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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 08.05.2009
Aktenzeichen: 7 A 423/08
Rechtsgebiete: BauO NRW


Vorschriften:

BauO NRW § 6 Abs. 1 Satz 1
BauO NRW § 6 Abs. 11
Eine Grenzgarage, die nicht nur einen "Zugang" zu einem Wohnhaus ermöglicht, sondern als "Eingang" zu einem Wohnhaus dient, ist nicht nach § 6 Abs. 11 BauO NRW privilegiert. Denn durch die Nutzung (auch) als Hauseingang wird die Garage gewissermaßen zum Bestandteil des Wohnhauses, d.h. das Wohnhaus wird in den abstandflächenrechtlich beachtlichen Bereich erstreckt, wo es selbst gerade nicht zulässig ist.
Tatbestand:

Die Klägerin wandte sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den "Neubau einer Diele als Hauseingang". Mit dieser Diele wurde ein direkter Zugang von der Straße über die an der Grenze zum klägerischen Grundstück gelegene Garage der Beigeladenen zu deren Wohnhaus ermöglicht. Mit seinem Urteil gab das OVG der Klage statt.

Gründe:

Der Inhalt einer Baugenehmigung wird durch den Bauschein und die dort in Bezug genommenen Bauvorlagen und sonstigen Anlagen bestimmt, die nach dem objektiv zu ermittelnden Regelungsgehalt das betreffende Vorhaben ausmachen sollen.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Rn. 195 zu § 75 .

Entgegen der im gerichtlichen Verfahren geäußerten Ansicht des Beklagten erstreckt sich die angefochtene Baugenehmigung danach durchaus auch auf die Garage. Aus den zur Baugenehmigung gehörenden Bauplänen ergibt sich, dass der genehmigte Anbau schon baukonstruktiv auch die Garage umfasst. Denn zwischen Garage und Anbau besteht eine gemeinsame Wand; die Eingangstür zum Anbau ist zugleich die Ausgangstür der Garage. Aber auch die neu errichtete Außentür der Garage zur Straße hin wird von der Baugenehmigung erfasst. Denn nach dem Inhalt des Bauscheins hat der genehmigte Anbau die Funktion einer "Eingangsdiele". Auf dem zur Baugenehmigung gehörigen Lageplan ist die straßenseitige Garagentür mit einem Eingangspfeil gekennzeichnet. Sie soll also ersichtlich als Eingang zur Garage und - über die Eingangsdiele - zum Wohnhaus dienen. Dies wird bestätigt durch die in Ziff. 1 der Baugenehmigung enthaltene Auflage. Darin heißt es, dass der Haupteingang des Hauses auch weiterhin nutzbar bleiben müsse, da der Zugang durch die Garage nur als Nebeneingang genutzt werden dürfe. Auch die Beigeladenen selbst haben die Baugenehmigung in diesem Sinne verstanden. Sie benutzen die straßenseitige Eingangstür der Garage als Hauseingang und haben sie auch optisch entsprechend ausgestattet (Hausnummer, Schelle, Briefkasten und Namensschild).

Da sich die Baugenehmigung also auch auf bauliche Änderungen bzw. eine Nutzungsänderung bezieht, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der vom VG aufgeworfenen Frage, ob ausnahmsweise auch etwas, was nicht Gegenstand der Baugenehmigung ist, bei der Entscheidung über die gegen die Baugenehmigung gerichtete Anfechtungsklage berücksichtigt werden kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 7.2.1986 - 4 C 49.82 -, BRS 46 Nr. 50.

Die genehmigte Nutzung der Garage als "Nebeneingang" von der Straße zur Eingangsdiele und damit zum Wohnhaus ist mit § 6 BauO NRW nicht zu vereinbaren.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Die Tatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW greifen nicht ein, denn der Bebauungsplan der Stadt "Baugrenzen" aus dem Jahre 1964 schreibt für das hier in Rede stehende Gebiet eine offene Bauweise vor. Selbst wenn dieser Bebauungsplan unwirksam und die planungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben infolgedessen nach § 34 BauGB zu beurteilen wäre, würde dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Die teils geschlossene, teils offene Bebauung der näheren Umgebung der Grundstücke der Klägerin und der Beigeladenen lässt nicht den Schluss zu, dass hier im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe a BauO NRW ohne Grenzabstand gebaut werden muss. Möglicherweise könnte aus der Bebauung der näheren Umgebung der Schluss gezogen werden, dass hier i. S. d. § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe b BauO NRW ohne Grenzabstand gebaut werden darf; es fehlt jedoch an der nach dieser Vorschrift weiter erforderlichen Sicherung, dass auf dem Nachbargrundstück ohne Grenzabstand gebaut wird.

Abstandflächenrechtlich ist die Garage daher im vorliegenden Fall nur unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 11 BauO NRW zulässig, der im vorliegenden Fall aus den vom VG genannten Gründen in der ab dem 28.12.2006 geltenden Fassung anzuwenden ist.

Nach § 6 Abs. 11 BauO NRW sind Gebäude mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m über der Geländeoberfläche an der Grenze, die als Garage, als Gewächshaus oder zu Abstellzwecken genutzt werden, ohne eigene Abstandflächen zulässig, auch wenn sie über einen Zugang zu einem anderen Gebäude verfügen. Dient eine Garage darüber hinaus noch einer anderen Funktion, für die sie die bautechnische Grundlage darstellt, verliert sie ihre Privilegierung. Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.11.1998 - 7 A 1371/98 - (Dachterrasse).

Eine Garage, die nicht nur einen "Zugang" zu einem Wohnhaus ermöglicht, sondern als "Eingang" zu einem Wohnhaus dient, ist nicht nach § 6 Abs. 11 BauO NRW privilegiert. Dies folgt aus Sinn und Zweck der abstandflächenrechtlichen Regelungen. Die Notwendigkeit von Regelungen über Abstandflächen ergibt sich insbesondere aus Gründen des Städtebaus, des baulichen und abwehrenden Brandschutzes, der Sicherung einer ausreichenden Belichtung und Belüftung von Räumen sowie aus sozialen Gründen. Durch die Privilegierung von Grenzgaragen wird dem betreffenden Grundstückseigentümer das Parken auf seinem eigenen Grundstück erleichtert und so der öffentliche Straßenraum vom Anliegerparken entlastet; den Belangen des Brandschutzes, der Sicherung einer ausreichenden Belichtung und Belüftung und sozialen Aspekten wird durch die in § 6 Abs. 11 BauO NRW enthaltenen Einschränkungen (z. B. hinsichtlich der Größe der Anlage) Rechnung getragen. Durch die Nutzung (auch) als Hauseingang wird eine Garage dagegen gewissermaßen zum Bestandteil des Wohnhauses, d.h. das Wohnhaus wird in den abstandflächenrechtlich beachtlichen Bereich hinein erstreckt, wo es selbst gerade nicht zulässig ist.

Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Gesetzgebungsmaterialien, vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, Zweites Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, LT-Drucks. 14/2433, S. 16 f., bestätigt. Danach sollte mit der Neuregelung des § 6 Abs. 11 BauO NRW einem vielfachen Wunsch nach einem direkten Zugang zwischen Wohngebäude und Garage Rechnung getragen werden; nachbarliche Belange würden dadurch, so heißt es in den Materialien, nicht berührt, da der Zugang innerhalb der Gebäude liege und damit für Nachbarn nicht einsehbar sei.

In Fällen wie dem vorliegenden geht es jedoch nicht (nur) darum, eine - für Nachbarn nicht einsehbare - direkte Verbindung zwischen Garageninnerem und Wohnhaus zu schaffen, die es den Bewohnern etwa ermöglicht, im Trockenen ihr Auto zu erreichen oder im Kofferraum des Autos transportierte Güter ohne Umwege ins Haus zu schaffen. Hier geht es um die Schaffung eines neuen Hauseingangs, der als Eingang zum Wohnhaus dienen soll, ohne mit der privilegierten Garagennutzung im Übrigen im Zusammenhang zu stehen. Der Eingang soll (regelmäßig) auch dann genutzt werden, wenn ein Hausbewohner das Grundstück nicht mit dem Pkw anfährt oder verlässt oder wenn ein Dritter die auf dem Grundstück Wohnenden aufsuchen, dort aber nicht mit dem Pkw parken möchte. Die Eingangsnutzung ist kein Annex der Garagennutzung, sondern losgelöst von dieser selbständiger Zweck der Genehmigung. Der Eingang, der notwendiges Element einer Wohnhausnutzung ist, wird in die Garage verlagert und diese dadurch zum Bestandteil der die Wohnhausnutzung erst ermöglichenden Hausbestandteile. Dass der "Zugang durch die Garage" gemäß Auflage Nr. 1 der Baugenehmigung lediglich als "Nebeneingang" benutzt werden darf, verändert die dargelegten Zusammenhänge nicht. Abgesehen davon, dass es dieser Regelung an der nötigen Bestimmtheit fehlt, hätte die Garage, auch wenn sie nur als "Nebeneingang" benutzt würde, die - nicht privilegierte - Funktion eines (zweiten) Hauseingangs. Im Übrigen wird der genehmigte Hauseingang von einem objektiven Betrachter als Haupteingang wahrgenommen werden, weil er direkt an der Straße liegt; dass es noch einen anderen (Haupt-)Eingang geben könnte, ist von der Straße aus nicht erkennbar.

Die Klägerin kann sich auf die durch die Erteilung der Baugenehmigung eingetretene Verletzung des § 6 BauO NRW auch berufen, denn ihr Grundstück grenzt unmittelbar an die zum Hauseingang gewordene "Garage" der Beigeladenen an.

Ende der Entscheidung

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