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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 28.01.2008
Aktenzeichen: 9 A 2206/07
Rechtsgebiete: VwKostG, GG


Vorschriften:

VwKostG § 3 Satz 1
GG Art. 3 Abs. 1
Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass eine Verwaltungsgebühr, deren Höhe die Kosten des Verwaltungsaufwands um das tausendfache übersteigt, das in § 3 Satz 1 VwKostG konkretisierte Äquivalenzprinzip verletzt. Das gilt auch dann, wenn der wirtschaftliche Wert der Leistung die Gebühr deutlich (hier das tausendfache) übersteigt.
Tatbestand:

Die Klägerin, ein Telekommunikationsunternehmen, wandte sich gegen die Erhebung von Gebühren in Höhe von 500 000,- € für die Zuteilung von zehn Millionen Mobilfunkrufnummern, die einen Verwaltungsaufwand von etwa 500,- € verursacht hatte. Die Klage hatte in erster Instanz Erfolg. Das OVG ließ die Berufung nicht zu.

Gründe:

Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Annahme des VG, die streitige Gebühr verletze das in § 3 Satz 1 VwKostG konkretisierte Äquivalenzprinzip, weil sie sich (noch immer) vollständig von den tatsächlichen Kosten des Verwaltungsaufwands, die die Gebühr um das tausendfache übersteige, entfernt habe, ist nicht ernstlich zweifelhaft. Sie wird nicht durch den Einwand der Beklagten in Frage gestellt, nach der Rechtsprechung des BVerfG komme es nicht allein auf das Verhältnis zwischen den Kosten des Verwaltungsaufwands und der Gebühr an; vielmehr bedürfe es einer wertenden Betrachtung unter Berücksichtigung aller verfolgten Gebührenzwecke, hier des Lenkungszwecks und des Vorteilsausgleichs, um zu beurteilen, ob sich eine Gebühr zu den Kosten des Verwaltungsaufwands als "sachgemäß" erweise.

Tatsächlich hat das BVerfG in seinem vom Beklagten angeführten Beschluss vom 6.2.1979 bereits im Ausgangspunkt angeführt, gerade der Zweck der Kostendeckung mache die Gebühr aus und unterscheide sie von der Steuer. Das bedeute zwar nicht, dass die Gebühren die Kosten der Leistung nicht überschreiten dürften. Der Gebührengesetzgeber dürfe "über die Kostendeckung hinausreichende Zwecke" mit einer Gebührenregelung anstreben. Allgemeine Grenzen ergäben sich aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG sowie aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bei der Beurteilung der Frage, ob die mit einer Gebührenregelung verfolgten Zwecke außer Verhältnis zu einer Gebühr stünden, seien alle mit der Regelung verfolgten, verfassungsrechtlich zulässigen Zwecke als Abwägungsfaktoren in die Verhältnismäßigkeitsbetrachtung einzubeziehen. Aus dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG folge, dass Gebühren nicht völlig unabhängig von den Kosten der gebührenpflichtigen Leistung festgesetzt werden dürften, und dass sich die Verknüpfung zwischen den Kosten der Leistung und den dafür auferlegten Gebühren nicht in einer Weise gestalte, die, bezogen auf den Zweck der gänzlichen oder teilweisen Kostendeckung, sich unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt als sachgemäß erweise.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 6.2.1979 - 2 BvL 5/76 -, BVerfGE 50, 217.

Aus dieser Rechtsprechung lässt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht ableiten, dass ein verfassungsrechtlich zulässiger Lenkungszweck und ein mit einer Gebührenregelung bezweckter Vorteilsausgleich eine Gebühr auch dann noch als "sachgemäß" zu rechtfertigen vermögen, wenn diese um das Tausendfache über den durch die gebührenpflichtige Amtshandlung verursachten Kosten liegt. Vielmehr bringt das BVerfG in der angeführten Entscheidung deutlich zum Ausdruck, dass eine Gebühr "nicht völlig unabhängig von den Kosten der gebührenpflichtigen Staatsleistung festgesetzt" werden darf. Damit ist zugleich klar, dass sich eine solche von den Kosten der Leistung völlig unabhängige Gebühr bezogen auf den Zweck der Kostendeckung unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt als sachgemäß erweisen kann, selbst wenn man alle mit der Gebührenregelung verfolgten Zwecke in die Verhältnismäßigkeitsbetrachtung einbezieht. In sachlicher Übereinstimmung hiermit und im Anschluss an diese Rechtsprechung hat das BVerwG im Rahmen von § 3 Satz 1 VwKostG i. V. m. § 43 Abs. 3 Satz 4 TKG angenommen, bei der Bemessung der Gebühr dürfe der mit ihr verfolgte Zweck der Kostendeckung - ggf. neben etwaigen weitergehenden Gebührenzwecken - zumindest nicht gänzlich aus dem Auge verloren werden. Dass sich der Kostendeckungszweck auf die Höhe der Gebühr auswirken müsse, sei schon wegen eines "Mindestmaßes an Sachgerechtigkeit und innerer Regelungskonsistenz" geboten. Ferner folge dies daraus, dass die Höhe der Gebühr "wegen der Begrenzungs- und Schutzfunktion der grundgesetzlichen Finanzverfassung [...] wesentlich von der besonderen Finanzierungsverantwortlichkeit bestimmt [werde], die der Gesetzgeber durch die Ausgestaltung des konkreten Gebührentatbestands eingefordert" habe. Für die Beurteilung der Frage, ob sich eine Gebühr unzulässigerweise völlig von den Kosten des Verwaltungsaufwands gelöst habe, sei eine wertende Beurteilung des Verhältnisses zwischen den Kosten und der Gebühr erforderlich.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30.4.2003 - 6 C 5.02 -, NVwZ 2003, 1385.

Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die streitige Gebühr bei der nach dieser Rechtsprechung gebotenen wertenden Beurteilung nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu den Kosten der Verwaltungsleistung steht, weil sie diese um das tausendfache übersteigt und sich damit völlig von den Kosten des Verwaltungsaufwands gelöst hat. Daran ändert sich nichts dadurch, dass die Gebühr um gleichfalls das tausendfache unter dem wirtschaftlichen Wert der Nummernzuweisung liegt und eine daran gemessen vergleichsweise niedrige Gebühr nur eingeschränkt Lenkungszwecken dienen kann. Da zwischen den Kosten des Verwaltungsaufwands und dem wirtschaftlichen Wert der Leistung eine derart extreme Diskrepanz liegt, lassen sich der angestrebte Vorteilsausgleich und der beabsichtigte Lenkungszweck bei der Gebührenregelung nur begrenzt zur Geltung bringen, nämlich insoweit, als der die Gebühr kennzeichnende Finanzierungszweck zumindest nicht gänzlich aus dem Auge verloren wird. Die weitergehenden Gebührenzwecke lassen sich nach der angeführten Rechtsprechung lediglich in Ergänzung zu dem die Gebühr ausmachenden Zweck der Kostendeckung verfolgen. Nicht zu rechtfertigen ist es hingegen, wegen des geringen Werts einer Verwaltungsleistung die Finanzierungsfunktion gegenüber anderen Gebührenzwecken praktisch völlig zurücktreten zu lassen.

[...]

Indem das VG angenommen hat, auch ein etwaiger Lenkungszweck könne für sich genommen nicht rechtfertigen, dass sich die Gebühr vollständig von dem zugrunde liegenden Verwaltungsaufwand löse, ist es nicht von einem in den Beschlüssen des BVerfG vom 10.3.1998 - 1 BvR 178/97 -, NJW 1998, 2128 (2130), und vom 6.2.1979 - 2 BvL 5/76 -, a. a. O., aufgestellten Rechtssatz abgewichen, wonach das Verhältnis zwischen Verwaltungsaufwand und Kosten auch im Hinblick auf andere Gebührenzwecke sachgerecht sein könne. Hieraus ergibt sich gerade nicht, dass andere Gebührenzwecke eine Gebühr auch dann noch sachlich rechtfertigen können, wenn diese sich von dem zugrunde liegenden Verwaltungsaufwand völlig gelöst hat. Vielmehr steht der Ansatz des VG in Einklang mit der von der Beklagten angeführten Rechtsprechung des BVerfG, das ebenfalls ausgeführt hat, Gebühren dürften nicht völlig unabhängig von den Kosten der gebührenpflichtigen Staatsleistung festgesetzt werden.

Ende der Entscheidung

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