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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 16.10.2006
Aktenzeichen: 7 D 69/05.NE
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 136 Abs. 1
BauGB § 136 Abs. 2 Nr. 2
BauGB § 136 Abs. 4 Satz 3
BauGB § 141 Abs. 1
BauGB § 141 Abs. 1 Satz 1
BauGB § 141 Abs. 1 Satz 2
BauGB § 141 Abs. 2
BauGB § 142 Abs. 4 Satz 1 1. Halbsatz
BauGB § 144
BauGB §§ 152 ff.
Eine ordnungsgemäße Abwägung erfordert die ausreichende Ermittlung und Klärung der von den vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen betroffenen Rechtspositionen.

Die Entscheidung der Gemeinde, ob die Durchführung der Sanierung im herkömmlichen oder im vereinfachten Sanierungsverfahren erfolgen soll, erfordert die Klärung der Eigentumsverhältnisse im Sanierungsgebiet.


Tatbestand:

Die Antragsteller sind Eigentümer eines überwiegend als Bauhof der Antragsgegnerin genutzten Grundstücks, das im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet liegt. Ihr gegen die Satzung gerichteter Normenkontrollantrag hatte Erfolg.

Gründe:

Die Satzung der Antragsgegnerin über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets "Ortskern O." ist unwirksam, weil ihr hinsichtlich des so genannten qualifizierten öffentlichen Interesses im Sinne des § 136 Abs. 1 BauGB eine fehlerhafte Abwägung zugrunde liegt.

Gemäß § 136 Abs. 4 Satz 3 BauGB sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Zwar muss die Abwägung noch nicht alle mit der Realisierung der Sanierungsziele verbundenen Konflikte erfassen. Grundlegende Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Abwägung ist aber die ausreichende Ermittlung und Klärung der von den vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen betroffenen Rechtspositionen. Erst danach ist überhaupt absehbar, ob die Sanierungsziele erreicht werden können. Wenn die Gemeinde diese Klärung unterlässt, basiert die Abwägung auf einer unzureichenden Grundlage, weil die Frage der zügigen Umsetzbarkeit der mit der Satzung verfolgten Sanierungsziele offen bleibt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.7.2003 - 4 C 2.02 -, BRS 66 Nr. 226.

Als Sanierungsmaßnahmen kommen nach § 136 Abs. 1 BauGB nur solche städtebaulichen Maßnahmen in Betracht, deren einheitliche Vorbereitung und zügige Durchführung im öffentlichen Interesse liegt. Aus dem Erfordernis der einheitlichen Vorbereitung folgt, dass eine städtebauliche Sanierungsmaßnahme danach eine Gesamtmaßnahme ist, die anders als sonstige städtebauliche Maßnahmen darauf angelegt ist, mehrere Maßnahmen koordiniert und aufeinander abgestimmt für ein bestimmtes Gebiet vorzubereiten und durchzuführen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.5.1986 - 8 C 42.84 -, BRS 46 Nr. 216; Roeser, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Band II, 3. Auflage, Stand April 2002, § 136 Rdnr. 3.

Mit dem Zügigkeitserfordernis will der Gesetzgeber zum einen vermeidbaren Verzögerungen vorbeugen, die dadurch eintreten können, dass die Gemeinden die Sanierung ohne schlüssiges Konzept oder sonst unsachgemäß betreiben. Zum anderen muss eine Aussicht darauf bestehen, dass sich die städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen innerhalb eines absehbaren Zeitraumes durchführen lassen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.7.2003 - 4 CN 2.02 -, a.a.O.

Bei der Prüfung der Frage, ob sich die mit der Satzung verfolgten Sanierungsziele würden zügig realisieren lassen, konnte die Antragsgegnerin nicht auf das Stadtmarketing- und Entwicklungskonzept von April 2002 zurückgreifen, ohne gesondert vorbereitende Untersuchungen gemäß § 141 Abs. 1 BauGB durchgeführt oder veranlasst zu haben, da diesbezüglich noch keine hinreichenden Beurteilungsgrundlagen vorgelegen haben.

Gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 BauGB hat die Gemeinde vor der förmlichen Festlegung des Sanierungsgebiets die vorbereitenden Untersuchungen durchzuführen oder zu veranlassen, die erforderlich sind, um Beurteilungsgrundlagen zu gewinnen über die Notwendigkeit der Sanierung, die sozialen, strukturellen und städtebaulichen Verhältnisse und Zusammenhänge sowie die anzustrebenden allgemeinen Ziele und die Durchführbarkeit der Sanierung im Allgemeinen. Sinn und Zweck der vorbereitenden Untersuchungen ist die Feststellung der vorhandenen städtebaulichen Verhältnisse. Die Gemeinde soll hierdurch Beurteilungsgrundlagen für die weitere Vorbereitung, die Rechtfertigung der förmlichen Festlegung durch die Sanierungssatzung und für die Durchführung der Sanierung gewinnen, insbesondere über die Notwendigkeit der Sanierung, die sozialen, strukturellen und städtebaulichen Verhältnisse und Zusammenhänge. Hierbei sollen auch die allgemeinen Ziele und Zwecke der Sanierungsmaßnahme festgestellt werden.

Vgl. Fislake, in: Berliner Kommentar zum BauGB, a.a.O., § 141 Rdnr. 9; Krautzberger, in: Krautzberger, Städtebauförderungsrecht, Stand Juni 1999, C § 141 BauGB Rdnr. 15.

Gemäß § 141 Abs. 2 BauGB kann von vorbereitenden Untersuchungen abgesehen werden, wenn hinreichende Beurteilungsgrundlagen bereits vorliegen.

Voraussetzung für das Absehen von vorbereitenden Untersuchungen ist, dass die Gemeinde aufgrund bereits vorliegender Unterlagen und der Kenntnis der Einstellung und Mitwirkungsbereitschaft der Betroffenen hinreichende Beurteilungsgrundlagen für die Entscheidung über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets hat.

Vgl. Fislake, in: Berliner Kommentar zum BauGB, a.a.O., § 141 Rdnr. 17; Krautzberger, in: Krautzberger, a.a.O., C § 141 BauGB Rdnr. 66.

Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.

Im Rahmen des § 136 Abs. 2 Nr. 2 BauGB hat die Antragsgegnerin dem Sanierungsgebiet im Bereich des Bauhofareals eine Einzelhandelsfunktion zugewiesen. Dies soll dadurch erreicht werden, dass im Innenbereich des Blockes zentrumsergänzende Einzelhandelsnutzungen wie zum Beispiel ein SB-Markt oder Erweiterungsflächen für die bestehenden angrenzenden Läden etabliert werden, die sich um einen kleinen Platz gruppieren. Zu einer ordnungsgemäßen Abwägung nach § 136 Abs. 4 Satz 3 BauGB hätte es gehört, die tatsächlichen Voraussetzungen für die Erreichbarkeit dieses Sanierungsziels aufzuklären. Dies ist vorliegend unterblieben.

Aus dem Stadtmarketing- und Handlungskonzept ist zwar zu entnehmen, dass es bereits im Rahmen der Erstellung des städtebaulichen Gesamtkonzepts Ortskern O. zu einer gewissen Bürgerbeteiligung gekommen ist. Allerdings belegt das im Stadtmarketing- und Entwicklungskonzept enthaltene Handlungs- und Maßnahmenkonzept, das die Überführung der sektoralen Betrachtungen und Planungen in konkrete Maßnahmen und Arbeitsschritte darstellt, dass gerade die "Verfügbarkeit" der Grundstücksflächen für die Umsetzung der Sanierungsziele noch nicht hinreichend geklärt war. Ausweislich des Handlungs- und Maßnahmenkonzepts sollen im Hinblick auf die Entwicklung des Bauhofareals die Grundstücksverhältnisse als Sofortmaßnahmen für die Ortskernentwicklung O. geklärt und Gespräche mit den Anliegern und potentiellen zukünftigen Nutzern geführt werden. Hätte - wie die Antragsgegnerin vorträgt - eine umfängliche Beteiligung der Eigentümer der im gesamten Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücke bereits stattgefunden, aufgrund deren die Antragsgegnerin von einer zügigen Umsetzung der Sanierungsziele unter Mitwirkung der Eigentümer hätte ausgehen können, wäre es nicht mehr erforderlich gewesen, die Grundstücksverhältnisse erst noch zu klären. Da mit den Anliegern ebenfalls noch Gespräche geführt werden sollten, können diese folglich noch nicht in dem für die Festlegung eines Sanierungsgebiets mit den daraus folgenden Beschränkungen erforderlichen Umfang geführt worden sein und konnten wohl auch noch gar nicht geführt worden sein, wenn noch nicht einmal die Grundstücksverhältnisse geklärt waren.

Dass die bislang vorliegenden Unterlagen zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses unzureichend waren, ergibt sich auch aus der im Dezember 2004 vorgelegten Machbarkeitsstudie. In dieser Studie ist ausgeführt, dass die Machbarkeitsstudie zur Prüfung der Realisierbarkeit eines urbanen Quartiers mit zentralen Nutzungen mitten im Zentrum von O. und der Darstellung der städtebaulichen Perspektiven in einer Rahmenplanung dienen soll. In der Machbarkeitsstudie sollen die Rahmenbedingungen zur Entwicklung des Areals detailliert untersucht und auf dieser Grundlage städtebaulich attraktive und wirtschaftlich tragfähige Konzepte für das Karree südlich der A-Gasse erarbeitet werden. Die Machbarkeitsstudie soll darüber hinaus die inhaltlichen Anforderungen an "Vorbereitende Untersuchungen" für eine städtebauliche Sanierungsmaßnahme erfüllen. In der Machbarkeitsstudie sind dann auch die nach Satzungsbeschluss durchgeführten Eigentümergespräche ausführlich dokumentiert. Erst diese Gespräche haben der Antragsgegnerin Aufschluss über die Einstellung und Mitwirkungsbereitschaft der jeweiligen Eigentümer - zumindest in Bezug auf das Bauhofareal - gegeben. Die Mitwirkungsbereitschaft der Eigentümer war namentlich auch deshalb von besonderer Bedeutung für die Durchführung der Sanierung, weil die Antragsgegnerin die Anwendung der besonderen sanierungsrechtlichen Vorschriften und die Genehmigungspflicht nach § 144 BauGB ausgeschlossen hat. Der Bebauungsplan konnte von der Antragsgegnerin nicht allein als ausreichende Grundlage der Umsetzung ihrer städtebaulichen Entwicklungsvorstellungen angesehen werden, denn er stellt nur eine Angebotsplanung dar, die für sich genommen noch keine Umsetzung der sanierungsrechtlichen Zielvorstellungen der Antragsgegnerin garantiert. Die "Verfügbarkeit" der Grundstücksflächen gerade in dem Bereich des Bauhofareals hätte nicht ungeklärt bleiben dürfen, da dieser Bereich für die funktionale Entwicklung des Ortskerns von O. von zentraler Bedeutung ist.

Letztendlich belegt auch der Beschluss des Rates vom 28.9.2006, dass die bislang vorliegenden Unterlagen unzureichend waren. Denn für den Bereich des "Bauhof-Areals" hat der Rat der Antragsgegnerin am 28.9.2006 beschlossen, die vorbereitenden Untersuchungen nach § 141 BauGB im Hinblick auf § 141 Abs. 1 Satz 2 BauGB zu ergänzen, um die bisher durchgeführte Teiluntersuchung vollständig abzuschließen. ...

Die Sanierungssatzung ist noch aus einem weiteren Grunde unwirksam. Die Antragsgegnerin hat die Anwendung der Vorschriften des Dritten Abschnitts ausgeschlossen (so genanntes vereinfachtes Sanierungsverfahren), obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben waren.

Nach § 142 Abs. 4 Satz 1 1. Halbsatz BauGB ist in der Sanierungssatzung die Anwendung der Vorschriften des Dritten Abschnitts nur dann auszuschließen, wenn sie für die Durchführung der Sanierung nicht erforderlich ist und die Durchführung hierdurch voraussichtlich nicht erschwert wird. Die Entscheidung der Gemeinde über die Durchführung der Sanierung im herkömmlichen oder im vereinfachten Sanierungsverfahren ist keine Ermessensentscheidung ("ist ... auszuschließen"). Die Entscheidung für das vereinfachte Sanierungsverfahren ist vom Gesetz als Ausnahme vorgesehen. Hieraus ist abzuleiten, dass das Gesetz von der Vermutung des Erfordernisses der Anwendung des besonderen Sanierungsrechts ausgeht.

Vgl. Fislake, in: Berliner Kommentar zum BauGB, a.a.O., § 142 Rdnr. 41; Krautzberger in: Battis/ Krautzberger/Löhr, BauGB, 9. Auflage 2005, § 142 Rdnr. 35.

Die Entscheidung hängt davon ab, ob (ausnahmsweise) die Anwendung der §§ 152 ff. BauGB für die Durchführung der Sanierung nicht erforderlich ist und die Durchführung hierdurch voraussichtlich nicht erschwert wird. Rechtlich handelt es sich um eine an die unbestimmten Rechtsbegriffe der Erforderlichkeit und der Erschwerung der Sanierung gebundene Entscheidung. Die Entscheidung der Gemeinde ist von den Gerichten überprüfbar. Der Gemeinde steht aber ein weiter Beurteilungsspielraum zu.

Vgl. Krautzberger, in: Krautzberger, a.a.O., C § 142 BauGB Rdnr. 39; Bielenberg/ Krautzberger, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Kommentar, Stand November 1999, § 142 Rdnr. 23; vgl. auch Gaentzsch, Die Änderungen des Städtebauförderungsgesetzes, NJW 1985, 881, 887, der auf die Grundsätze der Überprüfungen von Prognoseentscheidungen verweist - vgl. zur Rechtmäßigkeitskontrolle von Prognoseentscheidungen BVerwG, Urteil vom 7.7.1978 - IV C 79.76 -, BVerwGE 56, 110.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die von der Gemeinde zu treffende Entscheidung ist der Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Sanierungssatzung.

Vgl. Fislake, in: Berliner Kommentar zum BauGB, a.a.O., § 142 Rdnr. 40; Bielenberg/Krautzberger, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, a.a.O., § 142 Rdnr. 23.

Allgemein kann gesagt werden, dass auf die Anwendung der §§ 152 ff. BauGB in denjenigen Fällen nicht verzichtet werden kann, in denen Bodenwertsteigerungen die Durchführung der Sanierung erschweren können. In der Sanierungspraxis hat sich schon unter der Geltung des Städtebauförderungsgesetzes gezeigt, dass Bodenwertsteigerungen allein schon durch die Absicht zu sanieren ausgelöst werden und dadurch den erforderlichen Grunderwerb für Ordnungsmaßnahmen nachhaltig beeinträchtigen können.

Vgl. Fislake, in: Berliner Kommentar zum BauGB, a.a.O., § 142 Rdnr. 42.

Soweit sanierungsbedingte Bodenwerterhöhungen im Sanierungsgebiet oder in Teilen zu erwarten sind, ist die Anwendung der §§ 152 ff. BauGB insbesondere von Bedeutung im Hinblick auf die Erschwernisse, Grundstücke für Ziele und Zwecke der Sanierung unbeeinflusst von sanierungsbedingten Werterhöhungen zu erwerben und auf die Erschwernisse für private Investitionen durch unkontrollierte Bodenwerterhöhungen.

Vgl. Bielenberg/Krautzberger, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, a.a.O., § 142 Rdnr. 24; Krautzberger, in: Krautzberger, a.a.O., C § 142 BauGB Rdnr. 40.

Die Antragsgegnerin hat sich bei ihrer Entscheidung für das vereinfachte Verfahren von den zuvor genannten Beurteilungsgrundlagen, insbesondere von dem Nichteintreten von Bodenwertsteigerungen leiten lassen. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Sanierungssatzung konnte die Antragsgegnerin jedoch mangels ausreichender Beurteilungsgrundlagen nicht abschätzen, ob die Durchführung der Sanierung erschwert wird. Da die Eigentumsverhältnisse der Grundstücksflächen des Sanierungsgebiets - wie oben bereits ausgeführt - erst noch geklärt werden sollten, konnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht beurteilen, welcher Eigentümer seine Grundstücksflächen zu welchem Preis zur Verfügung stellen und welcher Eigentümer eventuell selbst privat investieren will und dazu auch in der Lage ist. Für eine Einigung über einen freihändigen Verkauf hat es daher im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses noch keine konkreten Anzeichen geben. Dies wird auch durch die weitere Entwicklung bestätigt. Mit Beschluss vom 28.9.2006 hat sich der Rat der Antragsgegnerin für das Gebiet "Bauhof-Areal" nunmehr gegen das vereinfachte Sanierungsverfahren entschieden, weil Kerngrundstücke gerade nicht einvernehmlich in die Sanierungsmaßnahme einbezogen werden könnten.

Danach erweist sich die Sanierungssatzung der Antragsgegnerin insgesamt als rechtswidrig und unwirksam.

Ende der Entscheidung

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