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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 02.12.2002
Aktenzeichen: 7a D 39/02.NE
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 3
BauGB § 8 Abs. 3 Satz 2
BauGB § 30 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3
BauGB § 34 Abs. 4 Satz 3
BauGB § 34 Abs. 5 Satz 1
1. Die Gemeinde ist nicht berechtigt, die städtebauliche Entwicklung durch eine Ergänzungssatzung (§ 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB) in der einem qualifizierten Bebauungsplan entsprechenden Regelungsdichte zu steuern.

2. Die mögliche bauliche Entwicklung des Satzungsbereichs muss sich grundsätzlich aus der prägenden Wirkung der an das Satzungsgebiet angrenzenden baulichen Nutzung herleiten.


Gründe:

Der Normenkontrollantrag ist begründet.

Die Ergänzungssatzung geht mit ihren Festsetzungen über die Regelungsdichte hinaus, die eine Ergänzungssatzung aufweisen darf.

Gemäß § 34 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 BauGB können in einer Ergänzungssatzung (nur) einzelne Festsetzungen nach § 9 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 getroffen werden. Die Gemeinden sind demnach nicht ermächtigt, durch Ergänzungssatzung umfassende Regelungen zur zulässigen Bebauung des Satzungsgebiets nach Art eines qualifizierten Bebauungsplans zu treffen. Besteht ein städtebauliches Erfordernis an einer qualifizierten Bebauungsplanung, ist die Gemeinde darauf verwiesen, das diesen Anforderungen entsprechende Verfahren zum Erlass eines qualifizierten Bebauungsplans durchzuführen.

Vgl. Berliner Schwerpunkte - Kommentar zum BauGB, 1998, § 34 Rdnr. 16; Berliner Kommentar zum BauGB, § 34 Rdnr. 94; Brügelmann, BauGB, Stand November 2001, § 34 Rdnr. 75; OVG Bautzen, Urteil vom 4.10.2000 - 1 D 683/99 -, NVwZ 2001, 1070.

Weitergehende Regelungsmöglichkeiten sollten der Gemeinde mit der Ergänzungssatzung nicht an die Hand gegeben werden. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Aus dem Wortlaut des Gesetzes, der auf nur einzelne Außenbereichsflächen abstellt, folgt die Beschränkung der Satzung auf eine Flächengröße, die es vertretbar erscheinen lässt, auf eine Bebauungsplanung zu verzichten, also kein umfassendes Bebauungsplanverfahren durchzuführen. Auf die Stadtplanung bezogene konzeptionelle Erwägungen der Gemeinde dürfen nicht bereits im Hinblick auf die Größe des überplanten Bereichs gefordert sein. Diese Grenze der Satzungsermächtigung der Gemeinde wird durch § 35 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 BauGB bestätigt. Nicht die städtebauliche Erforderlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB gibt einen Maßstab für die Frage, ob eine Ergänzungssatzung erlassen werden soll oder nicht, sondern die geordnete städtebauliche Entwicklung setzt die äußere Grenze für die Zulässigkeit der Satzung.

Ferner müssen die einzelnen in die Satzung einbezogenen Außenbereichsflächen durch die bauliche Nutzung der angrenzenden Bereiche geprägt sein. Dies bedeutet zweierlei, nämlich dass die Satzungsfläche zum einen an baulich genutzte Bereiche eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils angrenzen muss und zum zweiten darüber hinaus durch diese angrenzende Nutzung eine Prägung erfährt, aus der sich ein Maßstab für die bauliche Entwickung der Außenbereichsflächen ableiten lässt. Die bauliche Nutzung der angrenzenden bebauten Flächen muss ihrerseits derart gewichtig sein, dass sich aus ihr eine Grundkonzeption des auf der Außenbereichsfläche Zulässigen ableiten lässt. Diese Auslegung wird bestätigt durch § 34 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 BauGB, denn in die Ergänzungssatzung dürfen nur einzelne Festsetzungen nach § 9 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 BauGB aufgenommen werden. Die mögliche bauliche Entwicklung des Satzungsbereichs muss sich daher grundsätzlich allein aus der prägenden Wirkung der an das Satzungsgebiet angrenzenden baulichen Nutzung herleiten, ohne dass es umfassender ergänzender Festsetzungen bedarf, um die bauliche Entwicklung zu steuern.

Die vorstehende Auslegung wird durch die Gesetzeshistorie bestätigt. Bereits § 34 Abs. 2 BBauG in der Fassung vom 18.6.1976, BGBl I 2257 ermächtigte die Gemeinde, in den Geltungsbereich einer Satzung, die im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegte, Grundstücke einzubeziehen, durch die der im Zusammenhang bebaute Ortsteil abgerundet wurde. Die Möglichkeit der Abrundung war dadurch bedingt, dass sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar war und dass auf den durch Abrundung in die Satzung einbezogenen Grundstücken die zulässige Nutzung (nach § 34 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 BBauG) bestimmt werden konnte (vgl. § 34 Abs. 2 Satz 2 BBauG 1976). Sinn und Zweck dieser Regelung war, den Gemeinden ein Instrument an die Hand zu geben, Zweifelsfragen hinsichtlich der Grenzziehung zwischen Innen- und Außenbereich vorab normativ auszuräumen und dadurch das einzelne Baugenehmigungsverfahren vom Streit über die Zugehörigkeit des Baugrundstücks zum Innenbereich zu entlasten.

Vgl. BT-Drucks. 7/4793, S. 34.

Das zur Schaffung sonst nicht bestehender Baurechte erforderliche Bebauungsplanverfahren sollte jedoch nicht umgangen werden können. Das BVerwG sah es aus diesem Grunde als erforderlich an, den Begriff der Abrundung eng auszulegen. Von einer Abrundung konnte nur dann gesprochen werden, wenn durch Einbeziehung einzelner, kleinerer Außenbereichsflächen eine Vereinfachung der Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich, d.h. eine klare Grenzlinie zwischen Innen- und Außenbereich erzielt wurde. Die zulässige Grenze einer Erweiterung wurde dort überschritten, wo der Beurteilungsmaßstab des § 34 Abs. 1 BauGB seine Wirkung nicht mehr entfalten konnte, etwa weil es an einer Prägung durch vorhandene Bebauung fehlte.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.5.1990 - 4 C 37.87 -, BRS 50 Nr. 81; Beschluss vom 16.3.1994 - 4 NB 34.93 -, NVwZ-RR 1995, 429.

Der Begriff der Abrundung war demnach zum einen gewissermaßen technisch-räumlich, zum anderen aber vor allem inhaltlich daran zu orientieren, wie weit der vorhandenen Bebauung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB prägende Wirkung zukommen konnte. An diesem Maßstab hat sich durch die gesetzlichen Änderungen des § 34 BauGB in der Folgezeit nichts Grundsätzliches geändert. Durch § 4 Abs. 2 a BauGB-MaßnG vom 22.4.1993 eröffnete der Gesetzgeber der Gemeinde die Möglichkeit, nicht nur solche Außenbereichsflächen in einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil einzubeziehen, die im Wege der "Abrundung" Innenbereichsflächen zugeordnet werden konnten. Darüber hinausgehend war nunmehr auch eine beschränkte Erweiterung des Innenbereichs in den Außenbereich hinein möglich, wenngleich nur für Wohnbauvorhaben. Mit § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB in der Fassung des Bau- und Raumordnungsgesetzes vom 18.8.1997 wurde der auf Wohnbauvorhaben beschränkte Anwendungsbereich der Erweiterungssatzung auf andere Vorhaben erstreckt. Durch die nicht vom Erlass einer Abrundungs- oder einer Ortsteilsatzung (vgl. § 34 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BauGB) abhängige, sondern nunmehr ungeachtet des Zwecks der zulässigen Vorhaben isoliert mögliche Erweiterungs- oder Ergänzungssatzung sollten einzelne angrenzende Außenbereichsgrundstücke städtebaulich sinn- und maßvoll in Ortsteile nach § 34 BauGB einbezogen werden können.

Vgl. BT-Drucks. 13/6392, S. 57.

Dass die in die Satzung einzubeziehenden Flächen durch die angrenzende Bebauung in Anlehnung an die zu § 34 Abs. 1 BauGB entwickelten Kriterien auch hinsichtlich des Maßstabes für Art und Maß der möglichen baulichen Nutzung geprägt sein müssen - und es damit umfassender ergänzender Festsetzungen nicht bedarf -, ist hingegen weiterhin Voraussetzung der über die bloße Abrundung hinausgehenden Ergänzungssatzung.

Vgl. Berliner Schwerpunkte - Kommentar zum Baugesetzbuch 1998, § 34 Rdnr. 15; Brügelmann u.a., a.a.O., § 34 Rdnr. 72 a.

Die Ergänzungssatzung umfasst hier weit mehr als nur einzelne Festsetzungen, sondern überzieht das Satzungsgebiet mit einer Vielzahl von Festsetzungen, die hinter der Regelungsdichte eines qualifizierten Bebauungsplans mit Ausnahme einer Festsetzung über eine öffentliche Verkehrsfläche nicht zurückbleiben. (wird ausgeführt)

Die vorstehend beschriebenen Mängel fehlender Ermächtigung der Antragsgegnerin zum Erlass der Ergänzungssatzung können nicht in einem ergänzenden Verfahren im Sinne des § 215 a BauGB behoben werden und führen daher zur Nichtigkeit der Satzung. Der Mangel wiegt so schwer, dass er die Grundzüge der Planung in Frage stellt. Zwar ist im Hinblick auf die nach Satzungsbeschluss im Satzungsgebiet hinzugetretene Bebauung (deren Beseitigung die Antragstellerin nicht mehr verlangen kann, nachdem die Baugenehmigungen ihr gegenüber bestandskräftig geworden sind) jedenfalls mittlerweile von einer im Sinne des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB zureichenden Prägung der noch nicht bebauten Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs auszugehen. Jedoch ist offen, ob die Antragsgegnerin sich bei einer etwaigen Neuplanung auf einzelne Festsetzungen beschränken will und ggf. auf welche oder ob sie die bauliche Entwicklung nach Maßgabe eines Bebauungsplans steuert. Diese grundsätzliche Entscheidung hat der Rat der Antragsgegnerin zu treffen.

Ende der Entscheidung

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