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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 27.03.2007
Aktenzeichen: 8 A 4728/05.A
Rechtsgebiete: GG, AufenthG, GFK, RL 2004/83/EG


Vorschriften:

GG Art. 16 a
AufenthG § 60 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 8 Satz 2
GFK Art. 1 F
RL 2004/83/EG Art. 12
1. § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG ist in Anlehnung an die Empfehlungen des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) restriktiv auszulegen.

2. Die 2. Alternative des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG ist in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention bei gemeinschafts- und verfassungskonformer Auslegung dahin zu verstehen, dass der Ausschlussgrund nicht allein der Sanktionierung eines in der Vergangenheit von dem Ausländer begangenen schweren nichtpolitischen Verbrechens, sondern daneben auch der Gefahrenabwehr dient.

3. Der Ausschlussgrund des § 60 Abs. 8 Satz 2, 2. Alt. AufenthG erfordert eine am Sinn und Zweck der Vorschrift sowie am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte umfassende Würdigung des Einzelfalls. Er kann daher entfallen, wenn von dem Ausländer unter keiner Betrachtungsweise mehr eine Gefahr ausgeht, etwa weil feststeht, dass er sich von allen früheren terroristischen Aktivitäten losgesagt hat oder er aus gesundheitlichen Gründen zu politischen Aktivitäten nicht mehr in der Lage ist.


Tatbestand:

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2002 in das Bundesgebiet ein. Zur Begründung seines Asylantrag machte er geltend: Als Angehöriger der TKP-ML, einer verbotenen linksextremen Organisation, habe er deren bewaffneten Flügel finanziell, moralisch und materiell durch Spenden unterstützt. An gewalttätigen Aktionen habe er nicht unmittelbar teilgenommen. Im Jahr 1998 sei er verhaftet und wegen "Mitgliedschaft in einer bewaffneten Bande" angeklagt worden. Nachdem er sich im Gefängnis an einem Hungerstreik beteiligt habe und erkrankt sei, sei er im Jahr 2001 wegen Haftunfähigkeit vorläufig für sechs Monate von der Untersuchungshaft verschont worden. Er leide an verschiedenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, insbesondere einem Wernicke-Korsakow-Syndrom.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) lehnte den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorlägen. Es stellte zugleich fest, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliege. Zur Begründung führte das Bundesamt aus: Sowohl die Anerkennung als Asylberechtigter als auch den Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) könne der Kläger nicht beanspruchen, weil die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG) erfüllt seien. Denn es sei aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt, dass der Antragsteller vor seiner Aufnahme als Flüchtling ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik begangen habe. Auf das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr komme es nicht an.

Das VG gab der Verpflichtungsklage statt. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Der Kläger kann beanspruchen, gemäß Art. 16 a Abs. 1 GG als Asylberechtigter anerkannt zu werden. Er ist unter dem Druck politischer Verfolgung aus der Türkei geflüchtet (a). Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kann nicht angenommen werden, dass der Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend sicher wäre (b). Die in § 60 Abs. 8 AufenthG konkretisierten verfassungsimmanenten Schranken schließen die Asylgewährung nicht aus (c). (...)

a) Nach Art. 16 a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. (...)

Entgegen der Auffassung der Beklagten erfasst der Schutzbereich des Asylgrundrechts nicht nur solche Ausländer, die sich als asylwürdig oder jedenfalls nicht asylunwürdig erwiesen haben. Ein derartiges, gleichsam ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal kennzeichnet den Schutzbereich des Art. 16 a GG nicht. Obwohl den Schöpfern des Grundgesetzes das Problem des um Asyl nachsuchenden Gewalttäters durchaus geläufig war, haben sie davon abgesehen, den Schutzbereich des Asylgrundrechts generell auf Personen zu beschränken, die sich keines Terroraktes schuldig gemacht haben, weil ihnen die Schwierigkeit bewusst war, zwischen Freiheitskämpfern und Terroristen stets klar zu unterscheiden.

Vgl. Renner, Terrorismusbekämpfung und Schutzsuchende, ZAR 2003, 52 (53), m.w.N.

Der Schutzbereich des Asylgrundrechts wird aber durch den so genannten "Terrorismusvorbehalt" begrenzt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG wird die Betätigung der politischen Überzeugung unter Einsatz terroristischer, d.h. insbesondere gemeingefährlicher oder gegen die Rechtsgüter anderer Bürger gerichteter Mittel von der Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung mit der von ihr mitgetragenen Völkerrechtsordnung grundsätzlich missbilligt. Maßnahmen des Staates zur Abwehr des Terrorismus sind deshalb keine politische Verfolgung, wenn sie dem aktiven Terroristen, dem Teilnehmer im strafrechtlichen Sinne oder demjenigen gelten, der im Vorfeld Unterstützungshandlungen zugunsten terroristischer Aktivitäten vornimmt, ohne sich an diesen Aktivitäten zu beteiligen. Denn die staatliche Verfolgung kriminellen Unrechts, also von Straftaten, die sich gegen die Rechtsgüter anderer Bürger richten, ist keine "politische" Verfolgung, und zwar auch dann nicht, wenn die Straftaten aus einer politischen Überzeugung heraus begangen worden sind. Allerdings kann auch in derartigen Fällen eine asylerhebliche Verfolgung vorliegen, sofern zusätzliche Umstände - etwa die besondere Intensität der Verfolgungsmaßnahmen - für eine solche Ausnahme sprechen.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10.7.1989 - 2 BvR 502, 961, 1000/86 -, BVerfGE 80, 315 (338 f.), und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 -, BVerfGE 81, 142 (150).

In Betracht kommen insoweit insbesondere körperliche Misshandlungen im Polizeigewahrsam. Derartige Übergriffe sind - anders als die bloße Verhaftung - von vornherein nur als eine außerhalb des Kanons staatlicher Kriminalstrafen und strafprozessualer Anordnungen stehende polizeiliche Repressionsmaßnahme vorstellbar.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.1.1995 - 9 C 276.94 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 175.

Dem Ausländer kann jedoch auch in derartigen Fällen der Anspruch auf Asylgewährung verwehrt bleiben. In seinem grundlegenden Beschluss vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 -, BVerfGE 81, 142 (152 f.), hat das BVerfG hierzu ausgeführt: "Unabhängig davon gilt: Es liegt außerhalb des Asylrechts, wenn für terroristische Aktivitäten nur ein neuer Kampfplatz gesucht wird, um sie dort fortzusetzen oder zu unterstützen. Demgemäß kann Asyl nicht beanspruchen, wer im Heimatland unternommene terroristische Aktivitäten oder deren Unterstützung von der Bundesrepublik Deutschland aus in den hier möglichen Formen fortzuführen trachtet; er sucht nicht den Schutz und Frieden, den das Asylrecht gewähren will. Das Asylrecht hat zu seinem Grundgedanken, demjenigen Zuflucht zu gewähren, der sich wegen (ihm drohender) politischer Verfolgung in einer für ihn ausweglosen Lage befindet (BVerfGE 74, 51 (64 )). Der lebens- und existenzbedrohende politische Kampf soll ein Ende haben, der vor politischer Verfolgung Flüchtende soll (wieder) den Schutz einer übergreifenden staatlichen Friedensordnung finden, aus der ihn der verfolgende Staat ausgegrenzt hat."

Ein asylsuchender Flüchtling genießt den Schutz des Asylrechts also nicht, wenn er von deutschem Boden aus die Umsetzung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln betreibt. Dies gilt selbst dann, wenn ihm in seinem Heimatland eine übermäßig harte oder aus anderen Gründen menschenrechtswidrige Strafe oder etwa mit Folter verbundene Behandlung droht. Ob ein Asylbewerber von diesem Terrorismusvorbehalt betroffen ist, beurteilt sich insbesondere danach, inwieweit sein Handeln in der Bundesrepublik Deutschland geprägt ist durch die Betätigung in oder für Organisationen, die die Durchführung oder Unterstützung terroristischer Aktivitäten zum Ziel haben. Wird die Unterstützung terroristischer Aktivitäten erst in Deutschland aufgenommen, ist eine besonders sorgfältige Prüfung erforderlich, inwieweit das Handeln des Asylbewerbers im vorstehenden Sinne insgesamt terroristisch geprägt ist. Maßgebend ist, ob das Verhalten des Asylbewerbers bei einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des einzelnen Falles sich als aktive Unterstützung terroristischer Aktivitäten darstellt. Als terroristisch sind dabei jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter anzusehen.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 26.10.2000 - 2 BvR 1280/99 -, DVBl. 2001, 66, vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 -, BVerfGE 81, 142 (145, 152 f.), unter Bezugnahme auf den Beschluss vom 10.7.1989 - 2 BvR 502, 961, 1000/86 -, BVerfGE 80, 315 (339 ff.), vom 8.10.1990 - 2 BvR 508/86 -, InfAuslR 1991, 18 (19 f.), und vom 25.4.1991 - 2 BvR 1437/90 -, InfAuslR 1991, 257 (260); BVerwG, Urteile vom 10.1.1995 - 9 C 276.94 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 175, und vom 30.3.1999 - 9 C 31.98 -, BVerwGE 109, 1, - 9 C 23.98 -, BVerwGE 109, 12, und - 9 C 22.98 -, BVerwGE 109, 25.

Scheidet der Ausländer aber aus der terroristischen Organisation aus und begibt er sich dadurch jeder Möglichkeit, künftig auf deren Aktionen Einfluss zu nehmen, befindet er sich nicht (mehr) außerhalb der in der Rechtsprechung des BVerfG aufgezeigten Grenzen des Schutzbereichs des Asylgrundrechts.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.1.1995 - 9 C 276.94 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 175.

(...)

Ausgehend von diesen Erwägungen ist festzustellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise politische Verfolgung erlitten hat. (wird ausgeführt)

Der Terrorismusvorbehalt steht der begehrten Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter nicht entgegen. Der Kläger ist während des noch gegen ihn anhängigen Strafverfahrens als politisch Verfolgter, der sich landesweit in einer ausweglosen Lage befand, in das Bundesgebiet geflohen, um hier den Schutz und den Frieden zu finden, den das Asylrecht gewährt. Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger sich im Bundesgebiet nicht politisch betätigt. Anhaltspunkte dafür, dass er zum Zeitpunkt seiner Flucht beabsichtigt hätte oder gegenwärtig (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) beabsichtigen würde, die im Heimatland unternommene Unterstützung einer gewalttätigen extremistischen Organisation von der Bundesrepublik Deutschland aus in den hier möglichen Formen fortzuführen, sind nicht ansatzweise erkennbar. Die gesundheitliche Verfassung des Klägers lässt es als ausgeschlossen erscheinen, dass er zu eigenen terroristischen Aktivitäten oder auch nur zu Unterstützungshandlungen in der Lage ist.

b) Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) kann nicht angenommen werden, dass der Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei vor erneuter politischer Verfolgung hinreichend sicher wäre. (wird ausgeführt)

c) Das Bundesamt hat den Asylantrag zu Unrecht unter Hinweis auf die Ausschlussklausel in § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG (i.d.F. vom 9.1.2002, BGBl. I, 361 - AuslG 2002 -) abgelehnt.

Diese Vorschrift ist am 1.1.2002 in Kraft getreten und seit dem 1.1.2005 durch die gleichlautende Regelung in § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG ersetzt worden. Nach dieser Regelung findet § 60 Abs. 1 AufenthG keine Anwendung, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Ausländer ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, begangen hat (1. Alternative) oder dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland begangen hat (2. Alternative) oder sich hat Handlungen zuschulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen (3. Alternative).

Obwohl der Anwendungsbereich dieser Ausschlussvorschrift dem Wortlaut nach allein den einfachgesetzlichen Abschiebungsschutz betrifft, ist unter den genannten Voraussetzungen auch der Anspruch auf Asylgewährung ausgeschlossen. In der Rechtsprechung zu § 51 Abs. 3 AuslG i.d.F. vom 29.10.1997, BGBl. I, 2584 (AuslG 1997) bzw. § 51 Abs. 3 Satz 1 AuslG 2002 ist geklärt, dass diese Vorschrift sowohl den einfachgesetzlich Anspruch auf Abschiebungsschutz für politische Flüchtlinge als auch - wegen der darin zum Ausdruck gebrachten verfassungsimmanenten Schranken - den Asylanspruch nach Art. 16 a GG beschränkt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30.3.1999 - 9 C 31.98 -, BVerwGE 109, 1; OVG NRW, Beschluss vom 4.12.2003 - 8 A 3766/03.A -, NWVBl. 2004, 231.

Vor diesem Hintergrund kann der durch die Anfügung des Satzes 2 erweiterte Ausschlussgrund dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers entsprechend nur dahin verstanden werden, dass in den von dieser Regelung erfassten Fällen ebenfalls sowohl der ausländerrechtliche Flüchtlingsschutz als auch die Asylgewährung ausgeschlossen sein sollen.

Vgl. Hailbronner, AuslR, Stand: Februar 2007, § 60 Rn. 157, m.w.N.

(...)

Die Voraussetzungen der Ausschlussklausel liegen hier nicht vor.

aa) § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG ist - wie nachfolgend im Einzelnen dargelegt wird - in Anlehnung an die Empfehlungen des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) restriktiv auszulegen. Die danach hier allein in Betracht kommende 2. Alternative des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG ist in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention bei gemeinschafts- und verfassungskonformer Auslegung dahin zu verstehen, dass der Ausschlussgrund nicht allein der Sanktionierung eines in der Vergangenheit von dem Ausländer begangenen schweren nichtpolitischen Verbrechens, sondern daneben auch der Gefahrenabwehr dient und eine am Sinn und Zweck der Vorschrift sowie am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte umfassende Würdigung des Einzelfalls erfordert. Der Ausschlussgrund des § 60 Abs. 8 Satz 2, 2. Alt. AufenthG kann daher entfallen, wenn von dem Ausländer unter keiner Betrachtungsweise mehr eine Gefahr ausgeht, etwa weil feststeht, dass er sich von allen früheren terroristischen Aktivitäten losgesagt hat oder er - wie der Kläger - aus gesundheitlichen Gründen zu politischen Aktivitäten nicht mehr in der Lage ist.

Im Ergebnis ähnlich OVG NRW, Beschlüsse vom 21.7.2005 - 15 A 1212/04.A - und vom 7.8.2006 - 15 A 2940/06.A -; OVG Rh.-Pf., Urteile vom 6.12.2002 - 10 A 10089/02 -, NVwZ-RR 2003, 598, und vom 10.3.2006 - 10 A 10665/05 -, juris, Rn. 35.

Die vorstehende Auslegung des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG lässt sich mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbaren und entspricht dem im Gesetzgebungsverfahren deutlich gewordenen Regelungswillen, die Ausschlussklauseln des Art. 1 F GFK in nationales Recht zu übernehmen (1). Sie ist auch aufgrund der europarechtlichen Vorgaben der sog. Qualifikationsrichtlinie geboten (2) und wird zugleich den verfassungsrechtlichen Anforderungen gemäß Art. 16 a GG (3) gerecht.

(1) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dem Wortlaut des § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG 2002/§ 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber bei dessen Einführung - abweichend von der bis dahin geltenden Rechtslage bei § 51 Abs. 3 AuslG 1997- eine einzelfallbezogene Würdigung unter Einbeziehung auch einer Gefahrenprognose hätte ausschließen wollen.

Zwar lässt der Wortlaut der Ausschlussklausel gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG 2002/§ 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG auch die von der Beklagten vertretene Auslegung zu, dass die Rechtsfolge, ohne dass es auf eine weitergehende Einzelfallwürdigung ankäme, bereits dann eintritt, wenn der Ausländer die tatbestandsmäßigen Verfehlungen in der Vergangenheit begangen hat.

Zwingend ist diese Auslegung jedoch vor dem Hintergrund der Entstehungs- und Auslegungsgeschichte der Nachbarvorschrift des § 51 Abs. 3 Satz 1 AuslG/§ 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG nicht. Nach Einführung einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren in den Tatbestand der zweiten Alternative des § 51 Abs. 3 AuslG i.d.F. vom 29.10.1997, BGBl. I S. 2584 (AuslG 1997) war zunächst umstritten, ob es bei Vorliegen einer entsprechenden strafrechtlichen Verurteilung der Feststellung einer Wiederholungsgefahr im Einzelfall bedürfte. Schon in Bezug auf jene Gesetzesänderung hat das BVerwG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber, wenn er von der Prüfung einer Wiederholungsgefahr im Einzelfall im Anwendungsbereich des § 51 Abs. 3, 2. Alt. AuslG 1997 hätte abrücken wollen, dies gerade auch angesichts der verfassungsrechtlichen Erwägungen, die der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Notwendigkeit einer Wiederholungsgefahr bei dem Ausschlussgrund nach § 51 Abs. 3 AuslG 1997 zugrunde lagen, vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 30.3.1999 - 9 C 31.98 -, BVerwGE 109, 1 (3 f.), m.w.N., im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 7.10.1975 - 1 C 46.69 -, BVerwGE 49, 202 (zu § 14 Abs. 2 Satz 2 AuslG 1965), eindeutig hätte zum Ausdruck bringen müssen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.11.2000 - 9 C 6.00 -, BVerwGE 112, 185 (188 ff.).

Entsprechendes gilt für § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG 2002 bzw. § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG.

Vgl. VG Bremen, Urteil vom 30.6.2005 - 2 K 1611/04.A - ; Zeitler, HTK-AuslR, § 60 AufenthG, zu Abs. 8 Satz 2 10/2005 Nr. 6.

Nach der Entstehungsgeschichte ist die Regelung insbesondere auch auf die Abwehr von Gefahren gerichtet, die von Personen ausgehen, die von Deutschland aus im Schutze des Flüchtlingsstatus terroristische Handlungen planen, vorbereiten oder unterstützen. Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs, vgl. BT-Drs. 15/420, S. 91 f. (zu § 60 AufenthG), und BT-Drs. 14/7386, S. 57 (zu § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG 2002), sollte mit Einfügung des Satzes 2 in § 51 Abs. 3 AuslG 2002 erreicht werden, dass Deutschland als Ruheraum international agierender terroristischer Netzwerke weniger interessant würde. Ausländer, die aus schwerwiegenden Gründen schwerster Verbrechen verdächtig seien, sollten nicht mehr die Rechtsstellung der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten. Hierzu wurde in der Gesetzesbegründung ausgeführt: Ihnen solle kein Aufenthaltstitel erteilt werden; sie erhielten nur die eingeschränkten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und könnten in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt werden. Dadurch würden die direkten Kontakte und Kommunikationsmöglichkeiten terroristischer Gruppierungen eingeschränkt. Diese Begründung lässt erkennen, dass die Neuregelung - wie auch schon die Bezeichnung des Gesetzes als "Terrorismusbekämpfungsgesetz" nahe legt - zumindest maßgeblich auch der Gefahrenabwehr dienen soll. Dabei sollte aber, anders als im Fall des § 51 Abs. 3 Satz 1 AuslG in der bis dahin geltenden Fassung, ausdrücklich "nicht allein auf eine unmittelbare Bedrohung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzustellen" sein.

Vgl. BT-Drs. 14/7386, S. 57.

Auch aus dem konkreten Anlass für die Gesetzesänderung ergibt sich kein Hinweis darauf, dass es - wie die Beklagte meint - allein darum gegangen wäre, bestimmte Personen als "asylunwürdig" vom Flüchtlingsschutz auszunehmen. Die Regelung diente ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs der Umsetzung der Resolutionen 1269 (1999) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 19.10.1999 bzw. 28.9.2001, in denen gefordert wurde, Personen, die terroristische Handlungen "planen, vorbereiten oder unterstützen", nicht den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen. (...)

Die Verwendung der Gegenwartsform ("planen, vorbereiten oder unterstützen") in der Entwurfsbegründung gibt zutreffend den Wortlaut der entsprechenden Passagen der UN-Resolutionen wieder, in denen es um die Versagung des sicheren Zufluchtsortes ("safe haven") geht und die deutlich machen, dass die Abwehr gegenwärtiger Gefahren durch die beschriebenen terroristischen Aktivitäten wesentliches Ziel des Sicherheitsrats war.

Dazu, wie die tatbestandlichen Alternativen des § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG 2002/ § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG im Einzelnen auszulegen sind, verhalten sich die Gesetzgebungsmaterialien unmittelbar nicht. Allerdings hat der Gesetzgeber die Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift wörtlich aus der Ausschlussklausel des Art. 1 F GFK übernommen, wonach das Abkommen auf bestimmte Personen keine Anwendung findet.

Vgl. BT-Drs. 14/7386, S. 57.

Er hat sich damit die bei Erlass der Neuregelung vorgefundenen Erkenntnisse dazu, wie die Ausschlussklauseln des Art. 1 F GFK auszulegen sind, bei Verabschiedung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes und bei Übernahme des § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG 2002 als § 60 Abs. 8 Satz 2 in das Aufenthaltsgesetz zu Eigen gemacht. Insbesondere die Empfehlungen des UNHCR zur Auslegung des Art. 1 F GFK sind mithin maßgebliche Auslegungshilfe beim Verständnis der Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG, soweit nicht (ausnahmsweise) gewichtige, völkervertraglich zulässige Erwägungen entgegen stehen.

Vgl. Hailbronner, AuslR, § 60 AufenthG, Rn. 186.

Hierfür spricht auch, dass zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus der Genfer Flüchtlingskonvention nicht zuletzt die in Art. 35 GFK normierte Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem UNHCR zählt.

Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, die unverändert in das nationale Recht übernommene Ausschlussregelung im Einklang mit den bei Erlass des Terrorismusbekämpfungsgesetzes bekannten Auslegungshinweisen des UNHCR auszulegen. Bei Erlass des Terrorismusbekämpfungsgesetzes hatte sich der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) bereits in seinem "Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft" von September 1979 (nachfolgend: "Handbuch") eingehend zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Art. 1 F GFK geäußert. Die Erfahrungen des 11.9.2001 einschließlich der daraufhin verabschiedeten Resolutionen des Sicherheitsrats sind in den nachfolgenden Auslegungshinweisen des UNHCR berücksichtigt worden. Mit der Anwendung der Ausschlussklauseln auf terroristische Täter hat sich der UNHCR in seinen "Richtlinien zum Internationalen Schutz: Anwendung der Ausschlussklauseln: Artikel 1 F des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" vom 4.9.2003 (nachfolgend: "Richtlinien") eingehend befasst. Das Handbuch des UNHCR wurde überdies im Dezember 2003 neu aufgelegt, was darauf schließen lässt, dass die darin niedergelegten Auslegungshinweise weiterhin Geltung beanspruchen.

Die vorgenannten Stellungnahmen des UNHCR legen die Auslegung des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG durch den Senat nahe. Danach liegt den Ausschlussklauseln der Genfer Konvention die Überlegung zugrunde, dass bestimmte Verbrechen so schwerwiegend sind, dass die Täter keinen internationalen Flüchtlingsschutz verdienen. Ihr Hauptzweck ist es, den Urhebern abscheulicher Taten und schwerer gemeiner Straftaten den internationalen Flüchtlingsschutz zu versagen und sicherzustellen, dass solche Personen die Institution Asyl nicht dazu missbrauchen, einer gerichtlichen Verantwortung zu entgehen. Bei der Auslegung und Anwendung der Ausschlussklauseln ist zu berücksichtigen, dass die Verweigerung des Flüchtlingsschutzes weitreichende Folgen haben kann; deshalb dürfen die Ausschlussklauseln nach Auffassung des UNHCR nur mit äußerster Vorsicht und erst nach einer umfassenden Beurteilung der fallspezifischen Umstände, mithin restriktiv angewendet werden.

Vgl. UNHCR, Handbuch, Nr. 149; UNHCR, Richtlinien, Nr. 2.

Dabei ist grundsätzlich - auch bei terroristischen Straftaten - entsprechend einem auch im Völkerrecht geltenden Grundprinzip eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung geboten, bei der die Schwere der betreffenden Tat und die Folgen eines Ausschlusses gegeneinander abzuwägen sind. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung gewinnt allerdings in der Regel nur bei der Alternative b) des Art. 1 F GFK Bedeutung.

Vgl. UNHCR, Richtlinien, Nr. 24.

Unter Zugrundelegung dieses restriktiven Verständnisses der Ausschlussklauseln geht der UNHCR davon aus, dass die in Art. 1 F Buchst. a) GFK genannten Verbrechen gegen den Frieden - und dementsprechend § 60 Abs. 8 Satz 2, 1. Alt. AufenthG - nur von Personen verübt werden können, die eine hohe Stellung in der Machtstruktur innehaben und einen Staat oder ein staatenähnliches Gebilde vertreten. (wird ausgeführt)

Nach Art. 1 F Buchst. b) GFK genießen Personen keinen Schutz, die ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes begangen haben. Dieser Ausschlussgrund, dem § 60 Abs. 8 Satz 2, 2. Alt. AufenthG entspricht, trägt nach Auffassung des UNHCR dem bei Abfassung des Vertrags bestehenden Wunsch der Staaten Rechnung, Verbrecher, die eine Gefahr für die Sicherheit der Bevölkerung des Aufnahmelandes darstellen würden, von ihrem eigenen Staatsgebiet fernzuhalten.

Vgl. UNHCR, Handbuch, Nrn. 147 und 151.

Der UNHCR macht damit zugleich deutlich, dass Art. 1 F GFK nicht ausschließlich auf dem Gedanken der Unwürdigkeit des Schutzsuchenden beruht, sondern dass Art. 1 F Buchst. b) auch Elemente der Gefahrenabwehr und einer "Opfergrenze" für den Aufnahmestaat berücksichtigt.

Maßgebliche Faktoren für die Beurteilung als schwerwiegendes Verbrechen sind nach Auffassung des UNHCR die Art der Handlung, der tatsächlich zugefügte Schaden, die Art des zur strafrechtlichen Verfolgung eingesetzten Verfahrens, die Form der Strafe sowie die Frage, ob das Verbrechen in den meisten Rechtsordnungen ein schweres Verbrechen darstellen würde, wie es etwa bei Mord, Vergewaltigung und bewaffnetem Raub der Fall ist. Ein schweres Verbrechen ist nichtpolitisch, wenn es überwiegend aus anderen Motiven, etwa aus persönlichen Beweggründen oder Gewinnstreben begangen wird. Besteht keine eindeutige Verbindung zwischen dem Verbrechen und dem angeblichen politischen Ziel oder ist die betreffende Handlung in Bezug zum behaupteten politischen Ziel unverhältnismäßig, dann überwiegen nichtpolitische Beweggründe. Motivation, Kontext, Methoden oder die Verhältnismäßigkeit eines Verbrechens zum angestrebten Ziel sind wichtige Faktoren. Ungeheuerliche Gewalttaten wie jene, die gemeinhin als "terroristisch" bezeichnet werden, stehen regelmäßig in einem Missverhältnis zu jeglichem politischen Ziel. Allerdings ist Art. 1 F Buchst. b) nach Auffassung des UNHCR nicht als einfache Antiterrorismus-Bestimmung zu verstehen. Allein die Mitgliedschaft in einer bestimmten Organisation soll nicht zum Ausschluss führen; zu prüfen sind die Rolle und Stellung der Person in der Organisation und ihre eigenen Aktivitäten.

Vgl. UNHCR, Richtlinien, Nr. 25 f.

Art. 1 F Buchst. b) GFK erfordert eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung. In die Einzelfallwürdigung sind alle für die Beurteilung des Verbrechens relevanten Faktoren einzustellen. Dazu zählen zunächst Umstände, die für eine Wiederholungsgefahr sprechen, aber auch entlastende Umstände wie etwa, dass der Antragsteller die Strafe verbüßt hat, dass er begnadigt oder ihm Amnestie gewährt wurde. Diese Gesichtspunkte können Aufschluss darüber geben, ob der kriminelle Charakter des Antragstellers noch vorherrscht.

Vgl. UNHCR, Handbuch, Nr. 157; UNHCR, Richtlinien, Nr. 24.

Die Ausschlussklausel gemäß Art. 1 F Buchst. c) GFK, der § 60 Abs. 8 Satz 2, 3. Alt. AufenthG entspricht, dient dem Schutz der Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen. Darunter sind nach der Auffassung des UNHCR ausschließlich die in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankerten Ziele und Grundsätze zu verstehen. Die genannten Bestimmungen der UN-Charta enthalten eine Aufzählung von fundamentalen Grundsätzen, von denen sich die Mitgliedstaaten im Verhältnis zueinander und im Verhältnis zur Völkergemeinschaft leiten lassen sollen. Daraus folgt nach Auffassung des UNHCR, dass solche Handlungen von einer Einzelperson nur begangen werden können, wenn diese Person eine gewisse Machtposition in einem Mitgliedstaat besaß und zu einer Verletzung dieser Grundsätze durch ihren Staat direkt beitrug; Anwendungsfälle für diese Ausschlussklausel hat es nach Einschätzung des UNHCR allerdings bislang kaum gegeben.

Vgl. UNHCR, Handbuch, Nr. 163; UNHCR, Richtlinien, Nr. 17.

Da diese Fallgruppe besonders verabscheuungswürdige Verbrechen erfasst, hält der UNHCR eine gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung in der Regel nicht für notwendig.

Vgl. UNHCR, Richtlinien, Nr. 24.

(2) Die Auffassung der Beklagten, dass § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG ausschließlich dem Ausschluss unwürdiger Personen und nicht der Abwehr künftiger Gefahren diene, somit eine einzelfallbezogene, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Prüfung nicht vorsehe, lässt sich auch nicht unter Hinweis auf Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG begründen, Richtlinie des Rates vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, Abl. vom 30.9.2004, L 304/12, nachfolgend: RL 2004/83/EG, sog. Qualifikationsrichtlinie, die bis zum 10.10.2006 (Art. 38 Abs. 1 RL 2004/83/EG) in nationales Recht umzusetzen war. (...)

Die Auslegung des nationalen Rechts ist "soweit wie möglich" an Wortlaut und Zweck einer EG-Richtlinie auszurichten. Diese Verpflichtung findet ihre Grenze erst dann, wenn das nationale Recht bei Anwendung der anerkannten Auslegungsmethoden eine richtlinienkonforme Auslegung nicht zulässt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.1.2004 - 3 C 39.03 -, Buchholz 418.01 Zahnheilkunde Nr. 27; EuGH, Beschluss vom 17.10.2003 - Rs. C-35/02 -, m.w.N.

(...)

Bei richtlinienkonformer Auslegung ist die an Art. 1 F GFK orientierte Auslegung des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG nach Maßgabe des Art. 12 Abs. 2 RL 2004/83/EG nicht nur zulässig, sondern sogar geboten. Der Wortlaut der gemeinschaftsrechtlichen Ausschlussklausel ist - ebenso wie § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG - offenkundig an die Ausschlussgründe gemäß Art. 1 F GFK angelehnt und enthält darüber hinaus nur in geringem Umfang Ergänzungen, nämlich hinsichtlich des Begriffs der nichtpolitischen Straftaten, der Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen sowie der Anwendbarkeit der Regelung auf Anstifter und Gehilfen. Inhaltliche Abweichungen von der Genfer Konvention waren damit aber erkennbar nicht beabsichtigt. Aus dem Erwägungsgrund 3 der Richtlinie folgt unmissverständlich, dass die Genfer Konvention als wesentlicher Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen von den Staaten der Europäischen Union vorausgesetzt und akzeptiert wird. Im Erwägungsgrund 15 verweist der Rat darauf, dass Konsultationen mit dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 1 GFK wertvolle Hilfe bieten. Das schließt ohne weiteres ein, dass die Mitgliedstaaten bei der Erfüllung ihrer durch die Genfer Konvention begründeten völkervertraglichen Verpflichtungen und bei der Erfüllung ihrer entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen, d.h. bei der Normgebung und Rechtsanwendung auf dem Gebiet des Flüchtlingsrechts, neben konkreten, anlassbezogenen Konsultationen mit dem UNHCR auch dessen auf jahrzehntelang gesammelten Erfahrungen beruhende Auslegungsempfehlungen in den Blick zu nehmen haben, die insbesondere in dem bereits zitierten "Handbuch" aus dem Jahr 1979 und den "Richtlinien" aus dem Jahr 2003 niedergelegt sind.

Von der einschränkenden Auslegung der Ausschlussgründe, die der UNHCR vertritt, wollte der Europäische Rat in der Qualifikationsrichtlinie offenkundig nicht abrücken. Die sprachlichen Ergänzungen dienen erkennbar nur der Erläuterung, nicht aber inhaltlichen Modifikationen. So gibt der Zusatz in Art. 12 Abs. 2 b) RL 2004/83/EG, dass grausame Handlungen auch dann als nichtpolitisch eingestuft werden können, wenn mit ihnen vorgeblich nichtpolitische Ziele verfolgt werden, den Rechtsstandpunkt des UNHCR wieder.

Vgl. UNHCR, Handbuch, Nr. 152; UNHCR, Richtlinien, Nr. 15.

Entsprechendes gilt in Bezug auf Art. 12 Abs. 2 c) RL 2004/83/EG, der die Nennung der in Art. 1 F Buchst. c) GFK geschützten Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen um den Zusatz ergänzt "wie sie in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind". Auch insoweit wird lediglich die Auffassung des UNHCR übernommen. Danach reicht es für den Ausschluss vom Flüchtlingsschutz nicht aus, wenn der Ausländer einer als terroristisch einzustufenden Organisation angehört hat oder eine solche Organisation unterstützt hat. Denn nicht jede, etwa in den für die Mitgliedstaaten bindenden Resolutionen des Sicherheitsrats zum Ausdruck genommene Position der Vereinten Nationen zählt zu den so verstandenen Zielen und Grundsätzen. Dass die Qualifikationsrichtlinie entgegen der Auffassung der Beklagten nicht allein eine auf die Vergangenheit bezogene Betrachtungsweise verlangt, lässt im Übrigen auch Art. 12 Abs. 3 RL 2004/83/EG erkennen. Danach findet Absatz 2 auf Personen Anwendung, die andere zu den darin genannten Straftaten "anstiften" oder sich in sonstiger Weise daran "beteiligen". Anhaltspunkte dafür, dass die Schutzunwürdigkeit von Tätern grundsätzlich anders zu beurteilen sein sollte als die von Teilnehmern, sind indessen nicht ersichtlich.

Die Auslegung des Art. 1 F Buchst. c) GFK durch den UNHCR wird allerdings in der Kommentarliteratur, vgl. Hailbronner, AuslR, Rn. 189; Zeitler, HTK-AuslR, § 60 AufenthG, zu Abs. 8 Satz 2 10/2005 Nr. 5 (ohne nähere Begründung), und in der Rechtsprechung, vgl. etwa OVG Rh.-Pf., Urteil vom 6.12.2002 -, 10 A 10089/02 -; VG Ansbach, Urteil vom 14.12.2006 - AN 1 K 30883 -, juris, Rn. 83 ff., teilweise als zu eng angesehen, insbesondere weil die Sicherheitsratsresolution 1373 (2001) vom 28.9.2001 davon ausgehe, dass Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus in Widerspruch zu Zielen und Grundsätzen der UN-Charta stünden. Diese weite Auslegung der Vorschrift hat sich der Europäische Rat in der Formulierung des Art. 12 Abs. 2 c) RL 83/2004/EG aber offenkundig nicht zu Eigen machen wollen. Anderenfalls hätte er auf den ausdrücklichen Hinweis auf die Präambel und die Art. 1 und 2 der UN-Charta verzichtet.

Selbst wenn man der Gegenmeinung folgen wollte, würde das im Übrigen nicht bedeuten, dass Personen, die in der Vergangenheit terroristischen Organisationen angehört oder diese unterstützt haben, ohne weiteres aus dem Schutzbereich des Asylgrundrechts bzw. des ausländerrechtlichen Flüchtlingsschutzes ausgenommen werden müssten. (wird ausgeführt)

Ferner stünde einer Auslegung, nach der die Ausschlussregelung ungeachtet einer Würdigung der Einzelfallumstände, insbesondere einer Beurteilung der fortdauernden kriminellen Gefährlichkeit des Ausländers, eingreift, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen, der auch für das europäische Recht gilt. (wird ausgeführt)

Danach entspricht eine an den Auslegungshinweisen des UNHCR orientierte Auslegung des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG, die insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung trägt, zugleich dem Gebot einer richtlinienkonformen Auslegung in Bezug auf die Qualifikationsrichtlinie.

(3) So verstanden ist die hier allein in Betracht kommende 2. Alternative des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt.

Der Schutzbereich des Art. 16 a Abs. 1 GG erfasst zwar auch Schutzsuchende, die nach der Genfer Konvention vom Flüchtlingsstatus ausgeschlossen sind. Eine Einschränkung ergibt sich aber aus immanenten Schranken des Asylgrundrechts. (...) § 60 Abs. 8 Satz 2, 2. Alt. AufenthG in der Auslegung durch den Senat deckt sich mit den immanenten Schranken des Art. 16 a GG.

Nach Auffassung des BVerwG können allerdings Ausschlusstatbestände wie insbesondere Art. 1 F GFK, die einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft versagen, obwohl die Merkmale des Flüchtlingsbegriffs vorliegen, das grundgesetzlich gewährleistete Asylrecht des politisch Verfolgten nicht einschränken.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 8.11.1983 - 9 C 93.83 -, BVerwGE 68, 171 (173).

Das BVerwG hat sich weder in der vorgenannten Entscheidung, die die Problematik von selbstgeschaffenen Nachfluchtgründen betraf, noch in anderen Entscheidungen ausdrücklich mit der Frage befasst, ob dieser Grundsatz auch für Personen gilt, die nach Art. 1 F Buchst. a) und c) GFK wegen besonders verabscheuungswürdiger Handlungen, insbesondere Kriegsverbrechen, vom internationalen Flüchtlingsschutz ausgenommen sind. Auf diese Frage kommt es indessen auch im vorliegenden Zusammenhang nicht an, weil allein die in Art. 1 F Buchst. b) GFK geregelte Fallgruppe für den Kläger in Betracht zu ziehen ist. Diese Fallgruppe steht - in der Auslegung durch den Senat - auch auf der Grundlage der zitierten Auffassung des BVerwG mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 16 a GG in Einklang.

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung unterliegt das Asylgrundrecht nicht in dem Sinne "verfassungsimmanenten Schranken", dass der Grundgesetzgeber das Asylrecht nur im Rahmen der im Völkerrecht allgemein anerkannten Regeln über das Asylrecht hätte gewähren wollen, die in der Genfer Konvention niedergelegt worden sind. Von seiner diesbezüglichen früheren Rechtsprechung, vgl. BVerwG, Urteile vom 17.1.1957 - 1 C 65.56 -, BVerwGE 4, 235, und - 1 C 166.56 -, BVerwGE 4, 238, ist das BVerwG schon in seinem Urteil vom 7.10.1975 ausdrücklich abgerückt. Das BVerwG hat aber zugleich klargestellt, dass das Grundrecht auf Asyl, auch wenn das Grundgesetz keine ausdrücklichen Schranken oder Schrankenvorbehalte vorsehe, mit "Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung" Beschränkungen erfährt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 7.10.1975 - 1 C 46.69 -, BVerwGE 49, 202, m.w.N.

An seiner zu § 14 Abs. 2 Satz 2 AuslG 1965 entwickelten Rechtsprechung, wonach das Asylgrundrecht mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung Beschränkungen erfährt, hat das BVerwG im Übrigen seither, auch nach Inkrafttreten des Ausländergesetzes 1990, festgehalten und die Ausschlussregelung in § 51 Abs. 3 AuslG 1992 für verfassungsmäßig erachtet. Dazu hat es ausgeführt, dass mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung eine Begrenzung bei Kollisionen mit grundsätzlich gleichrangigen Verfassungswerten verfassungsrechtlich zulässig sei. Ein solcher gleichrangiger Verfassungswert sei die Sicherheit des Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung. Die für die Gewährung des Asylrechts bestehende "Opfergrenze" sei unter Abwägung prinzipiell gleichrangiger Güter unter Würdigung der gesamten Einzelfallumstände zu ziehen. Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Erwägungen sei die Ausschlussklausel eng auszulegen und das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr zu verlangen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30.3.1999 - 9 C 31.98 -, BVerwGE 109, 1 (3 f.), m.w.N., im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 7.10.1975 - 1 C 46.69 -, BVerwGE 49, 202; vgl. BVerwG, Urteil vom 16.11.2000 - 9 C 6.00 -, BVerwGE 112, 185 (188 ff.).

Zu den gleichrangigen Verfassungswerten, die eine Begrenzung des asylrechtlichen Schutzes rechtfertigen können, zählt nicht nur die unmittelbare innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, die durch die Ausschlussklausel in § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG geschützt wird, sondern auch die Sicherheit der in den Vereinten Nationen und der Europäischen Union organisierten Staatengemeinschaften, deren Schutz § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG bezweckt.

Vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 6.12.2002 - 10 A 10089/02 -, NVwZ-RR 2003, 598.

Durch die Attentate internationaler terroristischer Netzwerke, deren Ziele nicht auf die Bekämpfung eines bestimmten einzelnen Staates oder Regimes als - vermeintlichen - politischen Gegner beschränkt sind, ist deutlich geworden, dass eine auf die innere Sicherheit eines einzelnen Staates - hier der Bundesrepublik Deutschland - begrenzte Sichtweise nicht realitätsgerecht wäre. Insbesondere Aktionen internationaler terroristischer Netzwerke wie Attentate und Geiselnahmen stellen auch dann, wenn Schauplatz der Verbrechen nicht das Bundesgebiet ist, eine Gefährdung der von der deutschen Verfassung geschützten Werte und Rechtsgüter dar, sei es weil deutsche Staatsbürger sich aus den verschiedensten Gründen in großer Zahl im Ausland aufhalten, sei es weil eine effektive Bekämpfung von terroristischen Gefahren - wenn überhaupt - allenfalls im internationalen Verbund möglich ist. Deshalb gefährden international wirkende Bedrohungen der Sicherheit durch Straftaten der von § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG erfassten Art zumindest mittelbar auch die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und der nach dem Grundgesetz mit Verfassungsrang ausgestatteten Werte. Ein Sicherheitsbegriff, der isoliert die Sicherheit im Bundesgebiet im Blick hat, greift daher zu kurz.

Vgl. auch Hailbronner, AuslR, § 60 AufenthG, Rn. 184.

Dem trägt das Grundgesetz in Art. 23 und 24 Rechnung.

§ 60 Abs. 8 Satz 2, 2. Alt. AufenthG entspricht diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen unter der Voraussetzung, dass die Ausschlussklausel - wie vom Senat befürwortet - nur nach einer Würdigung des Einzelfalls im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung Anwendung findet. In diese Würdigung sind alle für die Beurteilung des kriminellen Charakters des Schutzsuchenden und des ihm angelasteten Verbrechens relevanten Faktoren einzubeziehen, mithin auch diejenigen Aspekte, die für die Beurteilung der Frage maßgeblich sind, ob der Betreffende - weiterhin - eine Gefahr für die geschützten Güter und Verfassungswerte darstellt.

Ausgehend davon, dass Anlass für die Einfügung des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG die Anschläge des 11.9.2001 waren, kann dabei auch die besondere Gefährlichkeit bestimmter, insbesondere terroristischer Taten zu berücksichtigen sein. So weisen terroristische Taten, die unter § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG fallen, typischerweise ein außergewöhnlich hohes Gefährdungspotential für das Leben einer Vielzahl von Personen auf. Die konspirative Struktur terroristischer Banden setzt einer freiwilligen Abkehr einzelner Mitglieder enge Grenzen. Zudem beruhen terroristische Aktivitäten regelmäßig auf politischem oder religiösem Fanatismus, mithin auf Überzeugungen, die die Persönlichkeit des Täters und seine gesamten Lebensumstände so tiefgreifend und langfristig prägen, dass eine fortdauernde Gefährlichkeit indiziert ist.

Mit diesen Erwägungen kann zwar - mangels gesetzlicher Grundlage - keine Umkehr der Beweislast oder Beweisführungslast des Asylbewerbers begründet werden. Die Besonderheiten terroristischer Taten können aber - vorbehaltlich der Besonderheiten des Einzelfalls - eine tatsächliche Vermutung für das Fortbestehen der Gefahr begründen; es obliegt dem Asylbewerber, diese zu widerlegen.

Im Ergebnis ebenso OVG NRW, Beschlüsse vom 21.7.2005 - 15 A 1212/04.A -, vom 7.8.2006 - 15 A 2940/06.A -; im Anschluss an OVG Rh.-Pf., Urteil vom 6.12.2002 - 10 A 10089/02 -, NVwZ-RR 2003, 598.

(...)

bb) Die Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden Ausschlussgrundes gemäß § 60 Abs. 8 Satz 2, 2. Alt. AufenthG in der zuvor dargestellten Auslegung erfüllt der Kläger nicht. (...)

Auch wenn der Kläger ein schweres nichtpolitisches Verbrechen begangen haben sollte, findet die Ausschlussklausel auf ihn keine Anwendung. Eine Gefahr für die von § 60 Abs. 8 AufenthG geschützten Güter geht von dem Kläger, der während der Untersuchungshaft schwerste gesundheitliche Dauerschäden erlitten hat, mit Sicherheit nicht aus, wie bereits zum Terrorismusvorbehalt dargelegt. Diesem Aspekt kommt bei der vorzunehmenden Einzelfallwürdigung maßgebliches Gewicht zu, weil alle anderen in Betracht zu ziehenden Aspekte demgegenüber hier ersichtlich von geringerem Gewicht sind. Dem Kläger, der auf Dauer schwer behindert bleiben wird, den asylrechtlichen Schutz zu versagen, wäre nach Lage der Dinge unverhältnismäßig.

Ende der Entscheidung

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