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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 09.04.2009
Aktenzeichen: 7 B 1855/08
Rechtsgebiete: BauNVO


Vorschriften:

BauNVO § 11
Ohne nähere Bestimmung der Gemeinde zum Zweck eines Sondergebiets und den dort zulässigen Nutzungen lässt sich allein aus § 11 BauNVO kein Gebietsgewährleistungsanspruch herleiten.

Lässt die Gemeinde in bestimmten Sondergebietsbereichen gestützt auf § 11 BauNVO Nutzungen zu, in anderen Bereichen jedoch nicht, beruhen die unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten nicht auf einem wechselseitigen Austauschverhältnis.


Tatbestand:

Die Antragstellerin betreibt in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Sondergebiet, in dem u. a. großflächige Einzelhandelsbetriebe der Branchen "Unterhaltungselektronik" zulässig sind, einen Fachmarkt. Sie begehrte bauordnungsbehördliches Einschreiten gegen einen von der Beigeladenen betriebenen Elektronik-Markt. Die das Grundstück der Beigeladenen erfassende Sondergebietsfestsetzung sieht als zulässige Nutzung ebenfalls großflächigen Einzelhandel, jedoch nicht solchen der Branche "Unterhaltungselektronik" vor. Die Antragstellerin beantragte die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes; der Antrag hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg.

Gründe:

In der Rechtsprechung des BVerwG ist geklärt, dass die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan nachbarschützende Funktion zu Gunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet hat. Ein Nachbar im Baugebiet soll sich auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden können, wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. Der Hauptanwendungsfall im Bauplanungsrecht für diesen Grundsatz sind die Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung. Durch sie werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind. Im Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll daher jeder Planbetroffene im Baugebiet das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern können.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.12.2007 - 4 B 55.07 -, BauR 2008, 793 = BRS 71 Nr. 175 m.w.N.

Der so bestimmte Gebietsgewährleistungsanspruch setzt zunächst ein Baugebiet voraus, das die Eigentümer der im Gebiet gelegenen Grundstücke wechselseitig öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterwirft. Dies gilt grundsätzlich für die Baugebiete nach §§ 2 bis 9 BauNVO, die Ergebnis eines typisierenden Ausgleichs möglicher Nutzungskonflikte sind. Setzt die Gemeinde einen entsprechenden Gebietstyp fest, bestimmt sie Inhalt und Schranken des Eigentums in Sinne des gewählten Gebietstyps und unterwirft die Grundstückseigentümer entsprechenden wechselseitigen Bindungen. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung den gebietstypischen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung im Grundsatz auch im Verhältnis zu den anderen Eigentümern durchsetzen.

Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 17.10.2002 - 15 CS 02.2068 -, BRS 65 Nr. 179 = BauR 2003, 1341.

Für die Festsetzung eines Sondergebiets gemäß § 11 BauNVO gibt es vergleichbare enge Beschränkungen der der Gemeinde möglichen Festsetzungen nicht. Die Gemeinde ist weder an bestimmte Nutzungsarten noch gemäß § 1 Abs. 3 Satz 3 BauNVO an die Möglichkeiten der Feinsteuerung gebunden, die in § 1 Abs. 4 bis Abs. 10 BauNVO für die normativ ausgestalteten Baugebiete eröffnet sind. Vielmehr liegt die Definitionsmacht darüber, welche Anlagen zulässig oder ausnahmsweise zulässig sind, bei ihr. Sie kann auf der Grundlage von § 11 Abs. 2 BauNVO die Art der baulichen Nutzung über die Möglichkeiten hinaus, die § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 9 BauNVO bietet, näher konkretisieren und zu diesem Zweck die Merkmale bestimmen, die ihr am besten geeignet erscheinen, um das von ihr verfolgte Planungsziel zu erreichen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.4.2008 - 4 CN 3.07 -, a. a. O.

Ohne nähere Bestimmung der Gemeinde zum Zweck des Sondergebiets und den dort zulässigen Nutzungen lässt sich allein aus § 11 BauNVO damit nicht ableiten, welche Nutzungen im Plangebiet vom Nachbarn hinzunehmen sind und welche nicht. Selbst in einem Fall, in dem die Gemeinde sich dafür entscheiden würde, einen der in § 11 BauNVO (nicht abschließend) aufgezählten Sondergebietstypen festzusetzen, etwa ein Sondergebiet für großflächigen Einzelhandel, dürfte sich hieraus allenfalls ableiten lassen, der Eigentümer habe einen Gebietsgewährleistungsanspruch darauf, dass andere als großflächige Einzelhandelsbetriebe im Plangebiet nicht zugelassen werden dürfen. Näherer Vertiefung bedarf dieser Gesichtspunkt jedoch nicht, denn der Antragstellerin geht es gerade darum, einen Einzelhandelsbetrieb zu verhindern, der vom Betriebstyp her in einem nach § 11 Abs. 3 BauNVO festgesetzten Gebiet grundsätzlich zulassungsfähig sein kann.

Ob sich dann, wenn die Gemeinde für ein Sondergebiet Möglichkeiten für eine Feinsteuerung gemäß § 1 Abs. 4 bis Abs. 10 BauNVO ergreift, aus den entsprechenden Festsetzungen nachbarrechtsrelevante Aspekte ergeben können, ist nicht entscheidungserheblich. Das VG hat ausgeführt, die räumliche Verteilung der in dem (unterstellt: einen) Sondergebiet zulässigen Nutzungen beruhe unmittelbar auf § 11 BauNVO und demnach nicht auf einer Gliederung gemäß § 1 Abs. 4 ff., Abs. 8 BauNVO. Hiergegen führt die Beschwerde nichts Durchgreifendes aus.

Ergibt sich aus bundesrechtlichen Bestimmungen zur Gebietsfestsetzung demnach der von der Antragstellerin behauptete Anspruch nicht, kann er nur aus den von der Gemeinde konkret getroffenen Festsetzungen abzuleiten sein. Hierzu hat das VG in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, den Festsetzungen über die in den Sondergebieten zulässigen Nutzungen komme nach den die Festsetzungen tragenden Vorstellungen der Gemeinde keine nachbarschützende Wirkung zu. Die Antragstellerin hat diese Ausführungen mit der Beschwerde nicht in Abrede gestellt.

Konsequenz der von der Gemeinde getroffenen Sondergebietsfestsetzung ist daher, dass dann, wenn in einem bestimmten Sondergebietsbereich zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten eingeräumt werden - hier für das Grundstück der Antragstellerin: "Unterhaltungselektronik" -, in anderen Bereichen des Sondergebiets aber nicht, die unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten eben nicht auf einem "wechselseitigen Austauschverhältnis", sondern auf der Entscheidung der Gemeinde beruhen, wo sie Nutzungsmöglichkeiten in welchem Umfang eröffnen will und wo nicht. Aus der von der Antragstellerin zitierten Entscheidung des BVerwG vom 16.9.1993 - 4 C 28.91 -, BRS 55 Nr. 110 = BauR 1994, 223, ergibt sich nichts anderes. Diese Entscheidung betrifft die Festsetzung eines Wohngebiets. Die von der Antragstellerin ferner zitierten Entscheidungen des Nds. OVG, Beschluss vom 18.7.2008 - 1 LA 203/07 -, BauR 2008, 2022 und OVG Schl.-H., Beschluss vom 25.6.2001 - 1 M 146/00 -, befassen sich mit Sondergebieten, in denen ein nachbarliches Austauschverhältnis durch die Festsetzungen der dort entscheidungserheblichen Bebauungspläne begründet worden ist. Verallgemeinerungsfähige Ausführungen enthalten diese Entscheidungen nicht.

Ende der Entscheidung

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