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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 16.09.2002
Aktenzeichen: 7a D 4/01.NE
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 3
BauGB § 1 Abs. 6
BauNVO § 1 Abs. 4 Satz 1
BauNVO § 5
1. Die Gemeinde kann ein Dorfgebiet gliedern, indem sie in einem Teil des Dorfgebietes land- und forstwirtschaftliche Betriebe durch Festsetzungen in einem Bebauungsplan ausschließt.

2. Auch ein faktisches Dorfgebiet kann dergestalt überplant werden, dass nur für einen Teilbereich Nutzungseinschränkungen festgesetzt werden, sofern der überplante Teil mit dem faktisch vorhandenen Dorfgebiet eine Einheit darstellt und in dieser Einheit die allgemeine Zweckbestimmung eines Dorfgebietes gewahrt ist.


Tatbestand:

Die Antragsteller wandten sich mit ihrem Normenkontrollantrag gegen einen Bebauungsplan der Antragsgegnerin, der ihr Grundstück und dessen Nachbarschaft als Dorfgebiet überplant. Nach seinen Festsetzungen sind in dem Dorfgebiet u.a. Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe und die dazugehörigen Wohnungen und Wohngebäude sowie Betriebe zur Be- und Verarbeitung und Sammlung land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse nicht zulässig. Das Plangebiet stellt die von drei bebauten Grundstücken abgesehen letzte verbliebene, bislang landwirtschaftlich und gärtnerisch genutzte Freifläche von 2,2 ha innerhalb eines beidseitig bebauten Straßenrings dar. In die das Plangebiet umschließende Bebauung sind mehrere landwirtschaftliche Haupt- und Nebenerwerbsbetriebe und gewerbliche Nutzungen eingestreut. Die Antragsteller machten u.a. geltend, die Ausweisung als Dorfgebiet sei wegen der festgesetzten Ausschlüsse "Etiketten-Schwindel". Das OVG NRW folgte dieser Auffassung nicht, erkärte den Bebauungsplan aber aus anderen Gründen für unwirksam.

Gründe:

Die im Bebauungsplan getroffenen Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung sind nicht zu beanstanden.

Die Gebietsfestsetzung "Dorfgebiet" mit Nutzungseinschränkungen ist nicht isoliert für sich zu betrachten. Sie stellt sich vielmehr als Gliederung des umfassenden faktischen Dorfgebietes dar, in das das Plangebiet eingestreut ist, und ist hiernach im Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB gerechtfertigt sowie von § 1 Abs. 4 Satz 1 BauNVO gedeckt.

Nach § 1 Abs. 3 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Was im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich ist, bestimmt sich nach der jeweiligen planerischen Konzeption der Gemeinde. Welche städtebaulichen Ziele die Gemeinde sich setzt, liegt in ihrem planerischen Ermessen. Der Gesetzgeber ermächtigt sie, die Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht.

Demgemäß kann im Bebauungsplan aus städtebaulichen Gründen gemäss § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB in Verbindung mit § 1 Abs. 2 und 3 Sätze 1 und 2 BauNVO die Art der baulichen Nutzung festgesetzt werden. Eine solche Festsetzung ist erforderlich, wenn sie nach der planerischen Konzeption der Gemeinde für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 7.5.1971 - IV C 76.68 - BRS 24 Nr. 15.

Hiervon ausgehend ist die planerische Zielsetzung der Antragsgegnerin, in dem bislang weitgehend unbebauten, jedoch rundum von Bebauung umgebenen Planbereich die Errichtung insbesondere von Wohngebäuden zu ermöglichen, als solche nicht zu beanstanden. Bedenken könnten allenfalls insoweit bestehen, als die Antragsgegnerin trotz ihrer erklärten Zielsetzung der Schaffung von Wohnraum das Plangebiet als Dorfgebiet - bei gleichzeitigem Ausschluss insbesondere der Zulässigkeit von Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe - ausgewiesen hat. Die insoweit erhobenen Bedenken der Antragsteller greifen jedoch nicht durch.

Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO dienen Dorfgebiete der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung nicht wesentlich störender Gewerbebetriebe sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben; auf die Belange der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten ist nach Satz 2 der Vorschrift vorrangig Rücksicht zu nehmen. Damit weisen Dorfgebiete nach dieser Charakteristik, einem Mischgebiet vergleichbar, eine gemischte Struktur aus Elementen der Wohnnutzung und der gewerblichen Nutzung einschließlich land- und forstwirtschaftlicher Nutzungen auf.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.9.1995 - 4 B 200.95 - BRS 57 Nr. 71.

Ein zahlenmäßiger Gleichstand oder ein Übergewicht der landwirtschaftlichen Betriebe gegenüber den Wohngebäuden wird für die Annahme eines Dorfgebietes nach § 5 Abs. 1 der hier einschlägigen Baunutzungsverordnung 1990 nicht gefordert.

Vgl. Nds. OVG, Urteil vom 11.4.1997 - 1 L 7648/95 - BRS 59 Nr. 83.

Dennoch muss das Plangebiet mindestens auch durch Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe geprägt werden oder jedenfalls geprägt werden können.

Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 10.7.1995 - 14 N 94.1158 - BRS 57 Nr. 35.

Ein Gebiet, in dem nach der planerischen Zielsetzung Wohnhäuser, jedoch keine Wirtschaftsstellen land- oder forstwirtschaftlicher Betriebe im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BauNVO entstehen können, kann in einem Bebauungsplan daher grundsätzlich nicht als Dorfgebiet festgesetzt werden.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.12.1989 - 4 NB 32.89 - BRS 49 Nr. 74.

Hieraus lässt sich jedoch kein Verstoß der hier getroffenen Dorfgebietsausweisung herleiten.

Zutreffend ist die Antragsgegnerin, wie aus der Planbegründung folgt, davon ausgegangen, dass das "verhältnismäßig kleine" Plangebiet nicht isoliert für sich zu betrachten, sondern "als Ergänzung der vorhandenen Ortsstruktur zu sehen ist, die Flächen für landwirtschaftliche Betriebe bereithält". Das Plangebiet stellt die letzte verbliebene, bislang landwirtschaftlich und gärtnerisch genutzte Freifläche innerhalb des beidseits bebauten Straßenrings dar. In diese das Plangebiet umschließende Bebauung sind in alle Richtungen landwirtschaftliche Haupt- bzw. Nebenerwerbsbetriebe und gewerbliche Nutzungen eingestreut, die den gesamten Bereich des Straßenrings einschließlich seines bislang noch unbebauten inneren Freiraums als faktisches Dorfgebiet prägen.

In dieser Situation war es ohne Weiteres gerechtfertigt, das Plangebiet in konsequenter Fortschreibung der örtlichen Gegebenheiten als Dorfgebiet auszuweisen. Die mit dieser Ausweisung zugleich vorgenommenen Beschränkungen der zulässigen Nutzungen sind, betrachtet man das Plangebiet richtigerweise als kleineren Teil eines umfassenden faktischen Dorfgebiets, als Gliederung des Dorfgebietes bei Wahrung seiner allgemeinen Zweckbestimmung zu werten und damit nach § 1 Abs. 4 Satz 1 BauNVO zulässig.

Auch wenn § 1 Abs. 4 BauNVO anders als § 1 Abs. 5 BauNVO den Vorbehalt, dass die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleiben muss, nicht ausdrücklich enthält, gilt er auch für die Gliederung von Baugebieten. Was als allgemeine Zweckbestimmung eines Baugebietes zu gelten hat, ergibt sich im Grundsatz aus der jeweiligen Beschreibung des Baugebietes im Sinne des § 1 Abs. 2 und 3 Satz 1 BauNVO. Die Gliederung eines Dorfgebietes ist auch in der Weise zulässig, dass in einem Teil davon Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe ausgeschlossen werden. Nicht jeder Teilbereich des gegliederten Baugebiets muss die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets wahren, sondern nur das gesamte Baugebiet als Einheit bei einer Gesamtbetrachtung, denn § 1 Abs. 4 BauNVO erlaubt der Gemeinde, innerhalb eines Baugebietes etwa aus Gründen des Immissionsschutzes die im Baugebiet zulässigen unterschiedlichen Nutzungen zu verteilen bzw. örtlich zu konzentrieren.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.12.1989, a.a.O.

Der Plangeber ist dabei nicht gehalten, ein faktisch vorhandenes Dorfgebiet im Sinne des § 5 BauNVO in seiner Gesamtheit zu überplanen, um es gliedern zu können. Er kann sich vielmehr darauf beschränken, die Gliederung - wie hier - in der Weise vorzunehmen, dass er nur für einen Teil eines faktisch vorhandenen Dorfgebiets im Wege der Beplanung bzw. Überplanung eine Festsetzung als Dorfgebiet mit Nutzungseinschränkungen trifft, sofern dieser überplante Teil und das weiterhin faktisch vorhandene Dorfgebiet eine Einheit darstellen und in dieser Einheit weiterhin die allgemeine Zweckbestimmung eines Dorfgebiets wahren.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.8.1999 - 10a D 66/96.NE -.

Nichts anderes ist hier geschehen. Das überplante Innere des Straßenrings, auf das auch künftig die rundum vorhandenen landwirtschaftlichen Betriebe prägend einwirken, bleibt integrierter Bestandteil der umfassenderen Ortslage, die auch bei einer Gesamtbetrachtung ihrer einzelnen überplanten bzw. nicht überplanten Teilbereiche wegen des gewichtigen Anteils dorfgebietstypischer Nutzungen weiterhin als faktisches Dorfgebiet zu qualifizieren ist. Die gegenteilige Einschätzung der Antragsteller verkennt, dass sich ein der Gliederung nach § 1 Abs. 4 BauNVO zugängliches Baugebiet nicht mit dem im räumlichen Geltungsbereich eines Bebauungsplan gelegenen Plangebiet decken muss.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.12.1989, a.a.O.

Die hiernach gerechtfertigten Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung leiden auch nicht an einem beachtlichen Abwägungsmangel im Sinne von § 1 Abs. 6 BauGB.

Im Rahmen des Abwägungsvorgangs nach § 1 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 5 Satz 2 BauGB hat sich der Plangeber auch mit der Aufklärung einer möglichen Konfliktlage und einer etwaigen erforderlichen Konfliktbewältigung auseinander zu setzen.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20.1.1992 - 4 B 71.90 - BRS 54 Nr. 18, und vom 23.1.2002 - 4 BN 3.02 - NVwZ-RR 2002, 329.

Zutreffend weisen die Antragsteller insoweit zwar darauf hin, dass sich der Plangeber mit einer solchen Konfliktsituation aber nicht auseinandersetzt, sondern sie in abwägungsfehlerhafter Weise festschreibt, wenn er durch falsche Etikettierung einer Gebietsausweisung zwecks Herabsetzung der Schutzwürdigkeit eines Wohngebiets eine Konfliktlösung lediglich vortäuscht.

Vgl. zu dieser Art von "Etikettenschwindel" OVG NRW, Urteil vom 6.11.1991 - 7a NE 36/90 -; Nds. OVG, Urteil vom 23.9.1999 - 1 K 5147/97 - BRS 62 Nr. 16; dem folgend BVerwG, Beschluss vom 16.3.2000 - 4 BN 6.00 - BRS 63 Nr. 73; vgl. zu diesem "Etikettenschwindel" unter dem Aspekt der Zweckverfehlung Bay. VGH, Urteil vom 10.7.1995 - 14 N 94.1158 - BRS 57 Nr. 35; OVG NRW, Urteil vom 17.12.1990 - 7a NE 5/89 -.

Insbesondere die Festsetzung eines Dorfgebiets erweist sich dann als abwägungsfehlerhaft, wenn Ziel und Zweck dieser Ausweisung allein die Herabsetzung der Schutzwürdigkeit von Wohnbebauung im Hinblick auf Immissionen benachbarter Betriebe ist.

Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 10.7.1995 a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 17.12.1990 - 7a NE 5/89 -.

Davon kann hier jedoch nicht ausgegangen werden, weil sich das Plangebiet - wie dargelegt - als Untergliederung und damit Teil eines einheitlichen, im Übrigen faktischen Dorfgebietes darstellt und deshalb der Plangeber die sich aus dem faktisch Vorhandenen ergebenden Schutzmaßstäbe lediglich festgeschrieben hat. Darüber hinaus dient die Festsetzung als eingeschränktes Dorfgebiet immissionsschutzrechtlichen Belangen der innerhalb des Plangebietes zulässigen Wohnnutzung, indem sie die Neuansiedlung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe sowie von Verarbeitungsbetrieben an zentraler Stelle des Plangebietes in unmittelbarer Nachbarschaft zu der neuen Wohnbebauung ausschließt. In der Begründung zum Bebauungsplan wird dazu zutreffend ausgeführt, dass Flächen für landwirtschaftliche Betriebe derzeit im Umfeld schon vorhanden seien und sich keine Ansätze für neue Betriebe in diesem Bereich abzeichneten. Damit erweist sich der Abwägungsvorgang nicht als fehlerhaft, soweit der Bebauungsplan Dorfgebiet festsetzt.

Der Bebauungsplan ist indessen aus anderen Gründen für unwirksam zu erklären (wird ausgeführt).

Ende der Entscheidung

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