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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 03.11.2003
Aktenzeichen: 12 A 11467/03.OVG
Rechtsgebiete: BSHG


Vorschriften:

BSHG § 67
BSHG § 67 Abs. 1
BSHG § 67 Abs. 2
BSHG § 67 Abs. 3
BSHG § 97
BSHG § 97 Abs. 1
BSHG § 97 Abs. 1 S. 1
BSHG § 97 Abs. 2 S. 1
BSHG § 97 Abs. 3
BSHG § 97 Abs. 5
BSHG § 103
BSHG § 103 Abs. 3
Bei einem Aufenthalt des Hilfeempfängers in einem Heim ist die örtliche Zuständigkeit des Trägers der Sozialhilfe nach § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG nicht auf die unmittelbare einrichtungsbezogene Hilfe beschränkt, sondern sie umfasst jede Hilfe, die nach Maßgabe der Bestimmungen des BSHG geleistet wird (hier: Blindenhilfe).
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 A 11467/03.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Blindenhilfe

hat der 12. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 3. November 2003, an der teilgenommen haben

Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Wünsch Richter am Oberverwaltungsgericht Wolff Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Gansen ehrenamtlicher Richter Organist Höhmann ehrenamtlicher Richter Tierzuchttechniker Dörrenberg

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 31. Juli 2003 wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, die blind ist und unter gesetzlicher Betreuung ihrer Tochter P. F. steht, begehrt die Gewährung von Blindenhilfe nach Maßgabe des § 67 BSHG.

Seit dem 4. Juni 2002 ist die Klägerin im Seniorenzentrum der Arbeiterwohlfahrt P. untergebracht. Bis dahin hatte sie, und zwar ab dem 31. August 1998, bei ihrem Sohn in M. und damit im Gebiet des Beigeladenen zu 1) gewohnt. Im Hinblick darauf kommt der Beigeladene zu 1) - was zwischen den Beteiligten rechtlich unstrittig ist - für die unmittelbaren Kosten der Heimunterbringung auf.

Die Zuständigkeit zur Gewährung einer Blindenhilfe an die Klägerin ist demgegenüber streitig und Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Hierzu hatte die Klägerin, vertreten durch ihre Tochter, ein entsprechendes telefonisches Ersuchen zunächst am 2. Juli 2002 an den Beigeladenen zu 1) und sodann am 3. Juli 2002 an die Beklagte gerichtet; bei letzterer stellte sie mit Datum vom 25. August 2002 außerdem einen schriftlichen Antrag. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Februar 2003 unter Hinweis auf die fehlende eigene Zuständigkeit ab. Der Beigeladene zu 2) vertrat demgegenüber die Auffassung, die Beklagte sei für die Gewährung von Blindenhilfe zuständig und lehnte mit Bescheid vom 24. Juni 2003 den an den Beigeladenen zu 1) gerichteten Antrag der Klägerin vom 4. Juli 2003 ab.

Gegen den Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 2003 hat die Klägerin nach erfolglos durchgeführtem Vorverfahren Klage erhoben und dabei die Auffassung vertreten, die Beklagte sei gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG zur Zahlung der Blindenhilfe örtlich zuständig, da sie - die Klägerin - sich in deren Bereich tatsächlich aufhalte. Demgegenüber greife die Ausnahmebestimmung des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG nicht ein, weil die Blindenhilfe nicht, wie von dieser Bestimmung vorausgesetzt, als einrichtungsbezogene Hilfe angesehen werden könne.

Die Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht, die Regelung des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG, die den Anstaltsort vor zusätzlichen Leistungen und Aufwendungen schützen und Sozialhilfe aus einer Hand gewähren wolle, unterscheide für den Fall einer Heimunterbringung nicht zwischen verschiedenen Hilfearten, sondern stelle undifferenziert auf den gewöhnlichen Aufenthalt vor der Heimunterbringung ab; sie erfasse deshalb auch nicht unmittelbar einrichtungsbezogene Hilfen wie die hier streitige Blindenhilfe.

Dem ist der Beigeladene zu 1) - die Beiladung des Beigeladenen zu 2) ist erst im Berufungsverfahren erfolgt - entgegen getreten und hat die Rechtsauffassung der Klägerin unterstützt.

Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 31. Juli 2003 eine Zuständigkeit der Beklagten nach § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG bejaht und der Klage deshalb stattgegeben. Der Ausnahmetatbestand des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG greife deshalb nicht ein, weil er für den Fall einer Heimunterbringung nur die Einrichtungskosten im engeren Sinne umfasse, nicht aber die Gesamtkosten. Das Gesetz unterscheide bewusst zwischen einer umfassenden Hilfe an Personen, wie sie beispielsweise in § 97 Abs. 5 BSHG vorgesehen sei, und einer Hilfe im engeren Sinne, die - wie in § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG - nur "in einer Anstalt" gewährt werde. Für diese Auslegung spreche auch ein Umkehrschluss zu der früheren Kostenerstattungsregelung des § 103 Abs. 1 Satz 1 BSHG a.F., in der, was in § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG gerade nicht erfolgt sei, die "Zusammenhangskosten" ausdrücklich erwähnt seien. Dieselbe Rechtsauffassung würden im übrigen auch verschiedene Wohlfahrtsverbände vertreten, die im Jahr 1998 - auch im Hinblick auf die Frage der Kostentragung nach § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG - eine entsprechende Verwaltungsvereinbarung getroffen hätten.

Gegen dieses ihr am 20. August 2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. September 2003 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Über ihr erstinstanzliches Vorbringen hinaus verweist sie vor allem auf den ihrer Ansicht nach eindeutigen Wortlaut des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG, der - anders als beispielsweise die Regelungen des § 97 Abs. 3 und des § 100 BSHG - eine Differenzierung in dem vom Verwaltungsgericht gemeinten Sinne nicht vorsehe. Für eine umfassende Anwendung der Norm spreche auch deren Entstehungsgeschichte, die von dem Grundgedanken einer weitgehend ummittelbaren Zuordnung von örtlichen Zuständigkeiten an die bisher erstattungspflichtigen Träger der Sozialhilfe getragen sei. Ziele seien dabei vor allem ein Schutz der Anstaltsorte, die Sicherstellung einer schnellen Entscheidung über die Hilfe sowie die Vermeidung von Konfliktfällen zwischen den Trägern der Sozialhilfe gewesen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 31. Juli 2003 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin sowie die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

In der Sache verteidigen sie das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und führt auch in der Sache zum Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hätte der Klage nicht stattgeben dürfen, denn der Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 2003 und der dazu ergangene Widerspruchsbescheid vom 11. April 2003 erweisen sich als rechtmäßig. Zwar steht der Klägerin, was unter den Beteiligten im Übrigen unstreitig ist, ein Anspruch auf Blindenhilfe nach § 67 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG - zu, und zwar - bedingt durch ihre Heimunterbringung - in dem nach Maßgabe des § 67 Abs. 3 BSHG verringerten Umfang. Für dessen Gewährung ist jedoch die Beklagte örtlich nicht zuständig und damit im vorliegenden Verfahren nicht passivlegitimiert. Zuständig ist vielmehr der Beigeladene zu 1).

Die Zuständigkeit der Beklagten ergibt sich nicht aus § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG. Danach ist für die Sozialhilfe der Träger örtlich zuständig, in dessen Bereich sich der Hilfeempfänger tatsächlich aufhält. Zwar hält sich die Klägerin im Bereich der Beklagten tatsächlich auf. Vorliegend ist jedoch für die Zuständigkeit der Ausnahmetatbestand des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG gegeben. Für die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung ist nämlich derjenige Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, in dessen Bereich der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme hat oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat. Die Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Das gilt zunächst für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts, den die Klägerin in den zwei Monaten vor der Aufnahme unbestritten im Gebiet des Beigeladenen zu 1) gehabt hat. Darüber hinaus wird mit der Blindenhilfe nach § 67 BSHG aber auch eine "Hilfe" i.S.d. § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG geleistet. Der Anwendungsbereich dieser Norm ist nämlich, entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, keineswegs auf eine rein einrichtungsbezogene Hilfe beschränkt (ebenso VG Stade, Urteil vom 17. Dezember 1999, EuG 53, 1, 3f.; LPK-BSHG/Schoch, 6. Aufl. 2003, § 97 Rn. 34; W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 97 Rn. 64; a.A. Mergler-Zink, BSHG, 4. Aufl. Stand Mai 2003, § 97 Rn. 27b; Zeitler, NDV 1994, 173, 178 und NDV 1998, 104, 106).

Hierfür spricht zunächst der Wortlaut der Bestimmung, der ohne zwischen einzelnen Arten der Hilfegewährung zu unterscheiden, allgemein von "Hilfe" spricht und damit offenkundig die Sozialhilfe i.S.d. BSHG meint. Dadurch unterscheidet sich diese Regelung von anderen Normen des BSHG, in denen - und zwar ebenfalls zum Zwecke der Festlegung des Trägers der örtlichen Sozialhilfe - eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten der Sozialhilfe vorgenommen wird, so von der des § 97 Abs. 3 oder des § 100 BSHG. Indem der Gesetzgeber in § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG auf derartige Differenzierungen gerade verzichtet und stattdessen uneingeschränkt von "Hilfe" spricht, zeigt er, dass hier eine Abgrenzung zwischen verschiedenen Hilfearten nicht gewollt ist, sondern - orientiert an dem gewöhnlichen Aufenthalt - eine umfassende örtliche Zuständigkeit des jeweiligen Trägers der Sozialhilfe begründet werden sollte.

Nur diese Auslegung lässt sich mit dem Normzweck und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift vereinbaren. Nach der amtlichen Begründung (vgl. BT-Drucks. 12/4401 S. 77) - die Regelung ist durch das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23. Juni 1993 (BGBl. I S. 944, 953) in das BSHG aufgenommen worden - wird durch § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG vor allem ein Schutz der Anstaltsorte durch eine weitgehende unmittelbare Zuordnung von örtlichen Zuständigkeiten beabsichtigt. Darüber hinaus sollen eine schnelle Entscheidung über die Hilfe sichergestellt und die Konflikte zwischen den Trägern der Sozialhilfe verringert werden. Diese Ziele lassen sich nur erreichen, wenn die Bestimmung in dem aufgezeigten und bei wörtlicher Auslegung ohnehin gebotenen Sinne verstanden wird. Eine auf die unmittelbare "einrichtungsbezogene" Hilfe beschränkte Gesetzesauslegung würde demgegenüber diese Ziele nicht erreichen können. Nur die einheitliche Behandlung eines Hilfefalles durch einen örtlich zuständigen Träger kann die schnelle, bedarfsgerechte und effektive Hilfegewährung sicherstellen.

Auch die systematische Auslegung stützt das Ergebnis. Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG eine Ausnahme von dem in § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG geregelten Grundsatz darstellt, wonach sich die Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt "in dessen Bereich" richtet. Statt an den tatsächlichen Aufenthalt knüpft die Zuständigkeit bei der Hilfe in einer Anstalt an den vor Aufnahme bestehenden gewöhnlichen Aufenthalt an. Dabei dient der Begriff "Hilfe in einer Anstalt" ebenso wie der Begriff "in dessen Bereich" der Abgrenzung der Personengruppen und nicht der Bestimmung der Leistungsart. Auch die Regelung des § 97 Abs. 5 BSHG, die den Schutz der Anstaltsorte "für Hilfen an Personen" auf Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsstrafen erstreckt, stellt eine Ausnahmeregelung zu § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG dar, indem sich die örtliche Zuständigkeit ebenfalls nach dem vor Aufnahme bestehenden gewöhnlichen Aufenthalt richtet. Aus der Gleichstellung wird deutlich, dass gerade nicht beabsichtigt war, die Zuständigkeit nach den Hilfearten zu richten. Erst recht kann aus dem unterschiedlichen Wortlaut (vgl. dazu Zeitler, NDV 1994, 173, 178) nicht der Schluss gezogen werden, anders als § 97 Abs. 5 BSHG unterscheide § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG nach Hilfearten. Für eine solche Auslegung gibt es nach Sinn und Zweck der Vorschriften keinen nachvollziehbaren Grund.

In die Auslegung des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG ist darüber hinaus die mit dieser Bestimmung in Zusammenhang stehende Kostenerstattungsregelung des § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG einzubeziehen. Hiernach sind in den Fällen des § 97 Abs. 2 BSHG, wenn der Hilfeempfänger die Einrichtung verlässt und er im Bereich des örtlichen Trägers, in dem die Einrichtung liegt, innerhalb eines Monats danach der Sozialhilfe bedarf, dem örtlichen Träger der Sozialhilfe die aufgewendeten Kosten von dem Träger der Sozialhilfe zu erstatten, in dessen Bereich der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG hatte. In Anwendung dieser Regelung, die nach ihrem eindeutigen Wortlaut alle Arten der Sozialhilfe und damit auch die hier betroffene Blindenhilfe einbezieht, müsste der Beigeladene zu 1) ab dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin die Einrichtung verlassen, sich aber weiterhin im Bereich der Beklagten aufhalten würde, dieser die Kosten der geleisteten Blindenhilfe erstatten. Im Verhältnis zu § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG würde dies - bei Heranziehung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts - zu einem Wertungswiderspruch führen: die Beklagte wäre danach zwar in der Phase des Aufenthalts in der Einrichtung für die Leistung der Blindenhilfe zuständig, hätte aber für die Phase nach dem Verlassen der Einrichtung gegenüber dem Beigeladenen zu 1) wegen derselben Leistung einen Erstattungsanspruch. Dies kann schon deshalb nicht den Normzwecken beider Vorschriften entsprechen, weil die Kostenerstattungspflicht des § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG an eine zuvor gegebene Zuständigkeit nach § 97 Abs. 2 BSHG anknüpft und die durch sie begründete Leistungspflicht im Wege der Kostenerstattung im Ergebnis materiell verlängert. Dagegen will § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG keine Kostenerstattung in Fällen begründen, in denen nach Maßgabe des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG eine örtliche Zuständigkeit und damit eine materielle Leistungspflicht gar nicht bestand. Dieser Umstand gebietet eine übereinstimmende Auslegung der Begriffe "Sozialhilfe" in § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG und "Hilfe" in § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG, und zwar dergestalt, dass beide umfassend und damit ohne Beschränkung auf einzelne Hilfearten zu verstehen sind.

Vor dem Hintergrund dieser Normauslegung trägt auch nicht der vom Verwaltungsgericht gezogene Umkehrschluss zu der früheren Kostenerstattungsregelung des § 103 Abs. 1 Satz 1 BSHG a.F., wo von Kosten gesprochen wurde, die für den Aufenthalt eines Hilfeempfängers "in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung oder in Zusammenhang hiermit" aufgewendet wurden. Indem der Gesetzgeber in § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG nunmehr ohne derartige Differenzierungen umfassend auf die "Hilfe in einer Anstalt, in einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung" abstellt, zeigt er gerade, dass er keine auf bestimmte Arten der Sozialhilfe beschränkte Regelung hat treffen wollen, sondern eine umfassende Zuständigkeitsregelung für alle Hilfearten nach dem BSHG für den Fall erlassen hat, dass diese während der Unterbringung in einer der dort genannten Einrichtungen anfallen.

Schließlich lässt sich für einen einrichtungsbezogenen Hilfebegriff im Rahmen des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG auch nicht die im Jahre 1998 geschlossene Verwaltungsvereinbarung der Landeswohlfahrtsverbände Württemberg-Hohenzollern, Baden, Hessen und des Bezirks Unterfranken zur Gewährung von (ergänzender) Blindenhilfe nach § 67 BSHG anführen. Unabhängig von der fehlenden örtlichen Zuständigkeit der dort vertragsschließenden Parteien für den vorliegenden Fall liegt dieser Vereinbarung lediglich eine gemeinsame Rechtsauffassung zugrunde, die für die richterliche Auslegung jedoch nicht verbindlich sein kann.

Neben der deshalb zu verneinenden Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin Blindenhilfe nach Maßgabe des § 67 BSHG zu bewilligen, hat diese ihr gegenüber auch keinen Anspruch auf Gewährung vorläufiger Leistungen nach § 43 Abs. 1 SGB I. Nach dieser Bestimmung kann, wenn ein Anspruch auf Sozialleistungen besteht und zwischen mehreren Leistungsträgern streitig ist, wer zur Leistung verpflichtet ist, der zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen, deren Umfang er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt; derartige Leistungen sind zu erbringen, wenn der Berechtigte es beantragt. Zuerst angegangen im Sinne dieser Bestimmung ist derjenige Leistungsträger, der von dem Berechtigten oder dessen Vertreter mündlich oder schriftlich zuerst mit dem Leistungsbegehren befasst worden ist (OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. September 1987, FEVS 37, 325, 326). Vorliegend hat sich die Tochter der Klägerin als deren gesetzlichen Vertreterin telefonisch am 2. Juli 2002 zunächst an den Beigeladenen zu 1) und erst danach am 3. Juli 2002 an die Beklagte gewandt. Das ergibt sich aus den Aktenvermerken der genannten Beteiligten, im ersten Fall außerdem aus dem auf dieses Datum Bezug nehmenden Schreiben des Beigeladenes zu 1) vom 5. Juli 2002. Im Hinblick auf diese zeitliche Abfolge muss demnach auch eine vorläufige Leistungspflicht der Beklagten verneint werden.

Jenseits einer fehlenden Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung vorläufiger Leistungen wäre diese hierzu nicht einmal berechtigt gewesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 12. September 1991, FEVS 42, 224, 226f.]), der der Senat folgt, ist selbst bei Säumigkeit des zur Vorleistung verpflichteten Leistungsträgers der andere Leistungsträger nicht berechtigt, freiwillig in Vorleistung zu treten. Dies folgt daraus, dass der Gesetzgeber im Rahmen des § 43 Abs. 1 SGB I nicht erst die Pflicht zu vorläufigen Leistungen, sondern bereits die Befugnis hierzu ausschließlich dem zuerst angegangenen Leistungsträger zugewiesen hat. Diese klare Kompetenzregelung zu erweitern ist nicht zulässig und darüber hinaus auch nicht erforderlich, da es im Interesse des Hilfebedürftigen ausreicht, wenn im Falle von Kompetenzkonflikten zunächst ein Träger der Sozialhilfe vorläufig eintritt.

Sowohl für die endgültige als auch für die vorläufige Leistungsgewährung ist statt dessen der Beigeladene zu 1) zuständig. Zwar ist an sich gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 4 BSHG für die Blindenhilfe der überörtliche Träger der Sozialhilfe zuständig, nach § 2 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Bundessozialhilfegesetz vom 16. September 1970 (GVBl. I S. 573), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. Februar 2001 (GVBl. I S. 144), wäre dies der Beigeladene zu 2). Allerdings besteht die Regelung des § 100 Abs. 1 BSHG, wie dort ausdrücklich eingeschränkt wird, nur, soweit nicht nach Landesrecht der örtliche Träger zuständig ist. Eine derartige abweichende landesrechtliche Regelung hat der hessische Gesetzgeber in § 1a Nr. 1 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Bundessozialhilfegesetz getroffen, wonach für Hilfen in besonderen Lebenslagen dann der örtliche Träger der Sozialhilfe zuständig ist, wenn diese Hilfen an Personen, die ihr 65. Lebensjahr vollendet haben, in einer Anstalt, einem Heim oder einer Einrichtung zur teilstationären Betreuung geleistet werden. Dies ist hier der Fall.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladenen keine Anträge gestellt haben, können ihnen keine Kosten auferlegt werden (§ 154 Abs. 3, 1. Halbsatz VwGO). Zugleich entspricht es dann aber i.S.d. § 162 Abs. 3 VwGO der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen.

Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2, 1. Halbsatz VwGO nicht erhoben.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision wird gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen, weil der Frage, ob die in § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG genannte Hilfe umfassend zu verstehen oder auf eine einrichtungsbezogene Hilfe beschränkt ist, grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Ende der Entscheidung

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