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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 30.09.2004
Aktenzeichen: 2 B 11530/04.OVG
Rechtsgebiete: GG, SchulG


Vorschriften:

GG Art. 2
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 6
GG Art. 6 Abs. 2
GG Art. 7
GG Art. 7 Abs. 1
SchulG a.F. § 1
SchulG a.F. § 1 Abs. 2
SchulG a.F. § 44
SchulG a.F. § 44 Abs. 1
SchulG a.F. § 44 Abs. 2
SchulG a.F. § 44 Abs. 3
SchulG § 1
SchulG § 1 Abs. 2
SchulG § 56
SchulG § 56 Abs. 1
SchulG § 56 Abs. 2
SchulG § 56 Abs. 2 Satz 1
SchulG § 56 Abs. 2 Satz 2
1. Kinder mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Rheinland-Pfalz erfüllen ihre Schulpflicht grundsätzlich durch den Besuch einer öffentlichen Schule.

2. Der Besuch einer ausländischen Schule kann nur in begründeten Ausnahmefällen, wie etwa der absehbaren Rückkehr in das Heimatland, erlaubt werden.

3. Die Pflicht zum Besuch öffentlicher Schulen dient dem Interesse der Allgemeinheit an der sozialen Integration ausländischer Kinder.


OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

2 B 11530/04.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Schulrechts

hier: vorläufiger Rechtsschutz

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 30. September 2004, an der teilgenommen haben

Präsident des Oberverwaltungsgerichts Prof. Dr. Meyer Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Held Richterin am Oberverwaltungsgericht Stengelhofen

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 30. Juli 2004 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der 1996 geborene Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Erlaubnis zum weiteren Besuch der König-Fahad-Akademie in Bonn. Mit seinen Eltern lebt er seit März 2001 in Rheinland-Pfalz und besucht seit Mitte des Jahres 2002 die König-Fahad-Akademie. Nach einer erfolglos gebliebenen ersten Aufforderung vom Januar 2004 forderte die Schulbehörde den Antragsteller mit Bescheid vom 27. Mai 2004 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zur Anmeldung an der Staatlichen Grundschule in R. bis zum 11. Juni 2004 auf.

Daraufhin hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht beantragt, den Antragsgegner im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihm den Besuch der Arabisch-Libyschen Schule in Bonn (gemeint ist nach dem übrigen Vorbringen ersichtlich: den Besuch der König-Fahad-Akademie in Bonn) zu genehmigen sowie die sofortige Vollziehung der Anmeldungsaufforderung auszusetzen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass bei ihm ein besonderer Fall im Sinne des § 44 Abs. 3 des Schulgesetzes vorliege, insbesondere deshalb, weil er ebenso wie seine Geschwister in zwei Sprachen und Kulturen aufwachse und zudem über eine doppelte, nämlich die deutsche und die jordanische, Staatsangehörigkeit verfüge. Das Verwaltungsgericht hat das Eilrechtsschutzbegehren sowohl hinsichtlich des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als auch des Aussetzungsantrags mit Beschluss vom 30. Juli 2004 abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die in der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

1. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht vorliegen. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, insbesondere um wesentliche Nachteile abzuwenden. Der Antragsteller hat den hierfür erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Denn er hat die Voraussetzungen für die Erteilung der begehrten Genehmigung zum Besuch der König-Fahad-Akademie nicht dargetan.

Rechtsgrundlage für diese Genehmigung ist § 56 Abs. 2 Satz 2 des Schulgesetzes - SchulG - vom 30. März 2004 (GVBl. S. 239), der an die Stelle des § 44 Abs. 3 SchulG a.F. getreten ist. Hierbei handelt es sich um eine Ausnahmeregelung zu der in § 56 Abs. 1 SchulG angeordneten Pflicht aller in Rheinland-Pfalz wohnhaften oder sich dort gewöhnlich aufhaltenden Kinder, ihre Schulpflicht durch den Besuch einer der in § 56 Abs. 2 Satz 1 SchulG genannten Schulen nachzukommen. Nach § 56 Abs. 2 Satz 2 SchulG kann in begründeten Fällen mit Genehmigung der Schulbehörde auch eine ausländische Schule besucht werden. Der Antragsteller hat einen "begründeten Fall" im Sinne dieser Vorschrift nicht dargetan. Insbesondere rechtfertigen die von ihm zur Begründung des "besonderen Falles" nach § 44 Abs. 3 SchulG a.F. angeführte doppelte Staatsangehörigkeit und sein Aufwachsen mit zwei Sprachen und Kulturen keine Ausnahme von der Schulbesuchspflicht nach § 56 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SchulG.

Dabei ist mit dem Antragsgegner und dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass an das Vorliegen eines "begründeten Falles" im Sinne der vorgenannten Vorschrift ("besonderer Fall" i.S.v. § 44 Abs. 3 SchulG a.F.) strenge Anforderungen zu stellen sind, würde doch ansonsten die in § 56 Abs. 1 SchulG (§ 44 Abs. 1 SchulG a.F.) getroffene Grundentscheidung des Gesetzgebers in Frage gestellt. § 56 SchulG (§ 44 SchulG a.F.) liegt erkennbar ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugrunde, das - entgegen der Auffassung des Antragstellers - auch auf ausländische Kinder Anwendung findet. Denn die nach der Paragraphenüberschrift als "Grundsatz" formulierte Schulpflicht knüpft nur an den Wohnsitz bzw. den gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder an, besteht also gerade unabhängig von der Staatsangehörigkeit, ebenso wie unabhängig von der Religionszugehörigkeit. Diese Schulpflicht ist grundsätzlich durch den Besuch einer deutschen öffentlichen Schule zu erfüllen.

Die Pflicht zum Besuch staatlicher Schulen ist legitimer Ausdruck des Erziehungsauftrags des Staates (Art. 7 Abs. 1 GG). Sie schränkt das elterliche Recht auf Erziehung ihrer Kinder (Art. 6 Abs. 2 GG) und deren korrespondierendes Recht, entsprechend erzogen zu werden (Art. 2 Abs. 1 GG), in verfassungsmäßiger Art und Weise ein (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. April 2003, NVwZ 2003, 1113; BVerwG, Beschluss vom 15. November 1991, NVwZ 1992, 370, jew. m.w.N.). Speziell für ausländische, in Deutschland wohnhafte Kinder verfolgt die Pflicht zum Besuch staatlicher Schulen den Zweck, sie auf ein Leben im hiesigen Kulturraum vorzubereiten. Dazu gehört in erster Linie die Vermittlung deutscher Sprachkenntnisse. Erfolgreiche Integration in die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland verlangt aber auch ein Vertrautmachen mit den Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben der Bürger in Freiheit, Gleichberechtigung und sozialer Verantwortung. Auch dies ist neben der Vermittlung von Wissen wesentlicher Auftrag der Schule (vgl. § 1 Abs. 2 SchulG). Gerade für das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Nationalität und kultureller Herkunft bietet die Schule Raum, Toleranz unmittelbar zu erleben und einzuüben. Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung religiös oder weltanschaulich motivierter "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten auf diesem Wege zu integrieren (vgl. BVerfG, a.a.O.). Nach § 1 Abs. 2 Satz 3 SchulG ist deshalb die Schule gehalten, einen Beitrag zur Integration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund zu leisten. Die infolge der Schulbesuchspflicht hervorgerufenen Beeinträchtigungen grundrechtlicher Freiheiten sind für die Betroffenen grundsätzlich zumutbar. Die Schwere dieser Beeinträchtigungen wird durch die Pflicht der Schule zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Eltern und der Kinder (§ 2 Abs. 1 und Abs. 3 SchulG), insbesondere auf deren abweichende religiöse Überzeugungen, und durch die verbleibende Möglichkeit der Einflussnahme der Eltern auf ihre Kinder außerhalb der Schule weitgehend abgemildert. Durch die Grundsatzentscheidung für die Schulbesuchspflicht nach Maßgabe des § 56 Abs. 2 Satz 1 SchulG hat der Gesetzgeber auch die ihm zwecks Ausgleichs von elterlichem und staatlichem Erziehungsrecht obliegende wesentliche Entscheidung getroffen und durch § 56 Abs. 2 Satz 2 SchulG hinreichend zu erkennen gegeben, dass Ausnahmen hiervon nur in besonders gelagerten Fällen, wie etwa der absehbaren Rückkehr in das Heimatland, gestattet werden sollen.

Vor diesem Hintergrund ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner in dem Umstand der doppelten Staatsangehörigkeit des Antragstellers und seines Aufwachsens in zwei Sprachen und Kulturen keinen "begründeten Fall" für eine Ausnahme von der Schulbesuchspflicht gesehen hat. Dies gilt umso mehr, als dem Antragsteller - nach dem Vortrag des Antragsgegners - im Rahmen des staatlichen Schulbetriebs nicht nur Förderunterricht zur Verbesserung seiner deutschen Sprachkenntnisse, sondern auch muttersprachlicher Unterricht in arabisch einschließlich einer Unterweisung im Islam angeboten wird.

Ferner kann sich der Antragsteller nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe darauf vertraut, die begonnene Schullaufbahn an der besuchten Schule beenden zu können. Auch dieser Umstand rechtfertigt nicht die Annahme eines "begründeten Falles" im Sinne von § 56 Abs. 2 Satz 2 SchulG. Das geltend gemachte Vertrauen ist schon deshalb nicht schutzwürdig, weil der Schulbesuch trotz Kenntnis der Genehmigungspflicht ohne die erforderliche Erlaubnis begonnen wurde. Im Übrigen durfte der Antragsgegner dem öffentlichen Interesse an der sozialen Integration des ausländischen Kindes durchaus den Vorrang vor den individuellen Wünschen des Antragstellers und seiner Eltern einräumen. Der Wechsel der Schullaufbahn ist dem Antragsteller, der gerade erst das 2. Schuljahr beendet hat, auch zumutbar, zumal der Antragsgegner die Bereitschaft erklärt hat, ihn so zu fördern, dass ein nahtloser Anschluss an seine Klassenstufe ermöglicht und das Wiederholen eines Schuljahres vermieden wird. Der Antragsteller ist der Berechtigung dieser Erwartung nicht entgegengetreten.

Soweit er schließlich in allgemeiner Form Umstellungsprobleme und Konflikte im Schulalltag anspricht, um hieraus einen "begründeten Fall" im Sinne von § 56 Abs. 2 Satz 2 SchulG herzuleiten, fehlt es an substantiierten Angaben, die die angedeutete Skepsis als nachvollziehbar erscheinen lassen. Dies gilt umso mehr, als der Antragsgegner im Einzelnen dargelegt hat, wie Schulen in Rheinland-Pfalz auf religiöse und kulturelle Wertvorstellungen ausländischer Schüler und deren Eltern etwa hinsichtlich der Teilnahme am Sportunterricht und an Klassenfahrten oder des Tragens von Kopftüchern Rücksicht nehmen und eine entsprechende Praxis auch bei der vom Antragsteller zu besuchenden Schule zu erwarten sei.

2. Fehlt ein besonderer Grund, den Antragsteller nach § 56 Abs. 2 Satz 2 SchulG von der Pflicht zum Besuch einer öffentlichen Schule zu befreien, so erweist sich auch die zwecks Erfüllung der Schulbesuchspflicht erfolgte Aufforderung zur Anmeldung des Antragstellers an der Grundschule in R. als offensichtlich rechtmäßig (vgl. §§ 44 Abs. 1 und Abs. 2, 53 Abs. 1 SchulG a.F. [jetzt: §§ 56 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, 65 Abs. 1 SchulG]). Von daher überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung dieser Verfügung das Interesse des Antragstellers, hiervon vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben. Mangels näherer Begründung in der Beschwerde kann hierzu ergänzend auf die zutreffenden Gründe im Beschluss des Verwaltungsgerichts verwiesen werden (§ 130 b Satz 2 VwGO entsprechend).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG.



Ende der Entscheidung

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