Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 17.06.2009
Aktenzeichen: 8 B 1864/08
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 30 Abs. 1
BauNVO § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
BauNVO § 8
1. Soweit im Bebauungsplan gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauNVO von §§ 2 bis 14 BauNVO abweichende Festsetzungen getroffen werden, gelten diese speziellen Festsetzungen. Diese Vorschrift eröffnet dem Plangeber die Möglichkeit, die bauplanungsrechtliche Festsetzung auf der Grundlage von § 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO im Rahmen der planerischen Feinsteuerung zu modifizieren bzw. einzuschränken.

2. Die Gliederungsmöglichkeit nach den besonderen Eigenschaften der Betriebe und Anlagen nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO dient in besonderem Maß dem Umwelt- und Immissionsschutz. Hierbei können Betriebe und Anlagen etwa nach ihren notwendigen Schutzabständen zu Wohngebieten gegliedert werden, wie sie in den ministeriellen Abstandserlassen zu den Abständen zwischen Industrie- und Gewerbebetrieben und Wohngebieten im Rahmen der Bauleitplanung niedergelegt sind.

3. Selbst wenn eine Anlage zur zeitweiligen Lagerung und Behandlung von Eisen- und Nichteisenschrotten gemäß § 8 BauNVO im Einzelfall gewerbegebietsverträglich ist, weil sie in der Weise atypisch ist, dass sie nach ihrer Art und Betriebsweise von vornherein keine Störungen befürchten lässt und damit ihre Gebietsverträglichkeit dauerhaft und zuverlässig sichergestellt ist, muss sie überdies - um bauplanungsrechtlich zulässig zu sein - einer speziellen modifizierenden bzw. einschränkenden Festsetzung im Bebauungsplan gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO genügen.


Tatbestand:

Die Antragsgegnerin erteilte der Beigeladenen, einem Unternehmen im Bereich des Metallhandels und Metallrecyclings, eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Anlage zur zeitweiligen Lagerung und Behandlung von Eisen- und Nichteisenschrotten mit einer Gesamtlagerfläche von 4.000 m² und einer Gesamtlagerkapazität von weniger als 1.500 t. Das Betriebsgrundstück der Beigeladenen liegt in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Gewerbegebiet mit dem Index GE1. In den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans heißt es, dass in den Gewerbegebieten mit dem Index GE1 Betriebs-/Anlagearten der Abstandsklassen I bis V der Abstandsliste des Runderlasses des Ministers für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft vom 21.3.1990 - V B 3 - 8804.25.1 (V Nr. 2/90), der in dieser Fassung Bestandteil des Bebauungsplans ist, nicht zugelassen sind. Die Betriebs-/Anlagearten der Abstandsklasse V sind als Ausnahme zulässig, wenn der Nachweis erbracht wird, dass durch technische Maßnahmen nur der Störgrad der Klasse VI erreicht wird. Der Antragsteller, der ebenfalls in dem Gewerbegebiet mit dem Index GE 1 einen Handel mit Motorradteilen betreibt und auf dem Betriebsgrundstück in einer Betriebsleiterwohnung wohnt, erhob gegen die der Beigeladenen erteilte Genehmigung Widerspruch. Zur Begründung machte er geltend, die Genehmigung verletze ihn in seinen Rechten, weil die genehmigte Anlage in dem Gewerbegebiet bauplanungsrechtlich unzulässig sei und von ihr überdies unzumutbare Lärm- und Staubimmissionen ausgingen. Nachdem die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Genehmigung angeordnet hatte, suchte der Antragsteller um gerichtlichen Eilrechtsschutz nach. Das VG stellte die aufschiebende Wirkung seines Widerspruch wieder her, weil ihm gegenüber dem Betrieb der Beigeladenen ein Gebieterhaltungsanspruch zustehe. Der genehmigte Anlagenbetrieb sei in dem Gewerbegebiet nicht zulässig, weil er nicht in der Weise atypisch sei, dass er nach seiner Art und Betriebsweise von vornherein keine Störungen befürchten lasse. Die Beschwerde der Antragsgegnerin und der Beigeladenen blieben im Ergebnis ohne Erfolg.

Gründe:

1. a) Ohne Erfolg wendet die Antragsgegnerin ein, der Betrieb der Beigeladenen sei in dem durch den Bebauungsplan festgesetzten Gewerbegebiet zulässig, weil Schrottplätze gemäß dem Abstandserlass in der Fassung von 1990 zwar der Abstandsklasse V zuzuordnen seien, die immissionsschutzrechtliche Prüfung aber ergeben habe, dass der Betrieb der Beigeladenen den Störgrad der Abstandsklasse VI einhalte. Der Betrieb der Beigeladenen beurteile sich nicht nur über die Atypik der Anlage; vielmehr sei im Einzelfall zu prüfen, ob das Vorhaben die Bestimmungen des Bebauungsplans einhalte.

Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der durch den streitgegenständlichen Bescheid der Antragsgegnerin genehmigten Anlage der Beigeladenen ist an § 30 Abs. 1 BauGB i. V. m. Nr. 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans zu messen, der das Betriebsgrundstück der Beigeladenen als Gewerbegebiet ausweist.

Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO werden die Vorschriften der §§ 2 bis 14 BauNVO durch die Festsetzung Bestandteil des Bebauungsplans, soweit nicht aufgrund des § 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO etwas anderes bestimmt wird. Soweit im Bebauungsplan aufgrund von § 1 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauNVO abweichende Festsetzungen getroffen werden, gelten diese speziellen Festsetzungen.

Vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 10. Aufl. 2002, § 1 Rn. 72; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 1 BauNVO Rn. 41.

Diese Vorschrift eröffnet dem Plangeber die Möglichkeit, die bauplanungsrechtliche Festsetzung auf der Grundlage von § 1 Abs. 4 bis 10 BauNVO im Rahmen der planerischen Feinsteuerung zu modifizieren bzw. einzuschränken. Demgemäß können etwa nach § 1 Abs. 4 Satz 1 BauNVO für die in den §§ 4 bis 9 BauNVO bezeichneten Baugebiete im Bebauungsplan für das jeweilige Baugebiet Festsetzungen getroffen werden, die das Baugebiet nach der Art der zulässigen Nutzung (Nr. 1) und nach der Art der Betriebe und Anlagen und deren besonderen Bedürfnissen und Eigenschaften (Nr. 2) gliedern.

Von dieser Möglichkeit ist in dem Bebauungsplan Gebrauch gemacht und das Gewerbegebiet gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO in Gewerbegebiete mit den Indizes GE1 und GE2 gegliedert worden. In den Gewerbegebieten mit dem Index GE1 - in einem solchen befinden sich das Betriebsgrundstück der Beigeladenen und das Grundstück des Antragstellers - sind gemäß Nr. 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Betriebs-/Anlagearten der Abstandsklassen I bis V der Abstandsliste des Runderlasses des Ministers für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft vom 21.3.1990 - V B 3 - 8804.25.1 (V Nr. 2/90, im Folgenden: Abstandserlass 1990), die in dieser Fassung Bestandteil des Bebauungsplans ist, nicht zugelassen. Die Betriebs-/Anlagearten der Abstandsklasse V sind als Ausnahme zulässig, wenn der Nachweis erbracht wird, dass durch technische Maßnahmen nur der Störgrad der Klasse VI erreicht wird.

Die Gliederungsmöglichkeit nach den besonderen Eigenschaften der Betriebe und Anlagen gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO dient in besonderem Maß dem Umwelt- und Immissionsschutz. Hierbei können Betriebe und Anlagen etwa nach ihren notwendigen Schutzabständen zu Wohngebieten gegliedert werden, wie sie in den sog. Abstandserlassen zu den Abständen zwischen Industrie- und Gewerbebetrieben und Wohngebieten im Rahmen der Bauleitplanung niedergelegt sind. Die Schutzabstände berücksichtigen das gesamte Emissionsverhalten der Betriebe und Anlagen und sind Ergebnisse der Auswertung der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, Richtlinien und Normen sowie Erfahrungen. Sie kennzeichnen mit dem Abstandserfordernis das Emissionsverhalten und somit eine besondere Eigenschaft der Betriebe und Anlagen.

Vgl. Fickert/Fieseler, a. a. O., § 1 Rn. 74 und 97; Söfker, a. a. O., § 1 BauNVO Rn. 18 und 49.

Die dem Abstandserlass beigefügte Abstandsliste ordnet die Betriebsarten verschiedenen Abstandsklassen zu. Dies ermöglicht es dem Plangeber, jeweils eine oder mehrere Abstandsklassen und nicht nur einzelne Betriebe in den zu gliedernden Bereichen als zulässig/nicht zulässig bzw. als ausnahmsweise zulässig festzusetzen.

Vgl. zur Zulässigkeit einer solchen Festsetzung OVG NRW, Urteile vom 24.4.1996 - 11a D 6/93.NE -, juris, Rn. 2, vom 17.10.1996 - 7a D 122/94.NE -, NWVBl. 1997, 210 = juris, Rn. 64, und vom 30.9.2005 - 7 D 142/04.NE -, juris, Rn. 109 ff.

Bei einer planerischen Feinsteuerung gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 BauNVO muss die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleiben.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22.12.1989 - 4 NB 32.89 -, NVwZ-RR 1990, 171 = juris, Rn. 3, und vom 8.11.2004 - 4 BN 39.04 -, NVwZ 2005, 324 = juris, Rn. 20; OVG NRW, Urteil vom 30.1.2009 - 7 D 11/08.NE -, juris, Rn. 91.

Die modifizierende bzw. einschränkende Festsetzung eines Gewerbegebiets lässt daher die Zulässigkeitsregelungen des § 8 BauNVO im Übrigen unberührt. Grundvoraussetzung für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit einer Anlage in einem modifizierten bzw. eingeschränkten Gewerbegebiet bleibt demnach, dass sie nicht i. S. v. § 8 BauNVO so "erheblich belästigend" sein darf, dass sie nur in einem Industriegebiet i. S. v. § 9 BauNVO verwirklicht werden darf.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30.1.2009, a. a. O., Rn. 95.

Bezogen auf den vorliegenden Fall folgt daraus, dass selbst wenn die genehmigte Anlage zur zeitweiligen Lagerung und Behandlung von Eisen- und Nichteisenschrotten gemäß § 8 BauNVO allgemein gewerbegebietsverträglich wäre, weil sie in der Weise atypisch ist, dass sie nach ihrer Art und Betriebsweise von vornherein keine Störungen befürchten lässt und damit ihre Gebietsverträglichkeit dauerhaft und zuverlässig sichergestellt ist,

vgl. insoweit neben dem vom VG zitierten Urteil des BVerwG vom 24.9.1992 - 7 C 7.92 -, NVwZ 1993, 987 = juris, Rn. 11 ff.: BVerwG, Beschluss vom 2.2.2000 - 4 B 87.99 -, NVwZ 2000, 679 = juris, Rn. 10; OVG NRW, Beschluss vom 5.10.2007 - 8 B 1340/07 -, juris, Rn. 34; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.6.2002 - 3 S 1915/01 -, NVwZ-RR 2003, 191 = juris, Rn. 35 f.,

sie überdies - um bauplanungsrechtlich zulässig zu sein - der speziellen Nr. 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans genügen muss.

Vgl. Söfker, a. a. O., § 1 BauNVO Rn. 49 und 62.

Bei summarischer Prüfung spricht indes Überwiegendes dafür, dass dies nicht der Fall ist.

Darauf deutet zum einen der dem Bebauungsplan zugrunde liegende, für das Verständnis seiner textlichen Festsetzungen maßgebende Wille des Plangebers hin, wie er in der Begründung des Bebauungsplans vom 17.3.1997 zum Ausdruck gekommen ist. Neben der horizontalen Feingliederung des Gewerbegebiets gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO enthält der Bebauungsplan eine Grobgliederung des Plangebiets in ein Gewerbegebiet und ein Industriegebiet. Ausweislich der Begründung des Bebauungsplans vom 17.3.1997 (dort S. 4) sind speziell die Ausweisungen der Industriegebiete u. a. für "Anlagen im Sinne des BImSchG" notwendig. Da der Anlagenbegriff des § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG Betriebsstätten und sonstige ortsfeste Einrichtungen im weitesten Sinne umfasst,

vgl. Jarass, BImSchG, 7. Aufl. 2007, § 3 Rn. 66 ff.,

hat der Plangeber damit deutlich gemacht, dass immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen aufgrund ihres spezifischen Beeinträchtigungspotentials dem Industriegebiet zugewiesen sein sollen. Dafür spricht auch der Gesamtzuschnitt des Plangebiets. Das Gewerbegebiet umringt das Industriegebiet weitgehend, um es abzuschirmen (siehe S. 6 der Begründung des Bebauungsplans vom 17.3.1997). Wollte der Plangeber demzufolge aber immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen mit Blick auf ihr Emissionspotential dem Industriegebiet zuweisen, ist die streitgegenständliche Anlage der Beigeladenen nach dem planerischen Gesamtkonzept nicht im Gewerbegebiet zulässig.

Dessen ungeachtet ist mit der Antragsgegnerin zum anderen davon auszugehen, dass die streitige Anlage der Beigeladenen der Abstandsklasse V der Abstandsliste des Abstandserlasses 1990 zuzuordnen, also grundsätzlich nach Nr. 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans im Gewerbegebiet mit dem Index GE1 nicht zugelassen ist. Denn die Anlage der Beigeladenen, die unter der im Genehmigungsbescheid verwendeten Bezeichnung in der Abstandsliste des Abstandserlasses 1990 nicht aufgeführt ist, entspricht ausweislich der im Genehmigungsverfahren vorgelegten Betriebsbeschreibung der Frau Dipl.-Ing. E. vom 11.11.2004 und der Betriebsbeschreibung, die dem Schallgutachten der RWTÜV Systems GmbH vom 11.5.2004 zugrunde liegt, dem Typ eines "Schrottplatzes", der als laufende Nr. 146 der Abstandsklasse V der Abstandsliste des Abstandserlasses 1990 angehört.

Vgl. zum typisierenden Charakter der Regelungen des § 1 Abs. 4 Satz 1 BauNVO: Söfker, a. a. O., § 1 BauNVO Rn. 45.

Die Beigeladene nimmt mittels Pkw oder Lkw durch Private oder Gewerbetreibende angelieferte Metalle wie z. B. Eisen, Edelstahl, Kupfer und Aluminium auf ihrem Betriebsgelände entgegen. Diese Metalle werden gewogen, nach Fraktionen getrennt und anschließend in Containern gelagert. Dabei kommt für innerbetriebliche Transport-, Lade- und Sortiervorgänge ein Mobilbagger zum Einsatz. Bei vollständiger Füllung der Container werden die Metalle Metallhütten und -produzenten zugeführt. Die Abfahrt erfolgt durch Lkw.

Dafür, dass der Anlagenbetrieb der Beigeladenen dem eines typischen Schrottplatzes der Abstandsklasse V der Abstandsliste des Abstandserlasses 1990 gleicht, sprechen zudem die von dem Antragsteller zuletzt mit Schriftsatz vom 13.3.2009 vorgelegten Lichtbilder sowie die Videosequenzen auf der mitüberreichten DVD. Diese zeigen, dass auf dem Betriebsgelände der Beigeladenen auch Autowracks und ein Schiffswrack gelagert und mit einem Schneidbrenner behandelt werden, mithin für einen Schrottplatz typische Betriebsvorgänge stattfinden. Eine Vergleichbarkeit der Anlage mit einem Bauhof im Sinne der Abstandsklasse VII (laufende Nr. 193 der Abstandsliste des Abstandserlasses 1990) ist daher nicht gegeben. Die Anlieferung, Einlagerung, Behandlung und der Abtransport von größeren Metallschrottteilen geht mit Geräusch- und Staubemissionen einher, die einem Bauhof, der primär der bloßen Lagerung von Baumaschinen und -stoffen dient, typischerweise nicht eigen sind.

Nicht nur Arbeitsabläufe, Anlieferungs- und Entsorgungsverkehr weisen keine Merkmale einer atypischen Betriebsweise auf, sondern auch der Umfang des Betriebs der Beigeladenen. Gewichtiger Anhaltspunkt ist insoweit die genehmigte Gesamtlagerkapazität von bis zu 1.500 Tonnen Eisen- und Nichteisenschrotten, die die oberste Kapazitätsgrenze nach Nr. 8.9 Buchst. b des Anhangs zur 4. BImSchVO darstellt; der Schwellenwert nach dieser Vorschrift liegt lediglich bei 100 Tonnen.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist die Anlage der Beigeladenen nicht als Ausnahme zulässig. Der Nachweis, dass bei dem Anlagenbetrieb durch technische Maßnahmen nur der Störgrad der Klasse VI erreicht wird, ist bei summarischer Prüfung nicht erbracht.

Die Ausnahmeklausel der Nr. 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans ist dahin auszulegen, dass die fragliche Anlage durch entsprechende Vorkehrungen nachweislich dem typischen Emissionsverhalten einer Anlage der nächsthöheren Abstandsklasse entsprechen muss. Es ist der Nachweis zu erbringen, dass die in der nächsthöheren Abstandsklasse üblichen und zulässigen Emissionen nicht überschritten werden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24.4.1996, a.a.O., Rn. 4; Kuschnerus, Der sachgerechte Bebauungsplan, 3. Aufl. 2004, Rn. 354.

Dass dieser Nachweis erbracht ist, zeigt das Beschwerdevorbringen nicht auf und ist auch sonst nicht ersichtlich.

Das Emissionspotential der in der Abstandsklasse VI der Abstandsliste des Abstandserlasses 1990 aufgeführten Anlagentypen ist durch das weitgehende Fehlen von besonders impulshaltigen Geräuschemissionen und - sieht man von der laufenden Nr. 178 "Anlage zum Be- oder Entladen von Schüttgütern bei Getreideannahmestellen" ab - durch das weitgehende Fehlen von relevanten Staubemissionen gekennzeichnet. Ein solches Emissionsverhalten weist die hier in Rede stehende Anlage nicht auf. Auch bei einer durchschnittlichen Durchsatzmenge von 13,3 Tonnen pro Tag - von der die Antragsgegnerin ausgeht - ist der Anlagenbetrieb durch das Auftreten impulshaltiger Geräusch- sowie von Staubemissionen gekennzeichnet. Was die Geräuschemissionen anbelangt, belegen dies auch die in den Schallgutachten der RWTÜV Systems GmbH vom 11.5.2004 und vom 12.2.2009 angesetzten Schallleistungspegel von 90 dB(A) für die Aufnehm- und Absetzvorgänge der Container, von 115 dB(A) bzw. im Mittel von 108 dB(A) für das Aufschlagen der Altmetalle auf dem Containerboden oder auf bereits abgelegten Schrotten, von 110 dB(A) bzw. im Mittel von 98 dB(A) für die Arbeitsgeräusche des Mobilbaggers und des Radladers bei der Beladung der Sammelcontainer sowie von 105 dB(A) bzw. im Mittel von 96 dB(A) für die Fahrten des Mobilbaggers und des Radladers auf dem Betriebsgelände. Die Entstehung von Staubemissionen veranschaulichen die von dem Antragsteller mit Schriftsatz vom 13.3.2009 beigebrachten Lichtbilder.

Das Emissionspotential der Anlage in ihrer genehmigten Form geht zudem noch über das bisherige Maß hinaus, was in den Lärmgutachten als tatsächlicher Betrieb zugrunde gelegt worden ist. Denn genehmigt ist, obwohl die Betriebsbeschreibung vom 11.11.2004 außer dem Einsatz einer Kabelschälmaschine keine Weiterverarbeitungsprozesse vorsieht, nach dem Tenor des Bescheids vom 30.4.2007 nicht nur die zeitweilige Lagerung, sondern auch die Behandlung von Schrotten. Unter "Behandeln" ist aber jede qualitative oder quantitative Veränderung der Schrotte zu verstehen.

Vgl. Jarass, a. a. O., § 4 Rn. 7.

Demgemäß hat der Landrat des Kreises L. - wohl in seiner Eigenschaft als seit dem 1.1.2008 für den Vollzug des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zuständige untere Umweltschutzbehörde - dem Antragsteller mit E-Mail vom 26.3.2008 mitgeteilt, dass gelegentliche Schneidbrennarbeiten auf Schrottplätzen üblich und auch genehmigungsrechtlich zugunsten der Beigeladenen abgedeckt seien. Die vorliegende Genehmigung beinhalte auch die Behandlung von Eisen- und Nichteisenschrotten. Schneidbrennarbeiten seien u. a. eine Behandlungsart. Bei dieser Sichtweise sind von der streitigen Genehmigung auch weitere schrottplatzübliche Behandlungsarten erfasst, welche das Emissionspotential des Anlagenbetriebs der Beigeladenen zusätzlich erhöhen.

Der Betrieb der Beigeladenen sieht keine technischen Maßnahmen vor, um die von der Anlage ausgehenden Lärm- und Staubemissionen derart einzugrenzen, dass sie nur den Störgrad der emissionsärmeren Anlagen der Abstandsklasse VI erreichen. Technische Maßnahmen zur Eingrenzung der lärmemissionsträchtigen Betriebsvorgänge, die auf dem Betriebsgelände unter freiem Himmel stattfinden, sind nicht vorgesehen. Dass die befestigten Flächen gemäß der Nebenbestimmung Nr. 9 des Genehmigungsbescheids vom 30.4.2007 regelmäßig - mindestens arbeitstäglich - so zu reinigen sind, dass sichtbare Staubemissionen, auch beim Befahren, nicht auftreten können, ist wohl bereits keine (anlagenbezogene) "technische Maßnahme" zur Emissionsreduzierung i. S. d. Nr. 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans.

Vgl. insoweit auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17.6.1999 - 10 S 44/99 -, juris, Rn. 23.

Eine Reinigung der befestigten Flächen verhindert zudem nicht - wie auch das VG ausgeführt hat -, dass es beim Be- und Entladen der Container zu Staubentwicklungen kommt.

b) Verstößt die genehmigte Anlage der Beigeladenen aus den vorgenannten Gründen gegen § 30 Abs. 1 BauGB i. V. m. Nr. 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans, kommt es auf das weitere Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin, eine konkrete Ausrichtung des Gewerbegebietes sei ebenso wenig erkennbar wie eine schleichende Umwandlung des Baugebiets in Richtung eines Mischgebietes, nicht mehr an.

c) Die Rüge der Antragsgegnerin, eine als Betriebsleiterwohnung zugelassene Wohnung - wie die des Antragstellers - müsse die gebietszugewiesenen Belastungen hinnehmen, bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Das Bestehen des vom VG bejahten Gebietserhaltungsanspruchs des Antragstellers wird dadurch im Ergebnis nicht in Zweifel gezogen.

Auf die Bewahrung der festgesetzten Gebietsart hat jeder Nachbar auch dann einen Anspruch, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung führt, also auch wenn er selbst durch das Vorhaben nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Im Rahmen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll jeder Planbetroffene das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets verhindern können.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.9.1993 - 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151 = juris, Rn. 23, sowie Beschlüsse vom 2.2.2000, a. a. O., juris, Rn. 9, und vom 18.12.2007 - 4 B 55.07 -, NVwZ 2008, 427 = juris, Rn. 5; OVG NRW, Beschluss vom 5.10.2007, a. a. O., Rn. 23.

Einen solchen Gebietserhaltungsanspruch kann der Antragsteller auch aus der das Plangebiet gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO gliedernden Nr. 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans herleiten. Dies gilt selbst dann, wenn man Festsetzungen aufgrund von § 1 Abs. 4 BauNVO nachbarschützende Wirkung nur unter der Voraussetzung beimessen will, dass dies dem Willen des Ortsgesetzgebers entspricht.

Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.3.1997 - 10 S 2815/96 -, NVwZ 1999, 439 = juris, Rn. 37, und Beschluss vom 19.3.1998 - 10 S 1765/97 -, juris, Rn. 4; Nds. OVG, Beschluss vom 11.12.2003 - 1 ME 302/03 -, NVwZ 2004, 1010 = juris, Rn. 23; Bay. VGH, Beschluss vom 17.10.2002 - 15 CS 02.2068 -, BayVBl. 2003, 307 = juris, Rn. 20; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 14.1.2000 - 1 A 11751/99 -, juris, Rn. 22; siehe aber auch BVerwG, Beschluss vom 18.12.2007, a. a. O., juris, Rn. 7.

Denn Letzteres ist hier der Fall. Der Plangeber hat mitbedacht, dass es in einem Gewerbe- und Industriegebiet mit der in J. zu erwartenden und für den ländlichen Raum typischen Nutzungsstruktur mit kleineren Betrieben häufig erforderlich und städtebaulich verträglich sei, dass Betriebsinhaber oder -leiter auf dem Betriebsgelände wohnen. Dies solle daher als Ausnahme nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO bzw. § 9 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO zulässig bleiben (siehe S. 3 der Begründung zum Bebauungsplan vom 20.3.1995). Diese planerische Absicht ist auch vollzogen worden. Denn in dem Gewerbegebiet befinden sich - worauf auch das VG hinweist - verschiedene Betriebsleiterwohnungen. Bei dieser Sachlage entspricht es dem Willen des Ortsgesetzgebers, dass ein eine Betriebsleiterwohnung bewohnender Grundstückseigentümer wie der Antragsteller gebietsfremde Nutzungen abwehren kann.

d) Da die streitbefangene Genehmigung vom 30.4.2007 zum Nachteil des Antragstellers gegen Vorschriften des Bauplanungsrechts verstößt, ist das Vorbringen der Antragsgegnerin zu der Frage, ob die von der Anlage der Beigeladenen ausgehenden Lärm- und Staubimmissionen in Bezug auf das Grundstück des Antragstellers die immissionsschutzrechtlichen Grenz- bzw. Richtwerte einhalten, nicht entscheidungserheblich.

e) Das Ergebnis der vom VG vorgenommenen Interessenabwägung stellt sich auch nicht durch den Verweis der Antragsgegnerin auf die für die Beigeladene im Falle einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers zu erwartenden wirtschaftlichen Folgen als unrichtig dar. Nach Lage der Akten trifft es die Beigeladene nicht in ihrer wirtschaftlichen Existenz, wenn sie den Anlagenbetrieb nicht in der streitgegenständlich genehmigten Form wird durchführen können. Zum einen macht der physische Metallhandel offenbar nur den kleineren Teil der Geschäftstätigkeit der Beigeladenen aus. In der Betriebsbeschreibung vom 11.11.2004 heißt es, dass die Internet-Handelsplattform N., bei der Kunden Metalle und Altmetalle erwerben und veräußern können, einen Schwerpunkt der Gesellschaft bilde. 70 bis 80 % des Tagesumsatzes seien "Streckengeschäfte", d. h. die Metalle würden direkt vom Lieferanten an den Empfänger weitergeleitet, ohne dass das Betriebsgelände angefahren werde. Zum anderen ist der Betrieb der Beigeladenen in reduziertem Umfang unabhängig vom Ausgang des vorliegenden Verfahrens vorläufig rechtlich sichergestellt. Denn der Landrat des Kreises L. hat der Beigeladenen unter dem 14.5.2009 eine kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212 a Abs. 1 BauGB sofort vollziehbare Baugenehmigung zur Fortführung ihres Betriebs in reduziertem Umfang erteilt.

2. Die von der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren erhobenen Rügen bleiben gleichfalls ohne Erfolg.

a) Ob sichergestellt ist, dass von dem genehmigten Betrieb der Beigeladenen keine schädlichen Umwelteinwirkungen in Bezug auf das Grundstück des Antragstellers ausgehen, ist unerheblich, weil die der Beigeladenen erteilte Genehmigung vom 30.4.2007 - wie dargelegt - gegen § 30 Abs. 1 BauGB i. V. m. Nr. 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans verstößt und dem Antragsteller ein Gebietserhaltungsanspruch zusteht.

b) Dass die Anlage gewerbegebietsverträglich sei, weil die auf der Grundlage der erteilten Genehmigung zu erwartende Beeinträchtigung für den Antragsteller im Vergleich zu den typischen, den Regelungen des Immissionsschutzrechts unterstellten Anlagen deutlich weniger belastend sei, stellt den angefochtenen Beschluss ebenfalls nicht durchgreifend in Frage. Denn selbst wenn die genehmigte Anlage atypisch und grundsätzlich nach § 8 BauNVO gewerbegebietsverträglich wäre, ist sie - wie ausgeführt - bauplanungsrechtlich unzulässig, weil sie der speziellen Nr. 1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans widerspricht.

c) Schließlich führt das Vorbringen der Beigeladenen nicht zu einem anderen Ausgang der Interessenabwägung, zu ihren Gunsten seien ihre erheblichen wirtschaftlichen Interessen zu berücksichtigen. Abgesehen davon, dass sich daraus nicht konkret ergibt, wie es sich wirtschaftlich für die Beigeladene auswirkt, wenn sie von der Genehmigung vom 30.4.2007 vorläufig keinen Gebrauch machen kann, gilt insoweit das unter 1. e) Ausgeführte entsprechend.



Ende der Entscheidung

Zurück