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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 22.12.2005
Aktenzeichen: 9 A 541/03
Rechtsgebiete: AbwAG, WHG


Vorschriften:

AbwAG § 4 Abs. 1
AbwAG § 6 Abs. 1
AbwAG § 9 Abs. 5 Satz 1
AbwAG § 11 Abs. 1
WHG § 7 a
Eine Abgabesatzermäßigung gemäß § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG erfordert, dass nicht nur nach § 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AbwAG im Veranlagungszeitraum (nach § 11 Abs. 1 AbwAG dem Kalenderjahr) die Anforderungen nach § 7 a WHG tatsächlich eingehalten werden, sondern es muss auch nach Nr. 1 der Norm für das gesamte Jahr ein die Abwassereinleitung zulassender Bescheid nach § 4 Abs. 1 AbwAG bzw. eine Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG vorliegen, der bzw. die den Anforderungen nach § 7 a WHG entspricht.

Auch eine Ordnungsverfügung in Form einer Duldung, die für einen bestimmten Zeitraum (allein) sämtliche Voraussetzungen für eine Abwassereinleitung festlegt bzw. regelt, kann ein die Einleitung zulassender Bescheid im Sinne des § 4 Abs. 1 AbwAG sein.


Tatbestand:

Der Kläger, ein Wasserverband, erstrebte die Ermäßigung des Abgabesatzes gemäß § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG bezüglich einer Heranziehung zu Abwasserabgaben für das Jahr 1999. Durch Ordnungsverfügung vom 8. 3. 1995 hatte die Bezirksregierung D. dem Kläger aufgegeben, die Einleitung aus der Kläranlage A. ab dem 30. 6. 1999 zu unterlassen, da die Schadstofffracht des Abwassers nicht so gering gehalten werde, wie dies bei Einhaltung der Anforderungen nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik möglich sei. Gleichzeitig setzte sie unter anderem den bis zu diesem Zeitpunkt einzuhaltenden Überwachungswert für CSB auf eine Konzentration von 130 mg/l fest. Durch Bescheid vom 27. 10. 1998 erteilte die Bezirksregierung D. dem Kläger die widerrufliche und bis zum 31. 1. 2013 befristete Erlaubnis, aus der sanierten Kläranlage A. den Anforderungen des Bescheides entsprechendes Abwasser in den G.Bach einzuleiten. Dieser Erlaubnis sollte erst mit Inbetriebnahme der sanierten Kläranlage, spätestens am 1. 7. 1999 Gültigkeit zukommen. In dem Bescheid wurde unter anderem der ab Erlaubnisgültigkeit einzuhaltende Überwachungswert für den Parameter CSB auf eine Konzentration von 90 mg/l festgesetzt.

Im November 1998 erklärte der Kläger gemäß § 6 AbwAG schriftlich gegenüber dem Beklagten, dass er im Veranlagungsjahr 1999 hinsichtlich des Parameters CSB einen Überwachungswert von 70 mg/l einhalten werde. Am 29. 6. 1999 nahm der Kläger die sanierte Kläranlage in Betrieb.

Im Rahmen der Heranziehung zu Abwasserabgaben für das Veranlagungsjahr 1999 legte der Beklagte für CSB einen Abgabesatz von 70,00 DM/SE zu Grunde.

Die hiergegen hach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage auf Ermäßigung des Abgabesatzes für die Zeit ab Inbetriebnahme der sanierten Kläranlage hatte in erster Instanz Erfolg.

Nach Auffassung des VG lagen die Voraussetzungen für eine Abgabesatzermäßigung nach § 9 Abs. 5 AbwAG vor. Für den Zeitraum vom 1. 1. bis 28. 6. 1999 sei die Erklärung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG mit einem Überwachungswert von 70 mg/l für CSB maßgebend, nicht aber die Ordnungsverfügung der Bezirksregierung vom 5. 3. 1995. Die Ordnungsverfügung stelle keinen "die Abwassereinleitung zulassenden Bescheid" i.S.d. §§ 4 Abs. 1, 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AbwAG dar.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten hatte Erfolg.

Gründe:

Die Voraussetzungen für eine Ermäßigung des Abgabensatzes betreffend den Parameter CSB für den begehrten Zeitraum nach § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG in der hier maßgeblichen Fassung vom 25. 8. 1998 (BGBl. I S. 2455) liegen nicht vor.

Nach § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG 1998 ermäßigt sich der Abgabesatz auf die Hälfte für solche Schadeinheiten, die nicht vermieden werden, obwohl der Inhalt des Bescheides nach § 4 Abs. 1 oder die Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 mindestens den von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegten Anforderungen nach § 7a WHG entspricht und die von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegten Anforderungen nach § 7a WHG im Veranlagungszeitraum eingehalten werden. Die Abgabesatzermäßigung gemäß § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG 1998 erfordert, dass die genannten Voraussetzungen im gesamten Veranlagungszeitraum vorgelegen haben. Die Voraussetzungen der Vorschrift müssen deshalb im ganzen Kalenderjahr erfüllt sein, um eine Ermäßigung zu gestatten.

Vgl. dazu auch BVerwG, Urteil vom 28. 10. 1998 - 8 C 17.97 -, NVwZ 1999, 1119; OVG NRW, Beschlüsse vom 6. 5. 1999 - 9 A 232/95 - und vom 20. 5. 1999 - 9 A 1743/94 - m.w.N.

Dementsprechend müssen nicht nur nach § 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AbwAG - wie sich bereits aus dessen Wortlaut ergibt - im Veranlagungszeitraum, das heißt nach § 11 Abs. 1 AbwAG dem Kalenderjahr, die Anforderungen nach § 7 a WHG tatsächlich eingehalten werden, sondern es muss auch nach Nr. 1 der Norm für das gesamte Jahr ein die Abwassereinleitung zulassender Bescheid nach § 4 Abs. 1 AbwAG bzw. eine Erklärung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbwAG vorliegen, der bzw. die den Anforderungen nach § 7 a WHG entspricht. Dies folgt aus dem das gesamte Abwasserabgabenrecht beherrschenden Jährlichkeitsprinzip, wie es in zahlreichen Vorschriften des Abwasserabgabengesetzes zum Ausdruck kommt (§ 11 Abs. 1: Kalenderjahr als Veranlagungszeitraum, § 3 Abs. 1 Satz 2: Jahresmenge der Schadeinheiten, § 4 Abs. 1 Satz 2: Jahresschmutzwassermenge, § 9 Abs. 4 Satz 2: einheitlicher Abgabesatz pro Schadeinheit und Jahr, § 9 Abs. 5: Ermäßigung des - für das ganze Jahr geltenden - Abgabesatzes) und nur in Ausnahmefällen (§§ 4 Abs. 5, 9 Abs. 6 AbwAG) durchbrochen wird.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. 7. 2005 - 9 A 712/03 -, juris (Langtext), DVBl. 2005, 1220 (Leitsatz).

Entgegen der Aufassung des Klägers lässt sich auch aus der neueren Rechtsprechung des BVerwG - vgl. BVerwG, Urteil vom 16. 3. 2005 - 9 C 7.04 -, NWVBl. 2005, 334 - kein Grund für eine Abweichung vom Jährlichkeitsprinzip für die hier einschlägige Sachverhaltskonstellation herleiten. In der vorzitierten Entscheidung hat das BVerwG hervorgehoben, dass die Besonderheiten der Regelung in § 9 Abs. 6 i.V.m. § 4 Abs. 1 und Abs. 5 AbwAG eine Abgabesatzermäßigung für einen Teilzeitraum nicht ausschlössen. Daneben hat es ausdrücklich betont, dass für die in § 9 Abs. 5 AbwAG unmittelbar geregelten Fälle des Bescheides nach § 4 Abs. 1 AbwAG und der Erklärung nach § 6 Abs. 1 AbwAG naheliegend von der Geltung des Jährlichkeitsprinzips auszugehen ist (vgl. Seite 8 des amtl. Urteilsabdrucks), was im Übrigen der bis dahin geltenden oben zitierten Rechtsprechung des BVerwG und des Senats entspricht.

Gemessen daran liegen die Voraussetzungen für die vom Kläger begehrte Abgabesatzreduzierung nicht vor. Denn für den Teilzeitraum des Veranlagungsjahres vom 1. 1. bis zum 28. 6. 1999 ist - anders als vom VG angenommen - nicht auf die vom Kläger abgegebene Erklärung gemäß § 6 Abs. 1 AbwAG abzustellen. Die Erklärung ist gegenüber einem Bescheid nach § 4 Abs. 1 AbwAG für die Festsetzung der Abgaben subsidiär. Soweit Überwachungswerte bescheidmäßig festgelegt sind, können sie durch eine Erklärung nach § 6 Abs. 1 AbwAG nicht ersetzt werden.

Vgl. Köhler, Abwasserabgabengesetz, Kommentar, 3. Aufl. 1999, § 6 Rdnr. 8.

Für den Zeitraum vom 1. 1. bis zum 28. 6. 1999 stellt die Ordnungsverfügung der Bezirksregierung vom 5. 3. 1995 mit einem Überwachungswert von 130 mg/l einen "die Abwassereinleitung zulassenden Bescheid" i.S.d. §§ 4 Abs. 1, 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AbwAG dar.

Unter den Begriff des "die Abwassereinleitung zulassenden Bescheides" fällt jede Einzelfallentscheidung der zuständigen Behörde, mit der das Einleiten von Abwasser in ein Gewässer zugelassen wird und die Festlegungen hinsichtlich einzuhaltender Schadstoffkonzentrationen oder Überwachungswerte bzw. der Jahresschmutzwassermenge enthält. Nach ihrem sachlichen Inhalt muss es sich um eine wasserrechtliche Entscheidung handeln, bei der es allerdings nicht darauf ankommt, in welchem Verfahren sie getroffen wurde. Wesentlich ist nur, dass mit dieser Entscheidung hoheitsrechtlich die Abwassereinleitung in ein Gewässer zugelassen werden soll.

Vgl. Berendes, Das Abwasserabgabengesetz, 3. Auflage 1995, S. 71 ff.; Köhler, a.a.O., § 4 Rdnr. 24; Sieder/Zeitler/Dahme, Wasserhaushaltsgesetz, Abwasserabgabengesetz, Loseblattkommentar, Band 2, Stand: Dezember 2004, § 4 AbwAG Rdnr. 7.

Bei der hier in Rede stehenden Ordnungsverfügung der Bezirksregierung D. handelt es sich dem Inhalt nach um eine wasserrechtliche Entscheidung mit den entsprechenden Festlegungen von Überwachungswerten und Jahresschmutzwassermenge.

Für die Annahme eines zulassenden Bescheides im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AbwAG ist nicht unbedingt erforderlich, dass dem Einleiter die Rechtsposition einer Erlaubnis gemäß § 7 WHG vermittelt wird. Etwas anderes lässt sich auch nicht aus dem vom VG zitierten Beschluss des 4. Senats des Gerichts, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. 8. 1997 - 4 B 533/97 -, herleiten. Die dort im Streit stehende Sachverhaltskonstellation, über die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden wurde, ist mit der hier vorliegenden nicht vergleichbar. Denn die im Verfahren des 4. Senats in Rede stehende Ordnungsverfügung bestand "neben" einer gültigen wasserrechtlichen Erlaubnis und duldete, ohne die Erlaubnis zu ändern, vorübergehend allein für den Schadstoffparameter CSB einen höheren Überwachungswert. Im Übrigen kann nach Aufassung des beschließenden Senats auch eine Ordnungsverfügung in Form einer Duldung, die - wie hier - für einen bestimmten Zeitraum (allein) sämtliche Voraussetzungen für eine Abwassereinleitung festlegt bzw. regelt, ein die Einleitung zulassender Bescheid im Sinne des § 4 Abs. 1 AbwAG sein.

Ebenso: Köhler, a.a.O., § 4 Rdnr. 26.

Ein am Wortlaut des § 4 Abs. 1 AbwAG und an der Gesetzessystematik orientiertes Verständnis bestätigt, dass unter einem zulassenden Bescheid nicht nur eine wasserrechtliche Erlaubnis zu verstehen ist. Der Begriff der "Zulassung" unterscheidet sich vom Begriff der "Erlaubnis" im Sinne des § 7 WHG und geht darüber hinaus. So verwendet § 9 a WHG den Begriff "Zulassung" als Entscheidung der zuständigen Behörde zur Ermöglichung eines Beginns von Abwassereinleitungen bereits vor der Erteilung einer Erlaubnis. Dementsprechend kann ein die Abwassereinleitung zulassender Bescheid auch bei einer bescheidmäßigen Duldung vorliegen, wenn - wie hier - eine Regelung getroffen wird, welche die Einleitung trotz des Fehlens einer Erlaubnis nicht verbietet, sondern die näheren Voraussetzungen für die Einleitung festlegt und damit unter diesen Voraussetzungen "zulässt". Vor diesem Hintergrund ist es für die Qualifikation der in Rede stehenden Ordnungsverfügung als ein die Einleitung zulassender Bescheid unschädlich, dass dem Kläger ein Unterlassen der Einleitung von Abwasser aus der Kläranlage A. in den G.Bach ab dem 30. 6. 1999 aufgegeben wird. Die zeitliche Festlegung dieses Termins zeigt vielmehr, dass die Einleitung von Abwasser bis zu diesem Zeitpunkt als dem erwarteten Abschluss der Sanierungsarbeiten durch die Ordnungsverfügung ausdrücklich geregelt wird.

Die vorstehende Sichtweise führt auch unter Beachtung der Gesetzessystematik nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung von Anlagenbetreibern, die eine Abwassereinleitung auf der Grundlage einer Ordnungsverfügung vornehmen. Schreiten sie etwa früher als geplant in ihren Sanierungsbemühungen voran, bleibt ihnen ein Antrag auf Änderung der Überwachungswerte in der Ordnungsverfügung unbenommen. Gegebenenfalls kann so der Erlass eines Bescheides erreicht werden, der die in § 9 Abs. 5 Satz 1 AbwAG genannten Voraussetzungen erfüllt. Im Übrigen ist auch die Möglichkeit des Vorgehens nach § 4 Abs. 5 AbwAG in Betracht zu ziehen.

Eine andere Bewertung ist auch nicht auf der Grundlage der historischen und teleologischen Gesetzesauslegung geboten. Die Gesetzgebungsmaterialien bieten keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber bei Erlass des § 4 Abs. 1 AbwAG mit dem Begriff des "zulassenden Bescheides" ausschließlich einen Erlaubnisbescheid im Sinne von § 7 WHG meinte. Die vom Verwaltungsgericht dazu zitierte Aussage aus dem Bericht des Innenausschusses zum Gesetzesentwurf hebt zwar hervor, dass § 4 Abs. 1 AbwAG grundsätzlich hinsichtlich der genauen Ermittlung der für die Höhe der Abgabe entscheidenden Schadeinheiten an den Erlaubnisbescheid anknüpfe.

Vgl. BT-Drs. 7/5183 vom 13. 5. 1976, S. 6.

Damit wird indes zum Ausdruck gebracht, dass die ursprünglich im Regierungsentwurf geplante Messlösung - vgl. BT-Drs. 7/5183 vom 13. 5. 1976, S. 4 - zu Gunsten einer Bescheidlösung aufgegeben wurde. Im Übrigen liegt es auf der Hand, dass die Abwassereinleitung in der Regel - und damit grundsätzlich - auf einer Erlaubnis beruht; das schließt aber Ausnahmen von diesem Grundsatz nicht aus, wie § 9 a WHG belegt.

Unter Berücksichtigung des danach maßgeblichen Überwachungswertes für den Parameter CSB gemäß der in Rede stehenden Ordnungsverfügung der Bezirksregierung Düsseldorf für den Zeitraum vom 1. 1. bis zum 28. 6. 1999 kann die begehrte Abgabesatzreduzierung nicht erfolgen. Der Überwachungswert entsprach mit einer Höhe von 130 mg/l nicht den Anforderungen nach § 7a WHG.

Ende der Entscheidung

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