Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 18.01.2005
Aktenzeichen: 8 A 1242/03.A
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 7
1. Eine zielstaatsbezogene erhebliche konkrete Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 AufenthG kann auch aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung bestehen.

2. Die Behandlung psychischer Erkrankungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen, paranoider Psychosen und Schizophrenien ist in der Türkei grundsätzlich sichergestellt.

3. Die Durchführung der notwendigen Behandlung einer psychischen Erkrankung in der Türkei scheitert wegen der Möglichkeit, die 'yesil kart', den Förderfonds für Sozialhilfe und Solidarität, religiöse Stiftungen oder den Stammesverband in Anspruch zu nehmen, regelmäßig nicht an einer eventuellen Mittellosigkeit des Ausländers.

4. Zu einem Ausnahmefall, in dem ein türkischer Staatsangehöriger die notwendige Behandlung bzw. Medikation in seinem Heimatland aufgrund fehlender Überwachung und Betreuung nicht erlangen kann.


Tatbestand:

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, leidet an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Nachdem er seinen nach Einreise in das Bundesgebiet gestellten Asylantrag zurückgenommen hatte, stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge fest, dass Abschiebungshindernisse i.S.v. § 53 AuslG nicht vorlägen. Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Klage machte der Kläger geltend, die Behandlung seiner Erkrankung sei in der Türkei nicht ausreichend gewährleistet. Außer einer engmaschigen psychiatrischen Behandlung und Versorgung mit Medikamenten, die er wegen Fehlens der erforderlichen finanziellen Mittel nicht erlangen könne, benötige er eine intensive Betreuung und Überwachung, weil es ihm selbst an Krankheitseinsicht fehle. Seine Ehefrau, die er im Bundesgebiet geheiratet habe, verfüge über ein Aufenthaltsrecht und sei nicht bereit, mit ihm in die Türkei zurückzukehren. Im Klageverfahren trug der Kläger zudem vor, er leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Das VG wies die Klage ab. Die Berufung, mit der der Kläger begehrte, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu der Feststellung zu verpflichten, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen, hatte Erfolg.

Gründe:

Der Kläger hat Anspruch auf die begehrte Feststellung eines Abschiebungshindernisses. Rechtsgrundlage für diese Feststellung ist nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes vom 30.7.2004 (BGBl. I, S. 1950) nunmehr § 60 Abs. 7 AufenthG (dazu 1.). Insoweit beruft der Kläger sich allerdings ohne Erfolg auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (dazu 2.). Die in seinem Fall bestehende Gefahr für Leib und Leben ist vielmehr Folge einer paranoid- halluzinatorischen Psychose, die unter Berücksichtigung der konkreten Krankheitsfolgen in der Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht ausreichend behandelt werden kann (dazu 3.).

1. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Vorschrift ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG; Art. 15 Abs. 3 Zuwanderungsgesetz) anwendbar. Abgesehen von einer die Rechtsfolge betreffenden Änderung ("soll" statt "kann"), die für die - gemäß § 24 Abs. 2 AsylVfG weiterhin vom beklagten Bundesamt zu treffende - lediglich auf die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift bezogene Feststellung unerheblich ist, entspricht der Wortlaut des § 60 Abs. 7 AufenthG dem des § 53 Abs. 6 AuslG.

(...)

2. Die Beklagte ist verpflichtet, zu Gunsten des Klägers festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG in Bezug auf die Türkei vorliegen.

Das Abschiebungshindernis ergibt sich jedoch nicht aus dem Vorbringen des Klägers, er leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine psychische Erkrankung, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl. 2002, Stichwort "Belastungsstörung, posttraumatische"; Haenel, zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen, ZAR 2003, 18; agah, ai, AWO, Caritas, Diakonie u.a.: Trauma und Abschiebung - eine Positionsbestimmung -, Stand: Juni 2004, m.w.N.; aus juristischer Sicht: Middeke, Posttraumatisierte Flüchtlinge im Asyl- und Abschiebungsprozess, DVBl. 2004, 150; Treiber, Flüchtlingstraumatisierung im Schnittfeld zwischen Justiz und Medizin, ZAR 2002, 282 ; Birck, Zur Erfüllbarkeit der Anforderungen der Asylanhörung für traumatisierte Flüchtlinge aus psychologischer Sicht, ZAR 2002, 28; Marx, Humanitäres Bleiberecht für posttraumatisierte Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina, InfAuslR 2000, 357, die grundsätzlich, vornehmlich bei einer drohenden Retraumatisierung, geeignet sein kann, ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen. Allerdings ist die Behandlung psychischer Erkrankungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen in der Türkei grundsätzlich sicher gestellt.

So schon OVG NRW, Urteil vom 27.6.2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 110.

An dieser Einschätzung, die durch neuere Erkenntnisse bestätigt wird, vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 19.5.2004, S. 47 und Anlage "Medizinische Versorgung psychisch kranker Menschen in der Türkei"; Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland Istanbul, Auskunft an das Landeseinwohneramt Berlin vom 16.7.2003; Deutsche Botschaft Ankara, Auskünfte vom 10.2.2003 an das VG Düsseldorf und vom 26.2.2004 an das VG Hannover; Kienholz (Schweizerische Flüchtlingshilfe), Die medizinische Versorgungslage in der Türkei, 13.8.2003, S. 19 f., hält der Senat weiter fest. Soweit der Standard der gesundheitlichen Versorgung in der Türkei im Einzelfall, ohne dass dadurch eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben bedingt ist, nicht an den bundesdeutschen heranreicht, ist das ohne Bedeutung.

Das Gesundheitswesen der Türkei garantiert auch psychisch kranken Menschen den umfassenden Zugang zu Gesundheitsdiensten und Beratungsstellen. Die rein medikamentöse Versorgung von psychisch kranken Menschen - etwa nach einer Krankenhausbehandlung - gilt in der Türkei nicht zuletzt auch durch die sog. Gesundheitszentren als gesichert, namentlich sind antipsychotische Medikamente und Antidepressiva erhältlich. Die Situation psychisch Kranker in der Türkei ist allerdings gekennzeichnet durch die Dominanz medikamentöser und krankenhausorientierter Betreuung bei gleichzeitigem Fehlen differenzierter ambulanter (Tageskliniken und/oder -stätten) und komplementärer Versorgungs- und Therapieangebote (z.B. Beratungsstellen, Kontaktbüros, betreutes Wohnen etc.). Dahinter steht u.a. die Annahme, dass der Patient in der Familie die bessere Pflege erhalte. Es sind dementsprechend vorwiegend staatliche Krankenhäuser in Provinzstädten, Universitätskliniken und Hospitäler der sozialen Versicherungsträger, in denen psychiatrische Abteilungen solche Patienten - ggf. auch ambulant - betreuen. Psychiatrische Kliniken des Gesundheitsministeriums und Einrichtungen der Sozialversicherungsanstalt SSK verfügen - unter Einbeziehung der psychiatrischen Stationen in allgemeinen Krankenhäusern aller öffentlichen türkischen Institutionen - inzwischen über mehr als 10.000 Betten für psychisch Kranke. Landesweit sind in 68 Städten 137 Krankenhäuser bevollmächtigt, Gesundheitszeugnisse über Behinderte und/oder psychisch kranke Menschen auszustellen. Darauf beschränkt ist - jedenfalls in den großen Städten - eine psychiatrische Behandlung in der Türkei im Allgemeinen auf demselben Niveau möglich wie in Deutschland. Im Osten des Landes, außerhalb der Städte und in Bezug auf mittellose Personen wird dagegen das in Deutschland bestehende Versorgungsniveau nicht erreicht. Die stationäre Verweildauer der Patienten in den Kliniken ist allerdings aufgrund der begrenzten Zahl sowohl der Psychiater als auch der verfügbaren Betten in der Regel auf drei Monate beschränkt. Weiterführende Therapien neben bzw. nach der stationären Behandlung werden aus fachlichen aber auch finanziellen Gründen im Allgemeinen nicht angeboten. Dauereinrichtungen für psychisch kranke Erwachsene gibt es nur in der Form sog. "Depot-Krankenhäuser". Diese sind eingerichtet für chronische Fälle, die keine familiäre Unterstützung haben oder eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen. Die Anzahl und Kapazität derartiger Einrichtungen ist gering. Der insgesamt schwierigen Situation für psychisch kranke Menschen versucht man nicht zuletzt deshalb ergänzend durch die Einrichtung von Selbsthilfeorganisationen zu begegnen. Diese Einrichtungen existieren oft über Verbindungen mit türkischen Institutionen im Ausland, die für Beratungszwecke Ärzte aus Deutschland, Frankreich und den USA in die Türkei vermitteln, um medizinischem Personal, Betreuungspersonal, Eltern und Lehrern Wege zum Umgang mit psychisch kranken Menschen aufzuzeigen.

Die Versorgung psychisch kranker Menschen im - für mittellose Flüchtlinge regelmäßig nicht in Betracht kommenden - Privatsektor ist im Übrigen vergleichsweise günstiger: In Istanbul wurden in den letzten Jahren mehrere moderne psychiatrische Krankenhäuser mit einem differenzierten Behandlungsangebot und ambulanter Betreuungsmöglichkeit eingerichtet. Privatpatienten ist auch die Beratung oder Behandlung bei einem der niedergelassenen Fachärzte oder der - zumeist im Ausland - umfassend ausgebildeten Psychologen, Psychiater, psychotherapeutisch tätigen Ärzten oder Neurologen möglich, deren Wirkungskreis sich allerdings fast ausschließlich auf die großen Städte Ankara, Istanbul, Izmir, Adana und Erzurum beschränkt.

Auch für spezielle Erkrankungen aus dem Formenkreis der posttraumatischen Belastungsstörung wird - soweit ersichtlich - vor dem Hintergrund der erwähnten Auskunftslage in der Rechtsprechung überwiegend davon ausgegangen, dass eine dem landesüblichen Standard entsprechende Behandlung in der Türkei grundsätzlich gewährleistet ist.

So etwa VGH Bad.-Württ., Urteil vom 7.11.2002 - A 12 S 907/00 -, UA S. 30 f.; VG Gießen, Urteil vom 14.5.2004 - 10 E 5903/03.A -, UA S. 18; VG Düsseldorf, Urteile vom 17.2.2003 - 17 K 1962/02.A -, UA S. 16 f., und vom 7.5.2004 - 26 K 4376/03.A -, UA S. 8 f.; a.A. in einem Einzelfall: VG Gießen, Urteil vom 15.5.2002 - 2 E 1370/01 -, AuAS 2002, 228.

Die in der Türkei mögliche Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen umfasst sowohl medikamentöse als auch psychotherapeutische Therapien und wird sowohl durch staatliche Einrichtungen, insbesondere Krankenhäuser mit einer Abteilung für Psychiatrie, und niedergelassene Psychiater und Psychotherapeuten als auch durch verschiedene Selbsthilfeeinrichtungen und Stiftungen sicher gestellt. Namentlich alle großen Krankenhäuser in der Türkei mit einer psychiatrischen Abteilung können grundsätzlich auch die Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung durchführen. Für die posttraumatische Belastungsstörung werden auch in der Türkei die international anerkannten Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV angewandt. Auch wenn es bei der therapeutischen Weiterbehandlung von aus Westeuropa zurückkehrenden Patienten aufgrund unterschiedlicher Behandlungskonzepte - mitunter gravierende - Probleme geben kann, zählen doch zu den Behandlungskonzepten, wie in Westeuropa üblich, u.a. die Psychotherapie mit Relaxationstraining, Atemtraining, Förderung des positiven Denkens und Selbstgespräche, kognitive Therapie sowie daneben Medikationen wie Antidepressiva und Benzodiazepine (= Tranquilizer).

Vgl. insoweit Auswärtiges Amt, Lageberichte Türkei vom 19.5.2004, Anlage "Medizinische Versorgung psychisch kranker Menschen in der Türkei", S. 2, vom 9.10.2002, Anlage "Medizinische Versorgung psychisch kranker Menschen in der Türkei" S. 3 f., vom 24.7.2001, S. 40/41; Deutsche Botschaft Ankara, Auskünfte vom 8.11.1999 an die Stadt Velbert, vom 26.2.2001 an den Märkischen Kreis, vom 16.3.2001 an das VG Stuttgart, vom 12.6.2002 an das Bundesamt und vom 22.10.2003 an das Bundesamt.

Folteropfer und traumatisierte Personen können sich darüber hinaus einer medizinischen und psychologischen Behandlung durch Ärzte, Psychiater, Psychotherapeuten und Sozialarbeiter in den fünf Rehabilitationszentren der durch Mitglieder des Menschenrechtsvereins "Insan Haklari Dernegi" (IHD) und der Ärztekammer im Jahr 1990 gegründeten "Türkischen Menschenrechtsstiftung (Türkiye Insan Haklari Vakfi - TIHV)" in Ankara, Istanbul, Izmir, Adana und Diyarbakir unterziehen. Die Behandlung ist kostenlos, weil die Zentren sich aus Spenden finanzieren. Trotz der Probleme, die den Behandlungszentren anfänglich von staatlicher Seite bereitet wurden, haben sie eine beachtliche Zahl von Patienten behandelt. Die Stiftung arbeitet mit niedergelassenen Ärzten zusammen und betreibt eine rege Informationspolitik, die durch die Einbindung der Organisation in ein weit reichendes Netzwerk nationaler und internationaler Organisationen begünstigt wird, ihm weit reichendes Gehör verschafft und einen wirksamen Schutz gegen staatliche Übergriffe bietet.

Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 7.11.2002 - A 12 S 907/00 -, UA S. 31, m.w.N.

Darüber hinaus gibt es auch außerhalb der Stiftung ein Netz von Psychiatern, die sich mit Symptomen und Behandlung des posttraumatischen Belastungssyndroms auskennen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang etwa die sich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanzierende "Forschungsstiftung für Recht und Gesellschaft/Stiftung für die Erforschung sozialen Rechts (TOHA/TOHAV)", die in Istanbul ein Rehabilitationszentrum für Folteropfer betreibt.

Vgl. zum Ganzen auch Penteker (Hrsg.): Es geht um die Menschen - nicht um den Heiligen Staat, Bericht über die 6. IPPNW-ÄrztInnen-Delegationsreise in die Türkei vom 12. - 21.3.2001. S. 26 ff.; Kienholz (Schweizerische Flüchtlingshilfe), Die medizinische Versorgungslage in der Türkei, 13.8.2003, S. 21.

Gleichwohl werden die Behandlungsmöglichkeiten gerade von an posttraumatischen Belastungsstörungen leidenden psychisch Kranken - insbesondere wenn sie keine Möglichkeit haben, in der Nähe der Behandlungszentren unter zu kommen - von fachkundiger Seite teilweise sehr kritisch beurteilt.

So etwa: IPPNW, Auskunft vom 11.11.2001 an das VG Stuttgart; Graf (Schweizerische Flüchtlingshilfe), Türkei - Zur aktuellen Situation 2003 -, 21.6.2003, S. 44; Kienholz (Schweizerische Flüchtlingshilfe), Die medizinische Versorgungslage in der Türkei, 13.8.2003, S. 99 ff.

Der auswärtige Dienst bezeichnet die Situation von in schwerwiegender Weise psychisch erkrankten Erwachsenen - namentlich der Gruppe Traumatisierter - auch noch in jüngerer Zeit als sehr schwierig. Zwar sei die rein medizinische Versorgung von psychisch kranken Menschen gesichert. Es sei jedoch nahezu aussichtslos, adäquate Behandlungsmethoden bzw. -verfahren in Anspruch zu nehmen; eine Anschlusstherapie von aus Deutschland zurückkehrenden Patienten sei - schon wegen unterschiedlicher Behandlungskonzepte - ausgeschlossen.

Vgl. Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Istanbul, Auskunft vom 16.7.2003 an das Landeseinwohneramt Berlin; Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 22.6.2000, Anlage "Medizinische Versorgung psychisch kranker Menschen in der Türkei", S. 5.

Wenn ein Asylbewerber vor diesem Hintergrund substantiiert geltend macht, dass ihm bei einer Rückkehr in die Türkei schwerwiegende Gesundheitsgefahren - etwa wegen einer zu erwartenden erheblichen Verschlimmerung psychischer Leiden - drohen, die wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls medizinisch in der Türkei nicht ausreichend behandelt werden können, ist - in seltenen Ausnahmefällen - eine auf den Einzelfall bezogene detaillierte Sachverhaltsaufklärung erforderlich.

So schon OVG NRW, Urteil vom 27.6.2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 110, m.w.N.; vgl. auch Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 19.5.2004, Anhang "Medizinische Versorgung psychisch kranker Menschen in der Türkei", S. 4, Lagebericht Türkei vom 20.3.2002, S. 47.

Dazu bedarf es vorliegend jedoch keiner weiteren Erwägungen, weil auch und gerade in Ansehung der vorliegenden ärztlichen Gutachten und Atteste keine ernstlichen Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass der Kläger - wie behauptet - unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet.

Es steht - auch nach dem Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung von dem Kläger gewonnen hat - nicht in Zweifel, dass dieser unter einer psychischen Erkrankung leidet. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine posttraumatische Belastungsstörung, sondern um eine paranoid-halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. (...) Vor dem Hintergrund eines über einige Jahre hinweg von verschiedenen Fachärzten teils stationär, teils ambulant untersuchten und behandelten Krankheitsbildes stellt sich die im gerichtlichen Verfahren aufgestellte Behauptung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Behauptung "ins Blaue hinein" dar, für deren Richtigkeit nichts spricht. Aufgrund dessen besteht für den Senat insoweit auch kein Anlass zu einer weiter gehenden Sachaufklärung.

3. Dem Kläger droht im Falle einer Abschiebung in die Türkei aber deshalb eine erhebliche Gefahr - zumindest - für seine Gesundheit, weil er an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose leidet (dazu a). Die medizinische Behandlung dieser psychischen Krankheit ist allerdings in der Türkei gewährleistet (dazu b) und für den Kläger auch nicht aus finanziellen Gründen unerreichbar (dazu c). Das konkrete Krankheitsbild macht aber über die medizinische Versorgung hinaus eine Betreuung erforderlich, die für den Kläger aufgrund besonderer Umstände seines Einzelfalls nicht gewährleistet ist (dazu d), deren Ausbleiben für ihn jedoch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gesundheitliche Beeinträchtigungen der von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorausgesetzten Art und Schwere verursachen würde (dazu e).

a) Das Vorliegen einer paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis ist durch die vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten zur Überzeugung des Senats hinreichend belegt und wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Bei dieser Erkrankung handelt es sich um eine Dauererkrankung, die im Falle aktueller Exazerbationen eine stationäre und im Übrigen eine medikamentöse Behandlung erfordert.

Vgl. zur Behandlungsbedürftigkeit als Voraussetzung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG: OVG NRW, Beschluss vom 15.9.2003 - 13 A 2597/03.A -.

Nach den ärztlichen Stellungnahmen (...) besteht die langfristig gebotene Therapie bei dem Krankheitsbild des Klägers in einer fortlaufenden ambulanten Depotmedikation unter fachpsychiatrischer Betreuung.

b) Grundsätzlich kann auch eine paranoide Psychose bzw. Schizophrenie in der Türkei adäquat behandelt werden.

Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 8.2.1999; Deutsche Botschaft Ankara, Auskünfte vom 30.1.2002 an das VG Schleswig und vom 12.7.2001 an das Bundesamt.

Wie bereits ausgeführt bestehen in den staatlichen Krankenhäusern psychiatrische Stationen, die auch ambulant tätig werden und dementsprechend eine sich als erforderlich erweisende psychiatrische Weiterbehandlung - etwa Besprechungen - stationär wie ambulant ausreichend gewährleisten können. Art und Schwere der Erkrankungen sind nicht von Bedeutung. Die erforderlichen Medikamente sind ohne Schwierigkeiten erhältlich.

Vgl. Deutsche Botschaft Ankara, Auskunft vom 26.2.2004 an das VG Hannover.

Neuroleptika gibt es in der Türkei in großer Auswahl.

Vgl. Deutsche Botschaft Ankara, Auskünfte vom 7.11.2002 an das VG Arnsberg, vom 9.8.2001 an das VG Aachen und vom 12.7.2001 an das Bundesamt.

Im Falle einer Abschiebung kann eine zeitnahe Anschlussbehandlung sichergestellt werden. Nach Auskunft des Generalkonsulats sind mit der Flughafenpolizei und dem medizinischen Dienst am Flughafen Instanbul Verfahrensweisen abgesprochen worden, die nötigenfalls eine sofortige Übernahme der Behandlung sicherstellen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27.6.2002 - 8 A 4782/93.A -, UA S. 110/111, m.w.N.

Nach entsprechender Vorbereitung der Abschiebung durch die Ausländerbehörde besteht namentlich bei psychisch Kranken die Möglichkeit, dass diese bei einer Rückführung an den Flughäfen Ankara, Istanbul, Izmir oder Antalya von einem Team, das aus einem Psychiater und einer Krankenschwester oder einem Krankenpfleger besteht, in Empfang genommen und nach einer Untersuchung der erforderlichen Weiterbehandlung zugeführt werden.

Vgl. Deutsche Botschaft Ankara, Auskunft vom 20.11.2003 an das Bundesamt.

c) Die Durchführung einer notwendigen Behandlung insbesondere mit Medikamenten würde auch nicht an einer eventuellen Mittellosigkeit des Klägers scheitern.

In den Genuss der türkischen Sozialversicherung als Kostenträger kommen allerdings grundsätzlich nur Staatsbeamte sowie sozialversicherungspflichtig beschäftigte Angestellte und Arbeiter und ihre Familienangehörigen.

Vgl. Auswärtiges Amt, Lageberichte Türkei vom 19.5.2004, S. 46, und vom 12.8.2003, S. 55; Auskunft der Deutschen Botschaft Ankara vom 28.11.2003 an das VG Kassel; zu den in Frage kommenden Versicherungen auch Kienholz (Schweizerische Flüchtlingshilfe), Die medizinische Versorgungslage in der Türkei, 13.8.2003, S. 9.

Für mittellose Kranke, die die erforderlichen Mittel nicht von ihrer Familie erhalten, besteht die Möglichkeit, bei der Gesundheitsverwaltung die Ausstellung der "yesil kart" (Grüne Karte) zu beantragen, die zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem berechtigt. Eine sofortige Behandlung von akut erkrankten Personen ist auch schon während des Zeitraums bis zur Ausstellung der Grünen Karte im staatlichen Gesundheitssystem möglich; zudem kann der Förderfonds für Sozialhilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanismayi Tesvik Fonu, in etlichen Auskünften auch als "Stiftung für Sozialhilfe" bezeichnet) eintreten, wenn und soweit die Kosten medizinischer Versorgung durch die yesil kart nicht gedeckt sind. Rechtsgrundlage für die Ausstellung der yesil kart ist das Gesetz Nr. 3816 vom 18.6.1992. Berechtigt sind Personen türkischer Staatsangehörigkeit, die ein Einkommen unterhalb der gesetzlich bestimmten Mindestgrenze haben und kein geldwertes Eigentum vorweisen können. Die yesil kart wird auf Anforderung von den Regionalbehörden des Gebietes, in dem die Person wohnhaft ist, nach einer Überprüfung der finanziellen Angaben ausgestellt. Um einen Antrag auf die yesil kart stellen zu können, muss die Person in der Türkei wohnhaft sein. Die Karte ist grundsätzlich nur in staatlichen Krankenhäusern gültig und berechtigt dort zu kostenloser stationärer und ambulanter Behandlung. Wenn die notwendigen Untersuchungen oder Behandlungen in dem staatlichen Krankenhaus nicht durchgeführt werden, kann der Patient an ein Universitätskrankenhaus weiter geleitet werden. Die übliche Zeitdauer zwischen der Stellung des Antrags auf Erhalt einer yesil kart und der Erteilung der Karte wird mit drei bis acht Wochen angegeben, kann aber auch länger sein, etwa wenn nicht gleich alle erforderlichen Unterlagen vorliegen. Ist der Betroffene akut erkrankt, wird in der Zeit zwischen Antragstellung und Erteilung die notwendige Soforthilfe durch die staatlichen Krankenhäuser auf Kosten der Landratsämter erbracht. Bei stationärer Behandlung von Inhabern der Grünen Karte werden sowohl Behandlungskosten als auch sämtliche Medikamentenkosten übernommen. Im Falle einer ambulanten Behandlung gewährleistet die yesil kart die Übernahme der Arzneimittelkosten jedoch grundsätzlich nicht. Soweit das Auswärtige Amt in einer älteren Auskunft, Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 14.11.2000 an das VG Freiburg, mitgeteilt hat, bei chronischen Krankheiten würden durch die yesil kart auch die Kosten für die dauerhaft notwendigen Arztbesuche und Medikamente übernommen, hat es daran in späteren Auskünften nicht festgehalten.

Auswärtiges Amt, Lageberichte Türkei vom 12.8.2003, S. 55 f. und vom 19.5.2004, S. 47, Auskünfte vom 22.10.2003 an das Bundesamt und vom 8.3.2004 an das Bundesamt; ferner ärztliche Stellungnahme des Vertrauensarztes vom 25.11.2003 an das VG Kassel.

Eine derartige umfassende Kostenübernahme kann auch nicht dem Text des Gesetzes Nr. 3816 über die Übernahme der Behandlungskosten von mittellosen Staatsangehörigen durch Ausstellung der yesil kart vom 18.6.1992 entnommen werden. Einzelne Auskünfte sind allerdings wohl dahin zu verstehen, dass chronisch Kranke bei einer ambulanten Behandlung in einem staatlichen Krankenhaus auch Medikamente über die yesil kart erlangen können.

Vgl. Botschaftsbericht vom 9.5.2001; Stellungnahme des Vertrauensarztes der Deutschen Botschaft in Ankara vom 7.4.2004 an das VG Düsseldorf (für Insulin).

Bei teuren, lebenserhaltenden Medikamenten kann eine Kostenübernahme nach Antragstellung beim Landratsamt aus Mitteln des Sozialhilfefonds gewährt werden.

Vgl. zum gesamten Vorstehenden Auswärtiges Amt, Lageberichte Türkei vom 19.5.2004, S. 46 f., vom 12.8.2003, S. 55 f., und vom 9.10.2002, S. 49; Deutsche Botschaft Ankara, Auskünfte vom 21.7.2003 und vom 22.10.2003 an das Bundesamt, vom 24.10.2003 an das VG Köln, vom 28.11.2003 an das VG Kassel, vom 26.2.2004 an das VG Hannover, vom 8.3.2004 an das Bundesamt, vom 7.4.2004 an das VG Düsseldorf und vom 2.9.2004 an das Bundesamt; zur psychiatrischen Behandlung: Deutsche Botschaft Ankara, Auskunft vom 26.2.2004 an das VG Hannover.

Zwar sieht das Änderungsgesetz vom 14.7.2004 (Gesetz Nr. 5222) nunmehr eine weiter gehende Übernahme der mit einer ambulanten Behandlung verbundenen Kosten etwa für Heilmittel, Zahnersatz, Brillen und auch Medikamente vor; diese Gesetzesänderung wird jedoch gemäß Art. 2 des Änderungsgesetzes zunächst nur in drei Pilotprovinzen umgesetzt. Erfahrungen mit der Anwendungspraxis liegen noch nicht vor.

Vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Ankara an den Senat vom 17.1.2005.

Soweit die Schweizerische Flüchtlingshilfe die eventuelle Abdeckung auch von Medikamentenkosten durch die Grüne Karte und deren Akzeptanz wegen des geringen Leistungsumfangs und bürokratischer Erschwernisse kritisch einschätzt, vgl. Kienholz (Schweizerische Flüchtlingshilfe), Die medizinische Versorgungslage in der Türkei, 13.8.2003, S. 8/9 m.w.N.; kritisch auch: OVG Rh.-Pf., Urteil vom 15.7.2003 - 10 A 10168/03.OVG -, UA S. 18/19; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 4.11.2003 - 9a K 4962/00.A -, Asylmagazin 1-2/2004, 32, jeweils m.w.N., stellt dies im Ergebnis nicht in Frage, dass mittellose Kranke benötigte Arzneimittel erhalten können. Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe bestätigt, dass es neben der "yesil kart" zusätzlich die Möglichkeit gibt, in Notlagen unter ähnlichen und in gleicher Weise nachzuweisenden Voraussetzungen den Förderfonds für Sozialhilfe und Solidarität in Anspruch zu nehmen, der auch Kosten von Medikamenten für chronisch Kranke übernimmt.

Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 7.11.2002 - A 12 S 907/00 -, UA S. 34, m.w.N.; siehe auch Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 19.5.2004, S. 47; Kaya, Gutachten vom 3.5.2004, 21.2.2001 und 10.2.2001, jeweils an das VG Bre-men; kritisch im konkreten Einzelfall: OVG Rh.-Pf., Urteil vom 15.7.2003 - 10 A 10168/03.OVG -, UA S. 19.

Soweit von willkürlichen Praktiken auch bei der Bearbeitung von Anträgen an die Stiftung für Sozialhilfe und Solidarität und von entsprechenden Verzögerungen berichtet wird, vgl. Kaya, Gutachten vom 3.5.2004 an das VG Düsseldorf, handelt es sich um - oft vom regional zuständigen Regierungsvertreter abhängiges - Fehlverhalten in Einzelfällen. Dass sich Derartiges im Fall eines bestimmten Rückkehrers wiederholt, kann, sofern nicht konkrete Anhaltspunkte vorliegen, nicht ohne weiteres als beachtlich wahrscheinlich unterstellt werden.

Davon abgesehen kann Unterstützung auch von religiösen Stiftungen erbeten werden.

So auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 7.11.2002 - A 12 S 907/00 -, UA S. 34, Auswärtiges Amt, Lagebericht Türkei vom 9.10.2002, S. 48; im konkreten Einzelfall wiederum kritisch: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.7.2003 - 10 A 10168/03.OVG -, UA S. 19.

Eine wichtige und wirksame Quelle für Hilfe in Notlagen finden türkische Staatsangehörige im Allgemeinen zunächst in ihren Familien. Die familiären Bande in der türkischen Bevölkerung sind stark, was auf die islamische Tradition zurückgeht. Dieser Zusammenhalt und ggf. auch der im Stammesverband bewirken, dass besser gestellte Mitglieder sich stets bemühen, den schlechter gestellten zu helfen, sofern diese nicht selbst ihre Existenz sichern können.

Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 7.11.2002 - A 12 S 907/00 -, UA S. 34, m.w.N.

Ist danach in der Regel davon auszugehen, dass ein mittelloser psychisch Kranker die von ihm dauerhaft benötigte medizinische Behandlung einschließlich der verordneten Arzneimittel erlangen kann, kann gleichwohl in Einzelfällen Abweichendes gelten, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass mit Hilfe der Grünen Karte, des Förderfonds für Sozialhilfe und Solidarität oder religiöser Stiftungen eine medizinisch erforderliche Behandlung nicht, nicht rechtzeitig oder nicht im erforderlichen Umfang sichergestellt werden kann und der Betroffene diese auch unter Berücksichtigung denkbarer Hilfen durch Familie, Freunde oder - für eine Übergangszeit - auch der Ausländerbehörde hierzu wirtschaftlich voraussichtlich nicht wird finanzieren können.

So schon OVG NRW, Urteil vom 27.6.2002 - 8 A 4782/99.A -, UA S. 110.

Dies zugrundegelegt ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass dem Kläger die erforderliche medizinische Behandlung einschließlich der laufenden Arzneimittelversorgung in der Türkei aus finanziellen Gründen versagt bleiben wird. Konkrete Anhaltspunkte für eine derartige Annahme macht der Kläger nicht geltend; mit den in der Türkei bestehenden Hilfsangeboten setzt er sich nicht substantiiert auseinander. Gesichtspunkte, die die Finanzierbarkeit der vom Kläger benötigten medizinische Versorgung in Frage stellen, sind auch sonst nicht ersichtlich.

Da sich die zuständige Ausländerbehörde mit Schreiben vom 16.12.2004 bereit erklärt hat, den Kläger im Fall der Abschiebung oder freiwilligen Ausreise in die Türkei für eine Übergangszeit von zwei bis drei Monaten mit einem Vorrat der erforderlichen Medikamente zu versorgen, ist ungeachtet der in der Türkei für derartige Übergangszeiten in Betracht kommenden staatlichen und privaten Hilfen jedenfalls der Zeitraum bis zur Bearbeitung des Antrags auf Ausstellung der yesil kart abgedeckt.

d) Eine zielstaatsbezogene Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht für den Kläger in der Türkei aber deshalb, weil er die notwendige Behandlung bzw. Medikation aus anderen als finanziellen Gründen, nämlich wegen fehlender Überwachung und Betreuung nicht erlangen kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002 - 1 C 1.02 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 66 = DVBl. 2003, 463.

Das Westfälische Zentrum für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik hat dem Kläger (...) mangelnde Krankheitseinsicht, daraus resultierende Nichteinnahme von Medikamenten und die dementsprechende Notwendigkeit einer permanenten Gesundheitsbetreuung bescheinigt. Der mit der ambulanten Behandlung des Klägers betraute Facharzt für Neurologie und Psychiatrie hat dies in seinen Attesten (...) bestätigt.

(...)

Hiernach stellt die Betreuung des Klägers erhebliche Anforderungen an die Person, die diese Aufgabe übernimmt. (...)

Gemessen an den vorstehend beschriebenen Anforderungen an die Betreuungsperson ist nicht erkennbar, dass die notwendige Betreuung des Klägers in der Türkei sichergestellt wäre.

In Betracht kommt insoweit zunächst eine Betreuung durch Familienangehörige, insbesondere seine Ehefrau, die ihn auch bislang betreut. Fraglich erscheint schon, ob sie überhaupt bereit ist, ihrem Ehemann in die Türkei zu folgen. Dabei hat der Senat nicht darüber zu entscheiden, inwieweit ihr die gemeinsame Rückkehr in die Türkei in ausländerrechtlicher Hinsicht zumutbar ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob es beachtlich wahrscheinlich ist, dass die Ehefrau des Klägers im Falle einer Abschiebung tatsächlich nicht mit ihm in ihr Heimatland zurückkehren wird. Diese Prognose vermag der Senat nicht zu treffen. (...) Letztlich kommt es auf diese Prognose aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls nicht an. Denn nach der in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Überzeugung des Senats ist die Ehefrau des Klägers allein ohnehin nicht in der Lage, die nötige Betreuung, nämlich vor allem die regelmäßig Verabreichung der benötigten Depotmedikation, zu gewährleisten. (...)

Anhaltspunkte dafür, dass eine Respektsperson in der Türkei zur Verfügung steht, die die Betreuung des Klägers zusammen mit seiner Ehefrau oder auch allein gewährleisten könnte, sind nicht ersichtlich. Beide Brüder des Klägers sind im Jahr 2003 verstorben. Lediglich entfernt verwandte Angehörige der Großfamilie, etwa die Abkömmlinge des 85-jährigen Onkels, kommen, selbst wenn sie bereit sein sollten, den Kläger bei sich aufzunehmen, ebenso wenig in Betracht wie entfernte Verwandte der Ehefrau des Klägers. Darüber hinaus belegt der Umstand, dass der Kläger in einem Waisenhaus aufgewachsen ist, dass das Bewusstsein einer familiären Zusammengehörigkeit innerhalb der Großfamilie des Klägers - entgegen den üblichen Verhältnissen in der Türkei - offenkundig nicht ausgeprägt ist und zumindest seinerzeit ganz gefehlt hat. (...) Es spricht auch nichts dafür, dass die erforderliche Betreuung des Klägers außerhalb der Familie gewährleistet werden könnte. Soweit die Beklagte auf die Existenz von Einrichtungen für geistig Behinderte verweist, ist bereits nicht ersichtlich, dass der an einer psychischen Krankheit leidende, aber intellektuell nicht minderbegabte Kläger zu dem Personenkreis zählt, der Aufnahme in einer derartigen Einrichtung finden kann. Dauereinrichtungen für psychisch Kranke, seien es offene oder geschlossene Psychiatrien, Wohnheime im geschützten Raum oder betreute Wohneinheiten außerhalb, sind in der Türkei nicht vorhanden.

Vgl. Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Istanbul, Auskunft vom 16.7.2003 an das Landeseinwohneramt Berlin.

Davon abgesehen kommt eine Unterbringung in einem Heim oder in einer Wohngruppe im Fall des Klägers, bei dem insbesondere das Zusammensein mit anderen Menschen zu Ängsten und in deren Folge zu aggressiven Ausbrüchen seiner Psychose führt, nach dem medizinischen Befund nicht ernstlich in Betracht. (...)

e) Bleibt der Kläger nach einer Abschiebung in die Türkei ohne ausreichende Betreuung, ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass er die benötigten Medikamente nicht erhält; das bedeutet zugleich, dass für ihn die Gefahr gesundheitlicher Beeinträchtigungen der von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorausgesetzten Art und Schwere besteht. (wird ausgeführt)

Da die Umstände, die das Abschiebungshindernis begründen, nach alledem solche des konkreten Einzelfalls sind, scheidet die Annahme einer allgemeinen Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus.

Ende der Entscheidung

Zurück