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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 18.03.2004
Aktenzeichen: 7a D 52/03.NE
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 6
BauNVO § 1 Abs. 6 Nr. 2
BauNVO § 7 Abs. 1
BauNVO § 7 Abs. 2 Nr. 6
BauNVO § 7 Abs. 2 Nr. 7
BauNVO § 7 Abs. 3 Nr. 2
BauNVO § 7 Abs. 4
BauNVO § 15
Die Gemeinde kann für ein durch Bebauungsplan festgesetztes Kerngebiet Wohnnutzung nicht allgemein für zulässig erklären.

Wird die bisherige Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets durch die Festsetzung eines Kerngebiets ersetzt, ist in die Abwägung einzustellen, ob vorhandene Wohnnutzung auf einen der Kerngebietsfestsetzung entsprechenden (herabgesetzten) Immissionsschutzanspruch verwiesen werden kann.


Tatbestand:

Die Antragsteller sind Eigentümer von Grundstücken im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 12 A, der ihre Grundstücke in seiner Ursprungsfassung einem allgemeinen Wohngebiet zuordnete. Durch die erste Änderung des Bebauungsplans wurden die Grundstücke einem Kerngebiet zugeordnet.

Für das Kerngebiet ist u.a. bestimmt, "zulässig sind ...sonstige Wohnungen mit der Maßgabe, dass Wohnungen in allen Geschossen allgemein zulässig sind und Wohnungen in eigenen Wohngebäuden errichtet werden dürfen gem. § 7 (2) Ziffer 7 BauNVO".

Der Normenkontrollantrag hatte Erfolg.

Gründe:

Rechtlich fehlerhaft ist die textliche Festsetzung unter C (1) , wonach in den Kerngebieten sonstige Wohnungen im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO in allen Geschossen allgemein zulässig sind und Wohnungen in eigenen Wohngebäuden errichtet werden dürfen. Für diese Festsetzung gibt es keine Rechtsgrundlage. Die Voraussetzungen der in dem Bebauungsplan genannten Ermächtigungsgrundlage des § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO liegen nicht vor.

Nach § 7 Abs. 1 BauNVO dienen Kerngebiete vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur. Gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO sind u.a. Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter im Kerngebiet zulässig. Um derartige Wohnungen geht es hier aber nicht. Denn nach dem Inhalt der Festsetzung sollen Wohnungen gerade ohne Beschränkung auf einen bestimmten Nutzerkreis zulässig sein.

Die getroffene Festsetzung findet auch in § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO keine Rechtfertigung. Hiernach sind im Kerngebiet sonstige Wohnungen nach Maßgabe von Festsetzungen des Bebauungsplans zulässig. Mit "sonstigen" Wohnungen sind solche ohne die Zweckbindung des § 7 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO gemeint. Die Vorschrift gestattet indessen keine unbeschränkte Festsetzung von Wohnungen für einzelne oder sämtliche Kerngebiete. Erlaubt sind vielmehr nur solche Festsetzungen, bei denen die allgemeine Zweckbestimmung des Kerngebiets gewahrt bleibt. Anderenfalls würde die in § 1 Abs. 3 Satz 1 BauNVO normierte Pflicht des Plangebers verletzt, im Bebauungsplan ein in § 1 Abs. 2 BauNVO bezeichnetes und nach Maßgabe der §§ 2 ff. BauNVO näher ausgestaltetes Baugebiet festzusetzen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.12.1989 - 4 NB 32.89 -, BRS 49 Nr. 74.

Bei der hier zu beurteilenden Festsetzung wäre die allgemeine Zweckbestimmung des Kerngebietes nicht mehr gewahrt. Kerngebiete dienen "vorwiegend" der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur. Sie haben zentrale Funktionen mit vielfältigen Nutzungen und einem urbanen Angebot an Gütern und Dienstleistungen für die Besucher der Stadt und für die Wohnbevölkerung eines größeren Einzugsbereichs.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28.7.1988 - 4 B 119.88 -, BRS 48 Nr. 40 und vom 6.12.2000 - 4 B 4.00 -, BRS 63 Nr. 77.

Die textliche Festsetzung unter C (1) eröffnet jedoch die Möglichkeit, dass das festgesetzte Kerngebiet stattdessen vorwiegend der Wohnnutzung dient. Gebiete, in denen allgemein und überall Wohnungen zulässig sind, sind aber keine Kerngebiete im Sinne des § 7 BauNVO.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 21.8.1997 - 11a D 156/93.NE -, BRS 59 Nr. 40 und vom 19.2.2001 - 10a D 65/98.NE -, BRS 64 Nr. 24.

Entgegen der vom Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht ist die vorstehend wiedergegebene Charakteristik eines Kerngebiets auch nicht in Folge einer zwischenzeitlich allgemein vertretenen Erkenntnis lebensfremd geworden, dass in Kerngebieten eine Nutzungsmischung unter Einbezug von Wohnungen wie vergleichbar in einem Mischgebiet erforderlich sei. Eine quantitativ und qualitativ gleichwertige Nutzungsmischung von Wohnungen und kerngebietstypischen Nutzungen sieht die Baunutzungsverordnung gerade nicht vor. Damit ist die Zulässigkeit von Wohnungen nicht generell ausgeschlossen, setzt aber eine Entscheidung des Satzungsgebers voraus, wo und unter welchen Voraussetzungen Wohnungen kerngebietsverträglich vorgesehen werden können; die Entscheidung ist mit entsprechenden Festsetzungen umzusetzen. § 15 BauNVO, auf den der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung ergänzend abgehoben hat, ersetzt solche (abgewogenen) Festsetzungen nicht, und zwar schon deshalb nicht, weil nach dieser Bestimmung die Zulässigkeit baulicher Anlagen im Einzelfall ausgehend von der Zweckbestimmung des festgesetzten Baugebiets - hier eines Kerngebiets - zu beurteilen ist. Über den Einzelfall hinausgehend gibt die Kerngebietsfestsetzung jedoch keinen Anhalt, wo und unter welchen Voraussetzungen Wohnungen kerngebietsverträglich vorgesehen werden können.

Die textliche Festsetzung kann auch nicht auf § 7 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO gestützt werden. Hiernach können Wohnungen, die nicht unter § 7 Abs. 2 Nrn. 6 und 7 BauNVO fallen, "ausnahmsweise" zugelassen werden. Dabei handelt es sich um Wohnungen, die weder im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO nur dem dort genannten Personenkreis vorbehalten sind noch durch im Bebauungsplan getroffene Festsetzungen nach § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO ermöglicht werden sollen. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO liegen jedoch bereits deshalb nicht vor, weil Wohnungen nach der textlichen Festsetzung nicht nur "ausnahmsweise", sondern allgemein zulässig sein sollen.

Auch die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 BauNVO sind nicht gegeben. Hiernach kann für Teile eines Kerngebiets bei Vorliegen besonderer städtebaulicher Gründe festgesetzt werden, dass oberhalb eines im Bebauungsplan bestimmten Geschosses nur Wohnungen zulässig sind oder in Gebäuden ein im Bebauungsplan bestimmter Anteil der zulässigen Geschossfläche oder eine bestimmte Größe der Geschossfläche für Wohnungen zu verwenden ist. Die textliche Festsetzung beschränkt die Zulässigkeit von Wohnungen weder auf Teile der ausgewiesenen Kerngebiete noch auf bestimmte Geschosse oder Gebäude. Sie geht damit über den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 4 BauNVO hinaus. Zugleich setzt sie sich über die als zwingend ausgestalteten Tatbestandsmerkmale der Vorschrift hinweg, dass Wohnungen in bestimmten Bereichen ausschließlich zulässig sein sollen. Denn im gesamten Kerngebiet, in sämtlichen Gebäuden und Geschossen steht die textliche Festsetzung einer normalen Kerngebietsnutzung nicht entgegen. Diese ist lediglich - wie ausgeführt - nicht gesichert.

Schließlich lässt sich die mit der textlichen Festsetzung verfolgte Zielsetzung, Wohnungen in dem Kerngebiet allgemein zu ermöglichen, nicht durch Rückgriff auf § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauNVO erreichen. Hiernach kann im Bebauungsplan festgesetzt werden, dass alle oder einzelne Ausnahmen, die in den Baugebieten nach den §§ 2 bis 9 BauNVO vorgesehen sind, in dem Baugebiet allgemein zulässig sind, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt. Es kann dahinstehen, ob die Vorschrift vorliegend überhaupt anwendbar ist oder ob sie durch § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO als speziellere Regelung verdrängt wird.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13.12.1993 - 11a D 24/92.NE -, BBauBl. 1994, 807.

Selbst wenn man die Möglichkeit des Rückgriffs auf § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauNVO grundsätzlich bejahen würde, ist die in der Vorschrift ausdrücklich angeführte Voraussetzung, dass die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleiben muss, mit einer textlichen Festsetzung wie der Vorliegenden nicht erfüllt. Dies ergibt sich aus den obigen Ausführungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden kann.

Der Bebauungsplan genügt ferner nicht den Anforderungen des Abwägungsgebots.

Der Rat der Antragsgegnerin hat nicht alle von der Planung betroffenen Belange mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Abwägung eingestellt. Die Antragsgegnerin hat sich schon keine hinreichende Gewissheit über das Ausmaß möglicher Immissionskonflikte verschafft. (wird ausgeführt)

Die Antragsgegnerin durfte den zu erwartenden Konflikt zwischen der an die Parkfläche angrenzenden Wohnbebauung und der Parkflächennutzung nicht dem Baugenehmigungsverfahren zuordnen und dort auf eine hinreichende Konfliktlösung vertrauen. Im Baugenehmigungsverfahren wäre von den Gebietsfestsetzungen des Bebauungsplans in der Fassung seiner 1. Änderung auszugehen. Wohnungen sind zwar auch in einem Kerngebiet zulässig, unterliegen jedoch nur eingeschränkter Schutzwürdigkeit, denn sie sind dort - anders als dies die Antragsgegnerin mit dem Bebauungsplan beabsichtigte - nach dem System der Baunutzungsverordnung nicht allgemein, sondern nur als "sonstige" Wohnungen zulässig. Ob die vorhandene Wohnnutzung auf einen entsprechend herabgesetzten Schutzmaßstab verwiesen werden sollte, hatte der Rat der Antragsgegnerin unter Berücksichtigung der Nutzungen, die er auf der Parkfläche ermöglichen wollte, abzuwägen.



Ende der Entscheidung

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