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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 24.01.2005
Aktenzeichen: 8 A 159/05.A
Rechtsgebiete: AuslG, AufenthG


Vorschriften:

AuslG § 53 Abs. 6
AufenthG § 60 Abs. 7
1. Eine ärztliche Bescheinigung, durch die dem Asylbewerber eine (gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entscheidungserhebliche) psychische Erkrankung attestiert wird, gibt dem VG nicht erst dann Anlass zur weiteren Sachaufklärung, wenn sie in jeder Hinsicht den an ein zur Beweisführung geeignetes Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen genügt.

2. Das Verwaltungsgericht kann ausnahmsweise schon dann gehalten sein, den Sachverhalt unter Inanspruchnahme ärztlichen Sachverstandes weiter aufzuklären, wenn zwar keine ärztliche Bescheinigung vorliegt, die Annahme einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung sich jedoch aufgrund besonderer Einzelfallumstände aufdrängt.


Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. ... Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. ...

Ein Gehörsverstoß liegt nicht deshalb vor, weil das VG dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsbeweisantrag, ein Sachverständigengutachten dazu einzuholen, dass die Klägerin zu 2. an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und im Falle einer Rückkehr in die Türkei eine erhebliche Verschlimmerung ihrer Krankheit drohe, nicht entsprochen hat. Die Rüge, die Ablehnung des Beweisantrages stelle einen Gehörsverstoß dar, weil sie im Prozessrecht keine Stütze finde,

vgl. hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 8.11.1978 - 1 BvR 158/78 -, BVerfGE 50, 32 (35 f.), und vom 29.11.1983 - 1 BvR 1313/82 -, BVerfGE 65, 305 (307); BVerwG, Beschluss vom 24.3.2000 - 9 B 530.99 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 308,

ist unbegründet. Das VG ist dem Beweisantrag deshalb nicht nachgegangen, weil es keine Anhaltspunkte für das Vorliegen der behaupteten und unter Beweis gestellten posttraumatischen Belastungsstörung sah. Bei sachgerechter Würdigung zielt die vom VG gegebene Begründung mithin darauf, dass es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis handelt. Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag liegt in Bezug auf solche Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufgestellt werden, für die tatsächliche Grundlagen jedoch fehlen.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27.3.2000 - 9 B 518.99 -, Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60, vom 19.4.2000 - 9 B 170.00 -, NVwZ 2000, 1042, und vom 30.1.2002 - 1 B 326.01 -, Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69, jeweils m.w.N.

Dies ist hier der Fall. Allerdings ist mit Blick auf die vom VG formulierten Anforderungen an ein psychiatrisches Gutachten, durch das einem Asylbewerber das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung bescheinigt wird, klarstellend festzuhalten, dass diesen im vorliegenden Klageverfahren keine Beweisführungslast trifft. Wie in jedem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist es ungeachtet der dem Kläger obliegenden Mitwirkungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz VwGO) grundsätzlich auch im asylrechtlichen Klageverfahren - für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sowie für Klageverfahren nach erfolglosen Folge- bzw. Wiederaufgreifensanträgen mag Abweichendes gelten - Sache des Gerichts, den Sachverhalt - soweit erforderlich - von Amts wegen aufzuklären (§ 86 Abs. 1 VwGO) und im Rahmen seiner Überzeugungsbildung alle Umstände zu würdigen (§ 108 Abs. 1 VwGO).

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.6.1999 - 9 C 36.98 -, BVerwGE 109, 174 (177).

Das gilt, da das Gesetz keine abweichende Regelung trifft, auch in Bezug auf die Tatsachen, die die Annahme eines Abschiebungshindernisses i.S.v. § 60 Abs. 7 AufenthG begründen können. Hiernach gibt eine ärztliche Bescheinigung, durch die dem Asylbewerber eine psychische Erkrankung attestiert wird, dem VG nicht erst dann Anlass zur weiteren Sachaufklärung, wenn sie in jeder Hinsicht den an ein zur Beweisführung geeignetes Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen,

vgl. zu den wissenschaftlichen Anforderungen an ein vom Gericht eingeholtes Glaubwürdigkeitsgutachten: BGH, Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 -, BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746,

genügt. Das VG kann sogar schon dann gehalten sein, den Sachverhalt unter Inanspruchnahme ärztlichen Sachverstandes weiter aufzuklären, wenn zwar keine ärztliche Bescheinigung vorliegt, sich die Annahme einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung aber dennoch aufgrund besonderer Einzelfallumstände aufdrängt.

Vgl. zur Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens im asylrechtlichen Verfahren: BVerwG, Beschluss vom 18.7.2001 - 1 B 118.01 -, DVBl. 2002, 53; OVG NRW, Beschlüsse vom 30.3.2001 - 8 A 5585/99.A -, NVwZ 2001, Beilage Nr. I 9, 109, und vom 23.11.2004 - 8 A 2299/04.A -.

Fehlen derartige, für das Gericht erkennbare Umstände, kann die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung Anlass geben, das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses in Betracht zu ziehen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Bescheinigung substantiiert und in für das Gericht nachvollziehbarer Weise ernstliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer psychischen Erkrankung aufzeigt, die bei dem Betroffenen gesundheitliche Beeinträchtigungen der von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorausgesetzten Schwere, nicht etwa bloße Befindlichkeitsstörungen, verursacht bzw. im Falle der Rückkehr in das Heimatland verursachen wird.

Dies zugrunde gelegt ergeben sich aus den ärztlichen Bescheinigungen vom 18.10.2004 und vom 5.11.2004 keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. hat mit Attest vom 18.10.2004 bescheinigt, dass sie die Klägerin zu 2. seit Juli 2003 in größeren Abständen wegen Kopfschmerzen und neuerdings wegen des Verdachtes auf Epilepsie behandele. Worauf die anschließende, auf den Satz "Außerdem besteht eine posttraumatische Belastungsstörung nach belastenden Erlebnissen in der Türkei" beschränkte Angabe beruht, ist nicht ersichtlich, zumal die Ärztin ergänzend darauf hingewiesen hat, dass die Klägerin zu 2. sich nicht in deutscher Sprache äußern könne, und sie ihre Patientin wegen dieser Erkrankung offenkundig weder selbst behandelt noch an einen anderen (Fach-) Arzt überwiesen hat. Ebenso wenig ist der Bescheinigung zu entnehmen, dass bzw. welche gesundheitliche Beeinträchtigungen auf die - angebliche - posttraumatische Belastungsstörung zurückzuführen sein sollten. Auch die von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. unter dem 5.11.2004 getroffene Diagnose einer "posttraumatische(n) Belastungssituation (Verfolgung, Folterung etc. im Heimatland)" ist in Ermangelung jedweder Substantiierung, worauf sich diese Folgerung gründet, nicht nachvollziehbar. Das zuvor festgestellte Vorliegen anfallsartiger Zustände, die der Arzt als tetanische Anfälle deutet, reicht hierzu ersichtlich nicht aus, weshalb er selbst eine ergänzende Abklärung möglicher organischer Ursachen empfiehlt. Davon abgesehen ist das nach den vorgelegten Attesten allenfalls in Betracht zu ziehende Krankheitsbild, das sich in dem Auftreten von Kopfschmerzen, Vergesslichkeit und nicht näher substantiierten anfallsartigen Zuständen äußert, nicht geeignet, i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben der Klägerin zu 2. zu begründen, auch wenn die Schmerzen die Betroffene sehr belasten mögen.



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