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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 03.06.2002
Aktenzeichen: 7a D 75/99.NE
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 6
BauGB § 1a
BauGB § 1a Abs. 2 Nr. 2
BauGB § 3 Abs. 2 Satz 4
BauGB § 9
BauGB § 11
1. Entscheidet der Rat ausschließlich über den Satzungsbeschluss und nicht auch über die Anregungen und Bedenken, liegt ein zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führender Abwägungsmangel vor.

2. Eine Zurücksetzung der Belange von Natur und Landschaft kommt nur zugunsten gewichtiger anderer Belange in Betracht.

3. Es ist sachgerecht, bei Stichstraßen eine Wendefläche mit einem Durchmesser von 18 m festzusetzen, der der Müllabfuhr das Wenden in einem Zug ohne Rückwärtsfahren ermöglicht.

4. Bei Stichstraßen, an denen nur wenige Wohngebäude liegen, kann auf eine Wendefläche verzichtet werden; die Anwohner können darauf verwiesen werden, ihre Mülltonnen an eine nahegelegene andere Straße (hier in einer Entfernung von bis zu 100 m) zu bringen.


Gründe:

Ein Abwägungsfehler liegt darin, dass der Rat der Antragsgegnerin keine abschließende Abwägungsentscheidung über die im Aufstellungsverfahren eingegangenen Anregungen und Bedenken getroffen hat.

Entscheidet der Rat nicht abschließend über die nach § 3 Abs. 2 Satz 4 BauGB vorgebrachten Anregungen der Bürger, ist das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB verletzt. Die Prüfung der vorgebrachten Bedenken und Anregungen ist untrennbar mit dem Abwägungsgebot verbunden. Sie hat zunächst den Zweck, notwendiges Abwägungsmaterial zu beschaffen und zu vervollständigen. Die vorgebrachten Anregungen sind daraufhin zu prüfen, ob und in welcher Weise sie in dem Plan berücksichtigt werden können oder sollen. Ihre abschließende Prüfung ist somit Bestandteil des Abwägungsvorgangs und geht in das Abwägungsergebnis ein. Die abschließende Entscheidung über Anregungen ist daher dem Satzungsbeschluss vorbehalten (§§ 10 Abs. 1, 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Sie obliegt dem Gemeindeorgan, das den Satzungsbeschluss zu fassen hat. Das ist in Nordrhein-Westfalen der Gemeinderat. Das schließt zwar nicht aus, dass ein Ausschuss die Beschlussfassung des Rates als des für den Satzungsbeschluss zuständigen Gemeindeorgans vorbereitet. Werden die vorgebrachten Anregungen jedoch dem Rat vorenthalten oder stellt dieser sie aus anderen Gründen nicht in seine Abwägung ein, liegt ein Ermittlungsfehler und - je nach den Umständen des Einzelfalls - auch ein Gewichtungsfehler im Vorgang der planerischen Abwägung vor.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1999 - 4 CN 12.98 -, BRS 62 Nr. 45.

Vorliegend haben weder der Planungsausschuss noch der Rat über die während der Offenlage vorgebrachten Anregungen und Bedenken abschließend beschlossen. Der Planungsausschuss hat zwar über die Anregungen und Bedenken beraten, dann aber lediglich einen Empfehlungsbeschluss an den Rat gefasst. Dieser hat im Hinblick auf die Zuständigkeitsordnung der Antragsgegnerin ausschließlich den Satzungsbeschluss gefasst. Die Aufstellungsvorgänge und die auf Anfrage des Senats im gerichtlichen Verfahren abgegebene Erklärung der Antragsgegnerin geben nichts dafür her, dass sich der Rat mit der Empfehlung des Planungsausschusses und den ihr zugrundeliegenden Erwägungen beschäftigt hat. Zwar dürften die Ratsmitglieder bei der Beschlussfassung am 22. September 1998 die Anregungen und Bedenken sowie die Beschlussempfehlung des Planungsausschusses gekannt haben, es gibt jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Rat sich selbst die Abwägungsentscheidung vorbehalten wollte oder auch nur der Auffassung war, er könne darüber noch entscheiden. Aus den Mitteilungen des Gemeindedirektors der Antragsgegnerin an die einwendenden Bürger - u.a. die Antragsteller - vom 30.9.1998 (also nach dem Satzungsbeschluss des Rates) geht hervor, dass der Gemeindedirektor der Antragsgegnerin davon ausging, der Planungsausschuss habe über die Anregungen und Bedenken entschieden. Dies steht in Übereinstimmung mit der von der Antragsgegnerin für wirksam gehaltenen Zuständigkeitsordnung. Dass der Rat in eigener Kompetenz die Entscheidung über die Anregungen und Bedenken in seinen Willen aufgenommen hat, ist nicht ersichtlich. Die von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen zeigen, dass ihr Rat in Bauleitplanverfahren ausschließlich nur noch den das Verfahren abschließenden Satzungsbeschluss fassen und die vorangehenden Entscheidungen - wozu nach ihrer Auffassung auch die Beschlussfassung über die Anregungen und Bedenken gehört - ausschließlich auf den Ausschuss übertragen wollte. Damit steht fest, dass der Rat die Prüfung der Anregungen und Bedenken als abgeschlossenen Abschnitt des Verfahrens behandelte, der ihn für den Satzungsbeschluss nichts mehr anging. Bei dieser Sachlage ist es nicht ausreichend, dass die Ratsmitglieder die Ausschussvorlage und die Niederschrift des Planungsausschusses kannten. Insoweit hat die Antragsgegnerin nicht einmal vorgetragen, dass sich die Ratsmitglieder bewusst waren, dass sie entgegen der Zuständigkeitsordnung des Rates über die Anregungen und Bedenken selbst noch entscheiden konnten.

Ein Abwägungsfehler liegt weiter darin, dass die Antragsgegnerin die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht hinreichend berücksichtigt hat. Diese Belange waren im vorliegenden Fall im Rahmen der durch § 1 Abs. 6 BauGB der Bauleitplanung vorgegebenen Abwägung nach Maßgabe der besonderen Anforderungen zu berücksichtigen, die sich aus § 1a BauGB ergeben. Hiernach ist die Gemeinde verpflichtet, bei planerischen Eingriffen in Natur und Landschaft ein gesetzlich vorgeprägtes Entscheidungsprogramm abzuarbeiten und über ein Folgenbewältigungsprogramm abwägend zu entscheiden. Dabei belässt es der Gesetzgeber bei der Struktur des Abwägungsgebots, dass das Gewicht der von der Planung berührten und in sie einzustellenden Belange in der konkreten Planungssituation zu ermitteln ist, ohne dass die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege einen abstrakten Vorrang vor den weiteren in der Bauleitplanung zu berücksichtigenden Belangen haben oder dass sie unabhängig von ihrem Gewicht in der konkreten Situation und dem (Gegen-) Gewicht der anderen Belange zu optimieren sind.

Hiernach sind die in der Abwägung zu berücksichtigenden Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege entsprechend ihrem konkret gegebenen Gewicht nicht nur abwägend dahin zu prüfen, ob sich die vom Bebauungsplan ermöglichten Eingriffe in Natur und Landschaft im Planbereich überhaupt rechtfertigen lassen und damit das "Integritätsinteresse" von Natur und Landschaft an einem Schutz vor eingriffsbedingten Beeinträchtigungen aus gewichtigen Gründen zurückgestellt werden kann. Vielmehr ist auch abwägend darüber zu befinden, ob und in welchem Umfang für - angesichts etwa vorrangiger städtebaulicher Erfordernisse - unvermeidbare Beeinträchtigungen Ausgleich zu leisten und damit dem "Kompensationsinteresse" von Natur und Landschaft Rechnung zu tragen ist. Dabei ist es nicht dem planerischen Belieben der Gemeinde überlassen, ob die Gebote zur Vermeidung und zum Ausgleich von Beeinträchtigungen im Rahmen der Abwägung zur Geltung kommen. Eine Zurückstellung der Belange von Natur und Landschaft kommt nur zugunsten entsprechend gewichtiger anderer Belange in Betracht, die von der Gemeinde - wenn sie diese für vorzugswürdig hält - präzise zu benennen sind.

Vgl. zu alledem: BVerwG, Beschluss vom 31.1.1997 - 4 NB 27.96 - BRS 59 Nr. 8.

Diesen Anforderungen wird die vom Rat der Antragsgegnerin vorgenommene Abwägung nicht gerecht.

Fehlerhaft berücksichtigt hat die Antragsgegnerin das Kompensationsinteresse von Natur und Landschaft.

Insoweit gibt § 1a Abs. 2 Nr. 2 BauGB nunmehr ausdrücklich vor, dass in der Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB auch die Vermeidung und der Ausgleich der zu erwartenden Eingriffe in Natur und Landschaft zu berücksichtigen ist, wobei Absatz 3 Satz 3 der genannten Vorschrift für den Ausgleich der zu erwartenden Eingriffe neben Festsetzungen nach § 9 BauGB auch Vereinbarungen gemäß § 11 BauGB und sonstige geeignete Maßnahmen zum Ausgleich auf von der Gemeinde bereitgestellten Flächen zulässt. Grundlage der Entscheidung über den Ausgleich hat dabei eine Ermittlung der nachteiligen Eingriffsfolgen und des Ausgleichsbedarfs sowie seiner Deckung zu sein. Eine solche ist in dem landschaftspflegerischen Fachbeitrag vom Mai 1998 zwar erfolgt. Fehlerhaft abgewogen hat der Rat der Antragsgegnerin jedoch die Entscheidung über den Ausgleich insoweit, als er das in der Ausgleichsbewertung ermittelte Defizit von fast 30 v.H. hingenommen hat. Wie oben dargelegt, kommt eine Zurücksetzung der Belange von Natur und Landschaft nur zugunsten entsprechend gewichtiger anderer Belange in Betracht. Die von der Gemeinde benannten Gründe tragen ihre Entscheidung nicht.

Zum einen ist nicht einmal dargelegt, dass die Gemeinde überhaupt nicht über aufwertungsgeeignete Außenbereichsflächen verfügt. Dass die Landwirte nicht daran interessiert sind, Ackerflächen für ökologische Ausgleichsflächen zur Verfügung zu stellen, ist kein hinreichender Grund. Es ist nicht ersichtlich, dass das Plangebiet nicht um die für den Ausgleich erforderlichen Flächen vergrößert werden konnte. Schließlich ist nicht erkennbar, warum die Antragsgegnerin nicht innerhalb des Plangebiets den erforderlichen Ausgleich dadurch ermöglicht hat, dass sie zugunsten der Ausgleichsflächen die ausgewiesenen Gewerbeflächen reduziert hat.

Über die vorgenannten Mängel hinaus leidet die Abwägung der Antragsgegnerin nicht an weiteren Abwägungsfehlern.

Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist die Größe der Wendefläche mit einem Durchmesser von 18 m nicht zu beanstanden. Es ist sachgerecht, wenn nicht sogar aus Gründen der Verkehrssicherheit geboten, einen Durchmesser festzusetzen, der der Müllabfuhr das Wenden in einem Zug ohne Rückwärtsfahren ermöglicht. Die Empfehlungen für die Anlage von Erschließungsstraßen EAE 85/95 sehen für einen Wendekreis für ein zweiachsiges Müllfahrzeug einen Durchmesser von 16 m (Bild 33) und für eine Wendeschleife für ein dreiachsiges Müllfahrzeug einen Durchmesser von 19 m vor. Rangiermanöver gerade mit großen Fahrzeugen bringen erfahrungsgemäß Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer mit sich und führen zudem zu erhöhten Emissionen der Fahrzeuge. Die - von den Antragstellern nicht gerügte - Entscheidung der Antragsgegnerin, am Ende des L.weges auf eine Wendefläche zu verzichten, weil sonst der Erschließungsaufwand für die nur fünf zusätzlichen Wohngebäude unwirtschaftlich wäre, ist vertretbar. Der Rat der Antragsgegnerin hat gesehen, dass die Anwohner dieses Bereichs möglicherweise ihre Mülltonnen an die E. Straße rollen müssen. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass in kommunalen Abfallbeseitigungssatzungen der Abfallbesitzer verpflichtet werden kann, sein Müllgefäß zur Entleerung zur nächstgelegenen, mit Müllfahrzeugen befahrbaren Straße zu bringen.

Vgl. OVG Schl.-H., Urteil vom 31.1.1997 - 2 O 10.96 -, NVwZ-RR 1998, 27; Bayr. VGH, Urteil vom 8.4.1992 - 4 B 88.933 -, NVwZ 1993, 392 sowie BVerwG, Beschluss vom 27.7.1995 - 7 NB 1.95 - BVerwGE 99, 88 und Urteil vom 25.8.1999 - 7 C 27.98 - NVwZ 2000, 71.

Hiervon ausgehend bestehen auch bauplanungsrechtlich keine durchgreifenden Bedenken gegen eine Bauleitplanung, die dazu führt, dass Bewohner ihre Müllgefäße an eine von Müllfahrzeugen problemlos anfahrbare Straße - hier in einer Entfernung von max. 100 m - verbringen müssen. Das Anfahren durch übrige Versorgungsfahrzeuge und Rettungsfahrzeuge dürfte bei der äußerst geringen Anzahl von Wohneinheiten, die über den L.weg erschlossen werden, so selten vorkommen, dass das Hinnehmen der notwendigen Rangiervorgänge noch vertretbar ist.

Ende der Entscheidung

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