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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 19.12.2007
Aktenzeichen: 9 A 1403/05
Rechtsgebiete: AbwAG


Vorschriften:

AbwAG § 4 Abs. 4
1. Die Entscheidung über den Erlass der Abwasserabgabe wegen sachlicher Unbilligkeit ist eine behördliche Ermessensentscheidung, deren Inhalt und Grenzen allein durch den Begriff "unbillig" bestimmt wird. Umstände, die der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen keinen Erlass.

2. Der (teilweise) Erlass einer Abwasserabgabe, die wegen einer störfallbedingten Überschreitung eines Überwachungswerts nach § 4 Abs. 4 AbwAG erhöht festgesetzt worden ist, kann ermessensfehlerfrei mit der Begründung verweigert werden, die Überschreitung habe nicht auf höherer Gewalt beruht. Ein Billigkeitserlass muss nicht deshalb gewährt werden, weil der Störfall nur von kurzer Dauer war und nur eine begrenzte Schmutzfracht eingeleitet worden ist.

3. Einwänden gegen die Richtigkeit der Abgabefestsetzung ist im Billigkeitsverfahren nur bei offensichtlich fehlerhaften Festsetzungen nachzugehen, gegen die sich der Betroffene nicht rechtzeitig wehren konnte.


Tatbestand:

Die Klägerin, die eine Kläranlage betreibt, begehrte den teilweisen Erlass der wegen einer einmaligen Überschreitung des Überwachungswerts für CSB erhöht festgesetzten Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 1999. Sie machte geltend, der der Erhöhung zugrunde liegende Störfall sei als einzigartig einzustufen und mit anderen, häufiger vorkommenden Überschreitungen nicht zu vergleichen. Die Erhebung der festgesetzten Abgabe sei mit der gesetzgeberischen Zielsetzung unvereinbar. Die Mehrbelastung der Klägerin stehe nicht mehr in einem vernünftigen Verhältnis zu der nur kurzfristigen Erhöhung der Abwassereinleitung, die ohne weitere Auswirkungen geblieben sei. Ihr Begehren blieb im Verwaltungs- und anschließenden Widerspruchsverfahren erfolglos. Auf die Klage hin verpflichtete das VG die Beklagte zur Neubescheidung des Erlassantrages. Die Berufung der Beklagten führte zur Klageabweisung.

Gründe:

Der Ablehnungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids ist rechtmäßig, insbesondere ermessensfehlerfrei, und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 5 VwGO).

Gemäß § 80 Abs. 3 LWG NRW kann die zuständige Behörde die Abwasserabgabe ganz oder teilweise erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Entscheidung über den Erlass ist eine behördliche Ermessensentscheidung und unterliegt gemäß § 114 VwGO nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Nach dieser Vorschrift ist zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Inhalt und Grenzen der in diesem Sinne pflichtgemäßen Ermessensausübung nach § 80 Abs. 3 LWG NRW werden in vergleichbarer Weise wie bei Anwendung der gleichlautenden Erlassbestimmung des § 227 AO allein durch den Begriff "unbillig" bestimmt. Unbilligkeit aus sachlichen Gründen, wie sie von der Klägerin allein geltend gemacht wird, liegt vor, wenn eine Abgabeforderung zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, ihre Geltendmachung mit dem Zweck des Gesetzes aber nicht zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen dagegen keinen Erlass.

Vgl. allgemein dazu Gemeinsamer Senat der ober-sten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 19.10.1971 - GemS-OBG 3/70 -, BVerwGE 39, 355; BVerwG, Urteil vom 17.11.1999 - 11 C 7.99 -, DVBl. 2000, 1218; BFH, Urteil vom 23.10.2003 - V R 2/02 -, BFHE 203, 410; konkret zu § 80 Abs. 3 LWG NRW: OVG NRW, Urteil vom 20.9.1989 - 2 A 402/88 -, EildStNW 1989, 616, sowie Beschluss vom 19.1.1999 - 9 A 43/99 -.

Mit der in § 4 Abs. 4 AbwAG vorgesehenen Erhöhung wollte der Gesetzgeber einen zusätzlichen Anreiz für die Einleiter schaffen, die festgelegten Überwachungswerte von sich aus einzuhalten und sogar möglichst zu unterbieten, um damit zugleich den wasserrechtlichen Vollzug ohne Verlust an Effektivität zu entlasten. Dies sollte unter anderem dadurch geschehen, dass ausdrücklich bereits einmalige erhebliche Überschreitungen der Überwachungswerte abgaberechtlich überproportional erfasst werden.

Vgl. BT-Drs. 10/5533, S. 8 ff. u. 12.

Es ist höchstrichterlich geklärt, dass die in dieser Regelung liegende Typisierung zulässig und von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist. Denn sie sichert den wasserrechtlichen Vollzug, indem sie für die Einleiter einen deutlich erhöhten Anreiz bietet, weitgehende Vorsorge zur Verhinderung von Störfällen zu treffen. Sie ist verhältnismäßig, weil die Einleiter zumindest regelmäßig durch Vorsorgemaßnahmen die Entstehung von Störfällen verhindern oder zumindest ihr Ausmaß in Grenzen halten können. Soweit ihnen dies im Einzelfall nicht möglich sein sollte, bleiben sie abwasserrechtlich Verursacher der Gewässerschädigung und müssen gegebenenfalls finanziellen Rückgriff auf den für den Störfall letztlich Verantwortlichen nehmen. Im Übrigen berücksichtigt bereits die gesetzliche Regelung die Störfallproblematik, weil die Erhöhung selbst dann nicht erfolgt, wenn ein Überwachungswert als eingehalten gilt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.8.1997 - 8 B 170.97 -, DVBl. 1998, 51.

Ein überschrittener Überwachungswert gilt als eingehalten (Nr. 2.2.4 der Rahmen-Abwasser-VwV zu § 7a WHG bzw. § 6 Abs. 1 AbwV), wenn die Ergebnisse dieser und der vier vorausgegangenen staatlichen Überprüfungen in vier Fällen den maßgebenden Wert nicht überschreiten und kein Ergebnis den Wert um mehr als 100 % übersteigt. Das so geregelte Anreizsystem erklärt Überschreitungen nur dann für unbeachtlich, wenn sie singulär bleiben und sich in einem begrenzten Umfang halten. Beachtliche Überschreitungen stellen dagegen Verstöße gegen wasserrechtliche Vorgaben dar, an die die Erhöhungssanktion zur Effektivierung des wasserrechtlichen Verwaltungsvollzugs allein anknüpft. Ein solcher Verstoß hängt nicht davon ab, wie lange der Überwachungswert überschritten worden ist und ob Folgeschäden in dem das Abwasser aufnehmenden Gewässer festgestellt worden sind. Die Dauer einer beachtlichen Überschreitung kann allenfalls mittelbar dadurch Bedeutung gewinnen, dass das behördliche Ermessen bei der wasserrechtlichen Überwachung anlässlich eines Störfalls jedenfalls in der Regel dahingehend auszuüben ist, nicht mehr als ein Messergebnis einzubeziehen. Dementsprechend erfolgt bei einem einmaligen Störfall gemäß § 4 Abs. 4 Satz 4 AbwAG im allgemeinen nur eine Erhöhung um den halben Vomhundertsatz der Überschreitung.

Ausgehend von diesem Regelungssystem ist die im Rahmen einer einheitlichen Ermessensausübung geäußerte Ansicht der Beklagten nicht zu beanstanden, dass eine sachliche Unbilligkeit nicht vorliege. Die vorgenommene Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten um den halben Vomhundertsatz der Überschreitung steht mit der gesetzgeberischen Zielsetzung in Einklang, obwohl die Überschreitung des Überwachungswerts nach Darstellung der Klägerin nur von kurzer Dauer war und sich dementsprechend die Gewässerverunreinigung in Grenzen gehalten haben mag - amtliche Feststellungen sind hierzu nicht getroffen worden. Denn der Gesetzgeber stellt im Rahmen seines soeben näher beschriebenen Anreizsystems in rechtlich nicht zu beanstandender Weise typisierend bei singulären Überschreitungen letztlich (allein) darauf ab, ob der Überwachungswert um mehr als 100 % überschritten worden ist. Ist das wie hier der Fall, so soll es wegen der erheblichen Gewässerverunreinigung zumindest zu einer Erhöhung um den halben Vomhundertwert der Überschreitung kommen. Die danach auch hier vorzunehmende Erhöhung ist damit einer landesrechtlichen Korrektur im Wege des Billigkeitserlasses aus sachlichen Gründen nicht mehr zugänglich.

Den vom Gesetz angestrebten Anreiz für eine möglichst wirksame Vorsorge kann die Erhöhungsregelung, wie die Beklagte zutreffend erkannt hat, nur dann nicht erfüllen, wenn ein Störfall auf höherer Gewalt beruht. Die Einschätzung, dass ein solcher Fall hier nicht gegeben ist, unterliegt keinem Zweifel.

Der in Rede stehende Störfall beruhte nicht auf höherer Gewalt. Er ist durch eine Holzplatte vor dem Zulaufrohr der Straße des alten Nachklärbeckens ausgelöst worden. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es praktisch unmöglich gewesen sein sollte, diesen Störfall zu vermeiden. Denn die bei Bauarbeiten verwendete Holzplatte hätte anschließend ordnungsgemäß abgeräumt oder zumindest später noch rechtzeitig bemerkt werden können. Dass beides nicht geschehen ist und die Platte noch über ein halbes Jahr nach Abschluss der Bauarbeiten in der Anlage Schaden anrichten konnte, zeigt die letztlich unzureichende Vorsorge auf. Dabei ist es unerheblich, ob die Klägerin aufgrund einer Mitteilung ihres an sich zuverlässig arbeitenden Ingenieurbüros letztlich unzutreffend angenommen hat, die Baustelle sei vollständig geräumt worden. Dementsprechend bietet die Erhöhung der Abgabenlast für die Klägerin entsprechend der gesetzlichen Zielrichtung einen erheblichen Anreiz, künftig noch strenger auf Unregelmäßigkeiten im Betriebsablauf zu achten und Angaben beauftragter Dritter weitergehend zu überprüfen, damit Überschreitungen des Überwachungswerts zuverlässiger vermieden werden.

Eine sachliche Unbilligkeit kann sich auch nicht daraus ergeben, dass der Klägerin keine Gelegenheit gegeben wurde, den Störfall zu beseitigen, bevor die Überwachungsmessung durchgeführt worden ist. Denn durch die Messung oder ihren Zeitpunkt wurde der Klägerin nicht die ihr als Einleiterin obliegende Risikovorsorge verwehrt. Die Überwachung hat lediglich einen bereits eingetretenen beachtlichen Verstoß aufgedeckt, der die gesetzliche Sanktion ausgelöst hat.

Soweit die Klägerin im Zusammenhang mit dem Erlassbegehren auf ihre Einwände gegen die Richtigkeit der Probenahme Bezug nimmt, ist dem in diesem Verfahren nicht weiter nachzugehen. Es handelt sich dabei um Einwände gegen die Richtigkeit der Abgabefestsetzung. Eine sachliche Überprüfung bestandskräftiger Abgabenfestsetzungen im Billigkeitsverfahren kommt lediglich dann in Betracht, wenn die Festsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist und wenn es dem Betroffenen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren.

Vgl. BFH, Beschluss vom 30.9.1996 - X B 131/96 -, juris.

All diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die Festsetzung nach verwaltungsgerichtlicher Überprüfung bestandskräftig geworden ist.

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