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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 02.07.2002
Aktenzeichen: 7 B 924/02
Rechtsgebiete: BauO NRW


Vorschriften:

BauO NRW § 63 Abs. 1
BauO NRW § 65 Abs. 1 Nr. 18
1. Wird auf dem Flachdach eines Wohngebäudes eine Mobilfunkanlage (hier bestehend aus zwei Antennenmasten mit ca. 7 m Höhe und einer Technikkabine mit einer Grundfläche von 2,70 x 2,70 m sowie einer Höhe von 2,70 m) aufgebracht, handelt es sich um eine nach § 63 Abs. 1 BauO NRW genehmigungspflichtige Nutzungsänderung des Gebäudes zu gewerblichen Zwecken.

2. Wird diese Nutzungsänderung ohne die erforderliche Baugenehmigung vorgenommen, kann die Bauaufsichtsbehörde ein sofort vollziehbares Nutzungsverbot erlassen.


Tatbestand:

Der Antragsgegner untersagte der Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Betrieb einer Mobilfunkanlage, weil diese ohne Baugenehmigung errichtet und daher formell illegal sei. Das VG gab dem Begehren der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs statt, weil die Anlage seiner Auffassung nach keiner Baugenehmigung bedurfte. Der hiergegen erhobenen Beschwerde des Antragsgegners gab das OVG statt.

Gründe:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes war abzulehnen, weil bei der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung überwiegend wahrscheinlich ist, dass die angegriffene Nutzungsuntersagungsverfügung einschließlich der ausgesprochenen Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtmäßig ist.

Die strittige Nutzungsuntersagungsverfügung ist ausschließlich auf die formelle Illegalität der Mobilfunkstation gestützt. Diese Einschätzung ist zu Recht erfolgt, denn die ohne Baugenehmigung errichtete Mobilfunkstation ist baugenehmigungspflichtig.

Nach § 63 Abs. 1 BauO NRW bedürfen die Errichtung, die Änderung, die Nutzungsänderung und der Abbruch baulicher Anlagen - vorbehaltlich der Sonderregelungen der §§ 65 bis 67, 79 und 80 BauO NRW - einer Baugenehmigung. Die hier von der Antragstellerin vorgenommenen Veränderungen an dem Wohngebäude erfüllen - entgegen der Auffassung des VG - das Tatbestandsmerkmal der Nutzungsänderung.

Die Veränderungen an dem Wohngebäude zur Errichtung der Mobilfunkanlage sind in ihrer Gesamtheit zu betrachten, da die einzelnen Elemente dieser Anlage bestimmungsgemäß ein einheitliches Vorhaben bilden und auch nur in ihrer Zusammenfassung die ihnen zugedachte Funktion als Sende- und Empfangsstation für den Mobilfunk erfüllen können. Die als Einheit zu wertende Mobilfunkstation kann nicht künstlich in verschiedene - ihrerseits möglicherweise baugenehmigungsfreie - Teilelemente aufgespaltet werden.

Ebenso: Nds. OVG, Beschluss vom 31.1.2002 - 1 MA 4216/01 - BauR 2002, 772

Hiernach ist davon auszugehen, dass die Mobilfunkanlage sich nicht etwa auf die beiden Antennenmasten mit jeweils ca. 7 m Höhe beschränkt, sondern auch die sog. Technik-Kabine mit umfasst, bei der es sich um eine begehbare Kabine für die Systemtechnik mit einer Grundfläche von 2,70 x 2,70 m und einer Höhe von 2,70 m handelt. Die Antragstellerin hat diese in ihrer Gesamtheit als eine gewerbliche Anlage zu wertenden Bauteile auf dem Flachdach des Gebäudes aufgestellt und damit diesem eine neue, von der bisherigen bauaufsichtlichen Zulassung als Wohngebäude nicht gedeckte Funktion zukommen lassen. Sie hat die Nutzung des Wohngebäudes dahin geändert, dass dieses nunmehr zugleich auch gewerblichen Zwecken, nämlich dem Betrieb einer Sende- und Empfangsanlage für den Mobilfunk, dient.

So im Ergebnis auch: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 26.10.1998 - 8 S 1848/98 -, BRS 62 Nr. 164; Hess. VGH, Urteil vom 19.12.2000 - 4 TG 3629/00 -, BRS 63 Nr. 174; Nds. OVG, Beschluss vom 31.1.2002 - 1 MA 4216/01 - BauR 2002, 772; VGH, Beschluss vom 8.2.2002 - 8 S 2748/01 -, VBlBW 2002, 260; OVG NRW, Beschluss vom 29.4.2002 - 10 B 78/02 -.

Dies ist als grundsätzlich genehmigungspflichtige Nutzungsänderung i.S.v. § 63 Abs. 1 BauO NRW zu werten. Denn für die Frage, ob eine bestimmte bauliche Anlage in rechtlich relevanter Weise geändert oder nutzungsgeändert worden ist, kommt es auf einen Vergleich der bisherigen Anlage mit der neuen Anlage in seiner geänderten Ausgestaltung bzw. Funktion an.

Vgl. auch zu den bauplanungsrechtlichen Begriffen der Änderung bzw. Nutzungsänderung von baulichen Anlagen i.S.v. § 29 BauGB: BVerwG, Urteile vom 17.6.1993 - 4 C 17.91 -, BRS 55 Nr. 72, und vom 15.5.1997 - 4 C 23.95 -, BRS 59 Nr. 90; Beschluss vom 6.9.1999 - 4 B 74.99 -, BauR 2001, 220.

Dieser Wertung lässt sich - entgegen der Auffassung des VG - nicht entgegenhalten, dass mit der Mobilfunkstation eine eigenständige, isoliert für sich zu betrachtende bauliche Anlage errichtet worden wäre. Dies mag dann zu erwägen sein, wenn die Mobilfunkstation, so wie sie errichtet wurde, gleichermaßen funktionsfähig wäre, wenn man sich das Gebäude, auf dem ihre einzelnen Elemente angebracht sind, hinwegdächte. Das trifft hier jedoch schon deshalb nicht zu, weil das Wohngebäude seinerseits eine funktional untrennbare Einheit mit der Mobilfunkstation bildet. Es ist mit seinen sechs Geschossen zugleich Träger der nur ca. 7 m hohen Antennenmasten, die ihre Funktion im Mobilfunknetz nur deshalb erfüllen können, weil sie die Höhe des Gebäudes mitnutzen. Des Weiteren ist das Flachdach auch Träger der Kabine für die Systemtechnik und erfüllt zugleich die Funktion einer zu Wartungszwecken begehbaren Verbindung zwischen den einzelnen Elementen der Mobilfunkanlage.

Aus der vom VG in Bezug genommenen Rechtsprechung des BVerwG zu Werbeanlagen - BVerwG, Urteil vom 3.12.1992 - 4 C 27.91 -, BRS 54 Nr. 126 - ergibt sich nichts Gegenteiliges. Diese Rechtsprechung verhält sich nur zu der - vom BVerwG im Ergebnis bejahten - Frage, ob Werbeanlagen auch dann, wenn sie baulich mit einem Gebäude verbunden werden, als neue Hauptnutzungen den bauplanungsrechtlichen Regelungen der §§ 29 ff BauGB unterliegen. Eine Aussage des Inhalts, dass mit der Anbringung einer Werbeanlage als gewerblicher Anlage etwa an einem Wohngebäude keine baugenehmigungspflichtige Änderung oder Nutzungsänderung des Gebäudes verbunden ist, enthält die genannte Entscheidung hingegen nicht. Ebenso wenig lässt sich daraus, dass an bzw. in einem Gebäude unterschiedliche Hauptnutzungen - z.B. Wohnnutzung und eine Nutzung gewerblicher Art - ausgeübt werden, etwa herleiten, dass hinsichtlich der unterschiedlichen Nutzungen auch unterschiedliche bauliche Anlagen vorliegen müssten.

Im Hinblick auf den Vortrag der Antragstellerin bleibt klarzustellen, dass es für das Vorliegen einer Nutzungsänderung keinen Unterschied ausmacht, ob die neue Nutzung weitgehend innerhalb der bereits vorhanden gewesenen Bausubstanz aufgenommen wird oder ob die neue Nutzung - wie hier - im Wesentlichen mit Hilfe solcher Bauteile erfolgt, die der bestehenden baulichen Anlage erst hinzugefügt werden. Für die Frage der Genehmigungspflichtigkeit einer Mobilfunkanlage im Land Nordrhein-Westfalen ist es daher unerheblich, ob der Mobilfunkbetreiber sich für eine sog. "indoor-Lösung" entscheidet, bei der die für den Betrieb der Mobilfunkanlage erforderlichen technischen Einrichtungen im Gebäude selbst - z.B. in einem bestehenden Keller- oder Dachraum oder in einem sonstigen, bislang zu anderen Zwecken genutzten Raum - untergebracht werden und lediglich der Antennenmast mit den einzelnen Antennenelementen neu auf oder an dem Gebäude angebracht wird - für andere Bundesländer vgl. die Sachverhalte in: VGH Bad.Württ., Urteil vom 26.10.1998 - 8 S 1848/98 -, a.a.O.; Nds. OVG, Beschluss vom 31.1.2002 - 1 MA 4216/01 -, a.a.O., und VGH, Beschluss vom 8.2.2002 - 8 S 2748/01 -, a.a.O. oder ob er - wie hier - eine sog. "outdoor-Lösung" wählt, bei der keines der notwendigen Elemente der Mobilfunkanlage innerhalb der bestehenden Bausubstanz untergebracht wird, sondern alle Elemente auf bzw. an dem Gebäude neu angebracht werden. In beiden Fällen bleibt es dabei, dass das Gebäude in seiner neuen Ausgestaltung eine zusätzliche - gewerbliche - Funktion erhält und damit i.S.v. § 63 Abs. 1 BauO NRW in seiner Nutzung geändert wird.

Die hier vorgenommenen Veränderungen des Wohngebäudes dürften im Übrigen neben den Voraussetzungen einer "Nutzungsänderung" i.S.v. § 63 Abs. 1 BauO NRW auch die der "Änderung" eines Gebäudes erfüllen. Letzteres ist zu bejahen, wenn der vorhandene Baubestand in seiner Substanz in irgendeiner Weise umgestaltet wird, wobei die Änderungen in An-, Um- und Erweiterungsbauten bestehen können.

Vgl.: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Die neue Bauordnung in Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 2000, § 3 Rdnr. 18.

Es spricht viel dafür, dass das von der Antragstellerin vorgenommene Aufbringen von 2 Antennenmasten sowie einer Technikkabine mit knapp 20 m3 Rauminhalt auf dem Flachdach des Wohngebäudes auch eine Änderung des Gebäudes darstellt. Einer abschließenden Entscheidung bedarf es jedoch nicht, weil schon das Vorliegen einer Nutzungsänderung zur grundsätzlichen Genehmigungspflicht nach § 63 Abs. 1 BauO NRW führt.

Ob die hiernach zu bejahende Nutzungsänderung des Wohngebäudes abweichend von § 63 Abs. 1 BauO NRW baugenehmigungsfrei ist, hängt allein davon ab, ob einer der Sondertatbestände des § 65 BauO NRW - die Regelungen der § 66, 67, 79 und 80 BauO NRW scheiden offensichtlich aus - vorliegt. Dies ist entgegen der Auffassung des VG nicht der Fall.

Ausgangspunkt auch dieser Wertung ist, dass die vorgenommenen Veränderungen des Wohngebäudes zur Errichtung der Mobilfunkanlage - wie bereits dargelegt - in ihrer Gesamtheit zu betrachten sind.

Hiernach scheidet eine Genehmigungsfreiheit nach § 65 Abs. 1 Nr. 18 BauO NRW, der "Antennenanlagen bis zu 10,0 m Höhe" erfasst, schon deshalb aus, weil sich die Mobilfunkanlage eben gerade nicht auf einen bloßen Antennenmast mit Antennen beschränkt. Dabei erscheint dem Senat - in Abstimmung mit dem für das Baurecht gleichfalls zuständigen 10. Senat - die Klarstellung angezeigt, dass die genannte Vorschrift sich nur auf solche Antennenanlagen bezieht, die ohne weitere Änderungen oder Nutzungsänderungen des bestehenden Gebäudes für sich funktionsfähig und bestimmungsgemäß nutzbar sind, wie es etwa bei Antennenanlagen für den Fernsehempfang in den bestehenden Aufenthaltsräumen des Gebäudes oder für andere Zwecke, die ohne weiteres in den bestehenden Aufenthaltsräumen ausgeübt werden können (z.B. private Nutzung eines im Wohngebäude wohnenden Funkamateurs), der Fall ist. Die Freistellung nach der genannten Vorschrift greift hingegen nicht, wenn die Antennenanlage untrennbar mit solchen Nutzungen verbunden ist, die in dem bestehenden Gebäude nur auf Grund einer baulichen Änderung oder Nutzungsänderung aufgenommen werden können.

Auch die übrigen Freistellungsregelungen des § 65 BauO NRW von der Baugenehmigungspflicht greifen hier schon deshalb nicht, weil die in ihrer Gesamtheit zu betrachtende Mobilfunkanlage eine Nutzungsänderung des Wohngebäudes darstellt. Nr. 9a der genannten Vorschrift scheidet im Übrigen auch deshalb aus, weil sich diese Regelung nur auf isolierte bauliche Anlagen der genannten Art - "die dem Fernmeldewesen, der allgemeinen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Öl, Wärme und Wasser dienen" - bezieht, wie schon aus der Beschränkung auf eine Grundfläche vom max. 20 m2 und eine Höhe von max. 4 m folgt. "Ortsveränderliche Antennenträger" i.S.v. Nr. 19 liegen ebenso wenig vor.

Erweist sich nach alledem, dass der Antragsgegner bei seiner Nutzungsuntersagung zu Recht von einer formellen Illegalität der Mobilfunkanlage ausgegangen ist, bedürfen allerdings noch die weiteren, vom VG nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig nicht näher geprüften Voraussetzungen für das Einschreiten des Antragsgegners näherer Betrachtung. Dabei lässt sich nicht feststellen, dass die für sofort vollziehbar erklärte Nutzungsuntersagungsverfügung aus anderen Gründen rechtswidrig ist. (wird ausgeführt).

Ende der Entscheidung

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