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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 27.02.2007
Aktenzeichen: 9a D 129/04.G
Rechtsgebiete: FlurbG


Vorschriften:

FlurbG § 88 Nr. 5
Auch die Durchschneidung eines Jagdbezirks durch den Bau einer Bundesstraße kann zu einem Anspruch auf Gewährung einer Entschädigung in Geld nach § 88 Nr. 5 FlurbG führen, der zugunsten der Jagdgenossenschaft nach § 88 Nr. 6 FlurbG im Flurbereinigungsverfahren dem Grunde nach festzustellen ist.
Tatbestand:

Wegen des Baus u.a. einer Bundesstraße wurde ein Flurbereinigungverfahren nach § 87 FlurbG durchgeführt.

Die Klägerin ist Inhaberin des Jagdausübungsrechts in ihrem gemeinschaftlichen Jagdbezirk (vgl. § 9 BJagdG). Dieser wird durch die neue Trasse der Bundesstraße in einer Länge von ca. 2 km durchschnitten.

Nach Vorlage des Flurbereinigungsplans im Jahre 1998 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Festsetzung einer Entschädigung wegen Jagdwertminderung für die im Rahmen der Unternehmensflurbereinigung entstandenen Nachteile.

Durch Nachtrag 3 zum Flurbereinigungsplan stellte die Beklagte nach Anhörung der beigeladenen Unternehmensträgerin fest, dass der Klägerin keine Entschädigung nach § 88 Nr. 5 bzw. 6 FlurbG zu gewähren sei.

Die Spruchstelle für Flurbereinigung wies den Widerpruch der Klägerin zurück. Die Klage hatte Erfolg.

Gründe:

Die Klägerin hat einen Anspruch nach § 88 Nrn. 5 und 6 FlurbG auf Feststellung, dass ihr dem Grunde nach wegen der Durchschneidung ihres Jagdbezirks durch den Bau der Bundesstraße eine Entschädigung in Geld zu gewähren ist.

Nach § 88 Nr. 5 FlurbG hat der Träger des Unternehmens Nachteile, die Beteiligten durch das Unternehmen entstehen, zu beheben und, soweit dies nicht möglich ist oder nach dem Ermessen der Flurbereinigungsbehörde nicht zweckmäßig erscheint, für sie Geldentschädigung zu leisten. Die insoweit zu erbringenden Leistungen nach § 88 Nr. 5 FlurbG werden von der Flurbereinigungsbehörde nach § 88 Nr. 6 FlurbG festgesetzt. Dabei ist im flurbereinigungsgerichtlichen Verfahren lediglich die Frage zu klären, ob eine unternehmensbedingte Enteignung des Betroffenen dem Grunde nach stattgefunden hat. Denn bei einem Streit über die Festsetzung der Enteignungsentschädigung sind nach § 88 Nr. 7 FlurbG ausschließlich die Zivilgerichte zuständig.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.7.1981 - 1 BvL 77/78 -, NJW 1982, 745ff.; BayVGH, Urteil vom 29.10.1990 - 13 A 89.3132 - RzF 44 I, 247.

Der Klägerin ist nach § 10 Nr. 2 d FlurbG (Neben-)Beteiligte des Verfahrens. Ihr steht dem Grunde nach wegen Beeinträchtigung ihres Jagdausübungsrechts (§ 8 Abs. 5 BJagdG) infolge des Baus der Bundesstraße ein Anspruch auf Entschädigung in Geld gemäß § 88 Nr. 5 FlurbG zu. Das Jagdausübungsrecht (§ 8 Abs. 5 BJagdG) stellt einen Vermögenswert des privaten Rechts dar, das bei gemeinschaftlichen Bezirken in der Regel durch Verpachtung genutzt wird (§ 10 BjagdG). Es gehört zu den sonstigen Rechten i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB und genießt als konkrete subjektive Rechtspositon, die der Jagdgenossenschaft als öffentlichrechtliche Körperschaft zusteht, den Schutz des Art. 14 GG.

Vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 20.1.2000 - III ZR 110/99 -, NJW 2000, 1720, m.w.N.

Werden bei der Errichtung einer Autobahn oder einer für Hochgeschwindigkeitszüge bestimmten neuen Eisenbahnstrecke Teilflächen eines gemeinschaftlichen Jagdbezirks für den Bau der Trasse in Anspruch genommen, ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH, Urteile vom 15.2.1996 - III ZR 143/94 -, NJW 1996, 1897 (Neubau einer Autobahn) und vom 20.1.2000 - III ZR 110/99 -, a.a.O., (Neubau einer ICE-Strecke), anerkannt, dass die Jagdgenossenschaft in zweierlei Hinsicht in ihrem Jagdausübungsrecht betroffen sein kann. Zum Einen wird der Jagdgenossenschaft durch den Bau der Autobahn bzw. der ICE-Strecke die Jagdnutzung auf den Trassenflächen genommen, d.h. der Jagdbezirk wird verkleinert. Zum Anderen kann in der hoheitlichen Inanspruchnahme der Trassenflächen ein Eingriff in das nunmehr gegebenenfalls auf den Restbesitz beschränkte Jagdausübungsrecht liegen. Denn durch den Bau einer Autobahn bzw. einer ICE-Strecke kann es zu erheblichen Beeinträchtigungen der Jagd kommen - etwa durch Beschränkung der Schussrichtung, Einschränkung der Treib- und Drückjagden, von Ansitz, Pirsch und Suchjagd; durch Änderungen des Wildbestandes, insbesondere durch Abwanderung von Schalenwild, Einschränkung des Wildwechsels, Beeinträchtigung des Jagdschutzes, Unterhaltung umfangreicher Wildzäune etc. Es handelt sich dabei um nachteilige tatsächliche Einwirkungen, die das Jagdausübungsrecht in den Grenzen der geschützten Rechtsposition beeinträchtigen.

So liegt der Fall hier. Das Jagdausübungsrecht der Klägerin ist in den Grenzen der geschützten Rechtsposition durch den Bau der Bundesstraße tatsächlich beeinträchtigt. Die entschädigungspflichtigen nachteiligen Einwirkungen auf das Jagdausübungsrecht sind nicht auf Autobahnen oder Eisenbahnschnellstrecken beschränkt. Sie können auch in entsprechender Intensität durch den Bau einer Bundesstraßen auftreten.

So auch OLG Celle, Urteil vom 22.1.2001 - 4 U (Baul) 121/00 -, Seite 3 UA, (Bundesstraße 3); OLG Bamberg, Urteil vom 21.10.1996 - 4 U 49/94 -, NVwZ 1998, 211, (Bundesstraße); vgl. aber auch Landgericht Koblenz, Urteil vom 6.5.1996 - 1.O.32/94 (Baul.) -, S. 6 UA, (Landstraße).

Die Frage der für eine Entschädigung erforderlichen Erheblichkeit der Beeinträchtigung in gemeinschaftlichen Jagdbezirken durch den Neubau von Verkehrswegen ist nicht danach zu entscheiden, ob für sie ein gesetztliches Betretungsverbot besteht (vgl. § 18 Abs. 9 StVO: bei Bundesautobahnen oder Kraftfahrstraßen teilweise). Denn die theoretische Möglichkeit, die Straßenfläche in die Jagdausübung einbeziehen zu können oder nicht, stellt kein taugliches Abgrenzungskriterium dar. Vielmehr ist für die Frage der enteignungsrelevanten Entschädigungspflicht darauf abzustellen, ob durch den Bau des Verkehrsweges eine erhebliche tatsächliche Verschlechterung der Bejagungsmöglicheiten eingetreten ist.

Vgl. BGH, Urteil vom 14.6.1982 - III ZR 175/80 -, NJW 1982, 2183.

Dies ist im vorliegenden Fall zu bejahen. Durch den Neubau der Bundesstraße ist im Jagdbezirk der Klägerin eine erhebliche tatsächliche Verschlechterung der Bejagungsmöglichkeiten eingetreten. Der u.a. mit zwei Jägern fachkundig besetzte Senat hat sich hierbei von folgenden Erwägungen leiten lassen:

Bei ca. 15.000 Fahrzeugbewegungen täglich auf der Bundesstraße kann die Niederwildjagd in einem erheblichen Sicherheitskorridor beiderseits der Bundesstraße allenfalls noch unter stark erschwerten Bedingungen ausgeübt werden. Das Schussfeld und die Schussrichtung ist beim Jagen mit der Flinte auf Feder- und Haarwild aus Sicherheitsgründen eingeschränkt. Dadurch wird die Durchführung von Gesellschaftsjagden erschwert. Die Jagdhunde müssen im Trassenbereich angeleint werden; es bestehen erhebliche Einschränkungen beim Suchen und Aufstöbern des Wildes. Gleiches gilt für die Nachsuche. Noch gravierender sind die Einschränkungen des Schussfeldes und der Schussrichtung bei der Jagd mit der Büchse auf Schalenwild, Raubwild und Raubzeug, etc., da ein wesentlich größerer Sicherheitskorridor bei der Schussabgabe eingehalten werden muss. Insoweit ist im Jagdbezirk der Klägerin die Ausübung der Jagd östlich der Neubautrasse der Bundesstraße erheblich erschwert und zum Teil nur noch mit erheblichen Einschränkungen möglich.

Der neue Trassenverlauf durchschneidet zudem die gewohnten Lebensräume des dort vorkommenden Niederwildes. Insoweit weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass der Durchtrennungseffekt der Straße besonders dadurch erhöht wird, dass der überwiegende Teil des hier maßgeblichen Trassenverlaufs auf einem Böschungsdamm und damit mehrere Meter über Erdniveau der angrenzenden Umgebung angelegt worden ist. Die Durchschneidungslänge durch die neue Verkehrstrasse ist erheblich. Sie beträgt ca. 2 km. Dadurch erhöht sich bei ca. 15.000 Fahrzeugbewegungen täglich erfahrungsgemäß die Zahl des Fallwildes, auch wenn es nach Angaben der Beilgeladenen noch zu keinen nennenswerten Kollisionen von Tieren mit Fahrzeugen gekommen ist. Wildwechsel werden durchschnitten, jedenfalls kommt es wegen des hohen Verkehrsaufkommens zu Störungen der Wechsel. Die landschaftspflegerischen Maßnahmen, die die Beigeladene im Zuge des Baus der B 221n angelegt hat, z.B. die Bepflanzung der Straßenböschung, vermögen den durch den Straßenbau vollzogenen Einschnitt in den Jagdbezirk nicht auszugleichen, da die Böschungsbepflanzung schon wegen der ständigen Störung durch den Kraftfahrzeugverkehr keinen nachhaltigen Ausgleich schaffen kann. Im Übrigen ist auch die Erschließung des Jagdbezirks der Klägerin durch den Trassenverlauf beeinträchtigt. Revierteile sind augenscheinlich nun nicht mehr so gut wie vor dem Neubau oder nur durch Inkaufnahme von Umwegen zu erreichen. Letztlich ist nicht auszuschließen, dass die Klägerin wegen dieser erheblichen Beeinträchtigungen bei Neuverpachtungen mit Pachtabschlägen gegenüber dem marktgerechten Jagdpachtzins rechnen muss.

Ende der Entscheidung

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