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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 09.02.2005
Aktenzeichen: 6 A 11850/04.OVG
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB F. 1986 § 125 Abs. 2
BauGB F. 1986 § 125
BauGB F. 1986 § 11 Abs. 3
BauGB F. 1986 § 11
BauGB § 131 Abs. 1 S. 1
BauGB § 131 Abs. 1
BauGB § 131
BauGB § 133 Abs. 1 S. 1
BauGB § 133 Abs. 2 S. 1
BauGB § 133 Abs. 2
BauGB § 133 Abs. 1
BauGB § 133
BauGB § 233 Abs. 3
BauGB § 233
Die auf der Grundlage des § 11 Abs. 3 BauGB (Fassung 1986) abgegebene Erklärung der zuständigen Behörde, gegen die Aufstellung eines angezeigten Bebauungsplans mache sie keine Rechtsverletzungen geltend, steht einer Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde zur Herstellung der Erschließungsanlage nach § 125 Abs. 2 BauGB (Fassung 1986) gleich. Sie gilt gemäß § 233 Abs. 3 BauGB mit dem Inhalt fort, mit dem sie wirksam erlassen wurde.

Zu den Möglichkeiten, das Bauprogramm mit Auswirkungen auf das Erschließungsbeitragsrecht zu ändern.


OBERVERWALTUNGSGERICHT RHEINLAND-PFALZ BESCHLUSS

6 A 11850/04.OVG

In dem Verwaltungsrechtsstreit

wegen Erschließungsbeitrags

hier: Zulassung der Berufung

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 9. Februar 2005, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Hehner Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Frey Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Beuscher

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 30. August 2004 - 8 K 182/04.KO - zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 14.885,38 € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag hat keinen Erfolg, da keiner der von der Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe gegeben ist.

Die Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils wird in der Antragsbegründung nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (so die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 23. Juni 2000, NVwZ 2000, 1164 = DVBl 2000, 1458, definierten Voraussetzungen für das Vorliegen "ernstlicher Zweifel" i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Solche Richtigkeitszweifel ergeben sich nicht aus dem Vorbringen der Beklagten, das Verwaltungsgericht habe den Umfang der hergestellten Erschließungsanlage verkannt und die nachträglich gepflasterte Splitterparzelle 90/21 als selbständige Anlage angesehen. In dem angefochtenen Urteil ist vielmehr entscheidend darauf abgestellt worden, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht am 2. November 2002, als die Widmung der Straßenparzelle 90/18 wirksam wurde, die Erschließungsanlage plankonform fertiggestellt war, ohne dass die erwähnte Splitterparzelle in der Örtlichkeit als Teil der Erschließungsanlage erkennbar war.

Anders als die Beklagte meint, hing die endgültige Fertigstellung der Erschließungsanlage "K." nicht davon ab, dass auch die Splitterparzelle 90/21 als Zufahrt zum Grundstück des Klägers gepflastert war. Denn diese Maßnahme gehörte nicht zum Bauprogramm, das durch die Erklärung der Kreisverwaltung A. vom 12. November 1992, gegen die Aufstellung des mit Schreiben vom 31. August 1992 angezeigten Bebauungsplans "I." würden keine Rechtsverletzungen geltend gemacht, verbindlich wurde. Der Senat ist mit dem Verwaltungsgericht und dem OVG Schleswig (Urteil vom 25. März 1997 - 2 L 46/96 - veröffentlicht in jurisweb.de; ebenso Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 4. Aufl. 1995, § 7 Rz 25) der Auffassung, dass eine solche auf der Grundlage des § 11 Abs. 3 des Baugesetzbuchs - BauGB - i.d.F.d.B. vom 8. Dezember 1986 (BGBl. I, S. 2253) abgegebene Erklärung - nicht anders als die Genehmigung eines Bebauungsplans (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1981, BVerwGE 62, 300 <306>) - wie eine Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde zur Herstellung der Erschließungsanlage nach § 125 Abs. 2 in dieser bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung des Baugesetzbuchs zu bewerten ist. Sie gilt gemäß § 233 Abs. 3 BauGB über diesen Zeitpunkt hinaus mit dem Inhalt fort, mit dem sie wirksam erlassen wurde (vgl. Bielenberg/Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand: 07/2004, § 233 Rz 71). Dass das damit festgelegte Bauprogramm am 2. November 2002 tatsächlich umgesetzt war, hat das Verwaltungsgericht festgestellt.

Dieses Bauprogramm, das im Jahre 1992 Verbindlichkeit erlangte, ist auch nicht durch die am 14. Oktober 2002 beschlossene und am 27. November 2002 rechtsverbindlich gewordene Änderung des Bebauungsplans "I.", mit welcher die Splitterparzelle 90/21 als Straßenverkehrsfläche festgesetzt wurde, erweitert worden mit der Folge, dass die am 2. November 2002 wirksam gewordene Widmung der Straßenparzelle 90/18 die Beitragspflicht (noch) nicht hätte entstehen lassen. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Änderung eines bereits verwirklichten Bauprogramms nicht ohne Weiteres bis zum Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht möglich. Schon in seinem Urteil vom 22. August 1975 hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 49, 131 = DÖV 1976, 95) entschieden, dass eine bereits endgültig hergestellte Erschließungsanlage nicht dadurch in den Zustand der Unfertigkeit zurückversetzt wird, dass zeitlich nach der endgültigen Herstellung (beispielsweise mangels Widmung der Anlage für den öffentlichen Verkehr) noch vor dem Entstehen der Beitragspflicht an Stelle der bisherigen gültigen Beitragssatzung eine neue Satzung in Kraft tritt, die andere, insbesondere weitergehende Merkmale der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage festlegt. Das Bauprogramm kann nach dieser Rechtsprechung (nur) so lange mit Auswirkungen auf das Erschließungsbeitragsrecht geändert werden, wie die Straße noch nicht einem für sie aufgestellten Bauprogramm entspricht, d.h. noch nicht endgültig im Sinne des § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB hergestellt worden ist. Bestätigt hat das Bundesverwaltungsgericht diese Auffassung im Urteil vom 10. Oktober 1995 (BVerwGE 99, 308 = NVwZ 1996, 799).

Schließlich spielt in diesem Zusammenhang - anders als die Beklagte meint - keine Rolle, dass der nicht wirksam gewordene Bebauungsplan "I." aus dem Jahre 1983 eine am Grundstück des Klägers vorbei führende Verlängerung des K. vorgesehen hatte, die indessen nicht gebaut worden ist und seit der Änderung der gemeindlichen Planungsabsichten im Jahre 1992 auch nicht mehr vorgesehen ist.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils legt der Zulassungsantrag auch insoweit nicht dar, als er die veranlagten Grundstücke des Klägers zumindest als Hinterliegergrundstücke für beitragspflichtig hält. Dabei kommt es hier nicht auf die Differenzierung zwischen nach § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossenen Grundstücken und dem Erschlossensein i.S.d. § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB an, weil die angefochtenen Erschließungsbeitragsbescheide nur rechtmäßig sind, wenn die (erhöhten) Anforderungen des § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB erfüllt sind.

Die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag setzt voraus, dass das fragliche Grundstück mit Blick auf die wegemäßige Erschließung allein der abzurechnenden Anlage wegen bebaubar oder sonst wie in erschließungsbeitragsrechtlich relevanter Weise nutzbar ist (BVerwG, Urteil vom 29. April 1988, BVerwGE 79, 283 = NVwZ 1988, 1134 sowie Urteil vom 17. Juni 1998, NVwZ 1998, 1187). Ein Grundstück in einem Wohngebiet ist grundsätzlich dann erschlossen, wenn auf der Erschließungsanlage mit Personen- und kleinen Versorgungsfahrzeugen bis an die Grenze des Grundstücks bzw. bis zu dessen Höhe herangefahren und es von dort aus betreten werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1993, a.a.O.). Daran fehlte es hier im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht am 2. November 2002, weil die Splitterparzelle 90/21, die zwischen der Wegeparzelle 90/18 des K. und dem Flurstück 90/19 des Klägers liegt, seinerzeit im Eigentum eines Dritten stand, nämlich des Eigentümers des Grundstücks 90/14.

Auch die Voraussetzungen für die Heranziehung eines sogenannten Hinterliegergrundstücks sind nicht erfüllt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 15. Januar 1988, BVerwGE 79, 1 = NVwZ 1988, 630) sind Hinterliegergrundstücke dann erschlossen, wenn die übrigen Beitragspflichtigen schutzwürdig erwarten dürfen, neben dem Anliegergrundstück werde auch das Hinterliegergrundstück zu ihrer Entlastung an der Aufwandsverteilung teilnehmen. Muss mit einer erschließungsbeitragsrechtlich relevanten Wahrscheinlichkeit von dem Hinterliegergrundstück aus typischerweise mit einer Inanspruchnahme der Erschließungsanlage gerechnet werden, ist dessen Belastung mit einem Erschließungsbeitrag gerechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1997, NVwZ-RR 1998, 67).

Davon kann indessen nur ausgegangen werden, wenn es der Eigentümer des Hinterliegergrundstücks in der Hand hat, durch geeignete Maßnahmen die Erreichbarkeitsvoraussetzungen zu erfüllen, unter denen das einschlägige Bauordnungsrecht eine erschließungsbeitragsrechtlich relevante Nutzung (auch) des Hinterliegergrundstücks gestattet (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1993, BVerwGE 92, 157 = NVwZ 1993, 1206). Gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 1 Landesbauordnung - LBauO - dürfen Gebäude nur errichtet werden, wenn gesichert ist, dass bis zum Beginn ihrer Benutzung das Grundstück in angemessener Breite an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegt, eine öffentlich-rechtlich gesicherte Zufahrt zu einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche hat oder bei Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BauGB über einen Wirtschaftsweg erreichbar ist. Als Sicherung der Zufahrt genügt nach § 6 Abs. 2 Satz 2 LBauO eine Dienstbarkeit, wenn sie vor dem 1. Oktober 1974 begründet worden ist. Nur auf bereits zulässigerweise bebaute Grundstücke ist § 6 Abs. 2 LBauO nicht anwendbar (Urteile des Senats vom 16. November 2000, KStZ 2001, 115, und vom 27. April 2004 - 6 A 10035/04.OVG (beide veröffentlicht in ESOVGRP). Diese bauordnungsrechtliche Voraussetzung war im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht hinsichtlich der herangezogenen (unbebauten) Flurstücke des Klägers nicht erfüllt. Etwas hiervon Abweichendes gilt auch nicht mit Rücksicht auf die von der Beklagten geltend gemachte Ausräumbarkeit dieses Zufahrtshindernisses. Das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 29. Mai 1991, BVerwGE 88, 248; Urteil vom 26. Februar 1993, a.a.O.) hat entschieden, dass für das Erschlossensein nicht entscheidend ist, ob ein der erforderlichen wegemäßigen Erreichbarkeit entgegenstehendes (ausräumbares) Hindernis bereits beseitigt worden ist oder nicht, sofern die Beseitigung dieses Hindernisses nur entweder allein in der Verfügungsmacht des jeweiligen Grundeigentümers steht oder - was auf dasselbe hinauskommt - ausschließlich an dessen nach Lage der Dinge gebotener, aber bisher verweigerter Mitwirkung scheitert. Keine dieser Voraussetzungen lag am 2. November 2002 vor: Weder ist ersichtlich, dass der Kläger seine eigene Mitwirkung verweigert hatte, noch stand es in seiner Macht, ohne Mitwirkung des Eigentümers des Grundstücks 90/14 das Erreichbarkeitshindernis auszuräumen.

Schließlich ergeben sich keine ernstlichen Bedenken an der Richtigkeit der Auffassung des Verwaltungsgerichts, die herangezogenen Flurstücke 90/19 und 85/3 seien nicht über den Fußweg bzw. die Grünfläche auf der Verlängerung der Straßenparzelle 90/18 (in Richtung W.) erschlossen. Wie den von der Beklagten vorgelegten Fotografien zu entnehmen ist, grenzt das Flurstück 90/19 des Klägers nicht an den angelegten Fußweg, sondern lediglich an die öffentliche Grünfläche. Dass diese insbesondere insoweit, als sie auf der dem Flurstück 90/19 des Klägers unmittelbar benachbarten Parzelle 90/17 liegt, Teil der öffentlichen Verkehrsfläche "K." ist, legt der Zulassungsantrag nicht dar (vgl. hierzu auch Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl. 2004, § 23 Rz 23). Deshalb beruft sich die Beklagte in diesem Zusammenhang erfolglos auf das Urteil des Senats vom 22. Mai 2001 - 6 A 12086/00.OVG.

Der Zulassungsgrund besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist - wie sich den vorstehenden Ausführungen entnehmen lässt - ebenfalls nicht gegeben. Gleiches gilt für die gerügte Abweichung (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) des angefochtenen Urteils von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz. Die von der Beklagten als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfenen Fragen sind höchstrichterlich beantwortet, wie bereits im Zusammenhang mit den geltend gemachten Richtigkeitszweifeln ausgeführt wurde.

Der Antrag war nach alledem mit der sich aus § 154 Abs. 2 VwGO ergebenden Kostenfolge abzulehnen.

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 52 Abs. 1 und 3, 47 Abs. 1 und 3 sowie 72 Nr. 1 GKG n.F..



Ende der Entscheidung

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