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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 27.03.2009
Aktenzeichen: 10 A 11116/08.OVG
Rechtsgebiete: JAPO


Vorschriften:

JAPO F. 29.12.1993 § 9 Abs. 4
Zur Fehlerhaftigkeit der Bewertung einer Aufsichtsarbeit im Rahmen der ersten juristischen Staatsprüfung (Nichtverwendung eines Schlagworts bei im Übrigen zutreffender Abhandlung; falsche Wortwahl unter Zeitdruck; kein Hilfsgutachten bei mehreren rechtlichen Ansätzen auf derselben Stufe).
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES

10 A 11116/08.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Nichtbestehens der ersten juristischen Staatsprüfung

hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. März 2009, an der teilgenommen haben

Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling Richter am Oberverwaltungsgericht Hennig Richter am Oberverwaltungsgericht Möller ehrenamtliche Richterin Sporttherapeutin Lütkefedder ehrenamtlicher Richter Landwirtschaftsmeister Klöppel

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 21. Mai 2008 der Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 22. Juni 2007 und des dazu ergangenen Widerspruchsbescheids vom 2. November 2007 verpflichtet, über das Ergebnis der ersten juristischen Staatsprüfung der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Der Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid über das wiederholte Nichtbestehen der ersten juristischen Staatsprüfung.

Nachdem sie Ende 2004 die Prüfung erstmals nicht bestanden hatte - die Gesamtnote der schriftlichen Prüfung war 2,12 Punkte -, unterzog sie sich im Frühjahr 2007 als Wiederholerin erneut der ersten juristischen Staatsprüfung. Nunmehr erzielte sie in den Aufsichtsarbeiten die Gesamtnote 3,87 Punkte. Dabei wurden die Aufsichtsarbeit Nr. 02 (Öffentliches Recht) mit 4,5 Punkten, die Aufsichtsarbeit Nr. 03 (Öffentliches Recht) mit 5 Punkten (erster Prüfer 4 Punkte, zweiter Prüfer 6 Punkte) und die Aufsichtsarbeit Nr. 07 (Wahlfach) mit 6,5 Punkten bewertet.

Mit Bescheid vom 22. Juni 2007 stellte der Beklagte fest, dass die Klägerin die Prüfung wiederholt nicht bestanden habe.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch, den sie nicht begründete.

Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 2. November 2007 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt: Mangels Widerspruchsbegründung habe kein Anlass zur Einholung von Prüferstellungnahmen bestanden. Es seien aber auch keine Bewertungsfehler ersichtlich. Die Prüfer hätten die vergebene Punktzahl jeweils umfassend, sachlich zutreffend und nachvollziehbar begründet und in nicht angreifbarer Weise von dem ihnen zustehenden Beurteilungsspielraum Gebrauch gemacht. Auch Verfahrensfehler seien keine ersichtlich.

Darauf hat die Klägerin fristgerecht Klage erhoben und sich gegen die Bewertung der Aufsichtsarbeiten Nrn. 02, 03 und 07 gewandt. Dabei hat sie zur Aufsichtsarbeit Nr. 03, in der die Verfassungsgemäßheit des § 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes zu prüfen war, rechtliche Bedenken nur in Bezug auf die Bewertung durch die Erstprüferin geäußert. Hierzu hat sie vorgetragen: Der Klausurenschwerpunkt sei unzutreffend bewertet worden. Ein entscheidender Hauptschwerpunkt habe bei den Grundrechtsprüfungen gelegen, insbesondere der Prüfung, ob die Würde des Menschen dadurch angetastet werde, dass im Falle eines Terrorangriffs Flugzeuge mit Passagieren abgeschossen werden dürften. Sie habe hierzu zutreffende und sehr ausführliche Angaben gemacht und sei dabei inhaltlich auf die sogenannte "Objektformel" eingegangen, ohne allerdings diesen Begriff selbst anzuführen. Die Erstprüferin habe allein deswegen ihre eindeutig auf die "Objektformel" hinzielenden Ausführungen zu dem besagten Hauptschwerpunkt der Klausur für mangelhaft erachtet. Das stelle einen Beurteilungsfehler dar. Die Erstprüferin habe damit ihre Schwerpunktsetzung im Hinblick auf die Prüfung von Art. 1 des Grundgesetzes nicht hinreichend gewürdigt.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 22. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2007 zu verpflichten, über das Ergebnis der der ersten juristischen Staatsprüfung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte hat

Klageabweisung

beantragt und auf die Ausführungen der Klägerin zur Aufsichtsarbeit Nr. 03 entgegnet: Wenn die Klägerin geltend mache, der Klausurenschwerpunkt sei unzutreffend bewertet worden, sie habe zutreffende und sehr ausführliche Angaben zur Prüfung von Art. 1 des Grundgesetzes gemacht, greife sie in den Beurteilungsspielraum der Erstprüferin ein. Mit Blick auf die Nichterwähnung des Begriffs der "Objektformel" versuche sie, eine Prüferkritik als nicht schwerwiegend darzustellen, und nehme damit eine unmaßgebliche Eigenbewertung vor. Unzutreffend sei schließlich, dass allein aufgrund der fehlenden Begriffsnennung ihrer Ausführungen als gering eingeschätzt worden seien.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. Mai 2008 abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Neubescheidung, da der Bescheid des Beklagten vom 22. Juni 2007 und der dazu ergangene Widerspruchsbescheid vom 2. November 2007 rechtlich nicht zu beanstanden seien. Die Bewertungen der Aufsichtsarbeiten Nrn. 02, 03 und 07 litten nicht an Bewertungsfehlern. Was die Aufsichtsarbeit Nr. 03 angehe, nehme die Klägerin eine unmaßgebliche Eigenbewertung vor, wenn sie rüge, die Erstprüferin habe den Klausurenschwerpunkt unzutreffend bewertet, weil sie insofern zutreffende und sehr ausführliche Angaben gemacht habe. Ihre Annahme, die Erstprüferin habe allein aufgrund des Fehlens der Nennung des Begriffs "Objektformel" ihre Ausführungen als gering eingeschätzt, sei falsch. Die Erstprüferin habe lediglich richtig festgestellt, dass der Begriff der "Objektformel" nicht genannt worden sei; die entsprechenden Klausurausführungen habe sie jedoch zur Kenntnis genommen und dazu ausgeführt, dass die Prüfung einer Grundrechtsverletzung von Art. 2 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes richtig differenziert nach Tätern und Opfern erfolge.

Mit Beschluss vom 1. Oktober 2008 hat der Senat auf den Antrag der Klägerin die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit wegen ernstlicher Zweifel an dessen Richtigkeit zugelassen, als sich die Klägerin im Rahmen ihres auf die Verpflichtung des Beklagten zur neuen Entscheidung über das Ergebnis der ersten juristischen Staatsprüfung gerichteten Begehrens gegen die Bewertung der Aufsichtsarbeit Nr. 03 durch die Erstprüferin wendet.

Die Berufung hat die Klägerin sodann fristgemäß begründet. Sie führt hierzu aus: Die von ihr vorgelegte Aufsichtsarbeit Nr. 03 rechtfertige zumindest eine Bewertung am oberen Rand der Notenstufe "ausreichend". Soweit sie im Rahmen der Prüfung der Begründetheit der Verfassungsbeschwerde in Bezug auf die Gesetzgebungskompetenz nicht Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 des Grundgesetzes angesprochen habe, schmälere das ihre Leistungen nicht, da es auf der Hand liege, dass es im Luftsicherheitsgesetz nicht um Verteidigung gehe. Art. 87 a Abs. 2 des Grundgesetzes sei nicht im Wortsinne zu "prüfen" gewesen. Die materielle Verfassungsgemäßheit von § 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes, auf der der Schwerpunkt der Klausur gelegen habe, sei in erster Linie anhand von Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes zu prüfen gewesen. Hierzu sei sie auf alle wesentlichen Gesichtspunkte eingegangen, wenn auch zum Teil nur kurz. Die Nennung des Schlagwortes der "Objektformel" sei ohne Aussagekraft für die Qualität ihrer Ausführungen insoweit.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihrem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er entgegnet: Das Vorbringen der Klägerin erschöpfe sich im Wesentlichen in unmaßgeblichen Eigenbewertungen; soweit sie Einwendungen geltend mache, die ein Prüferbeteiligungsverfahren erforderlich machten, könne sie damit im Klageverfahren nicht mehr gehört werden. Es stelle schließlich auch keinen maßgeblichen Beurteilungsfehler dar, dass die Erstprüferin zutreffend hervorgehoben habe, dass der Begriff der "Objektformel" nicht ausdrücklich genannt worden sei. Es könne nicht von vornherein unzulässig sein, die Verwendung eines Fachbegriffs einzufordern, selbst wenn sein Inhalt umschrieben worden sei. Im Übrigen stehe insoweit allenfalls eine leichte Kritik in Rede, der keinesfalls eine Relevanz von 2 Punkten beigemessen werden könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten zu den Prozessakten gereichten Schriftsätzen sowie der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen.

Die Klägerin kann eine erneute Entscheidung über das Ergebnis ihrer ersten juristischen Staatsprüfung beanspruchen. Der Feststellung über das (wiederholte) Nichtbestehen dieser Prüfung im Bescheid vom 22. Juni 2007 liegt nämlich eine Leistungsbewertung im schriftlichen Prüfungsteil zugrunde, die der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung nicht standhält. Zudem erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass bei einer Neubewertung der betreffenden Leistung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die Klägerin die für ihre Teilnahme an der mündlichen Prüfung vorausgesetzte Punktzahl erreicht.

Unter Beachtung der bei Prüfungsentscheidungen im Rahmen berufsbezogener Prüfungen nur eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte ergeben sich in der Bewertung der Aufsichtsarbeit Nr. 03 durch die Erstprüferin drei materielle Beurteilungsfehler, ohne dass der Senat an deren Feststellung dadurch gehindert wäre, dass die Klägerin ihren Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. Juni 2007 nicht begründete - mit der Folge, dass sich insoweit schon deshalb ein Prüferbeteiligungsverfahren erübrigte - und dass auch im vorliegenden Rechtsstreit ein Prüferbeteiligungsverfahren unterblieben ist. Letzteres folgt daraus, dass keine fachwissenschaftlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Prüfer und Prüfling in Rede stehen (vgl. hierzu insbesondere die Urteile des BVerwG vom 24. Februar 1993, Buchholz 421.0 Nr. 342, und 27. April 1999, NVwZ 2000, 921).

Zunächst stellt es einen Bewertungsfehler dar, dass die Erstprüferin das Fehlen einer ausdrücklichen Nennung des Begriffs "Objektformel" bemängelt hat. Dies hat der Senat bereits in seinem Berufungszulassungsbeschluss vom 1. Oktober 2008 im Einzelnen dargelegt. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen kann dazu auf die betreffenden Ausführungen Bezug genommen werden. Insofern sei hier - mit Blick darauf, dass die Erstprüferin gerade die "Objektformel des B u n d e s v e r -f a s s u n g s g e r i c h t s " anspricht - lediglich noch ergänzt, dass es Günter Dürig war, der die "Objektformel" - bzw. genauer das, wofür dieser Begriff steht - als Definitionsbasis für die Menschenwürde, zur Bestimmung der Menschenwürde vom Verletzungsvorgang her, prägte und zu Bekanntheit und Bedeutung führte (vgl. hierzu nur beispielhaft Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956), 117; Dürig in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Stand 1958, Rdnr. 28 zu Art. 1 Abs. 1). So griff denn schließlich auch das Bundesverfassungsgericht diese Definition - nur - auf (vgl. Beschluss vom 8. Januar 1959, BVerfGE 9, 89) und machte fortan eine Verletzung des Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - regelmäßig daran fest, dass - wie es in seinem den "Klausurfall" betreffenden Urteil vom 15. Februar 2006 (BVerfGE 115, 118) formuliert hat - "die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde .... (es) generell .... (ausschließt), den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen."

Es stellt einen allgemein gültigen Bewertungsgrundsatz dar, dass zutreffende Ausführungen nicht als falsch (vgl. hierzu z.B. BVerwG, Urteil vom 13. Mai 2004, NVwZ 2004, 1375) oder - worum es hier geht - erschöpfende Ausführungen nicht als defizitär gewertet werden. Dass es in keinerlei Hinsicht darauf ankommt, neben der oben dargestellten Definition einer Verletzung der Menschenwürde auch den Begriff der "Objektformel" zu verwenden, ist über jeden Zweifel erhaben, sieht doch sogar das Bundesverfassungsgericht selbst in aller Regel hiervon ab. Ein Fall, in dem die Richtigkeit oder Angemessenheit der Lösung wegen der Eigenart der Prüfungsfragen nicht eindeutig bestimmbar sind, steht so hier nicht inmitten.

Des Weiteren stellt es - wie der Senat es bereits in der mündlichen Verhandlung als möglich angedeutet hat - einen materiellen Bewertungsfehler dar, dass die Erstprüferin die zusammenfassende Schlussbemerkung der Aufsichtsarbeit - "Normenkontrolle zulässig & begründet" - für "völlig unverständlich" gehalten hat, "da hier eine Normenkontrolle gar nicht zur Prüfung stand". Es liegt nämlich klar auf der Hand, dass es insoweit lediglich um eine - als solche durchaus verständliche - falsche Wortwahl unter Zeitdruck geht. So hat die Klägerin richtigerweise über 15 Seiten hin die Zulässigkeit und Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde gegen § 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes - LuftSiG - geprüft. Aus der Tatsache, dass die Schlussbemerkung kein ausformulierter Satz ist und in ihr darüber hinaus das Kürzel für "und" - das Et-Zeichen - verwandt wurde, erschließt sich sodann, dass diese abschließende Zusammenfassung in größter Eile niedergeschrieben wurde. Unter diesen Umständen anzunehmen, die Klägerin habe ausweislich der besagten Schlussbemerkung verkannt, dass es in der Aufsichtsarbeit nicht um ein Gutachten zu einem Normenkontrollverfahren, sondern zu einer Verfassungsbeschwerde geht, liegt neben der Sache und wird der Prüfungsleistung der Klägerin nicht mehr gerecht. Auf der Grundlage der feststellbaren Tatsachen drängt es sich vielmehr förmlich auf, dass es sich bei der offenbar als gravierende Fehlleistung gewerteten Schlussbemerkung um einen sprachlichen Missgriff unter der im Allgemeinen gegen Ende der Bearbeitungszeit auftretenden Anspannung handelt.

Obwohl die Erstprüferin hierauf erkennbar nicht abgestellt hat, weist der Senat ergänzend darauf hin, dass sich vor dem aufgezeigten Hintergrund auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Klägerin zwischen Verfassungsbeschwerdeverfahren und Normenkontrollverfahren nicht zu differenzieren weiß.

Nach alledem hat die Erstprüferin ihrer Kritik an dem - unvollständigen - Schlusssatz der Aufsichtsarbeit einen falschen Sachverhalt zugrunde gelegt.

Dass die Klägerin im Übrigen gar nicht einmal von "Normenkontrollverfahren" - im Sinne des § 13 Nrn. 6 und 11 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) -, sondern im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen ein G e s e t z (§ 95 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG) nur von Normenkontrolle gesprochen hat, sei nach alledem hier nur noch am Rande bemerkt.

Schließlich erweist sich - und dies war ebenfalls Gegenstand des Rechtsgesprächs in der Berufungsverhandlung - auch die Feststellung der Erstprüferin als bewertungsfehlerhaft, die Klägerin hätte, nachdem sie - richtigerweise - die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die in § 14 Abs. 3 LuftSiG getroffene Regelung verneint gehabt habe, auf die weiteren Rechtsfragen nur in der Form eines Hilfsgutachtens eingehen und hierzu nicht - wie sie es getan hat - im Hauptgutachten bleiben dürfen. Dies ist eindeutig falsch; auch insoweit steht kein ein Prüferbeteiligungsverfahren notwendig machender Bewertungsspielraum des Prüfers und Antwortspielraum des Prüflings inmitten. Die Erstprüferin hat verkannt, dass es hier nicht um einen Fall geht, in dem zufolge der der Aufgabenstellung zu dieser Aufsichtsarbeit beigefügten Beurteilungshinweise auf die aufgeworfenen Rechtsfragen "gegebenenfalls in einem Hilfsgutachten" einzugehen war. Die Erstattung eines Hilfsgutachtens ist nur dann veranlasst, wenn die Rechtslage in aufeinander aufbauenden Stufen zu würdigen ist und zu den sich auf einer Stufe stellenden Rechtsfragen eine Lösung gefunden wird, die "an sich" eine rechtliche Würdigung auf der (den) nachfolgenden Stufe(n) ausschließt. Ein Hilfsgutachten kommt danach nicht in Betracht, wenn sich auf derselben Stufe das Ergebnis der rechtlichen Prüfung auf mehrere es selbständig tragende Begründungen stützen lässt. Dann ist vielmehr - den Bearbeitungshinweisen gemäß - "auf sämtliche" - auf der betreffenden Stufe - "aufgeworfenen Rechtsfragen" im Hauptgutachten einzugehen.

Vorliegend waren die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde in zwei Stufen zu überprüfen: Die erste betraf die Zulässigkeit, die zweite die Begründetheit dieses Rechtsbehelfs. Hätte die Klägerin die Auffassung vertreten, dass die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig sei, so hätte sie selbstverständlich auf deren Begründetheit in einem Hilfsgutachten eingehen müssen. Die Frage der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die in § 14 Abs. 3 LuftSiG getroffene Regelung und die Frage der materiellen Vereinbarkeit dieser Regelung im Hinblick auf die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG mit dem durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Recht auf Leben stehen demgegenüber nicht in einem Stufenverhältnis zueinander. Beide Fragen stellen sich vielmehr auf derselben Ebene; sie betreffen die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde.

So ist denn auch das Bundesverfassungsgericht in seiner einschlägigen Entscheidung vom 15. Februar 2006 (a.a.O.) - wie die Klägerin - auf beide Problemkreise kumulativ nebeneinander eingegangen.

Unter Randnummer 81 heißt es demgemäß:

"Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. § 14 Abs. 3 LuftSiG ist mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 87 a Abs. 2 und Art. 35 Abs. 2 und 3 sowie i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig".

Unter Randnummer 82 wird so denn unter anderem ausgeführt:

"Auch in das Grundrecht auf Leben kann .... auf der Grundlage eines förmlichen Parlamentsgesetzes .... eingegriffen werden. Voraussetzung dafür ist aber, dass das betreffende Gesetz in jeder Hinsicht den Anforderungen des Grundgesetzes entspricht. Es muss kompetenzmäßig erlassen worden sein, nach Art. 19 Abs. 2 GG den Wesensgehalt des Grundrechts unangetastet lassen und darf auch sonst den Grundentscheidungen der Verfassung nicht widersprechen".

Und unter Randnummer 85 schließlich wird entsprechend festgestellt:

"Für diesen Eingriff" (der Vorschrift des § 14 Abs. 3 LuftSiG in den Schutzbereich des Grundrechts auf Leben) "lässt sich eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht anführen. § 14 Abs. 3 LuftSiG kann in formeller Hinsicht schon nicht auf eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes gestützt werden (a). Die Vorschrift verstößt darüber hinaus, soweit von ihr nicht nur diejenigen, die das Luftfahrzeug als Waffe missbrauchen wollen, .... betroffen werden, .... auch materiell gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (b)."

Die dargelegten Fehler in der Bewertung der Aufsichtsarbeit Nr. 03 durch die Erstprüferin erweisen sich für die Feststellung des Beklagten, die Klägerin habe die erste juristische Staatsprüfung endgültig nicht bestanden, auch als bedeutsam. Auf ihnen kann nämlich die Feststellung beruhen. Es lässt sich mit anderen Worten nicht ausschließen, dass die Bewertungsfehler auf das Prüfungsgesamtergebnis durchgeschlagen haben, benötigt die Klägerin aus dem schriftlichen Prüfungsteil doch lediglich 1 Punkt, um das Prüfungsverfahren mit der mündlichen Prüfung fortsetzen zu können. Wenngleich es für diesen weiteren Punkt notwendig wäre, dass die Erstprüferbewertung der Aufsichtsarbeit Nr. 03 um 2 Punkte, von 4 auf die vom Zweitprüfer vergebenen 6 Punkte angehoben wird, lässt sich in Anbetracht der Nähe zu einem Teilerfolg im Prüfungsgeschehen den festgestellten Bewertungsfehlern die Entscheidungserheblichkeit mit der erforderlichen Gewissheit nicht von vornherein absprechen. Der Beklagte ist daher unter Aufhebung des Prüfungsbescheids zu verpflichten, - nach erneuter Erstprüferbewertung der besagten Klausur unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts - über das Ergebnis der ersten juristischen Staatsprüfung der Klägerin neu zu befinden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.500,-- € festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 47 des Gerichtskostengesetzes - GKG - i.V.m. Nr. 36.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327).



Ende der Entscheidung

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