Fassungen unzulässig.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.2.2000 - 4 C 23.98 -, BRS 63 Nr. 80.

Der Begriff der Vergnügungsstätte wird in der Baunutzungsverordnung 1962 wie auch in späteren Fassungen der Baunutzungsverordnung nicht definiert. Nach der Systematik der Baunutzungsverordnung ist der Begriff abzugrenzen von der Schank- und Speisewirtschaft einerseits und den Anlagen für kulturelle und/oder sportliche Zwecke andererseits. Es handelt sich um eine besondere Nutzungsart, bei der die kommerzielle Unterhaltung der Besucher durch entsprechende Dienstleistungen des Betreibers im Vordergrund steht.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9.10.1990 - 4 B 120.90 -, BRS 50 Nr. 60; Dolde/Schlarmann, Zulässigkeit von Vergnügungsstätten in beplanten Gebieten, BauR 1984, 121.

Die Systematik der Baunutzungsverordnung macht ferner deutlich, dass eine Vergnügungsstätte nach Vorstellung des Gesetzgebers regelmäßig mit Auswirkungen verbunden ist, die mit anderen Nutzungen in Konflikt treten kann, denn nur in Mischgebieten (dort eingeschränkt) bzw. in Kerngebieten sind Vergnügungsstätten allgemein zulässig. Für die Frage, ob eine Vergnügungsstätte als kerngebietstypisch einzustufen ist, ist eine typisierende Betrachtungsweise geboten. Maßgeblich ist, ob der Betrieb wegen seines typischen Erscheinungsbildes und der mit ihm typischerweise verbundenen Störungen für die Wohnruhe einem Kerngebiet (und nicht mehr einem Mischgebiet) zuzuordnen ist. Hilfreiches Zuordnungskriterium kann sein, ob die Vergnügungsstätte als zentraler Dienstleistungsbetrieb auf dem Unterhaltungssektor für ein größeres und allgemeines Publikum aus einem größeren Einzugsbereich erreichbar ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.2.1986 - 4 C 31.83 -, BRS 46 Nr. 51.

Die genannten Abgrenzungsmerkmale sind jedoch nicht abschließend. Insbesondere ist ein Gewerbebetrieb nicht allein deshalb keine Vergnügungsstätte, weil er nicht von der Öffentlichkeit, also von jedermann genutzt werden kann. Auch wenn der Betreiber einer Vergnügungsstätte diese nur für einen bestimmten Benutzerkreis zur Verfügung stellt, kann sie in ihren Auswirkungen einer Vergnügungsstätte vergleichbar sein, die der Allgemeinheit offen steht. Ob dies im Einzelfall so ist, muss anhand des genehmigten Vorhabens beurteilt werden.

Die dem Beigeladenen erteilte Genehmigung erlaubt den Betrieb einer "Festhalle", und zwar einer "Festhalle", in der Musik gespielt und Gelegenheit zum Tanz geboten werden soll, wie sich aus den Bauvorlagen ergibt. Ein Fest ist eine gesellschaftliche Veranstaltung in einem dem Anlass entsprechenden Rahmen. Welche Art Veranstaltungen von der dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung umfasst sein sollen, regelt die Baugenehmigung nicht abschließend. Sie lässt daher dem Grunde nach alle Veranstaltungen zu, die als auf die Durchführung eines "Festes" gerichtet angesehen werden können. In der Betriebsbeschreibung, die von der Baugenehmigung umfasst ist, sind "Veranstaltungen" genannt, jedoch nur beispielhaft ("z. B. türkisch-kurdische Hochzeiten"). Das Beispiel verdeutlicht, dass jedenfalls ein Unterhaltungsprogramm angeboten werden soll, zu dem namentlich Musik und Tanz gehören. Dies bestätigt der Grundriss des Erdgeschosses, der von den Bauvorlagen umfasst ist, denn dort sind eine Tanzfläche und eine Bühne für die Musikkapelle eingetragen. Dies bestätigt auch das Schallgutachten, das Bestandteil der Baugenehmigung ist, denn danach sollen in der "Versammlungsstätte" "Hochzeiten, Geburtstage etc. mit Tanz und Musik durchgeführt werden." Das so umschriebene und genehmigte Vorhaben umfasst ein Unterhaltungsangebot, das sich hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die Nachbarschaft beispielsweise von einer Diskothekennutzung nicht unterscheiden muss, sondern auch eine hierzu vergleichbare Nutzung zulässt. Die Festveranstaltungen dürfen sich in die Abend- und Nachtstunden, und zwar aufgrund der bestandskräftigen Ordnungsverfügung vom 23.6.2005 bis 24.00 Uhr erstrecken. Die beispielhafte Angabe in der Betriebsbeschreibung, es sollten türkisch-kurdische Hochzeiten durchgeführt werden, macht deutlich, dass die Genehmigung insbesondere auch immissionsschutzrechtlich erhebliche Veranstaltungen abdecken soll. Hierfür ist bereits die Festhallengröße Indiz; die "Festhalle" soll für Veranstaltungen bis 500 Personen dienen. In welchem Rahmen und mit welchen nachbarrelevanten Auswirkungen türkisch-kurdische Hochzeiten (nicht nur im Einzelfall) verbunden sein können, hat der Beigeladene selbst mit seinem Widerspruch gegen die Bauordnungsverfügung des Beklagten vom 28.11.2003 plastisch hervorgehoben: "Die beispielhafte Nennung erfolgte, weil türkisch-kurdische Hochzeiten bekanntermaßen überörtliche Großveranstaltungen sind und deshalb immissionsschutzrechtlich der besonderen Aufmerksamkeit bedürfen." Je nach Art der Festveranstaltung ist ferner mit einem erheblichen Fahrzeugaufkommen zu rechnen. Es kann sich über längere Zeitabschnitte einer Feier erstrecken, wie etwa bei der vom Antragsteller im Verfahren auf Erteilung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis beispielhaft genannten "Abi-Party" - oder sich - wie beispielsweise bei einer türkisch-kurdischen Hochzeit - auf relativ kurze Zeitspannen konzentrieren. Unerheblich ist demgegenüber, dass die "Festhalle" ausweislich der Betriebsbeschreibung nur freitags, samstags und vor gesetzlichen Feiertagen betrieben werden soll. Die zeitliche Intensität verändert regelmäßig - und so auch hier - nicht die genehmigte Nutzungsweise. Wird die Zulässigkeit eines Vorhabens bejaht, ist es baurechtlich unerheblich, ob der Antragsteller die zugelassene Nutzung täglich oder nur jeweils einmal wöchentlich ausübt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.11.1990 - 4 B 162.90 -, n.v.

Die Baugenehmigung lässt schließlich zu, dass die "Festhalle" von einem Veranstalter angemietet wird. Dies erkennend, hat der Beklagte mit der Nebenbestimmung M 18 zur Baugenehmigung den "Betreiber/Veranstalter" dafür verantwortlich machen wollen, "geräuschintensive Aktivitäten" von sich im Freien aufhaltenden Personen zu unterbinden. Der Veranstalter eines "Festes" wird durch die Baugenehmigung nicht gehindert, ein Fest unter einem Motto durchzuführen, wie das vom Beigeladenen genannte Beispiel einer "Abi-Party" verdeutlicht. Der für ein derartiges Fest in Frage kommende Personenkreis kann - je nach Motto des Festes - große Teile der Bevölkerung ansprechen und ist auch von daher hinsichtlich der bauplanungsrechtlich relevanten Umstände von einer üblichen Vergnügungsstätte nicht zu unterscheiden. Kein entscheidendes Abgrenzungsmerkmal ist, dass Gäste nach der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Vorstellung des Beigeladenen keinen Eintritt bezahlen sollen. Ungeachtet des Umstandes, dass die Baugenehmigung keine dahingehende Einschränkung vorgibt, ändert die Zahlung eines Eintritts durch den einzelnen Gast nichts am Charakter der in der "Festhalle" möglichen Veranstaltungen, zumal der Eintrittspreis bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise letztlich durch den Veranstalter aufgebracht wird, indem er die Halle für ein entsprechendes Entgelt anmietet.

Die genehmigte Vergnügungsstätte ist kerngebietstypisch. Eine Vergnügungsstätte mit Platz für 500 Personen, die einen überörtlichen Einzugsbereich hat und selbst auf Grundlage der mit der Baugenehmigung berücksichtigten, jedenfalls nicht zu hoch gegriffenen Zahl von 85 Stellplätzen ein ganz erhebliches Fahrzeugaufkommen erwarten lässt, ist kerngebietstypisch.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9.12.1992 - 4 A 2033/90 -, zu einer Schank- und Speisewirtschaft mit regelmäßigen Musikaufführungen und 110 Stellplätzen; OVG NRW, Beschluss vom 14.10.1996 - 10 A 3062/93 -, zu einem Tanzlokal mit 90 Sitzplätzen; BVerwG, Urteil vom 25.11.1983 - 4 C 64.79 -, BRS 40 Nr. 45, zu einem Striptease-Tanzbar mit Spielcasino und 60 Sitzplätzen.

Die Erteilung einer Befreiung für das genehmigte Vorhaben würde nicht in Betracht kommen, weil die Abweichung von der festgesetzten Nutzungsart städtebaulich nicht vertretbar wäre. Dies folgt aus der Unvereinbarkeit einer "Festhalle" der genehmigten Art mit der typischen Funktion eines Industriegebiets.



Ende der Entscheidung

Zurück