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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 06.08.2003
Aktenzeichen: 7a D 100/01.NE
Rechtsgebiete: LG NRW, UVPG, BauGB, BauNVO


Vorschriften:

LG NRW § 5 Abs. 3 Satz 2
UVPG § 2 Abs. 3 Nr. 3 a.F.
UVPG § 3 a.F.
UVPG § 25
BauGB § 3 Abs. 1
BauGB § 9
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 10
BauGB § 215a
BauNVO § 22
BauNVO § 23
BauNVO § 23 Abs. 3 Satz 3
1. Wurde ein Bebauungsplan, der ein Sondergebiet für Windenergieanlagen festsetzt, nach Ablauf der Frist zur Umsetzung der UVP-Richtlinie der EU, aber vor In-Kraft-Treten der nationalen Umsetzung dieser Richtlinie erlassen, bedurfte er keiner Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), sondern nur einer Einzelfallprüfung nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie; zu den Anforderungen an eine solche Einzelfallprüfung.

2. Für die Festsetzung einer "gebündelten" Bauweise von Windenergieanlagen gibt es keine Rechtsgrundlage.

3. Die Gemeinde kann den Abstand von Windenergieanlagen untereinander in einem Bebauungsplan dadurch steuern, dass sie Baugrenzen festsetzt, innerhalb derer jeweils nur eine Windenergieanlage Platz findet.

4. § 9 Abs. 1 Nr. 10 BauGB ermächtigt nur zur Ausweisung von Flächen, die von jeglicher Bebauung frei zu halten sind; die Vorschrift bietet keine Grundlage dafür, es unterbinden zu wollen, dass die Rotoren von Windenergieanlagen bei deren Betrieb in bestimmte Flächen hineinragen.

5. Die Zumutbarkeit von Lärmimmissionen richtet sich im bauplanungsrechtlichen Außenbereich nach den Maßstäben für ein Misch- oder Dorfgebiet; die Lage einer Außenbereichsfläche in einem aus Gründen des Naturschutzes oder der Landschaftspflege festgesetzten Schutzgebiet hat nicht zur Folge, dass die Wohnruhe auf solchen Außenbereichsflächen besonders schutzwürdig wäre.

6. Hinreichend wissenschaftlich begründete Hinweise auf eine beeinträchtigende Wirkung der von Windenergieanlagen hervorgerufenen Infraschallemissionen auf den Menschen liegen bislang nicht vor.

7. Zur rechtlichen Bewertung des mit dem Betrieb von Windenergieanlagen verbundenen Unfallrisikos.

8. Bei der Ermittlung des Ausgleichsbedarfs für Beeinträchtigungen des Landschaftsbilds durch Windenergieanlagen ist eine allein flächenorientierte Betrachtungsweise (hier: Bedarf von rd. 5 ha nicht näher spezifizierter "Ausgleichsfläche" für 6 Windenergieanlagen) verfehlt.

9. Zur Sicherung der Realisierung von Ausgleichsmaßnahmen für Festsetzungen in einem "normalen" (nicht vorhabenbezogenen) Bebauungsplan reicht ein städtebaulicher Vertrag mit dem Investor, der nur die Vertragspartner bindet, nicht aus.

10. Die Höhe eines Ersatzgeldes für unterbliebene Ersatzmaßnahmen ist nach § 5 Abs. 3 Satz 2 LG NRW an die Kosten gekoppelt, die der Verursacher für konkrete Ersatzmaßnahmen hätte aufwenden müssen; die Ermittlung des Ersatzgelds setzt daher voraus, dass zuvor die an sich erforderlichen Ersatzmaßnahmen konkretisiert werden.


Tatbestand:

Die Antragsteller wenden sich mit ihrem Normenkontrollantrag gegen einen Bebauungsplan, der für eine der im Flächennutzungsplan der Antragsgegnerin - einer nordrhein-westfälischen Gemeinde - dargestellten Vorrangzonen für Windenergie Festsetzungen für die Errichtung von sechs Windenergieanlagen enthält. Die Antragsteller bewohnen ein im Außenbereich der Ortschaft T. (Rheinland-Pfalz) in unmittelbarer Nähe zur Landesgrenze nach Nordrhein-Westfalen gelegenes Anwesen, auf dem sie auch zwei Ferienwohnungen bewirtschaften. Das Anwesen liegt etwa 365 m nördlich des Bebauungsplangebietes.

Das OVG erklärte den Bebauungsplan für nichtig, soweit er eine "gebündelte Bauweise" und Flächen, die von Bebauung freizuhalten sind, festsetzt, im übrigen hat es ihn für unwirksam erklärt.

Gründe:

Die Rüge der Antragsteller, es fehle an einer notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), geht fehl.

Das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) in der seit dem 3.8.2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27.7.2001 (BGBl. I S. 1950) - UVPG n.F. -, auf das die Antragsteller sich berufen, konnte hier schon deshalb keine Anwendung finden, weil es bei Abschluss des Planaufstellungsverfahrens mit der Bekanntmachung vom 28.4.2001 noch nicht in Kraft getreten war. Die Übergangsvorschrift des § 25 UVPG betrifft nur Verfahren, die beim Inkrafttreten der Änderung noch anhängig waren.

Aus der auf das Planaufstellungsverfahren danach anwendbaren Fassung des UVPG (UVPG in der Fassung des Art. 7 des Bau- und Raumordnungsgesetzes vom 18.8.1997, BGBl. I S. 2081 - UVPG a.F. -) folgte keine Pflicht zur Durchführung einer UVP, weil nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 UVPG a.F. einer Umweltverträglichkeitsprüfung nur solche Bebauungspläne unterlagen, die die Zulässigkeit von Vorhaben nach der Anlage zu § 3 begründen sollten bzw. Planfeststellungsbeschlüsse für solche Vorhaben ersetzten. Windenergieanlagen oder Windparks sind in der Anlage zu § 3 und im Anhang zu Nr. 1 der Anlage zu § 3 UVPG a.F. aber nicht genannt. Mithin unterlagen sie nach dem UVPG a.F. nicht der Umweltverträglichkeitsprüfung.

Auch die Ansicht der Antragsteller, dass sich die Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unmittelbar aus der EU-UVP-Richtlinie - Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27.6.1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. EG Nr. L 175 vom 5.7.1985 S. 40) - UVP-Richtlinie a.F. - in der Fassung der Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3.3.1997 zur Änderung der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. EG Nr. L 73 vom 14.3.1977 S. 5) - UVP-Richtlinie n.F. - ergeben habe, trifft nicht zu.

Die UVP-Richtlinie n.F. war zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses noch nicht in nationales Recht umgesetzt. Die Umsetzungsfrist hatte nach Art. 3 Abs. 1 der Änderungsrichtlinie am 14.3.1999 geendet.

Damit dürfte die Änderungsrichtlinie nach der Rechtsprechung des EUGH und des BVerwG jedenfalls teilweise unmittelbar anwendbar gewesen sein. Unmittelbar anwendbar sind aber nur solche Bestimmungen, die "self executing" sind, d.h. die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen. Unbedingt ist eine Gemeinschaftsbestimmung, wenn sie eine Verpflichtung begründet, die weder an eine Bedingung geknüpft ist noch zu ihrer Erfüllung und Wirksamkeit einer Maßnahme der Gemeinschaftsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf. Hinreichend genau, um von einem Einzelnen herangezogen und vom Gericht angewandt zu werden, ist eine Bestimmung, wenn sie unzweideutig eine Verpflichtung enthält.

Vgl. EuGH Urteil vom 23.2.1994 - Rs C 236/92 - NVwZ 1994, 885.

Das ist jedenfalls für den Kern der UVP-Richtlinie a.F. der Fall, vgl. ausführlich zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Urfassung der UVP-Richtlinie: BVerwG, Urteil vom 25.1.1996 - 4 C 5.95 - BRS 58 Nr. 7, und dürfte auch im Wesentlichen für die Änderungsrichtlinie zutreffen, vgl. Gaentzsch, Zur Umweltverträglichkeitsprüfung von Bebauungsplänen und zu Fehlerfolgen insbesondere bei der unmittelbaren Anwendbarkeit der UVP-Richtlinie, UPR 2001, 287 (290).

Der Frage, ob die Aufstellung eines Bebauungsplans eine Genehmigung für ein Projekt im Sinne der Definition in Art. 2 UVP-Richtlinie ist, vgl. insoweit differenzierend Gaentzsch, a.a.O., S. 288 f. bzw. ob der hier streitige Bebauungsplan überhaupt in den Anwendungsbereich der UVP-Richtlinie fällt, kann der Senat dahinstehen lassen und zugunsten der Antragsteller unterstellen.

Ebenso kann dahinstehen, ob der hier streitige Bebauungsplan in den Zeitraum der unmittelbaren Wirkung der Änderungsrichtlinie fällt. Die unmittelbare Wirkung der UVP-Richtlinie n.F. war mit Ablauf der Umsetzungsfrist, also erst ab dem 14.3.1999 zu beachten. Für Genehmigungsanträge hat der EuGH entschieden, dass für die Frage, ob ein Vorhaben UVP-pflichtig war, darauf abzustellen ist, ob der Genehmigungsantrag vor oder nach Ablauf der Umsetzungsfrist gestellt worden ist.

Vgl. EuGH, Urteil vom 11.8.1995 - Rs C 431/92 -, DVBl. 1996, 424.

Übertragen auf Bebauungspläne mag das bedeuten, dass maßgeblicher Verfahrensschritt, auf dessen Zeitpunkt für die Frage der unmittelbaren Wirkung der Änderungsrichtlinie abzustellen ist, der Aufstellungsbeschluss oder die frühzeitige Unterrichtung der Bürger nach § 3 Abs. 1 BauGB ist.

Vgl. Gaentzsch a.a.O., S. 290.

Beide fanden hier vor dem Eintritt der unmittelbaren Wirkung am 14.3.1999 statt, nämlich am 17.12.1998 bzw. am 13.1.1999.

Auf die angesprochenen Fragen kommt es jedoch deswegen nicht entscheidungserheblich an, weil der hier streitige Bebauungsplan jedenfalls kein Projekt i.S. des § 4 Abs. 1 i.V. mit Anhang I der UVP-Richtlinie n.F. darstellt, für das diese Richtlinie eine UVP zwingend vorschreibt. Der Bebauungsplan hat die Errichtung von Windenergieanlagen zum Gegenstand. Diese werden aber in Anhang I der Richtlinie nicht genannt.

Windenergieanlagen in der Form von Windfarmen werden hingegen in Anhang II der UVP-Richtlinie n.F. genannt, der Projekte nach Art. 4 Abs. 2 aufzählt. Bei Projekten i.S. dieser Vorschrift ist eine UVP nicht zwingend erforderlich, sondern nur, wenn sich die Notwendigkeit aufgrund einer Einzelfalluntersuchung (Buchstabe a) oder anhand der von den Mitgliedstaaten zu bestimmenden Schwellenwerte bzw. Kriterien (Buchstabe b) ergibt. Eine unmittelbare Anwendung des Art. 4 Abs. 2 kommt nur insoweit in Betracht, als sich die Pflicht, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen aus einer Einzelfalluntersuchung nach Buchstabe a) ergibt. Denn die Pflicht zur Durchführung einer UVP nach Buchstabe b) hängt von einer konstitutiven Entscheidung der Mitgliedstaaten ab, nämlich der Festlegung von Schwellenwerten bzw. Kriterien. Damit ist dieser Teil der Richtlinie nicht "self executing" und nicht unmittelbar anwendbar. Eine Einzelfalluntersuchung i.S. des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a) UVP-Richtlinie n.F. ist hier aber erfolgt. Die verschiedenen im Rahmen der Erarbeitung des Bebauungsplans erstellten Untersuchungen und Gutachten (Umweltverträglichkeitsstudie und Landschaftspflegerischer Begleitplan, Schallgutachten und Schattenwurfanalyse) erfüllen zusammen mit der Bebauungsplanbegründung die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an eine solche Einzelfalluntersuchung nach Art. 4 Abs. 3 i.V. mit Anhang III UVP-Richtlinie n.F. Danach müssen bei einer Einzelfalluntersuchung die Auswahlkriterien des Anhangs III berücksichtigt werden. Das ist hier geschehen. Im Rahmen der verschiedenen vorbereitenden Untersuchungen und Gutachten sind die Projektmerkmale hinsichtlich der in Anhang III Nr. 1 genannten Punkte und die ökologische Empfindlichkeit der geographischen Räume, die durch das Projekt möglicherweise beeinträchtigt werden, nach den in Nr. 2 genannten Punkten beurteilt sowie die potentiell erheblichen Auswirkungen des Projekts anhand der in Nr. 3 genannten Merkmale bewertet worden.

Das Ergebnis dieser Prüfung, dass weitere umweltbezogene Prüfungen nicht erforderlich seien, ist mit Art. 4 Abs. 2 der UVP-Richtlinie n.F. zu vereinbaren und daher aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts nicht zu beanstanden.

In materieller Hinsicht leidet der streitige Bebauungsplan allerdings an verschiedenen Mängeln.

Das gilt zunächst insoweit, als die Antragsgegnerin eine "gebündelte Bauweise" und von Bebauung freizuhaltende Flächen festgesetzt hat. Diese Festsetzungen sind von keiner Rechtsgrundlage gedeckt.

Mit der Festsetzung einer "gebündelten Bauweise" in den zeichnerischen Festsetzung und der textlichen Festsetzung Nr. 3 Abs. 1 hat die Antragsgegnerin den von ihr als betriebsbedingt notwendig angesehenen Abstand zwischen den Windkraftanlagen als einzuhaltende Bauweise festsetzen wollen.

Für eine derartige Festsetzung gibt es keine Ermächtigungsgrundlage. Auf § 22 BauNVO, der die Zulässigkeit von Festsetzungen über die Bauweise näher regelt, kann diese Festsetzung schon deshalb nicht gestützt werden, weil die Regelung der Bauweise allein die Anordnung der Gebäude auf dem Grundstück im Verhältnis zu den Nachbargrundstücken und dabei insbesondere zu den seitlichen Grundstücksgrenzen betrifft.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.1.1995 - 4 NB 48.93 -, BRS 57 Nr. 23.

Eine solche Regelung hat die Antragsgegnerin unter Nr. 3 Abs. 1 der textlichen Festsetzungen nicht getroffen und auch nicht treffen wollen. Sie wollte nach dem insoweit maßgeblichen eindeutigen Wortlaut der textlichen Festsetzung, der identisch ist mit den Ausführungen in der Planbegründung, vielmehr mit der von ihr so genannten "gebündelten Bauweise" eine Aussage zur Entfernung der Windkraftanlagen untereinander treffen. Für eine solche Regelungsmöglichkeit als Bauweise gibt § 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB i.V. mit § 22 BauNVO nichts her. Auch eine andere Rechtsgrundlage für die Festsetzung einer derartigen "Bauweise" ist nicht ersichtlich.

Zur Vermeidung von Missverständnissen weist der Senat allerdings darauf hin, dass die Gemeinde durchaus befugt ist, die Entfernung der Windkraftanlagen untereinander im Bebauungsplan zu steuern. Dazu genügt etwa die Ausweisung von Baugrenzen, innerhalb derer jeweils nur eine Windkraftanlage Platz findet. Auch wenn Windenergieanlagen keine Gebäude im Sinne des landesrechtlichen Gebäudebegriffs sind (vgl. § 2 Abs. 2 BauO NRW), ist die Steuerung der Standorte von Windenergieanlagen bundesrechtlich über die bauplanungsrechtliche Festsetzung von Baugrenzen - ggf. auch Baulinien - nach § 23 BauNVO möglich.

Die Festsetzungen über die "von Bebauung frei zu haltenden Flächen" ermangeln gleichfalls einer Rechtsgrundlage.

Der Bebauungsplan setzt entlang der im Plangebiet verlaufenden Bundesstraßen und entlang der im Plangebiet liegenden Waldflächen Flächen fest, die von Bebauung freizuhalten sind. Die textliche Festsetzung lautet:

"In Flächen, die von der Bebauung freizuhalten sind, dürfen keine Windkraftanlagenflügel hineinragen. ... "

Auch diese Festsetzung ist von keiner Rechtsgrundlage gedeckt. Entgegen dem Hinweis auf die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 10 BauGB in der Überschrift der textlichen Festsetzung hat die Antragsgegnerin keine von dieser Norm getragene Festsetzung getroffen.

§ 9 BauGB nennt in Abs. 1 und Abs. 2 die Festsetzungen, die in einem Bebauungsplan getroffen werden können. Dazu gehören nach Abs. 1 Nr. 10 auch "die Flächen, die von der Bebauung freizuhalten sind, und ihre Nutzung". Gemeint sind damit Flächen innerhalb des Plangebietes, die von jeglicher Bebauung freizuhalten sind.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.2.2003 - 4 BN 14.03 -, JURIS; Beschluss vom 27.1.1999 - 4 B 129.98 -, BRS 62 Nr. 29.

Eine solche Regelung hat die Antragsgegnerin aber nicht getroffen und wollte sie auch nicht treffen. Vielmehr wollte die Antragsgegnerin mit Hilfe dieser Festsetzungen lediglich sicher stellen, dass die Rotorblätter der Windenergieanlagen nicht in die festgesetzten "Schutzstreifen" hineinragen. Das ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Bebauungsplanfestsetzungen: [Wird ausgeführt]

Dieses Ziel, das etwa mit einer entsprechenden Anordnung der Baufenster und/oder einer räumlichen Begrenzung der Ausnahmeregelung nach § 23 Abs. 3 Satz 3 BauNVO hätte erreicht werden können, kann aber mit der hier gewählten Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 10 BauGB nicht verfolgt werden. Die Vorschrift gibt keine Möglichkeit, nur eine einzige Nutzung - hier für Windenergieanlagen und dabei sogar nur für Teile von ihnen - auszuschließen, sondern ermöglicht es lediglich, eine Fläche gänzlich von Bebauung freizuhalten.

Da die Festsetzungen zur Bauweise und zu den von Bebauung freizuhaltenden Flächen auf keine einschlägige Rechtsgrundlage gestützt werden können, sind diese Mängel nicht in einem ergänzenden Verfahren nach § 215a BauGB behebbar. Die Festsetzungen sind mithin nicht nur unwirksam, sondern nichtig.

Die Nichtigkeit dieser Festsetzungen führt jedoch nicht zur Gesamtnichtigkeit des Bebauungsplans, sondern nur zur Nichtigkeit der betreffenden Festsetzungen, denn die restlichen Festsetzungen des Bebauungsplans bewirken für sich genommen noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung. [Wird ausgeführt.]

Im übrigen weist der Bebauungsplan keine Mängel auf, die nicht im ergänzenden Verfahren behebbar sind und deshalb nicht zu seiner Gesamtnichtigkeit führen.

...

Ob Lärmimmissionen, die von einer Windenergieanlage ausgehen, schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetz darstellen, beurteilt sich nach der Sechsten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm) in der Fassung vom 26.8.1998. Als Bewohner des bauplanungsrechtlichen Außenbereichs haben die Antragsteller und auch die weiteren Bewohner von Wohngebäuden im Umfeld des Plangebiets einen Lärmpegel von tagsüber 60 dB(A) und nachts 45 dB(A) hinzunehmen. Die Zumutbarkeit von Lärmimmissionen richtet sich im bauplanungsrechtlichen Außenbereich, der grundsätzlich gerade nicht dem Wohnen dient, generell nach den Maßstäben für ein Misch- oder Dorfgebiet.

Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 18.11.2002 - 7 A 2127/00 -, BRS 65 Nr. 182; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 26.4.2002 - 10 B 43/02 -, BRS 65 Nr. 101.

Der von den Antragstellern unter Hinweis auf die Lage in einem Schutzgebiet, in dem "üblicherweise besondere Stille gesetzlich vorgesehen sei", für zutreffend gehaltene Nachtwert von 35 dB(A) ist nicht anzuwenden. Die Lage einer Außenbereichsfläche in einem aus Gründen des Naturschutzes oder der Landschaftspflege festgesetzten Schutzgebiet hat nicht zur Folge, dass die Wohnruhe auf solchen Außenbereichsflächen besonders schutzwürdig wäre. In einem Landschaftsschutzgebiet, in dem bestimmungsgemäß grundsätzlich nicht gewohnt werden soll, ist nämlich nicht etwa das Wohnen und damit auch die Wohnruhe, sondern die Landschaft nach dem Maßstab des § 21 LG besonders geschützt.

Die genannten maßgeblichen Werte können nach dem im Planaufstellungsverfahren eingeholten, auf den Vorgaben der TA Lärm 1998 basierenden Prognosegutachten eingehalten werden. [Wird ausgeführt.]

Der nach alledem städtebaulich hinreichend gerechtfertigte Bebauungsplan leidet aber an Abwägungsfehlern.

Abwägungsfehler ergeben sich nicht aus der Behandlung der immissionsschutzrechtlichen Belange, die durch die Planung berührt werden.

Zu den von den geplanten Windenergieanlagen zu erwartenden Lärmimmissionen hat die Antragsgegnerin das bereits erwähnte Prognosegutachten des Büros V. eingeholt. Die in diesem Gutachten angestellten Ermittlungen erfüllen die Anforderungen an eine sachgerechte Prognose. [Wird ausgeführt.]

Dadurch, dass sich die Antragsgegnerin für einen bei der gegebenen Außenbereichslage der betroffenen Wohnbebauung ausreichenden Richtwert von 45 dB(A) als Schutzmaßstab für die von den zu erwartenden Lärmimmissionen betroffenen Anwesen entschieden und von der Sicherstellung eines höheren Schutzmaßstabes abgesehen hat, überschreitet sie nicht den ihr zustehenden Abwägungsspielraum. Bei ihrer Abwägung durfte sie die Vorbelastung auch durch gleichartige Anlagen und die regionalplanerischen Vorgaben für diese Gegend sowie das Interesse an einer möglichst intensiven Nutzung der ausgewiesenen Vorrangzonen berücksichtigen und demgegenüber das Interesse der betroffenen Bewohner an einer von Lärmimmissionen möglichst unbelasteten, d.h. möglichst leisen Umgebung zurückstellen.

Auch die Behandlung der von den Antragstellern weiter geltend gemachten negativen Einwirkungen auf Ihr Grundstück durch Infraschall ist nicht zu beanstanden. Angesichts dessen, dass die Antragsteller auf eine Untersuchung verwiesen haben, ohne näher zu substantiieren, welche konkreten Folgen danach für sie zu erwarten seien, genügte die Bezugnahme der Antragsgegnerin auf zwei Untersuchungen aus dem Jahre 1982 und 1995, die keinen Hinweis auf etwaige von Infraschall - auch dem von Windenergieanlagen verursachten - ausgehende Gefahren gefunden haben.

Die von der Antragsgegnerin angenommene Unbedenklichkeit der Windenergieanlagen im Hinblick auf Immissionen im Infraschallbereich erscheint auch nicht offensichtlich fehlsam. Zwar kann messtechnisch nachgewiesen werden, dass Windenergieanlagen Infraschall verursachen. Die festgestellten Infraschallpegel liegen aber weit unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des Menschen; wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Hinweise auf eine beeinträchtigende Wirkung der von Windenergieanlagen hervorgerufenen Infraschallemissionen auf den Menschen wurden bislang nicht gefunden, vgl. Windenergieanlagen und Immissionsschutz, Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen, Materialien Nr. 63, 2002, S. 19, http:// www.lua.nrw.de/veroeffentlichungen/materialien/ mat63/mat63neu.pdf, m.w.N.; vgl. auch Urteil des Senats vom 18.11.2002 - 7 A 2127/00 -, BRS 65 Nr. 182.

Die von den Antragstellern angesprochene Gefahr durch Rotorblattabwurf, "durchgehende" Anlagen und Eisabwurf hat die Antragsgegnerin gleichfalls zutreffend abgewogen. Ihre Bewertung, dass das grundsätzlich bestehende Risiko beim Betrieb technischer Anlagen hier durch entsprechende technische Prüfungen im Rahmen der Baugenehmigung und Überwachungen sowie regelmäßige Wartung und Instandhaltung minimiert (und damit hinnehmbar) sei, lässt eine Fehlgewichtung nicht erkennen. Die Antragsteller haben zwar eine Zusammenstellung von technischen Defekten und Unfällen mit Windenergieanlagen, die sich zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten ereignet haben, vorgelegt. Aus dieser Zusammenstellung von Einzelfällen ergibt sich aber nicht, dass das Grundstück der Antragsteller trotz der Entfernung von etwa 400 m zur nächstgelegenen Windenergieanlage einem Risiko ausgesetzt wäre, das über das allgemeine, mit jeder Form der Nutzung von Technik verbundene und daher als sozialadäquat von jedermann hinzunehmende Risiko hinausgeht.

Die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege hat die Antragsgegnerin hingegen nicht fehlerfrei abgewogen. ...

Bereits die Ermittlung des konkreten Kompensationsbedarfs ist unzulänglich. Dieser liegt nämlich eine schon vom Ansatz her verfehlte allein flächenorientierte Betrachtungsweise zu Grunde. Insoweit erscheint bereits bedenklich, dass die Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes überhaupt einer mathematisierten Bewertung zur Ermittlung eines bestimmten Kompensationsbedarfs unterzogen werden können. Das Schutzgut "Landschaftsbild" ist kein - objektiv messbarer - Wert an sich, sondern wird in seiner Wertigkeit nur definiert in der wertenden Betrachtung durch den Menschen, auf den es einwirkt und der es wahrnimmt. Maßgeblich sind dabei in erster Linie die Kriterien Vielfalt, Eigenart und Schönheit (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 BNatSchG). Zusätzlich kann auch die in § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 Nrn. 2, 11 und 12 BNatSchG a.F. (BNatSchG i. d. F. der Bekanntmachung vom 21.9.1998 - BGBl. I S. 2994) bzw. § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 2 Abs. 1 Nrn. 11 und 13 BNatSchG n.F. (BNatSchG in der seit dem 4.4.2002 geltenden Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften - BNatSchGNeuRegG- vom 25.3.2002 - BGBl. I S. 1193 -) ausdrücklich angesprochene Bedeutung der jeweils betroffenen Landschaft für die Erholung des Menschen relevant sein. Ob diese Kriterien überhaupt mit objektivierbaren Bewertungszahlen erfasst werden können, erscheint bereits zweifelhaft. Letztlich kann dies aber dahinstehen, da jedenfalls der Bedarf für einen sachgerechten Ausgleich der - optischen - Beeinträchtigungen des Landschaftsbilds sich nicht in einer bloßen Flächenangabe für eine - in ihrem optischen Erscheinungsbild nicht umschriebene - Ausgleichsfläche erschöpfen kann, wie im Landschaftspflegerischen Begleitplan geschehen.

Vgl. zum Ganzen OVG NW, Urteile vom 30.6.1999 - 7a D 144/97.NE -, vom 16.1.1997 - 7 A 310/95 -, AgrarR 1997, 298, sowie vom 12.10.1998 - 7 A 3813/96 -, NuR 1999, 409.

Anders als beim Ausgleich der funktionalen Störungen im Wirkungsgefüge des Naturhaushalts, der nach § 8 Abs. 2 Satz 4 des hier anwendbaren BNatSchG a.F. dann vorlag, wenn nach Beendigung des Eingriffs keine erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigung des Naturhaushalts zurückbleibt, fordert der Gesetzgeber beim Ausgleich von Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes nicht die - nur selten mögliche - vollständige Behebung der optischen Störungen im Landschaftsbild. Nach der genannten Vorschrift - ebenso wie nach § 19 Abs. 2 Satz 3 und 4 BNatSchG n.F. - ist der Ausgleich dadurch zu erbringen, dass das Landschaftsbild landschaftsgerecht wiederhergestellt oder jedenfalls landschaftsgerecht neu gestaltet wird. Dabei ist ein Ausgleich durch Neugestaltung des Landschaftsbildes - auch wenn sie landschaftsgerecht erfolgt - nicht denkbar, ohne dass die Neugestaltung und damit zugleich aber auch eine Veränderung und die Tatsache des Eingriffs sichtbar bleibt.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 27.9.1990 - 4 C 44.87 -, BRS 50 Nr. 222, und vom 18.12.1996 - 11 A 4.96 -, JURIS.

Ein Ausgleich des Eingriffs in das Landschaftsbild liegt demgemäß bereits dann vor, wenn durch die Ausgleichsmaßnahmen in dem betroffenen Landschaftsraum ein Zustand geschaffen wird, der in gleicher Art, mit gleichen Funktionen und ohne Preisgabe wesentlicher Faktoren des optischen Beziehungsgefüges den vor dem Eingriff vorhandenen Zustand in weitestmöglicher Annäherung fortführt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27.9.1990 - 4 C 44.87 -, BRS 50 Nr. 222.

Gleiches gilt für Ersatzmaßnahmen nach den Vorschriften der Landesnaturschutzgesetze (hier § 5 LG in der Fassung der Bekanntmachung vom 21.7.2000, GV.NRW.S. 568), die gemäß § 200a BauGB für die Bauleitplanung den Ausgleichsmaßnahmen gleichgestellt sind.

Ob ein Eingriff in das Landschaftsbild ausgeglichen ist, ergibt sich nicht andeutungsweise daraus, wie groß die Fläche ist, die für den Ausgleich in den Blick genommen wird, sondern richtet sich allein nach den qualitativen Eigenschaften der zum Ausgleich vorgesehenen Maßnahmen. Dementsprechend kann der Bedarf für einen Ausgleich erheblicher Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes nicht in einer bloßen Flächenermittlung quantifiziert, sondern letztlich nur in Form der Benennung von konkreten optisch wirksamen Maßnahmen qualitativ umschrieben werden.

Vgl. dazu grundlegend OVG NRW, Urteil vom 30.6.1999 - 7a D 144/97.NE -, BRS 62 Nr. 225.

Daran fehlt es hier vollständig. Die "Beschreibung der Kompensationsmaßnahmen" im Landschaftspflegerischen Begleitplan beschränkt sich auf die Empfehlung, die Kompensationsmaßnahmen im Einwirkungsbereich der Anlagen durchzuführen. [Wird ausgeführt] Auch im weiteren Verlauf des Planaufstellungsverfahrens bis zum Satzungsbeschluss ist eine Konkretisierung der Ausgleichsmaßnahmen nicht erfolgt. Schon dies macht die Abwägung der Antragsgegnerin zur Berücksichtigung des Kompensationsinteresses fehlerhaft.

Der Durchführungsvertrag zwischen der Antragsgegnerin und der Betreiberfirma des Windparks als Vorhabenträgerin vermag den Mangel einer Konkretisierung der Ausgleichsmaßnahmen nicht zu beheben. Zwar kann Ausgleich und Ersatz für Eingriffe in Natur und Landschaft statt durch Festsetzungen im Bebauungsplan grundsätzlich auch durch einen städtebaulichen Vertrag gewährleistet werden.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9.5.1997 - 4 N 1.96 -, BRS 59 Nr. 11.

Der Durchführungsvertrag kann diese Funktion hier aber schon deswegen nicht erfüllen, weil er erst ein halbes Jahr nach dem Satzungsbeschluss abgeschlossen wurde und mithin nicht Gegenstand der Abwägung sein konnte.

Überdies leidet der Durchführungsvertrag an verschiedenen Mängeln, die seine Tauglichkeit als Instrument zur Sicherung der erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen für die Eingriffe in Natur und Landschaft ausschließen.

Er ist zur Sicherung der Durchführung der Ausgleichsmaßnahmen nicht geeignet, weil die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag nur die beiden Vertragsparteien treffen, während die Bebauungsmöglichkeiten, die sich aus dem Bebauungsplan ergeben - hier die Möglichkeit, Windenergieanlagen zu errichten -, jedem Bauwilligen offen stehen, auch wenn er nicht Vertragspartei des Durchführungsvertrags ist. Seiner rechtlichen Grundkonstruktion nach ist der "Durchführungsvertrag" nämlich auf ergänzende Regelungen zu einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan i.S. des § 12 BauGB zugeschnitten, wie er ursprünglich im Planaufstellungsverfahren vorgesehen war. Von dem Erlass eines solchen vorhabenbezogenen Bebauungsplans hat die Antragsgegnerin jedoch bewusst abgesehen und sich dazu entschlossen, einen "normalen" Bebauungsplan - im Sinne einer von jedermann realisierbaren Angebotsplanung - als Satzung zu beschließen.

Zweifelhaft ist auch, ob das im Vertrag bestimmte Ersatzgeld den gesetzlichen Anforderung entspricht. Das Ersatzgeld ist zwar grundsätzlich eine bundesrechtlich durch § 200a Abs. 1 Satz 1 BauGB zugelassene Kompensationsmöglichkeit.

Zur Zulässigkeit des Ersatzgeldes nach nordrhein-westfälischem Landesrecht vgl. grundlegend OVG NRW, Urteil vom 7.2.1997 - 7a D 134/95.NE -, BRS 59 Nr. 225.

Es ist gegenüber den Ersatzmaßnahmen i.S. von § 5 Abs. 1 Satz 1 LG, die im Bereich der Bauleitplanung auch einen Ausgleich i.S. von § 1a Abs. 3 BauGB sichern können, jedoch insoweit nachrangig, als seine Erhebung gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 LG voraussetzt, dass die erforderlichen Ersatzmaßnahmen nicht oder nicht ihrem Zweck entsprechend durchgeführt werden können. Welche Ersatzmaßnahmen hier in Betracht gekommen wären und dass bzw. inwieweit sie nicht oder nicht zweckentsprechend durchgeführt werden könnten, ist aber von der Antragsgegnerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses nicht dargetan worden noch sonst ersichtlich gewesen.

Ende der Entscheidung

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