Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 21.11.2005
Aktenzeichen: 8 A 1020/05.A
Rechtsgebiete: GG, AsylVfG


Vorschriften:

GG Art. 16 a Abs. 2
AsylVfG § 26 a
Für die Anwendbarkeit der Drittstaatenregelung (Art. 16 a Abs. 2 GG; § 26 a Abs. 1 AsylVfG) kommt es auf die konkrete Reise, die den Asylbewerber in das Bundesgebiet geführt hat, und deren Verlauf an. Ein etwaiger Aufenthalt in einem sicheren Drittstaat im Rahmen eines früheren, gescheiterten Ausreiseversuchs ist unerheblich, wenn der Ausländer danach - sei es freiwillig, sei es zwangsweise - in sein Heimatland zurückkehrt ist.
Tatbestand:

Nach den tatsächlichen Feststellungen des VG ist die Beigeladene am 7.9.2002 auf dem Luftweg von der Türkei aus in das Bundesgebiet eingereist. Zuvor war sie bereits am 21.8.2002 nach Wien geflogen; dort wurde sie - wohl wegen fehlender oder unzureichender Ausweispapiere - für zwei Tage im Transitbereich des Flughafens festgehalten, bis sie am 23.8.2002 in die Türkei zurückkehrte. Dort verbrachte sie weitere 15 Tage bis zu der erneuten Ausreise. In dieser Zeit beschaffte eine Schlepperorganisation die erforderlichen Passeintragungen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erkannte die Beigeladene als Asylberechtigte an. Die hiergegen gerichtete Klage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten wies das VG ab; der Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Der Kläger hält für klärungsbedürftig,

"ob der Asylausschlussgrund nach Art. 16 a Abs. 2 GG vom Tatbestand her auch den Fall umfasst, dass die Drittstaatsberührung zeitlich zwar vor dem letztmaligen Verlassen des Heimatstaates lag, diese nach dem Gesamtbild des Ausreiseablaufs aber letztlich zu einem einheitlich zu sehenden Ausreisevorgang zu zählen ist bzw. zur letztmaligen Ausreise aus dem Heimatland in einem derart nahen zeitlichen Zusammenhang steht, dass nicht von einer zuvor dauerhaften Rückkehr in den Heimatstaat bzw. einer wesentlichen Unterbrechung des Versuchs, sein Heimatland dauerhaft zu verlassen, gesprochen werden kann."

Die Frage ist, ohne dass es dazu der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedürfte, zu verneinen.

Gemäß Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG kann sich auf das Asylgrundrecht (Art. 16 a Abs. 1 GG) nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Eine entsprechende einfachgesetzliche Regelung findet sich in § 26 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, wonach die Anwendbarkeit der Drittstaatenregelung ebenfalls die Einreise "aus einem" sicheren Drittstaat voraussetzt. In der Rechtsprechung des BVerfG ist geklärt, dass für die Beurteilung der Frage, ob der Ausländer "aus" einem Drittstaat eingereist ist, von dem tatsächlichen Verlauf seiner Reise auszugehen ist.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 - 2 BvR 1938, 2315/93 -, BVerfGE 94, 49 (94).

Dabei hat sich das BVerfG allerdings nicht die eng an den Gesetzeswortlaut angelehnte Auslegung des BVerwG zu Eigen gemacht, nach der der Ausländer nur dann "aus" einem sicheren Drittstaat eingereist ist, wenn er die deutsche Grenze von einem sicheren Drittstaat aus überschritten hat.

So BVerwG, Urteil vom 7.11.1995 - 9 C 73.95 -, BVerwGE 100, 23 ff.

Mit Blick auf den Sinn und Zweck der Drittstaatenregelung reicht es nach Auffassung des BVerfG aus, wenn der Ausländer sich "während seiner Reise irgendwann in einem sicheren Drittstaat befunden hat und dort Schutz nach den Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention hätte finden können. Er bedarf dann des Schutzes gerade in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr, auch wenn er von dort seine Reise nach Deutschland über Staaten, für die Art. 16 a Abs. 2 GG nicht gilt, fortgesetzt hat."

So wörtlich: BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 - 2 BvR 1938, 2315/93 -, a.a.O.

Kommt es danach für die Anwendbarkeit der Drittstaatenregelung auf die konkrete Reise, die den Ausländer in das Bundesgebiet geführt hat, und deren Verlauf an, ist ein etwaiger Aufenthalt in einem sicheren Drittstaat im Rahmen eines früheren, gescheiterten Ausreiseversuchs unerheblich, wenn der Ausländer danach - sei es freiwillig, sei es zwangsweise - in sein Heimatland zurückkehrt ist. Jedenfalls die Rückkehr in das Heimatland, die das Scheitern des vorangegangenen Fluchtversuchs bedeutet, stellt eine Zäsur und damit zugleich nach deren tatsächlichem Verlauf das Ende der früheren Reise dar.

Auch der Sinn und Zweck der Drittstaatenregelung spricht gegen die vom Kläger vertretene Auslegung. Art. 16 a GG soll eine gesamteuropäische Lastenverteilung ermöglichen; diese setzt die Klärung der Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren im Verhältnis der europäischen Staaten voraus.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 2.9.1997 - 9 C 5.97 -, BVerwGE 105, 194.

Derartige Zuständigkeitsregelungen erfordern indessen möglichst klar zu handhabende Abgrenzungskriterien. Die vom Kläger geforderte wertende Beurteilung, ob eine erneute Ausreise angesichts der Gesamtumstände noch in einem nahen zeitlichen Zusammenhang mit einer früheren Ausreise steht, wäre dabei als Abgrenzungskriterium für staatliche Zuständigkeiten wenig geeignet.

Dem kann der Kläger nicht die vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des VG Schleswig, Urteile vom 12.10.1995 - 6 A 418/95 - und vom 22.8.1996 - 6 A 56/96 -, entgegenhalten. Zum Einen betreffen diese beiden Entscheidungen ausdrücklich nur den hier nicht vorliegenden Fall, dass ein aus einem sicheren Drittstaat in das Bundesgebiet eingereister und in den sicheren Drittstaat abgeschobener Asylbewerber später erneut einreist. Zum Anderen berücksichtigt die den genannten Urteilen zu entnehmende Auffassung, eine "formalrechtliche", allein auf den letzten Reiseweg abstellende Auslegung des § 26 a AsylVfG verbiete sich, weil die Vorschrift dadurch praktisch bedeutungslos würde und jederzeit umgangen werden könnte, nicht die oben zitierte Rechtsprechung des BVerfG.

Darüber hinaus überzeugt die Argumentation auch nicht. Wählt der Ausländer für seine Einreise in das Bundesgebiet ein Verkehrsmittel, das ihn ohne Berührung eines sicheren Drittstaates von seinem Heimatland in das Bundesgebiet bringt, stellt dies keine Umgehung des Art. 16 a Abs. 2 GG bzw. § 26 a Abs. 1 AsylVfG dar. Insoweit besteht kein Unterschied zwischen einem ersten und jedem weiteren Ausreiseversuch. Hätte der Gesetzgeber den Ausländer, der sich nach dem verfolgungsfurchtbegründenden Geschehen vorübergehend in einem sicheren Drittstaat aufgehalten hat, ohne dort Schutz zu suchen, und erst später, nach Rückkehr und erneuter Ausreise, im Bundesgebiet um Asyl nachsucht, vom Schutzbereich des Art. 16 a Abs. 1 GG ausnehmen wollen, hätte es einer anderen, nicht an den Einreisevorgang anknüpfenden gesetzlichen Regelung bedurft.

Auf die weiteren Ausführungen des Klägers zu Art. 16 a Abs. 5 GG und die insoweit in Betracht kommenden völkerrechtlichen Bestimmungen kommt es nach dem zuvor Gesagten nicht an. Es bedarf hier auch keiner Klärung, ob die Beigeladene, die möglicherweise den Transitbereich des Flughafens Wien nicht verlassen hat, überhaupt im Rechtssinne nach Österreich eingereist ist.

Klarstellend sei allerdings angemerkt, dass die Nichtanwendbarkeit von Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG in Fällen der vorliegenden Art nicht bedeutet, dass das Erreichen eines sicheren Drittstaates gänzlich unberücksichtigt bleiben müsste. Wenn ein Ausländer nach Eintritt der Ereignisse, die die geltend gemachte Verfolgungsgefahr begründen, einen sicheren Drittstaat erreicht, ohne dort ein Schutzgesuch anzubringen, und in den angeblichen Verfolgerstaat zurückkehrt, ohne dass es bei der Einreise zu Verfolgungsmaßnahmen kommt, gibt dieses Verhalten regelmäßig Anlass, die Glaubhaftigkeit des Asylvorbringens in Frage zu stellen. Darauf kommt es im vorliegenden Verfahren indessen nicht an, weil der Kläger die diesbezüglichen Feststellungen des VG nicht mit im Zulassungsverfahren beachtlichen Rügen angegriffen hat.

Ende der Entscheidung

Zurück