Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 13.07.2007
Aktenzeichen: 10 A 11052/06.OVG
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG, RL 2004/83/EG, EMRK, tStGB


Vorschriften:

AsylVfG § 28 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5
AsylVfG § 71 Abs. 1
RL 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 Art. 15 Buchst. b)
EMRK Art. 3
tStGB Art. 159 a.F.
tStGB § 301 n.F.
Zum politischen Charakter eines Strafverfahrens wegen Beleidigung der Sicherheitskräfte, des Militärs und des Rechtswesens der Türkei gemäß Art. 159 tStGB a.F. bzw. § 301 tStGB n.F. (hier bejaht).
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

10 A 11052/06.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Asylrechts (Türkei)

hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 13. Juli 2007, an der teilgenommen haben

Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Falkenstett Richter am Oberverwaltungsgericht Hennig ehrenamtlicher Richter Sparkassenbetriebswirt Coßmann ehrenamtliche Richterin Versicherungskauffrau Hoffmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Mainz vom 18. November 2004 sowie unter teilweiser Aufhebung des Asylbescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländsicher Flüchtlinge vom 28. Januar 2003 zur Feststellung verpflichtet, dass der Kläger in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 2 AufenthG i. V. m. Art. 15 Buchstabe b) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 erfüllt.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Von den das Begehren des Klägers betreffenden Kosten des Verfahrens beider Instanzen tragen der Kläger und die Beklagte jeweils die Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der im Jahr 1972 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Er ist verheiratet und hat drei in den Jahren 1989, 1992 und 1996 geborene Kinder. Die Familie stammt aus dem in der Nähe von Pazarcik gelegenen Dorf T..... .

Der Kläger reiste Anfang 1996 in das Bundesgebiet ein, wo er alsbald ein Asylverfahren einleitete. Zur Begründung machte er geltend: Er sei im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften in seinem Heimatdorf unter Druck gesetzt worden. Er fürchte zudem, im Rahmen der in der Türkei praktizierten Sippenhaft verfolgt zu werden, nachdem Verwandte wegen ihrer politischen Gegnerschaft zum türkischen Staat in die Bundesrepublik geflüchtet seien und hier Asyl erhalten hätten. Außerdem habe er nach seiner Einreise aber auch selbst an verschiedenen prokurdischen Veranstaltungen im Bundesgebiet teilgenommen. Dieses Asylverfahren blieb ohne Erfolg (vgl. Beschluss des Senates vom 13. April 2000 - 10 A 12903/98.OVG -).

Ende 1999 reisten die Ehefrau und die Kinder des Klägers nach Deutschland ein, wo sie ebenfalls um Asyl nachsuchten. Zur Begründung machten sie geltend: Seit der Ausreise des Klägers habe sich die Lage der Dorfbewohner weiter verschlechtert, wobei auch auf die Ehefrau wegen des Verdachts der Unterstützung der PKK Druck ausgeübt worden sei. Im Übrigen drohe auch ihnen im Hinblick auf die genannten Verwandten unter dem Gesichtspunkt der Sippenhaft Verfolgung. Dieses Asylverfahren blieb gleichfalls erfolglos (vgl. Beschluss des Senates vom 22. Oktober 2001 - 10 A 10529/01.OVG -).

Schon zuvor im Mai 2000 hatte der Kläger einen ersten Asylfolgeantrag gestellt. Zur Begründung verwies er darauf, dass er zwischenzeitlich seine prokurdischen Aktivitäten in der Bundesrepublik ausgeweitet habe und damit im Zusammenhang in einem Fernsehbericht des auch in der Türkei ausgestrahlten Senders MED-TV gezeigt worden sei. Dieses Folgeverfahren blieb ebenfalls ohne Erfolg (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 17. Oktober 2000 - 1 K 809/00.MZ -).

Im Januar 2002 beantragte der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau und den Kindern die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Zur Begründung führten sie aus: Sie könnten nunmehr durch Zeugen belegen, dass der Kläger schon vor seiner Ausreise aus der Türkei die PKK unterstützt gehabt habe und deshalb seinerzeit festgenommen worden sei und ebenso nach dessen Ausreise auch die Ehefrau unter Druck gesetzt worden sei. Inzwischen hätten beide Eheleute im Rahmen ihres exilpolitischen Engagements in einer unter ihrem Namen in der Zeitung "Özgür Politika" im Mai 2002 veröffentlichten Anzeige die Umbenennung der PKK in Kadek begrüßt. Des Weiteren stehe einer Rückkehr in die Türkei der Gesundheitszustand der Ehefrau entgegen. Auch diesem Verfahren blieb der Erfolg versagt (vgl. Beschluss des Senates vom 3. Dezember 2002 - 10 A 11700/02.OVG -).

Mit neuerlichem - den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden -Folgeantrag vom 30. Dezember 2002 bat der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau und den Kindern ein weiteres Mal um die Gewährung von Asyl. Zur Begründung machten sie geltend: Es gebe mittlerweile einen weiteren Zeugen, der bestätigen könne, dass nach dem Kläger wegen des Verdachts prokurdischer Aktivitäten gesucht werde. Zudem habe sich der Gesundheitszustand der Ehefrau, die sich seit Herbst 2002 wegen depressiver Störungen in fortlaufender Behandlung befinde, weiter verschlechtert.

Mit Bescheid vom 28. Januar 2003 lehnte die Beklagte sowohl die Durchführung eines neuerlichen Asylverfahrens als auch die Abänderung der bisherigen Asylbescheide bezüglich der Versagung sonstigen Abschiebungsschutzes ab; außerdem drohte sie dem Kläger erneut die Abschiebung an. Zur Begründung führte sie aus: Die durch einen weiteren Zeugen belegte Suche nach dem Kläger erlaube gegenüber den bisherigen Asylverfahren keine ihm günstigere Entscheidung, lasse sich doch aus dieser Suche in Abweichung von den bisherigen Feststellungen kein asylerhebliches Verfolgungsinteresse an seiner Person herleiten. Ebenso könne in der Erkrankung der Ehefrau kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 6 Ausländergesetz gesehen werden, da im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei nicht mit einer lebensbedrohlichen Verschlechterung ihrer Krankheit zu rechnen sei.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau und den Kindern am 4. Februar 2002 rechtzeitig Klage erhoben. Zur Begründung haben sie geltend gemacht: Inzwischen habe sich ausweislich einer Stellungnahme des Gesundheitsamtes Alzey-Worms vom 21. April 2004 herausgestellt, dass die Ehefrau offenbar vor dem Hintergrund in der Türkei erlittener sexueller Übergriffe an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide. Ein Abbruch der Behandlung im Bundesgebiet verbunden mit einer Rückführung in die Türkei würde eine massive Verschlimmerung ihres Leidens bewirken und die bei ihr bestehenden Suizidgedanken verstärken. Zwischenzeitlich habe der Kläger erfahren, dass seine Mutter unter dem Vorwurf, im August 1998 fahrlässig einen Waldbrand verursacht zu haben, mit Urteil vom 3. Mai 2001 zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden sei. Zu dieser Verurteilung sei es deshalb gekommen, weil sie sich im Strafverfahren mangels Kenntnis der türkischen Sprache nicht haben angemessen verteidigen können. Unterdessen habe seine Mutter am 30. September 2002 die Haft antreten müssen. Darüber habe sich der Kläger so erregt, dass er unter seinem Namen wie auch dem seiner Schwester H..... im Frühjahr 2003 einen öffentlichen Aufruf verfasst habe, den er an verschiedene Presseorgane aber auch an die an dem Strafverfahren gegen seine Mutter beteiligten Behörden und das Gericht geschickt und außerdem auch ins Internet gestellt habe. Wegen des Aufrufs sei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Am 28. Dezember 2003 sei gegen ihn ein Versäumnishaftbefehl ergangen. Die Staatsanwaltschaft habe am 9. Januar 2004 Anklage wegen Beleidigung und Herabsetzung der Sicherheitskräfte, des Militärs und des Rechtswesens der Türkei nach Maßgabe der Art. 159 Abs. 1 tStGB erhoben. Dabei sei der von ihm verfasste Aufruf mit folgendem Wortlaut zu Grunde gelegt worden:

"Meine Mutter, die im Dorf T..... Kreisstadt Pazarcik der Provinz Maras wohnhaft ist, konnte im Gericht kein Türkisch sprechen und deswegen nicht aussagen. Aus diesem Grund wurde sie verhaftet und sitzt derzeit im Gefängnis. Meine 60-jährige Mutter B....., die den Brand im Erdnussfeld bekannt gab, wurde von den Gendarmen verhört und danach zum Haftrichter vorgeführt, sitzt seit sieben Monaten im Gefängnis. Meine Mutter schnitt die uns gehörenden Nussbäume und sammelte das Unkraut drum herum und wollte es verbrennen. In diesem Augenblick griff das Feuer das herumliegende Gebüsch an und wurde zu einem großen Brand. Sie bemühte sich eine Zeitlang, um das Feuer zu löschen. Sie merkte, dass sie es alleine nicht schafft, ging sie in das Dorf und benachrichtigte die Dorfbewohner. Die Dorfbewohner konnten das Feuer löschen. Inzwischen warnten die militärischen Einheiten auch vor Ort. Dort haben sie meine Mutter ohne Rücksicht auf ihren Zustand verhaftet. Da meine Mutter nicht türkisch kann, versuchte sie in kurdisch den Vorfall den Gendarmen zu erklären. Sie wurde von den Soldaten geschlagen und gezwungen, in Türkisch zu sprechen. Sie blieb drei Tage in Gewahrsam und wurde von den Soldaten beleidigt. Meine Mutter, die seit September 2002 im Gefängnis von Gaziantep sitzt, wurde ohne Gerichtsverfahren ohne Rücksicht auf den Gesundheitszustand verhaftet, weil man keinen Dolmetscher holte.

Sie wissen sicherlich auch, dass Kurden seit mehreren Jahrhunderten dem Völkermord zum Opfer gefallen sind und massakriert wurden. Die Kurden waren immer als Menschen zweiter Klasse angesehen. Von den türkischen Soldaten wurden sie verbrannt. Sie waren dem Terror und der Gewalttaten dem faschistischen Republik der Türkei ausgesetzt. Der Grund hierüber ist, das kurdische Volk in seiner Zahl zu verringern und zu vernichten.

Die Handlanger dieses Regimes, die Richter haben mehrere kurdischen Menschen wie meine Mutter unberechtigt verhaftet und bestraft.

Nun möchte ich als Mensch meinen rechtlichen Anspruch einsetzen und gegen Regierungspräsidium von Maras, Sicherheitsdirektorium von Maras, Gendarmeriekommandantur von Maras, Landratsamt von Pazarcik, Gendarmeriekommandantur von Pazarcik, Sicherheitsdirektorium von Pazarcik und gegen die Strafkammer in Pazarcik meine Anzeige erstatten.

Meine derzeit gesundheitlich angeschlagene und im Gefängnis von Gaziantep inhaftierte Mutter wurde verhaftet und bestraft, weil sie nicht die gleiche Sprache spricht wie sie. Sie wurde in ihren Grundrechten gehindert. Sie wurde unter chounistischen Völkermordstraftaten von diesen Institutionen bestraft. Deswegen zeige ich sie an. Meine Mutter ist jetzt krank und braucht dringend ärztliche Hilfe.

In allen Institutionen der Republik Türkei gibt es unzählige Kurdenfeinde. Wir Kurden werden in allen Bereichen des Lebens als Menschen zweiter Klasse behandelt. Solange das kurdische Volk keinen eigenen Staat hat, werden diese Hohlköpfe uns niemals als gleichberechtigte Menschen ansehen. Ich rufe die gesamte Öffentlichkeit auf, die Augen aufzumachen und zu sehen, wie Kurden vom Staat und dessen Institutionen behandelt werden. Ein Gericht versagt jemanden das natürlichste Recht eines Menschen, sich in seiner eigenen Sprache zu reden und verweigert die zur Verfügungstellung eines Dolmetschers. So möchte ein Staat in die EU, wobei die Vernichtungspolitik gegen Kurden eine Staatspolitik ist. Viele Kurden wurden während des Krieges im Osten zu ungerechtfertigten Strafen verurteilt und gefoltert. Ich spreche alle Betroffenen an, schreit eure Wut gegen die ungleiche Behandlung von Menschen, denen das menschliche Leben versagt wird."

Es hätten - so das Klagevorbringen weiter - bereits mehrere Gerichtstermine stattgefunden; das Gericht habe sich jedoch jeweils vertagt, da erst die Vollstreckung des Haftbefehls habe abgewartet werden sollen. Außerdem habe das Justizministerium der Türkei ein Rechtshilfeersuchen erwogen, dann aber in der Annahme wieder verworfen, dass dieses von den deutschen Stellen ohnehin zurückgewiesen werde, da das Verfahren als politisches Verfahren anzusehen sei. Vor diesem Hintergrund müsse der Kläger im Falle einer Rückkehr in die Türkei mit politischer Verfolgung rechnen, zumal zu besorgen stehe, dass er schon aus Anlass seiner Verhaftung und nachfolgenden Überstellung an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden mit Folter und ähnlichen asylerheblichen Repressalien überzogen würde.

Dieser Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 18. November 2004 insoweit stattgegeben, als es der Ehefrau wegen ihrer Erkrankung Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG zuerkannt hat. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Hierzu ist in den Entscheidungsgründen ausgeführt: Die Frage einer politischen Verfolgung des Klägers sei im vorliegenden Asylfolgeverfahren nur noch im Hinblick auf den von ihm erstmals im gerichtlichen Verfahren eingeführten neuen Sachverhalt zu prüfen, wonach er angesichts des von ihm verfassten Aufrufs mit einem Strafverfahren nach Art. 159 Abs. 1 tStGB rechnen müsse. Die ihm damit im Zusammenhang drohende Strafverfolgung habe indessen keinen politischen Charakter im asylrechtlichen Sinne. Die Bestimmung selbst knüpfe nicht an asylerhebliche Merkmale an, sondern stelle lediglich eine Vorschrift des allgemeinen Staatsschutzes dar, wie sie auch in Deutschland anzutreffen sei. Hinzu komme, dass die Bestimmung neuerdings wesentlich entschärft worden sei, indem der Strafrahmen auf Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis drei Jahren herabgesetzt worden sei und bloße Meinungsäußerungen, die nicht in der Absicht der Beleidigung, sondern lediglich der Kritik gemacht worden seien, gänzlich straflos blieben. Ebenso wenig stehe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu besorgen, dass der Kläger durch die Sicherheitskräfte gefoltert werde, da das türkische Recht Folter und Misshandlung verbiete und auch nach den Lageberichten des Auswärtigen Amtes davon ausgegangen werden könne, dass zurückkehrende Asylbewerber in der Türkei nicht gefoltert würden. Aus dem Gesamtzusammenhang sei für jedermann ersichtlich, dass die in dem Aufruf enthaltenen verbalen Ausfälle und aggressiven Äußerungen gegen die Kurdenpolitik der Türkei in erster Linie auf der besonderen persönlichen Betroffenheit des Klägers wegen der Verurteilung seiner Mutter beruhten. Da er in dem Aufruf außerdem auch noch seine Schwester als Mitunterzeichnerin benannt habe, sei er offenbar selbst nicht davon ausgegangen, dass der Aufruf zu gravierenden Folgen führen werde. Vor diesem Hintergrund habe der Kläger auch keinen Anspruch auf die Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG. Ebenso bestünden zu seinen Gunsten keine anderweitigen Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG. Die gegen ihn ergangene Abschiebungsandrohung finde ihre rechtliche Grundlage in § 35 AsylVfG und sei gleichfalls nicht zu beanstanden.

Gegen dieses Urteil hat sich der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau und den Kindern mit ihrer vom Senat beschränkt auf das Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG/§ 60 Abs. 1 AufenthG bezüglich des Klägers bzw. des § 26 Abs. 4 AsylVfG bezüglich der Ehefrau und der Kinder zugelassenen Berufung gewandt. Diese Berufung hat der Senat mit Urteil vom 18. November 2005 - 10 A 10580/05.OVG - zurückgewiesen. Dem daraufhin allein vom Kläger gestellten Antrag auf Zulassung der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 2. August 2006 - BVerwG 1 B 20.06 - entsprochen; zugleich hat es die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung macht der Kläger geltend: Ihm drohten bereits im Vorfeld sowie sodann während des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens asylerhebliche Repressalien. Der Umstand, dass die Anklage gegen ihn zugelassen und das daraufhin eröffnete Hauptverfahren seitdem immer wieder vertagt worden sei, belege das an seiner Person von Seiten des türkischen Staates bestehende ernsthafte Verfolgungsinteresse. Darüber hinaus stelle das Strafverfahren, das sich gegen sein Recht auf freie Meinungsäußerung richte, aber auch bereits per se politische Verfolgung dar.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Mainz vom 18. November 2004 und teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 28. Januar 2003 zur Feststellung zu verpflichten, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise des § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG vorliegen,

hilfsweise,

dass er in seiner Person die Voraussetzungen eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt,

hilfsweise,

dass ihm subsidiärer Schutz nach der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 zusteht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung macht sie geltend: Das Begehren des Klägers auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG könne schon deshalb keinen Erfolg haben, weil es sich bei seinem Aufruf um einen nach dem Abschluss der früheren Asylverfahren von ihm selbst geschaffenen subjektiven Nachfluchtgrund handele, so dass der insoweit erstrebten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bereits die Bestimmung des § 28 Abs. 2 AsylVfG entgegen stehe. Im Übrigen sei aber auch nicht zu erkennen, dass dem Kläger im Rahmen seiner strafrechtlichen Verfolgung nach Art. 159 tStGB oder im Zusammenhang mit den Begleitumständen eines solchen Strafverfahrens politische Verfolgungsmaßnahmen bzw. anderweitige schwerwiegende Übergriffe drohten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die vorgelegten Verwaltungsakten nebst den die bisherigen Asylverfahren des Klägers sowie seiner Ehefrau und seiner Kinder betreffenden Verwaltungs- und Gerichtsakten verwiesen. Die genannten Vorgänge sowie die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse zur Verfolgungsgefährdung der Kurden in der Türkei waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, führt in dem sich aus der Urteilsformel ersichtlichem Umfang teilweise zum Erfolg. Dabei ist Gegenstand der Berufung entsprechend der eingeschränkten Zulassung der Berufung sowie der den Kläger allein betreffenden Zurückverweisung der Sache durch das Bundesverwaltungsgericht nur noch dessen Begehren auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufentG einschließlich der damit verbundenen Hilfsanträge auf Gewährung nachrangigen Schutzes.

Hiernach aber hätte das Verwaltungsgericht die Klage insoweit nicht abweisen dürfen, als der Kläger mit ihr zugleich - hilfsweise - die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung begehrt, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG bzw. des § 60 Abs. 2 AufenthG i. V. m. Art. 15 Buchstabe b) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Amtsblatt der EU L 304/12 vom 30. September 2004) erfüllt sind; denn der Kläger hat einen Anspruch auf die Gewährung dieses subsidiären Schutzes.

Zunächst kann der Kläger verlangen, dass für ihn ein erneutes Asylverfahren durchgeführt wird. Dabei mag dahinstehen, ob ein solcher Anspruch bereits im Zeitpunkt der Stellung seines neuerlichen Folgeantrages am 28. Januar 2003 bestanden hat; denn er besteht jedenfalls aus heutiger Sicht, nachdem sich der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren beginnend mit seinem Schriftsatz vom 28. April 2003 auf eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 51 Abs. 1 VwVfG berufen hat, die von ihm seinerzeit innerhalb der Frist des § 71 Abs. 1 i. V. m. § 51 Abs. 3 VwVfG geltend gemacht worden war und auch nicht etwa in seinen vorangegangenen Asylverfahren hatte geltend gemacht werden können. Damit im Zusammenhang hat er sich auf den von ihm im Frühjahr 2003 verfassten Aufruf und dessen Übersendung an verschiedene staatliche Stellen in Pazarcik berufen sowie sodann fortlaufend auf das daraufhin gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren, den gegen ihn am 28. November 2003 ergangenen Haftbefehl, die diesbezüglich unter dem 9. Januar 2004 gemäß Art 159 Abs. 1 tStGB erhobene Anklage wegen Beleidigung und Herabwürdigung der Sicherheitskräfte, des Militärs und des Rechtswesens des türkischen Staates sowie die nachfolgende Eröffnung eines gegen ihn gerichteten entsprechenden Strafverfahrens und dessen Vertagungen.

Dabei bildet den Gegenstand des damit erneut durchzuführenden Asylverfahrens die vom Kläger vor dem Hintergrund dieser Sachverhaltsänderung - wie bereits eingangs erwähnt - mit seiner Berufung in erster Linie weiterverfolgte Verpflichtung der Beklagten auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. sodann die von ihm in diesem Rahmen hilfsweise erstrebte Zuerkennung der dieser Feststellung nach geordneten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG bzw. sonstiger Schutzmöglichkeiten. Dass sich der Kläger mit seinem Folgeantrag auf Umstände stützt, die er - wie noch darzustellen sein wird - nach dem Abschluss seiner früheren Asyl- bzw. Asylfolgeverfahren aus eigenem Entschluss geschaffen hat, und dass deshalb in diesem neuerlichen Asylverfahren gemäß § 28 Abs. 2 AsylVfG in der Regel eine entsprechende Feststellung zu § 60 Abs. 1 AufenthG nicht getroffen werden kann, bleibt in diesem Zusammenhang außer Betracht. Wie sich insofern aus dem Wortlaut der Bestimmung selbst ergibt, greift der in Rede stehende Ausschluss erst dann Platz, wenn "im Übrigen die Voraussetzungen für die Durchführung eines Folgeverfahrens vorliegen"; tatsächlich lässt sich denn auch die Frage nach dem Vorliegen eines etwaigen Ausnahmefalls sinnvollerweise erst im Anschluss an die in dem neuerlichen Asylverfahren durchzuführende Prüfung der Begründetheit des Folgeantrages beantworten.

Steht hiernach fest, dass angesichts der Verfahrenserheblichkeit des neuerlichen Folgeantrages des Klägers im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylVfG in dessen - auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG einschließende - Erfolgswürdigung einzutreten ist, so zeigt sich weiter, dass der Kläger angesichts des gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens im Falle seiner Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft mit politischer Verfolgung überzogen zu werden. Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Senat sich aus den von ihm in seinem Urteil vom 18. November 2005 - 10 A 10580/05.OVG - dargelegten Gründen seinerzeit nicht die Überzeugung zu bilden vermocht hatte, dass von Seiten der türkischen Sicherheitskräfte an dem Kläger mangels einer bei ihm festzustellenden ernsthaften politischen Gegnerschaft ein nachhaltiges politisches Verfolgungsinteresse besteht, und gilt ebenso, ohne dass dieser Frage etwa mit Blick auf die weitere Persönlichkeitsentwicklung des Klägers oder auf die seitdem in der Türkei zu verzeichnende neuere innenpolitische Entwicklung nochmals nachgegangen werden müsste, jedenfalls deshalb, weil dieses Strafverfahren bereits als solches einen entsprechenden Verfolgungscharakter hat.

Insofern geht der Senat im Anschluss an die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 80, S. 315 und 81, S. 142) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwGE 80, S. 136) davon aus, dass eine staatliche Verfolgung dann eine politische ist, wenn sie den Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn nach ihrer Intensität aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. In diesem Zusammenhang kann auch eine strafrechtliche Verfolgung von Verhaltensweisen, die aus sich heraus eine Umsetzung politischer Überzeugung darstellen, grundsätzlich politische Verfolgung sein, da ein asylerheblicher Angriff auf die politische Überzeugung auch dann vorliegt, wenn das von ihr miterfasste Mindestmaß an Äußerungs- und Betätigungsmöglichkeiten eingeschränkt wird, das darin besteht, dass der Betreffende seine Meinung auch nach außen hin bekundet und dabei auf Dritte meinungsbildend einwirkt. Stellt eine Strafnorm eine von dieser Absicht getragene Meinungsäußerung unter Strafe, so liegt mithin regelmäßig politisch motivierte Verfolgung vor. Dies gilt hierbei auch dann, wenn der Staat mit seinem Vorgehen das Rechtsgut seines eigenen Bestandes oder seiner eigenen politischen Identität bzw. Ordnung verteidigt. Es bedarf daher in derartigen Fällen weiterer Kriterien, um etwaige Strafverfahren gleichwohl aus dem Begriff der politischen Verfolgung herausfallen zu lassen. Solche Kriterien sind namentlich der Rechtsgüterschutz im Sinne des Schutzes der Rechtsgüter der Staatsbürger; denn die Verfolgung kriminellen Unrechts in diesem Sinne ist keine politische Verfolgung. Daneben sind aber auch alle weiteren objektiven Umstände in den Blick zu nehmen. So stellt sich die Verfolgung von Delikten gegen politische Rechtsgüter gleichwohl nicht als politische Verfolgung dar, wenn derartige Umstände darauf schließen lassen, dass die Verfolgung nicht mehr der mit dem Delikt betätigten Überzeugung gilt, sondern einer in solchen Taten zum Ausdruck gelangenden zusätzlichen Komponente, deren Strafbarkeit der Staatenpraxis geläufig ist. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Straftaten in einer besonders kritischen, über die Bedrohung der staatlichen Einheit oder bestehenden politischen Ordnung hinausgehenden, die Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar gefährdenden Spannungslage verfolgt werden, sei es um wiederum die privaten Rechte der Bürger zu schützen oder sei es um gegen Äußerungen vorzugehen, die in einer durch terroristische Aktivitäten tief greifend verunsicherten Situation derart demonstrativ erfolgen, dass sie geradezu als Unterstützung des Terrorismus verstanden werden müssen.

Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Vorgaben stellt das gegen den Kläger Anfang 2004 auf der Grundlage des Art. 159 Abs. 1 tStGB eröffnete Strafverfahren politische Verfolgung dar. Nach dieser Bestimmung wird unter anderem mit Zuchthaus von einem Jahr bis sechs Jahren bestraft, wer - wie dem Kläger zum Vorwurf gemacht wird - die militärischen oder polizeilichen Sicherheitskräfte des türkischen Staates oder die moralische Persönlichkeit der türkischen Justiz öffentlich beleidigt und schmäht (vgl. Dr. Tellenbach, Stellungnahme vom 17. April 2004). Dass Art. 159 tStGB zwischenzeitlich außer Kraft gesetzt wurde und im Rahmen der Neufassung des türkischen Strafgesetzbuches zum 1. Juni 2005 an seine Stelle nunmehr § 301 Abs. 2 tStGB getreten ist, hat zwar zu einer Abschwächung des Strafrahmens geführt, indem hiernach demjenigen, der die Einrichtungen des Militärs oder der Sicherheitskräfte bzw. die Justizorgane erniedrigt, nur noch eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis zu zwei Jahren droht (vgl. AA, Lagebericht vom 3. Mai 2005), hat jedoch an der generellen Strafbarkeit derartiger Meinungsäußerungen nichts geändert. Dem entsprechend ist denn auch das gegen den Kläger anhängig gemachte Strafverfahren ausweislich der von ihm diesbezüglich vorgelegten Vertagungsbeschlüsse des Strafgerichts über diesen Zeitpunkt hinaus fortgeführt worden.

Bereits nach dem Wortlaut des Art. 159 Abs. 1 tStGB a. F. bzw. § 301 Abs. 2 tStGB n. F. kann nicht zweifelhaft sein, dass diese beiden, zu den Staatsschutztatbeständen gehörenden Bestimmungen darauf abzielen, Meinungsäußerungen, so sie die militärischen oder polizeilichen Sicherheitskräfte sowie die Justiz als die maßgeblichen Stützen des türkischen Staates und seiner politischen Ordnung betreffen, strafrechtlich zu verfolgen. Diese Zielsetzung lässt ein auf sie gestütztes Strafverfahren mithin per se als politische Verfolgung erscheinen. Dass die Bestimmungen erst dann als erfüllt anzusehen sind, wenn diese Äußerungen die genannten Institutionen beleidigen bzw. erniedrigen, reicht dem gegenüber für sich genommen nicht aus, um den Verfolgungscharakter eines derartigen Strafverfahrens zu verneinen. Zusätzliche Einschränkungen ihres Anwendungsbereichs dergestalt, dass eine strafrechtliche Verfolgung nur dann in Betracht kommt, wenn der Schutz der privaten Rechte der Bürger dies erfordert oder eine die Sicherheit der Bevölkerung gefährdende Spannungslage besteht, finden sich nicht.

Soweit in Art. 159 Abs. 5 tStGB a. F. bzw. § 301 Abs. 4 tStGB n. F. in diesem Zusammenhang bestimmt ist, dass die Erfüllung des Beleidigungstatbestandes dann nicht gegeben ist, wenn die betreffende Äußerung nicht mit der Absicht der Beschimpfung, sondern mit der der Kritik getan wurde, kann die generelle Tragweite dieser Ausschlussnorm wie auch deren praktische Handhabung durch die türkischen Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte in vergleichbar gelagerten Fällen (vgl. dazu Dr. Tellenbach, Stellungnahme vom 17. April 2004, 2. und 30. April 2006 sowie Oberdiek, Gutachten vom 18. August 2006) vorliegend dahin stehen; denn sie wurde ersichtlich jedenfalls dem Kläger nicht zu Gute gebracht, da es andernfalls schon nicht zur Anklageerhebung bzw. jedenfalls nicht zur Eröffnung des Strafverfahrens gekommen wäre.

Tatsächlich wird denn auch sonst beanstandet, dass die in Rede stehenden Bestimmungen immer wieder herangezogen werden, um Personen, die ihr Meinungsäußerungsrecht wahrnehmen, namentlich staatliche Institutionen kritisieren, strafrechtlich zu verfolgen. Ähnlich wird eingeräumt, dass die auf diesen Normen beruhende Strafverfolgung im Falle friedlicher Meinungsäußerung Anlass zu ernster Besorgnis gibt, zumal dadurch ein Klima der Selbstzensur geschaffen werden könnte. Und endlich wird vor diesem Hintergrund gerügt, dass in der Türkei nach wie vor Gesetze in Kraft sind, die das Recht der freien Meinungsäußerung in gravierender Weise einschränken, und dass auf deren Grundlage Strafverfahren gegen Personen eingeleitet werden, die lediglich in friedlicher Weise ihrer Überzeugung Ausdruck verleihen. Dabei wird zudem auch in der strafeinschränkenden Regelung des § 301 Abs. 4 tStGB kein angemessenes Korrelat gesehen, da allein die Einleitung der Strafverfahren für die Betroffenen schwer genug wiegt und die allgegenwärtige Strafdrohung reicht, um abweichende Stimmen zum Schweigen zu bringen (vgl. EU-Fortschrittsbericht vom 6. Oktober 2004, S. 37, AA, Lagebericht vom 11. Januar 2007, S. 14 und 27, ai-Jahresbericht 2007, Bl. 938 GA sowie Eidgenossenschaftsbericht vom 5. Februar 2007).

Ist hiernach davon auszugehen, dass dem Kläger wegen seines Aufrufes bereits aufgrund des gegen ihn nach Art. 159 Abs. 1 tStGB a. F. bzw. § 301 Abs. 2 tStGB n.F. anhängigen Strafverfahrens zumal angesichts dessen für ihn zwangsläufigen Begleiterscheinungen wie seiner Verhaftung an der Grenze auf der Grundlage des bestehenden Haftbefehls, seiner nachfolgenden Überstellung an das für das Verfahren zuständige Strafgericht in Pazarcik sowie seines ihn alsdann dort jedenfalls bis auf Weiteres erwartenden Gefängnisaufenthaltes politische Verfolgung droht, so kommt es vorliegend auf die ansonsten in der Türkei in entsprechenden Fällen zu verzeichnende Strafverfolgungspraxis nicht an, auch wenn die Strafgerichte - wie sich gleichfalls aus den soeben angeführten Erkenntnisquellen ergibt - die Betreffenden hernach oftmals freisprechen mögen.

Allerdings bedeutet die Erkenntnis einer dem Kläger hiernach mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden politischen Verfolgung nicht, dass damit auch die Beklagte entsprechend seinem Hauptantrag zur Feststellung zu verpflichten wäre, dass er in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG erfüllt. Insofern muss sich der Kläger vielmehr entgegenhalten lassen, dass er mit seinem Aufruf die jetzigen Verfolgungsgründe aus eigenem Entschluss und zudem auch erst nach der Durchführung sogar mehrerer jeweils erfolgloser Asylverfahren geschaffen hat. Damit unterfällt er dem Anwendungsbereich des § 28 Abs. 2 AsylVf, wonach in Fällen, in denen ein Ausländer nach der unanfechtbaren Ablehnung eines früheren Asylantrages einen neuerlichen Asylantrag auf selbst geschaffene Nachfluchtgründe stützt, ungeachtet der gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG gebotenen Durchführung eines neuerlichen Asylverfahrens in der Regel die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht getroffen werden kann. Mit dieser Regelung soll für erfolglos gebliebene Asylbewerber der Anreiz genommen werden, durch neu geschaffene Nachfluchtgründe doch noch eine dauerhafte Aufenthaltsabsicherung zu erreichen, wie sie ansonsten gemäß § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG lediglich für Asylberechtigte bzw. politische Flüchtlinge vorgesehen ist. Sie müssen sich somit auf die anderweitig bestehenden insofern nachrangigen Abschiebungsverbote - wie namentlich die des § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG - bzw. sonstige subsidiäre Schutzmöglichkeiten verweisen lassen, mit denen indessen eine entsprechende Verfestigung ihres aufenthaltsrechtlichen Status gerade nicht einhergeht. Da sie damit im Hinblick auf die ihnen drohende politische Verfolgung nicht schutzlos bleiben, erscheint der Wegfall des § 60 Abs. 1 AufenthG in Fällen der vorliegenden Art auch aus der Sicht der Genfer Flüchtlingskonvention hinnehmbar, da diese insoweit nicht etwa die dauerhafte Aufnahme von Ausländern verlangt, sondern lediglich Abschiebungsschutz für die Dauer der Bedrohung garantiert (vgl. dazu BT-Drucks. 15/420, S. 109, GK-AsylVfG, Stand: Dezember 2004, § 28 Rdnr. 48 sowie Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration vom August 2005, Erl. 2.3).

Dabei steht der Anwendung des § 28 Abs. 2 AsylVfG vorliegend auch nicht etwa der Umstand entgegen, dass diese Regelung nach Art. 15 Abs. 3 des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthaltes und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) erst am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, wogegen der Aufruf des Klägers bereits aus dem Jahr 2003 datiert und auch die sich daraus für ihn ergebende Verfolgungssituation ebenfalls bereits im Jahr 2003 einsetzte. Dies folgt daraus, dass nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in asylrechtlichen Streitigkeiten die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Befassung maßgeblich ist, ohne dass das Gesetz in Bezug auf § 28 Abs. 2 AsylVfG etwa eine abweichende Übergangsregelung enthält. Darüber hinaus ergibt sich aber auch aus der Anwendung dieser Bestimmung auf den Kläger ungeachtet dessen keine unzumutbare Härte, dass er zum Zeitpunkt des Verfassens des Aufrufes und der damit von ihm hervorgerufenen Verfolgungssituation davon ausgegangen sein mag, im Falle seiner Anerkennung als politischer Flüchtling gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG nun doch noch zu einer Aufenthaltsverfestigung gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG gelangen zu können. Dies muss schon deshalb gelten, weil es im vorliegenden Verfahren zunächst einmal nur um den Schutz des Klägers vor Verfolgung geht, den er - wie aufgezeigt und insoweit noch weiter auszuführen sein wird - nach wie vor erhält, wohin gegen die Art des mit dieser Schutzgewährung im Übrigen verbundenen Aufenthaltssicherung nur eine nachgeordnete Rolle spielt und insoweit überdies auch nur eine unwesentliche Minderung zu verzeichnen ist (vgl. dazu bereits Beschluss des 6. Senates des erkennenden Gerichts vom 27. Januar 2006 - 6 A 10761/05.OVG -).

Schließlich greift § 28 Abs. 2 AsylVfG vorliegend Platz, ohne dass etwa Ausnahmegründe ersichtlich sind, die ein Abweichen von der darin vorgeschriebenen Regelfallversagung in Bezug auf § 60 Abs. 1 AufenthG erlaubten. Mit § 28 Abs. 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die Beachtlichkeit von subjektiven Nachfluchtgründen für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG im Folgeverfahren einerseits und für die Gewährung von Asyl andererseits so koordiniert, dass sie von nun an auch in ihren aufenthaltsrechtlichen Rechtsfolgen gleichgestellt werden können. Zu diesem Zweck knüpft § 28 Abs. 2 AsylVfG zunächst am Tatbestand des Absatzes 1 dieser Vorschrift an, der die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Asylrelevanz von Nachfluchtgründen in das einfache Gesetzesrecht übertragen hat. Hiernach setzt das Asylgrundrecht regelmäßig den kausalen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht voraus. Bei subjektiven Nachfluchtgründen, die der Asylbewerber nach Verlassen des Heimatlandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, kann mithin eine Asylanerkennung nur dann in Betracht kommen, wenn sie sich als Ausdruck und Fortführung einer schon vor seiner Flucht aus seiner Heimat vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellen (vgl. BVerfGE 74, S. 51). Dieses in § 28 Abs. 1 AsylVfG angelegte Regel-Ausnahmeverhältnis sowie die für das Verständnis dieser Bestimmung maßgeblichen Grundsätze und Auslegungskriterien hat der Gesetzgeber nunmehr im Rahmen des Ausschlusstatbestandes des § 28 Abs. 2 AsylVfG auf die Fälle, in denen über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in einem Folgeverfahren zu entscheiden ist, übertragen. Daraus folgt, dass nach § 28 Abs. 2 AsylVfG die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG ebenfalls in der Regel entfallen soll, wenn die nach Abschluss eines vorangegangenen Asylverfahrens vom Asylbewerber aus eigenem Entschluss geschaffenen Verfolgungsgründe mangels Kausalität zwischen Verfolgung und Flucht ihrerseits - der Regel entsprechend - asylrechtlich unbeachtlich bleiben müssten. Eine Ausnahme von dieser Regel der Unbeachtlichkeit des subjektiven Nachfluchtgrundes ist damit sowohl für den Anwendungsbereich des Asylgrundrechts wie auch des § 60 Abs. 1 AufenthG jeweils dann zugunsten des Asylbewerbers zu machen, wenn dessen Nachfluchtaktivitäten sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthaltes im Heimatland vorhandenen und erkennbar betätigten Überzeugung darstellen oder wenn sich der Asylbewerber aufgrund seines Alters und Entwicklungsstandes im Heimatland noch keine feste Überzeugung bilden konnte (vgl. dazu ebenfalls den bereits genannten Beschluss des 6. Senates des erkennenden Gerichts vom 5. Januar 2006 - 6 A 10761/05.OVG - m. w. N.).

Ausnahmegründe in diesem Sinne kann der Kläger indessen nicht vorweisen, nachdem ihm in seinen früheren Asylverfahren die von ihm geltend gemachten Vorfluchtgründe nicht geglaubt worden waren und ihm auch der Senat bereits in seinem Urteil vom 18. November 2005 (a. a. O.) diesbezüglich nicht abgenommen hatte, dass er sich vor seiner Ausreise aus der Türkei politisch betätigt gehabt hatte bzw. überhaupt politisch interessiert gewesen war. An dieser Einschätzung hat sich seitdem nichts geändert. Danach muss es aber dabei bleiben, dass der Aufruf des Klägers, der nunmehr zu der Gefahr seiner politischen Verfolgung führt, vom sicheren Aufenthaltsstaat aus verfasst wurde und damit dem gesetzlichen Regelfall entsprechend angesichts des so vom Kläger selbst geschaffenen rechtspolitisch missbilligten Schutzbedürfnisses für die Gewährung des von ihm in erster Linie erstrebten Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 1 AufenthG unbeachtlich ist.

Hat sich nach alledem die weitere Prüfung auf die Frage, ob der Kläger dann nicht zumindest die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach Maßgabe des § 60 Abs. 2 bis 6 AufenthG erfüllt, zu beschränken, so zeigt sich insoweit allerdings, dass ihm angesichts der Überziehung mit einem Strafverfahren auf der Grundlage des Art. 159 Abs. 1 tStGB a.F. bzw. § 301 Abs. 2 tStGB n.F. und dessen politischem Verfolgungscharakter Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 ERMK bzw. § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchstabe b) der seit dem 10. Oktober 2006 anzuwendenden Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (vgl. dazu die entsprechenden Hinweise des Bundesministeriums des Innern vom 13. Oktober 2006) zu gewähren ist. Nach der im Zusammenhang mit § 60 Abs. 5 AufenthG genannten Bestimmung der Europäischen Menschenrechtskonvention darf niemand einer erniedrigenden Behandlung durch Inhaftierung, Überstellung an ein Strafgericht oder Untersuchungshaft unterzogen werden, wobei diese Voraussetzungen regelmäßig auch dann als erfüllt anzusehen sind, wenn das Strafverfahren als solches eine politische Verfolgung darstellt. Sofern damit im Zusammenhang gefordert wird, dass diese politische Verfolgung, um in den Anwendungsbereich der Europäischen Menschenrechtskonvention zu fallen, einen besonderen Schweregrad und ein Element der Menschenwürdeverletzung aufweisen muss, sieht der Senat diese Voraussetzungen angesichts dessen, dass den Kläger dessen Verhaftung, Überstellung an das Strafgericht von Pazarcik und eine gegebenenfalls längere Untersuchungshaft erwartet und der Grund für diese Repressalien darin liegt, dass er insoweit wegen seines Aufrufes auch zur Abschreckung anderer zum Objekt solchermaßen staatlichen Handelns gemacht wird, als gegeben an (vgl. Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Stand Mai 2007, § 60 AufenthG, Rdnr. 96, § 53 Rdnr. 225 sowie ferner BVerwGE 111, S. 223). Damit sind zugleich auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufentG i. V. m. Art 15 Buchstabe b) der angeführten Richtlinie erfüllt, der ebenfalls einschlägig ist, wenn für einen Ausländer - wie hier für den Kläger - die konkrete Gefahr unter anderem einer erniedrigenden Behandlung im soeben angesprochenen Sinne besteht.

Ungeachtet der Zuerkennung dieser Abschiebungsverbote begegnet die gegen den Kläger neuerlich ausgesprochene Abschiebungsandrohung keinen rechtlichen Bedenken; sie findet ihre gesetzliche Grundlage in § 34 AsylVfG i. V. m. § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO und betrifft insoweit das Begehren des Klägers im eingangs dargestellten Sinne.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannte Art nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

Zurück