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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 26.03.2003
Aktenzeichen: 8 B 82/03
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 146 Abs. 4
VwGO § 158 Abs. 1
VwGO § 161 Abs. 2
1. Im Falle der Erledigung "zwischen den Instanzen" ist die Einlegung einer Beschwerde nach § 146 Abs. 4 VwGO allein zu dem Zweck, die Hauptsache für erledigt zu erklären, nicht ausgeschlossen (a.A. OVG NRW, Beschluss vom 31.5.2002 - 21 B 931/02 -, NVwZ-RR 2002, 895).

2. Die Erledigungserklärung des Beschwerdegegners ist auch wirksam, wenn sie lediglich hilfsweise für den Fall abgegeben wird, dass die Beschwerde nicht als unzulässig verworfen wird.


Tatbestand:

Die Antragsgegnerin gab der Antragstellerin, einem Access-Provider, durch Ordnungsverfügung die Sperrung bestimmter Internet-Seiten auf und ordnete die sofortige Vollziehung an. Das VG stellte auf Antrag der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO wieder her. Nach Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung hob die Antragsgegnerin die angefochtene Verfügung auf, weil die Antragstellerin noch während des erstinstanzlichen Eilverfahrens ihren Firmensitz in eines anderes Bundesland verlegt hatte. Gegen den erstinstanzlichen Beschluss legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein und erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Die Antragstellerin beantragte, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen; hilfsweise erklärte sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Gründe:

Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und der erstinstanzliche Beschluss in dem angefochtenen Umfang für unwirksam zu erklären (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO), nachdem die Antragstellerin und die Antragsgegnerin das Verfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

a) Der Wirksamkeit der übereinstimmenden Erledigungserklärungen steht nicht entgegen, dass die Beschwerde mit dem Ziel eingelegt worden ist, den Rechtsstreit für erledigt zu erklären. Dabei kann dahin stehen, inwieweit die Zulässigkeit der Beschwerde überhaupt Voraussetzung für die Wirksamkeit übereinstimmender Erledigungserklärungen ist. Denn jedenfalls ist die Beschwerde entgegen der Auffassung der Antragstellerin zulässig.

Vorliegend handelt es sich um eine Erledigung "zwischen den Instanzen". Die Antragsgegnerin hat erst nach Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung die angefochtene Sperrungsverfügung, den Widerspruchsbescheid sowie die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgehoben. Auch in einem derart gelagerten Fall ist eine Beschwerde nach § 146 Abs. 4 VwGO allein zu dem Zweck, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären, nicht ausgeschlossen.

Das Rechtsschutzbedürfnis für ein solches Vorgehen ist gegeben. In Rechtsprechung und Literatur wird jedenfalls für das Klageverfahren ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass ein Rechtsmittel auch dann zulässig ist, wenn sich die Hauptsache nach Ergehen der erstinstanzlichen Entscheidung erledigt hat und das Rechtsmittel allein zu dem Zweck eingelegt wird, in dem dadurch anhängig gemachten Verfahren die Hauptsache für erledigt zu erklären. Der Rechtsmittelführer hat regelmäßig ein erhebliches Interesse daran, dass das angefochtene Urteil für wirkungslos erklärt wird. Aus diesem Grunde steht im Hauptsacheverfahren der Rechtsmitteleinlegung in dieser besonderen Fallkonstellation auch nicht die Bestimmung des § 158 Abs. 1 VwGO entgegen, da nicht nur die Kostenentscheidung geändert, sondern auch die Unwirksamkeit der angefochtenen Entscheidung herbeigeführt werden soll. Erledigt sich die Hauptsache nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung, aber vor Ablauf der Rechtsmittelfrist, können die Beteiligten gegenüber dem VG die Hauptsache für erledigt erklären. Es kann jedoch unsicher sein, ob auch der Gegner vor Ablauf der Rechtsmittelfrist den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Für diesen Fall ist die Rechtsmitteleinlegung sinnvoll, um die Unanfechtbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu verhindern.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 26.7.1968 - VII A 186/67 -, OVGE 24, 91, und vom 15.12.1972 - XIV A 1245/71 -, OVGE 28, 177; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Stand Februar 2002, § 124 a Rdnrn. 227 f. m.w.N.; Clausing, in: Schoch u.a., VwGO, Stand Januar 2002, § 161 Rdnr. 19 m.w.N.

Der Senat schließt sich dieser Auffassung auch für das vorläufige Rechtsschutzverfahren an. Ebenso wie im Hauptsacheverfahren entfallen die formelle Beschwer und das Rechtsschutzinteresse nicht deshalb, weil sich die Hauptsache erledigt hat. Auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hat der Rechtsmittelführer trotz der Hauptsachenerledigung regelmäßig ein erhebliches Interesse daran, dass der angefochtene Beschluss für wirkungslos erklärt wird.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5.5.1970 - III B 479/69 -, OVGE 25, 247; OVG Hamburg, Beschluss vom 8.5.1995 - OVG Bs VI 19/95 -, MDR 1995, 956; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 25.10.1972 - 2 B 62/72 -, DVBl. 1973, 894; Nds. OVG, Beschluss vom 27.10.1997 - 7 M 4238/97, NVwZ-RR 1998, 337; a.A: OVG NRW, Beschluss vom 31.5.2002 - 21 B 931/02 -, NVwZ-RR 2002, 895; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 7.11.1986 - 1 E 15/86 -, DVBl. 1987, 851.

Die Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, die Gründe, aus denen die angefochtene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, darzulegen, stehen der Zulässigkeit der Beschwerde nicht entgegen. Insoweit kann nichts Anderes gelten als für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Die erstinstanzliche Entscheidung wird durch den Hinweis auf die zwischenzeitlich eingetretene Erledigung und die (zunächst einseitige) Erledigungserklärung des Antragstellers in Frage gestellt. Dem Darlegungserfordernis im Sinne des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO ist damit Genüge getan; einer weiteren Darlegung von Gründen, warum die erstinstanzliche Entscheidung keinen Bestand haben kann, bedarf es nicht.

b) Die Erledigungserklärung der Antragstellerin ist nicht deshalb unwirksam, weil die Antragstellerin in erster Linie die Verwerfung der Beschwerde als unzulässig beantragt und lediglich hilfsweise die Hauptsache für erledigt erklärt hat. Grundsätzlich kann zwar eine Erledigungserklärung nicht hilfsweise für den Fall, dass der Hauptantrag ohne Erfolg bleibt, abgegeben werden. Ein mit dem Hauptantrag gestellter Sachantrag schließt es aus, die Hauptsache hilfsweise für erledigt zu erklären. Ein solches Verhalten ist prozessual widersprüchlich.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.4.1994 - 11 C 60.92 -, NVwZ-RR 1995, 172 (174), und Beschluss vom 4.7.1960 - VII CB 235.59 -, DVBl 1961, 40 f.; OVG NRW, Beschluss vom 10.3.2003 - 8 B 247/03 -; Clausing, a.a.O., § 161 Rdnr. 36.

Dies gilt jedoch dann nicht, wenn mit dieser Vorgehensweise lediglich der Zulässigkeit eines Rechtsmittels entgegen getreten wird und verhindert werden soll, dass die Gegenseite ihre Erledigungserklärung noch in der Beschwerdeinstanz abgeben kann mit der Folge einer möglicherweise ungünstigeren Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 5.5.1970, a.a.O., S. 252 ff., und vom 15.12.1972, a.a.O., S. 183 ff.

c) Über die Kosten des Verfahrens ist daher gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Danach waren hier der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens erster Instanz aufzuerlegen, weil ihr Antrag ohne das erledigende Ereignis nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 19.3.2003 - 8 B 2765/02 -) voraussichtlich keinen Erfolg gehabt hätte. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens legt der Senat der Antragsgegnerin in Anwendung des Rechtsgedankens des § 155 Abs. 4 VwGO auf. Diese Kosten sind durch ihr Verschulden entstanden. Sie hätte schon im erstinstanzlichen Verfahren die angefochtenen Bescheide und die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufheben und damit die Hauptsachenerledigung herbeiführen können. (wird ausgeführt

Ende der Entscheidung

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