Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 18.03.2003
Aktenzeichen: 12 A 11749/02.OVG
Rechtsgebiete: BSHG


Vorschriften:

BSHG § 107 Abs. 1
BSHG § 107 Abs. 2
BSHG § 107 Abs. 2 Satz 2
BSHG § 111
Für die Ein-Monats-Frist des § 107 Abs. 1 BSHG ist nur das Vorliegen eines objektiven Hilfebedarfs, nicht dagegen auch eine innerhalb dieser Frist erfolgte Kenntniserlangung hiervon durch den neu zuständigen Sozialhilfeträger erforderlich.
OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ URTEIL IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Sozialhilfe (Kostenerstattung)

hat der 12. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 18. März 2003, an der teilgenommen haben

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz - 5 K 3136/01.KO - vom 22. Mai 2002 wird der Beklagte verurteilt, dem Kläger 176.264,96 € zuzüglich 4 % Prozesszinsen seit 19. Dezember 2001 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Erstattung von Sozialhilfekosten, die er in der Zeit vom 1. Juni 1997 bis 31. Mai 1999 für den Hilfeempfänger T. B. aufgewendet hat.

Der Hilfeempfänger leidet seit 1992 an einer amyothrophen Lateralsklerose und ist dadurch bedingt rollstuhlabhängig und schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 v. H. und den Merkzeichen G, aG und H. Er bedarf der 24-stündigen Betreuung durch einen Pflegedienst. Nachdem er bis zum 31. Mai 1997 in N. im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gelebt und dort von der Verbandsgemeinde M., die für den Beklagten in Delegation die Aufgaben der Sozialhilfe wahrnimmt, Hilfe zur Pflege erhalten hatte, bezog er am 1. Juni 1997 eine behindertengerechte Wohnung in L. im Zuständigkeitsbereich des Klägers.

Der Hilfeempfänger beantragte am 15. Juli 1997 beim Kläger die Gewährung von Hilfe zur Pflege und wies darauf hin, dass er rund um die Uhr pflegebedürftig sei. Diesbezüglich legte er dem Kläger einen Kostenvoranschlag des Mobilen Sozialen Dienstes "der kreis" vom 16. Juni 1997 betreffend die individuelle Schwerstbehindertenbetreuung sowie ein ärztliches Attest des Herrn Dr. L. vom 2. Juli 1997 vor, worin dieser die 24-stündige Pflegebedürftigkeit bestätigte.

Der Kläger lehnte die Gewährung der beantragten Leistung zunächst mit Bescheid vom 13. August 1997 ab. Nachdem der Kläger durch vom Hilfeempfänger beim Verwaltungsgericht Koblenz beantragte einstweilige Anordnung (Beschluss vom 22. August 1997 - 5 L 2521/97.KO -) zur Übernahme der ambulanten Pflegekosten für den Hilfeempfänger auf die Dauer von zunächst sechs Wochen verpflichtet worden war, gewährte er dem Hilfeempfänger ab dem 15. August 1997 Hilfe zur Pflege in Form der Übernahme der ambulanten Pflegekosten. Für die Zeit vom 1. Juni 1997 bis zum 14. Juli 1997 wurde die Hilfe mangels Antragstellung und für die Zeit vom 15. Juli 1997 bis 14. August 1997 wegen Nichtvorlage einer neuen Abrechnung sowie eines Krankenhausaufenthaltes mit bestandskräftigen Bescheiden vom 3. Juni 1998 und 2. November 1998 gegenüber dem Hilfeempfänger abgelehnt.

Insgesamt erbrachte der Kläger in der Zeit vom 15. August 1997 bis zum 31. Mai 1999 für den Hilfeempfänger Leistungen der Hilfe zur Pflege in Höhe von 344.744,30 DM (= 176.264,96 €).

Mit Schreiben vom 12. August 1997 erbat der Kläger von der Verbandsgemeinde M. unter Hinweis darauf, dass der Hilfeempfänger am 1. Juni 1997 in seinen Zuständigkeitsbereich gezogen sei, Sozialhilfeleistungen erhalte, vor seinem Umzug seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Verbandsgemeinde M. gehabt habe und diese deshalb gemäß § 107 Abs. 1 BSHG für die Dauer von längstens zwei Jahren ab dem Umzug die erforderlich werdenden Leistungen außerhalb von Einrichtungen zu erstatten habe, von dieser eine Kostenerstattungszusage nach § 107 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz - BSHG -, die diese unter dem 14. August 1997 dem Grunde nach auch erteilte.

Mit Schreiben vom 17. Oktober 2001 wandte sich der Kläger mit der Forderung an die Verbandsgemeinde M., die von ihm für die Zeit bis 31. Mai 1999 erbrachten Leistungen an den Hilfeempfänger in Höhe von insgesamt 344.744,30 DM zu erstatten. Dabei wies der Kläger darauf hin, dass der Hilfeempfänger es nach dem Umzug nach L. lediglich versäumt habe, sich sofort bei dem Kläger als neuem Träger der Sozialhilfe zu melden. Er habe daher in der ersten Zeit keine Leistungen erhalten, sei aber bedürftig gewesen.

Die Verbandsgemeine M. lehnte mit Schreiben vom 7. November 2001 das Kostenerstattungsbegehren des Klägers mit der Begründung ab, die Monatsfrist des § 107 Abs. 1 BSHG sei nicht gewahrt, da der Hilfeempfänger beim Kläger erst am 15. Juli 1997 die Hilfe beantragt habe, was sie im Zeitpunkt des Kostenanerkenntnisses nicht gewusst habe.

Der Kläger hat am 19. Dezember 2001 Klage erhoben und beantragt, den Beklagten in dem Hilfefall T. B. für die Zeit vom 15. August 1997 bis 31. Mai 1999 zu verurteilen, an ihn 176.264,96 € nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht: Die Monatsfrist des § 107 Abs. 1 BSHG sei gewahrt. Es sei ausreichend, dass objektiv Hilfebedürftigkeit bestanden habe. Davon sei hier auszugehen. Die Kenntnis des Sozialhilfeträgers von dem Bedarf im Sinne von § 5 BSHG sei ebenso unerheblich wie die tatsächliche Aufnahme der Hilfe. Die Hilfe sei zu Recht gewährt worden, zumal trotz intensiver Bemühungen auch in der Folgezeit kein Heim habe gefunden werden können, welches bereit und in der Lage gewesen sei, den Hilfeempfänger stationär zu betreuen.

Demgegenüber hat der Beklagte die Auffassung vertreten, dass die Frist des § 107 BSHG nicht eingehalten sei, da der Hilfeempfänger erst am 15. Juli 1997, also erst mehr als einen Monat nach dem Umzug die Gewährung von Hilfe beantragt habe, die ihm schließlich noch später, nämlich ab dem 15. August 1997 gewährt worden sei.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 22. Mai 2001 die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger stehe gegen den Beklagten kein Kostenerstattungsanspruch nach § 107 Abs. 1 BSHG für die ab dem 15. August 1997 an den Hilfeempfänger T. B. erbrachten Leistungen zu. Die Formulierung des § 107 Abs. 1 BSHG sei so zu verstehen, dass innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel neben dem objektiven Hilfeerfordernis die Kenntnis des (neuen) örtlichen Sozialhilfeträgers hinzutreten müsse. So sei weder aus den unterschiedlichen Formulierungen in § 107 Abs. 1 BSHG (Hilfebedarf) und des § 107 Abs. 2 BSHG (Hilfegewährung) noch aus dem sonstigen Wortlaut der Vorschrift der Schluss gerechtfertigt, im Rahmen des § 107 Abs. 1 BSHG genüge der objektive Bedarf als solcher. Ohne die Kenntnis des zuständigen Trägers oder der von ihm beauftragten Stelle i.S.d. § 5 BSHG von dem bestehenden Bedarf werde nicht einmal die Zuständigkeit begründet (vgl. § 97 Abs. 1 BSHG). § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG spreche insoweit nämlich nicht von einem Hilfebedürftigen, sondern von einem Hilfesuchenden. Hilfesuchender zu sein setze aber denknotwendig voraus, dass man Hilfe bereits nachgesucht habe, mithin der Träger der Sozialhilfe Kenntnis von dem Hilfefall erlangt haben müsse.

Der Kläger hat gegen das Urteil die vom Senat zugelassene Berufung eingelegt. Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

1. den Beklagten unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 22. Mai 2002 - 5 K 3136/01.KO - im Hilfefall T. B. zu verurteilen, an ihn, den Kläger, einen Erstattungsbetrag von 176.264,96 € zu zahlen,

2. den Beklagten zu verurteilen, seit Rechtshängigkeit der Klage Prozesszinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung führt er aus, dass bei Auslegung des § 107 Abs. 1 BSHG dahingehend, dass für den Kostenerstattungsanspruch allein eine objektive Hilfebedürftigkeit ausreichend sei, hierdurch eine rückwirkende Bedarfsprüfung für den Zeitraum vor Kenntniserlangung i.S.d. § 5 BSHG erforderlich werde. Dies sei aber bis auf die Ausnahmevorschrift des § 121 BSHG (Nothilfe) der Systematik des BSHG fremd und würde erheblichen Beweisschwierigkeiten unterliegen. Sinn und Zweck der Gesetzesänderung, die zur jetzigen Fassung des § 107 BSHG geführt hätten, sei es gewesen, "eine schnelle Entscheidung über die Hilfe" sicherzustellen und "die bisher zahlreichen Konfliktfälle zwischen Trägern der Sozialhilfe" zu verringern. Eine schnelle Entscheidung über die Hilfe setze aber zwingend die Kenntniserlangung des jetzigen Trägers i.S.d. § 5 BSHG voraus, beim Abstellen auf eine objektive Hilfebedürftigkeit dagegen würden die oben beschriebenen Beweisschwierigkeiten zu weiteren Konfliktfällen zwischen den Trägern führen. Die Zentrale Spruchstelle habe in einer Entscheidung vom 20. Oktober 1994 - B 81/93 - (EuG Band 49 S. 352 f.) dargelegt, dass für die Kostenerstattung bei Übertritt aus dem Ausland nach § 108 BSHG nicht allein ein objektiver Bedarf genüge, sondern zusätzlich die Kenntniserlangung des Sozialhilfeträgers i.S.d. § 5 BSHG innerhalb eines Monats nach dem Übertritt erforderlich sei. Im übrigen sei nach § 107 Abs. 2 Satz 1 BSHG die Verpflichtung zur Kostenerstattung entfallen. Denn für einen zusammenhängenden Zeitraum von mehr als zwei Monaten (1. Juni 1997 bis 14. August 1997) habe der Kläger dem Hilfesuchenden keine Hilfe gewährt.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten 5 L 2521/97.KO, 5 K 3879/97.KO und 5 K 3137/01.KO verwiesen, die Gegenstand der Beratung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat im wesentlichen Erfolg.

Die von dem Kläger erhobene Leistungsklage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der von ihm in der Zeit vom 15. August 1997 bis zum 31. Mai 1999 für den Hilfeempfänger T. B. gezahlten Sozialhilfeleistungen in Höhe von 176.264,96 € gegen den Beklagten.

Verzieht eine Person vom Ort ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts, ist der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsorts gemäß § 107 Abs. 1 BSHG verpflichtet, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe die dort erforderlich werdende Hilfe außerhalb von Einrichtungen i.S.d. § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG zu erstatten, wenn die Person innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe bedarf. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Der aufgrund seiner schweren Erkrankung einer 24-stündigen Pflege bedürfende Hilfeempfänger verzog am 1. Juni 1997 von seinem bisherigen Wohnort N. (Zuständigkeitsbereich des Beklagten) in eine behindertengerechte Wohnung nach L. (Zuständigkeitsbereich des Klägers). Dass er erst am 15. Juli 1997, mithin erst eineinhalb Monate nach dem Aufenthaltswechsel, beim Kläger einen Antrag auf Gewährung von Hilfe zur Pflege stellte und daher der Kläger erst zu diesem Zeitpunkt Kenntnis vom Hilfeerfordernis erhielt, ist für die Verpflichtung des Beklagten zur Kostenerstattung nach § 107 Abs. 1 BSHG nicht maßgebend. Entscheidend ist allein, ob objektiv innerhalb der Ein-Monats-Frist ein sozialhilferechtlicher Bedarf gegeben war, der Hilfesuchende sich also nicht selbst helfen konnte und auch von anderen keine Hilfe erhielt (§ 2 Abs. 1 BSHG). Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist im Rahmen des § 107 Abs. 1 BSHG eine Kenntniserlangung vom Vorliegen eines sozialhilferechtlichen Bedarfs durch den nunmehr zuständigen Sozialhilfeträger innerhalb der dort genannten Ein-Monats-Frist nicht erforderlich (so auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 10. Februar 1999 - 4 L 4909/98 - FEVS 49, 502 - 504; OVG des Saarlandes, Urteil vom 5. Januar 2001 - 3 R 171/00 - zitiert nach juris; Schellhorn, Kommentar zum BSHG, 16. Auflage, § 107 Rdnr. 8; Oestreicher/Schelter/Kunz/Decker, Kommentar zum Bundessozialhilfegesetz, Stand: 1. Juni 2002, § 107 Rdnr. 4).

Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 107 BSHG. So ist in § 107 Abs. 1 BSHG normiert, dass die umziehende Person "innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe bedarf", während § 107 Abs. 2 Satz 1 BSHG davon spricht, dass "keine Hilfe zu gewähren war". Ein Hilfebedarf setzt aber nur die objektive Notlage einer Person, die Hilfegewährung dagegen auch zusätzlich die Kenntnis von dieser objektiven Notlage durch den Sozialhilfeträger voraus (§ 5 Abs. 1 BSHG). Anhaltspunkte für eine einheitliche Auslegung dieser beiden unterschiedlichen, auch mehrfach in anderen Normen des BSHG wie etwa in § 103 Abs. 1 und 3 BSHG enthaltenen Begriffe durch den Gesetzgeber gibt es nicht. Wie der Gebrauch des Begriffs Hilfebedarf neben dem der Hilfegewährung zeigt, war sich der Gesetzgeber des BSHG der unterschiedlichen Terminologie durchaus bewusst. Des Weiteren zeigt auch die Nichtaufnahme des Begriffs der Kenntnis in den Wortlaut des § 107 Abs. 1 BSHG, dass der Gesetzgeber die Kenntnis des nunmehr zuständigen Sozialhilfeträgers vom Vorliegen eines objektiven Hilfebedarfs innerhalb der Ein-Monats-Frist nicht anspruchsbegründend voraussetzt. So hat der Gesetzgeber dort, wo er auch auf die Kenntnis des Sozialleistungsträgers abstellt, den Begriff der Kenntnis ausdrücklich in die jeweilige Bestimmung mit aufgenommen (vgl. § 121 Abs. 1 BSHG; §§ 103 Abs. 1, 104 Abs. 1, 105 Abs. 1 SGB X).

Sinn und Zweck der Norm des § 107 Abs. 1 BSHG gebieten keine andere Auslegung. Die durch Art. 9 des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) vom 23. Juni 1993 (BGBl. I S. 944) neu gefasste Vorschrift soll dem Sozialhilfeträger des Zuzugsortes für einen begrenzten Zeitraum einen Kostenerstattungsanspruch gegen den bisher zuständigen Sozialhilfeträger einräumen, um damit unberechtigten Kostenverschiebungen entgegenzuwirken, die dadurch bedingt sind, dass in der Regel die örtliche Zuständigkeit entsprechend dem neuen Aufenthaltsort nach § 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG zugleich auch die endgültige Kostentragungspflicht einschließt. Aus der Begründung zu dem durch Art. 9 FKPG neu gefassten § 107 BSHG (BT-Drs. 12/4401 vom 4. März 1993, S. 47/48) ergibt sich ebenfalls nicht, dass der Gesetzgeber die Kenntnis des nunmehr zuständigen Sozialhilfeträgers vom objektiven Hilfebedarf innerhalb der Ein-Monats-Frist für erforderlich gehalten hätte.

Die gegenteilige und auch in der Kommentarliteratur vertretene Auffassung, § 107 Abs. 1 BSHG setze neben dem Entstehen des Hilfebedarfs stets zusätzlich die Kenntnis des örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers voraus, da andernfalls dessen Zuständigkeit nicht ausgelöst werde (hierzu vgl. Mergler/Zink, Kommentar zum Bundessozialhilfegesetz, 4. Auflage, Stand: Mai 2002, § 107 Rdnr. 13; Schoch in LPK-BSHG, 5. Auflage, § 107 Rdnr. 26; Eichhorn/Fergen, Praxis der Sozialhilfe, 3. Auflage 1998, S. 1464), teilt der Senat in Übereinstimmung mit den Oberverwaltungsgerichten Lüneburg (a.a.O.) und des Saarlandes (a.a.O.) nicht. Sowohl die örtliche Zuständigkeit (§§ 96, 97 BSHG) als auch die sachliche Zuständigkeit (§ 99 ff. BSHG), an die die Kostenerstattungspflicht in § 107 Abs. 1 BSHG anknüpft, ergeben sich nämlich allein unmittelbar aus dem Gesetz und setzen eine Kenntnis des Sozialhilfeträgers von dem Sozialhilfefall nicht voraus.

Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte daher auf die Entscheidung der Zentralen Spruchstelle vom 20. Oktober 1994 - B 81/93 - EuG 49 S. 352 f., die im übrigen die Kostenerstattung bei Übertritt aus dem Ausland nach § 108 BSHG betrifft.

Das Argument des Beklagten, dass neben dem Vorliegen einer objektiven Hilfebedürftigkeit auch die Kenntniserlangung des nunmehr zuständigen Trägers der Sozialhilfe für den Kostenerstattungsanspruch nach § 107 Abs. 1 BSHG Voraussetzung sei, da es ansonsten bei einem Abstellen allein auf das Vorliegen einer objektiven Hilfebedürftigkeit zu Beweis- und Darlegungsschwierigkeiten komme, weil der erstattungsberechtigte Sozialhilfeträger zur Ermittlung der objektiven Hilfebedürftigkeit innerhalb der Ein-Monats-Frist nach dem Aufenthaltswechsel auf die Mitwirkung des Hilfesuchenden angewiesen sei, schlägt nicht durch. Sollte nämlich nicht mehr feststellbar sein, ob ein Hilfeanspruch schon vor Kenntnis des neu zuständigen Trägers bestand, geht dies zu Lasten des erstattungsberechtigten Trägers. Denn er muss die Voraussetzungen seines Kostenerstattungsanspruchs - hier: Vorliegen eines objektiven Hilfebedarfs innerhalb der Ein-Monats-Frist des § 107 Abs. 1 BSHG - letztlich nachweisen.

Ein objektiver Hilfebedarf des Hilfeempfängers war vorliegend innerhalb eines Monats nach seinem am 1. Juni 1997 erfolgten Aufenthaltswechsel gegeben. Dem Hilfeempfänger wurde bereits vor seinem am 1. Juni 1997 erfolgten Umzug in den Zuständigkeitsbereich des Klägers von der damals dafür zuständigen Verbandsgemeinde M. wegen seiner aufgrund der schweren Erkrankung bedingten 24-stündigen Pflegebedürftigkeit Hilfe zur Pflege gewährt. Diese Pflegebedürftigkeit bestand unverändert auch nach dem zum 1. Juni 1997 erfolgten Umzug des Hilfeempfängers in den Zuständigkeitsbereich des Klägers. Der fortdauernde Hilfebedarf ist durch die sich in den Verwaltungsakten hierzu befindlichen Nachweise belegt (Kostenvoranschlag des Mobilen Sozialen Dienstes "der kreis" vom 16. Juni 1997 betreffend die individuelle 24-stündige Schwerstbehindertenbetreuung, ärztliches Attest des Dr. L. vom 2. Juli 1997, Rechnung des Mobilen Sozialen Dienstes "der kreis" vom 7. Juli 1997 betreffend die dem Hilfeempfänger im Monat Juni 1997 erbrachten täglichen 24-stündigen Hilfeleistungen sowie Folgerechnungen für die Monate Juli 1997 bis Mai 1999). Im übrigen bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Hilfeempfänger sei in der Lage gewesen, die Kosten für die Pflege vorübergehend selbst zu zahlen.

Lag mithin innerhalb eines Monats nach Aufenthaltswechsel des Hilfeempfängers T. B. objektiv dessen Hilfebedarf vor, greift § 107 Abs. 1 BSHG ein und begründet eine Kostenerstattungspflicht des Beklagten.

Die Kostenerstattungspflicht ist vorliegend nicht gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 BSHG entfallen. Nach dieser Vorschrift entfällt die Kostenerstattungspflicht, wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten keine Hilfe zu gewähren war. Im vorliegenden Fall erfolgte die tatsächliche Hilfegewährung an den Hilfeempfänger zwar erst ab dem 15. August 1997, mithin erst zweieinhalb Monate nach dem Aufenthaltswechsel. Dies beruhte jedoch nicht darauf, dass in der Zeit ab Antragstellung am 15. Juli 1997 kein Hilfebedarf bestanden hätte. Vielmehr wurde die Hilfe im Zeitraum vom 15. Juli 1997 bis 25. Juli 1997 allein wegen Nichtvorlage einer geforderten bereinigten Abrechung nicht gewährt. Dem Grunde nach war aber für diesen Zeitraum, der innerhalb der Zwei-Monats-Frist liegt, Hilfe zu gewähren.

Nach alledem besteht eine Kostenerstattungspflicht des Beklagten in dem Umfang des § 111 BSHG für den Zeitraum von längstens zwei Jahren seit Aufenthaltswechsel (§ 107 Abs. 2 Satz 2 BSHG). Maßgebend ist dabei der Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels, nicht etwa der Zeitpunkt der später einsetzenden Hilfeleistung (vgl. Schellhorn, a.a.O., § 107 Rdnr. 11). Mithin hat der Beklagte dem Kläger die von diesem tatsächlich an den Hilfeempfänger in dem vorgenannten Zeitraum geleisteten Kosten in Höhe des geltend gemachten Betrages von 176.264,96 €, dessen Höhe nicht bestritten wurde, zu erstatten.

Der vom Kläger ebenfalls geltend gemachte Anspruch auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Prozesszinsen ist nur in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet. Gemäß Art. 229 § 1 Abs.1 Satz 3 EGBGB ist nämlich § 288 BGB, auf den die insoweit maßgebliche Vorschrift des § 291 Satz 2 BGB verweist (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2000 - 5 C 27.99 - BVerwGE 111, 213 [219]), in der seit dem 1. Mai 2000 geltenden Fassung nur auf Forderungen anzuwenden, die nach diesem Zeitpunkt fällig wurden. Da der hier für den Zeitraum vom 1. Juni 1997 bis 31. Mai 1999 geltend gemachte Betrag in Höhe von 176.264,96 € schon vor dem 1. Mai 2000 fällig geworden war, ist er gemäß § 291 Satz 2 BGB i.V.m. der deshalb anzuwendenden Fassung des § 288 BGB, die vor dem 1. Mai 2000 gegolten hat, nur mit 4 v.H. zu verzinsen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 2, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision i.S.v. § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 176.264,96 € festgesetzt (§§ 13 Abs. 2, 14 Abs. 1 Satz 1 GKG).



Ende der Entscheidung

Zurück